In Psalm 87,7 steht: „Alle meine Quellen sind in dir!“ Diesen Vers habe ich schon oft im Mund von Christen gehört oder als Bibelspruch in den Häusern von Gläubigen gesehen. Auf meine Frage, wer denn mit „dir“ gemeint sei, erhielt ich fast immer die Antwort, Gott (Jahwe) sei hier gemeint. Ich glaube, dass das ein Missverständnis ist. Mit dem „dir“ ist die Stadt Jerusalem (Zion) gemeint.

Der Zusammenhang macht das deutlich: Der ganze Psalm spricht von den Vorzügen und Herrlichkeiten Jerusalems und dem Segen derer, die mit der Stadt Gottes verbunden sind. Diejenigen, die die Ehre haben werden, in Jerusalem geboren sein zu dürfen (Vers 6), werden dann (im Friedensreich) dankbar singen: Alle meine Quellen sind in dir, Zion! (Vers 7).

Untersucht man den Psalm genauer, dann sieht man: Nur an einer einzigen anderen Stelle wird noch einmal die Anrede in der zweiten Person gebraucht und zwar in Vers 3: „Herrliches ist von DIR geredet, DU Stadt Gottes.“ Mit dieser „Stadt Gottes“ kann nur Jerusalem gemeint sein. Von Gott (bzw. Jahwe, Höchster) hingegen ist immer in der dritten Person die Rede (Vers 2, Vers 5, Vers 6). Die prophetische Stimme der Psalmen macht hier vielleicht schon eine Anspielung auf die zukünftige Zeit, wenn Wasser aus Jerusalem herausfließen wird, siehe Hesekiel  47,1–5; Joel 3,18 (4,18 in anderen Ausgaben); Sach 14,8, so dass dann auch im wörtlichen Sinn die Quellen in Jerusalem entspringen werden. Natürlich ist es nicht ganz falsch, wenn man „alle meine Quellen sind in dir“ auch auf Gott ANWENDET, denn die Segnungen aus Zion werden letztlich nur DURCH GOTT möglich sein werden. „Segnen wird dich Jahwe von Zion aus“ (Psalm 128,5)