Wie ihr sicher wisst, ist das elfte Kapitel des Hebräerbriefes eine Art Predigt über einen Text aus Habakuk 2,4. Es ist ein Kommentar des Geistes Gottes zu dem Text: „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben.“ Das war eine kurze Mitteilung, die Habakuk empfing, als er durch die Zustände, die in seinen Tagen herrschten, im Herzen beunruhigt war. Er durfte etwas Wunderbares sehen. Im dritten und letzten Kapitel seiner Weissagung, finden wir eine Beschreibung Gottes, der zur Befreiung Seines Volkes und zur Erfüllung Seiner Ratschlüsse mit Majestät daher reitet, das bedeutet dass Er die Welt nach Seinen Maßstäben ordnet. Gott wird die Erde in Majestät durchreiten und das Böse überwältigen. Wir können uns vorstellen, dass Habakuk, als er davon hörte, die Frage hatte: „Wie lange muss ich noch darauf warten?“ Doch der Herr sagt ihm: „Habakuk, während du wartest, werde Ich dir das Geheimnis eines Lebens nach meinen Gedanken zeigen.“ Das Geheimnis des geistlichen Lebens finden wir in Hebräer 11, wo wir sehen, dass es der Glaube an Gott ist – „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben.“

Es ist bemerkt worden, dass man in allen drei Versen des Neuen Testaments, wo dieser kurze Satz zitiert wird, die Betonung jeweils auf ein anderes Wort legen muss. Und hier liegt die Betonung eindeutig auf dem Wort „leben“. Hier geht es nicht darum, dass wir im Glauben beginnen, oder dass wir durch Glauben errettet und gerechtfertigt werden, sondern dass wir durch Glauben leben. Er ist und war schon immer das große Lebensprinzip des Christen. Es ist der Grundsatz auf dem die Gläubigen aller Zeiten ihren Pilgerpfad gegangen sind. Und was in der Vergangenheit galt, gilt auch für uns heute.

Es ist wirklich ein beeindruckender Gedanke, dass wir uns tatsächlich in der großen Nachkommenschaft des Glaubens befinden, die mit Abel begann und mit der Zeit immer größer geworden ist. Während der ganzen Zeit hat Gott Seine Gedanken vorgestellt. Weil die Zeit fortgeschritten ist, gibt es inzwischen viel mehr zu sehen für den Glauben. Ich erinnere mich, dass mir als junger Mann gesagt wurde, Glaube sei „Licht“. Doch ich bin geneigt zu sagen, dass Glaube „Sicht“ ist. Offenbarung ist Licht, aber Glaube ist Sicht. Wenn zwei Männer in einem dunklen Raum sind, von denen der eine äußerst gute Augen hat und der andere völlig blind ist, dann unterscheiden sie sich nicht. Aber bring sie ans Licht, und du wirst den Unterschied sehen. Der Eine sieht und schätzt das Licht, der Andere nicht. Glaube ist diese besondere Fähigkeit, das Licht aufzunehmen und zu schätzen, wenn es scheint.

Hebräer 11 beginnt nicht mit einer Definition von Glauben, noch damit, was der Glaube wesensmäßig ist, sondern mit dem, was der Glaube in der Praxis ist. „Der Glaube aber ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht.“ Der Glaube ist das, was Dinge, die man hofft, Realität werden lässt, und das ist natürlich das Hauptanliegen dieses Briefes an die Hebräer. Einige der hebräischen Christen dachten bereits, sie hätten die Realität verloren.

Stellt euch einen Juden vor, der ein Nachfolger dieses Jesus geworden war, den man vor etwa dreißig Jahren als Übeltäter gekreuzigt hatte. Seine alten Freunde sagen zu ihm: „Du bist wirklich ein Narr. Hier steht unser Tempel mit den Opfern, die aufsteigen, und den schallenden Trompeten. Wir haben den alten, von Gott eingesetzten Gottesdienst und die Priester stammen direkt von Aaron ab. Du kannst unsere Religion sehen, du kannst sie riechen, du kannst sie hören, wir haben die Realität. Ihr habt nur so einen kleinen Obersaal, wo euer Meister Seine Jünger versammelte, aber Er ist jetzt weg. Und wohin ist Er gegangen? In Wirklichkeit habt ihr nichts, ihr rennt bloßen Ideen hinterher.“

Das ist die Sprache der Welt, aber der Hebräerbrief sagt: „Eure Opfer sind Schatten, ihr habt nur einen Schattentempel. Eure Priester sind Schatten und euer Altar ist nur ein Schattenaltar.“ Nur wenige Jahre nach der Abfassung des Briefes kamen die römischen Armeen und fegten das ganze Schattensystem von der Bildfläche. Wir Christen haben die Substanz, wir haben das, wovon die Schatten sprachen, die Gott zuerst anordnete, aber es nützt uns nichts, wenn wir nicht Glauben haben, der die unsichtbaren Dinge ergreift und sie zu einer Realität in unseren Herzen und Leben macht.

Der Schreiber wendet sich unmittelbar der Schöpfung zu: „Durch Glauben verstehen wir, dass die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind.“ Keiner kann das beweisen oder völlig verstehen. So wie wir nur durch Glauben verstehen, dass die Bibel das Wort Gottes ist, verstehen wir auch diese Wahrheit von der Schöpfung nur durch Glauben. Der Glaube kann es aufnehmen und er tut es. Der Glaube ist das Auge der Seele, oder, wie wir gleich noch sehen werden, eher ein Teleskop, das, wenn man es vors Auge hält, Dinge sichtbar macht, die sich außer der Reichweite sterblicher Augen befinden.

Ich spreche nicht von etwas, dass nur für fortgeschrittene Christen gilt. Ihr seid überhaupt keine Christen, wenn ihr nicht den Glauben bekommen habt. Wenn Christus für euch keine Realität ist, dann könnt ihr nicht den Namen „Christ“ für euch beanspruchen. Ich spreche jetzt von dem, womit ihr begonnen habt, und ich möchte, dass ihr lernt, dass der Glaube nicht nur das ist, womit ihr beginnt, sondern die wirkende Kraft an eurer Seite, die euch hindurch tragen wird. Euer Leben in dieser großen Nachkommenschaft des Glaubens kommt von Abraham, Mose und Paulus, und dann kommen wir, gesegnet in dem Herrn Jesus Christus. Wie gering ihr auch beginnt, ihr seid in dieser Nachkommenschaft des Glaubens. Der Glaube errettet die Seele und das zeigen die Anfangsbeispiele von Abel, Henoch und Noah. Der Glaube brachte Abel in die richtige Beziehung zu Gott, entrückte Henoch und rettete Noah vor dem Gericht.

Der Glaube rettet die Seele, aber das wäre nicht so, wenn der Glaube nicht Sicht wäre, die die Gedanken Gottes erkennt und uns befähigt, sie zu begreifen: „Durch Glauben brachte Abel Gott ein vorzüglicheres Opfer dar als Kain.“ Das war nicht Zufall sondern Glaube. Wie konnte er durch Glauben handeln, wenn es nicht ein gewisses „Licht“ gegeben hätte? Ich zweifle persönlich nicht daran, dass Abels Glaube sich auf das erste Handeln Gottes im Garten stützte, als die Sünde gekommen war. Immer wieder muss er die Geschichte von der Unzulänglichkeit der Schürzen gehört haben, und wie Gott der Herr Röcke von Fell machte, um damit anzudeuten, auf welche Weise Er bekleidet.

An dem Tag, als die Sünde einzog, zog auch das Opfer ein und genau an diesem Tag musste der Tod eines sündlosen Opfers stattfinden, womit Gott in sinnbildlicher Form Seine Gedanken offenbarte. Der Tod eines sündlosen Opfers ist das, was die Nacktheit des Menschen in der Gegenwart Gottes bedeckt, und ich nehme an, dass Abel diese Geschichte immer wieder gehört hat und sich gesagt hat: „Das ist also der Weg des Zugangs zu Gott, das ist Gottes Weise, wie er den Umgang aufrechterhält, wie er zwischen einem gefallenen Geschöpf und Ihm selbst möglich ist.“ Der Glaube sieht und erkennt Gottes Gedanken und Gottes Wege.

Wenn wir zu Abraham kommen, wird dies sehr deutlich betont. Abraham war ein Mann mit einem Teleskop, ein Mann, der Dinge erkannt hatte, von denen seine Zeitgenossen offensichtlich nichts wussten. Abraham lebte in einer hoch zivilisierten Zeit, aber plötzlich lernte er andere Dinge kennen. Der Gott der Herrlichkeit erschien ihm und änderte seine gesamte Perspektive. Er fing an, andere Dinge zu sehen, und als er gerufen wurde, an einen anderen Ort auszuziehen und das Leben eines Wanderers zu beginnen, ging er ohne zu wissen, wohin er komme und begann, eine Stadt zu erwarte, die Grundlagen hat und deren Schöpfer und Baumeister Gott ist und kehrte Ur, der Stadt der Götter, den Rücken zu.

Im Fall Abrahams wird betont, was er sah. Der Glaube rückte die von Gott gebaute himmlische Stadt in sein Blickfeld und uns wird gesagt, wie die Verheißungen vor ihn kamen und zusammen mit anderen sah er sie und war von ihnen überzeugt und bekannte, dass er Fremdling und Pilger auf der Erde war. Alles das stand ihm vor Augen und der Glaube war ihm wie ein Teleskop der Seele. Was die Welt über Abraham dachte, weiß ich nicht. Er war wie ein Schiffer, der sein Schiff nach Sternen steuerte, die keiner seiner Schifferkollegen je gesehen hatte. Sie wussten etwas über Götter und Tempel und über die Wissenschaften, die es ungefähr 2000 Jahre vor Christi Geburt bereits gab, aber Gott kannten sie nicht, noch Sein Land, aber Abraham kannte es. Es genügte ihm, im Glauben voranzugehen, denn er hatte ja Gott.

Sind wir alle geübt im Gebrauch des Glaubensteleskops? Hast du Dinge vor Augen, von denen der Weltmensch, mit dem du zu tun hast, nichts weiß? Steuerst du deinen Kurs durch diese Welt mithilfe dieser Dinge? So sollte ein Christ steuern.

Der dritte hervorstechende Charakter in diesem Kapitel ist Mose. Als er groß geworden war, weigerte er sich, „ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, und wählte lieber, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben.“ Der Glaube sieht nicht nur wie ein Teleskop, sondern ist auch so etwas wie Röntgenstrahlen. Der Glaube hat wunderbare durchdringende Kraft. Er sieht nicht nur das, was Gott uns vorstelllt, sondern er sieht auch durch alle Dinge hindurch, von denen er umgeben ist. Das finden wir im Fall Moses. Er hatte die Kraft, durch Dinge hindurch zu sehen. Und wenn du durch eine Sache hindurch siehst, verliert sie ihre Faszination für dein Herz. Dinge, durch die du nicht hindurch siehst, üben einen bemerkenswerten Reiz auf dich aus. Aber wenn du gerade durch die Dinge hindurch blickst (und die Dinge dieser Welt sind eher fadenscheinig), verlieren sie ihren Reiz.

Mose war ein Mann des Glaubens als er groß geworden war, und er wusste wie die Dinge einzuschätzen und abzuwägen sind. Er traf seine unwiderrufliche Wahl. Er sah durch die Pracht und Herrlichkeit Ägyptens hindurch. Mose sah die Absichten Gottes mit einer Nation von Sklaven, aus der er herausgenommen und in eine Stellung der Herrlichkeit und Ehre gebracht worden war. Man hätte vielleicht erwartet, dass er sagen würde: „Ich muss sicher an dem Platz bleiben, den Gott mir gegeben hat.“ Doch er sah hindurch und schätzte es richtig ein und sah darin nichts als die Ergötzung der Sünde, und das auch nur für eine (sehr kurze) Zeit. Er sah in diesen Sklaven ein Volk, aus dem Christus kommen würde, der im Fleisch offenbart werden sollte. Er sagte: „Ich werde mich lieber mit dem Volk Gottes einsmachen als die Ehren der Welt anzunehmen.“ Auf diese Weise spiegelte er etwas von dem Herrn Jesus Christus wider, und das achtete er für größeren Reichtum als die Vergnügungen Ägyptens. Er war bereit, in der Einsmachung mit dem, was von Gott war, zu leiden, und von diesem Zeitpunkt an bejahte er den Gedanken des Leidens.    

In Philipper 3 spricht der Apostel Paulus in ähnlicher Weise. Man könnte fast sagen: „Durch Glauben sah Paulus, der vor seiner Bekehrung ein geehrter Mann mit einer Fülle von Dingen war, in denen er sich rühmen könnte, durch alle Dinge, die ihn umgaben, hindurch und sagte: ‚Ich achte sie um Christi willen für Verlust.’“

Wir müssen bedenken, dass er diese Worte schrieb, als er im Gefängnis in Rom war und am Ende seiner Laufbahn. Da steht er als einer, der seine ganze soziale Stellung aufgab – schon bald wäre er in den Rat der Siebzig aufgenommen worden als ein anerkannter Führer in Israel – doch er machte sich eins mit Christus und Seinen Interessen. Er erduldete Jahre in den Klauen seiner Feinde. Sie beendeten seine öffentliche Arbeit und hielten in jahrelang im Kerker Roms gefangen.

Die Welt würde sagen: „Der  Mann ist ein Narr. Er opfert alles für eine Theorie.“ Er lebte lange genug, um zu erleben, dass alles bergab ging und alles in die falsche Richtung lief, doch er sagte: „Ich habe immer noch genau dieselbe Überzeugung. Als ich Christus auf der Straße nach Damaskus begegnete, habe ich alles weggeworfen, damit ich Ihn gewinne.“ Er hätte sagen können: „Ich habe mich nicht mit Christus einsgemacht, weil ich dachte, dass ich eine große Kirche aufbauen würde. Es war Christus, der vor meiner Seele stand, und Er leuchtet noch wie eh und je, ja Er leuchtet mir im Gefängnis noch heller als je zuvor.“

Christus soll gekannt sein. Er lebt jetzt in der Gegenwart Gottes, und wir werden aufgefordert, Ihn zu kennen und die Kraft Seiner Auferstehung. Wir werden diese Auferstehung in Bezug auf unseren Körper kennen lernen, aber während wir auf Ihn warten, wollen wir schon die Kraft Seiner Auferstehung in unserem Geist uns unserer Seele kennen, die uns aus diesem Leben in eine andere Sphäre erheben kann. Wie wenig kenn wir davon! Junge Christen, ihr solltet wirklich danach verlangen, diese Kraft zu kennen. Es wird euer und unser Leben revolutionieren. Lasst uns nur bedenken, dass es nicht Paulus ist, mit dem wir vorrangig beschäftigt sein sollen, sondern der Herr Jesus Christus selbst. Deshalb habe ich auch den Anfang von Hebräer 12 gelesen, den wir nicht vom elften Kapitel trennen dürfen. Die Zeugen der Stärke des christlichen Glaubens wurden im elften Kapitel aufgezählt, und jetzt kommt die Ermahnung, jede Bürde abzulegen.

Der Schreiber benutzt die Sprache des sportlichen Wettkampfs. Der Sportler trägt kein Gewicht, das nicht absolut notwendig ist und so werden auch wir aufgefordert, jede Bürde und Sünde, die uns so leicht umstrickt, abzulegen als wäre sie eine Art Hindernis auf dem Weg, und dann lasst uns den vor uns liegenden Wettlauf mit Ausharren laufen, hinschauend auf Jesus. Das Wort „hinschauen“ bedeutet hier von allem anderen wegzuschauen und nur auf Ihn zu blicken. Er ist Der, der den Pfad des Glaubens in Vollkommenheit durchschritten hat, indem Er immer das tat, was dem Vater wohl gefiel, immer im Licht der Gegenwart des Vaters lebte und den ganzen Weg des Glaubens vom Anfang bis zur Märtyrerkrone gelaufen ist. Er war weit mehr als ein Märtyrer, denn Er hat „wider die Sünde ankämpfend bis aufs Blut widerstanden“, wie der weitere Text schließen lässt. Er war völlig umgeben von der Macht Satans und des Bösen, aber Er ging geradewegs hindurch bis zum Ende – bis zum Tod. Richtet die Blicke eurer Herzen auf Jesus und haltet Ihn durch Glauben lebendig vor euren Herzen! Er hat sich inzwischen zur Rechten Gottes im Himmel gesetzt, und wenn ihr Ihn vor Augen behaltet, werdet ihr erleben, dass euch das noch heute Kraft verleiht, den christlichen Wettlauf zu laufen.

Wir wollen uns vor den Bürden und der Sünde hüten. Es gibt viele Dinge, die man nicht eindeutig als Sünde bezeichnen kann, die aber zur Bürde werden können, d.h. zu Dingen, die unseren Fortschritt behindern. Wir hören oft die Frage: „Was ist daran schlecht?“, doch das ist überhaupt nicht die Frage. „Was ist daran gut?“ Die Frage ist nicht: „Was ist an diesem Streben oder jenem Buch schlecht?“, sondern: „Hilft mir das irgendwie weiter in Bezug auf Christus und Seine Herrlichkeit und Sein Reich?“ Möge Gott uns helfen, die Bürden abzulegen und uns vor der leicht umstrickenden Sünde zu hüten, auf Jesus zu schauen und mit Ihm vor Augen den Wettlauf laufen, der, wie ich glaube, nicht mehr lang ist. Der Tag Seines Kommens ist nahe. Liebe gläubige Freunde, lasst uns nicht am Ende noch aufgeben; das Ziel ist schon in Sicht, lasst uns den Glaubenslauf laufen zur Verherrlichung Gottes.

[Übersetzt von Marco Leßmann]