Die unterschiedlichen Aussagen in Römer 4,3 und Jakobus 2 haben schon manch einem Bibelleser Kopfzerbrechen bereitet. Selbst den großen Reformator Martin Luther brachten sie dazu, den Jakobusbrief als „stroherne Epistel“ zu bezeichnen. Während Jakobus 2,21 sich auf das Beispiel Abrahams beruft, um zu zeigen, dass ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird, erklärt Paulus am gleichen Beispiel und sogar mit haargenau demselben Zitat aus 1. Mose 15, dass Abraham eben nicht aus Werken, sondern aus Glauben gerechtfertigt worden ist.

Diese scheinbar widersprüchlichen Aussagen sind ein gefundenes Fressen für jeden Bibelkritiker. Der Gläubige weiß jedoch, dass alle Schrift von Gott eingegeben ist, und dass es deshalb unmöglich ist, auch nur den geringsten Widerspruch in der Bibel zu finden. Doch wie lässt sich das Problem lösen? Wird man nun aus Glauben oder aus Werken gerechtfertigt? Ein Vergleich der beiden Stellen macht die Sache klar. 

1. Paulus und Jakobus sprechen beide von Werken. Sie meinen aber nicht das gleiche. Paulus spricht von Gesetzeswerken (vgl. Röm 3,20+26; Gal 2,16), durch die jemand versucht, vor Gott gerecht zu werden. Dass das nicht geht, weil kein Mensch das Gesetz halten kann, macht Paulus in Römer 3 sehr deutlich. Dem widerspricht Jakobus nicht, wenn er sagt, dass „ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird“ (Jak 2,24), denn die Werke, die Jakobus meint, sind keine Gesetzeswerke, sondern Werke des Glaubens. Der Glaube muss Werke haben, also Glaubenswerke, sonst ist er tot (V. 17). Es sind also nicht Werke, durch die man sich eine Position vor Gott erwerben will, sondern Werke, die der Glaube, der einen Menschen bereits in diese Position gebracht hat, in ihm hervorbringt.

Übrigens denkt Jakobus bei den Werken des Glaubens nicht an gute Werke im landläufigen Sinn, das heißt an Wohltätigkeit, sonst hätte er sicher andere Beispiele aus dem Alten Testament gewählt als ausgerechnet Abraham und Rahab. Denn die Opferung des Sohnes oder der Verrat des Landes waren aus Sicht der Menschen keineswegs gut, und doch waren es Werke, die ihren Glauben bewiesen, denn sie zeigten, dass sie ihre Liebe zu Gott (Abraham) bzw. zum Volk Gottes (Rahab) über ihre natürlichen Beziehungen stellten. Damit vermeidet der Geist Gottes, dass der Eindruck entsteht, man könne sich durch Wohltätigkeit den Himmel verdienen. Es bleibt dabei: „Ohne Glauben aber ist es unmöglich, ihm wohlzugefallen“, denn die, „die im Fleisch sind, vermögen Gott nicht zu gefallen“ (Heb 11,6; Röm 8,8).  

2. Paulus sieht den Menschen vor Gott: „Darum, aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden“ (Röm 3,20). Jakobus dagegen sieht den Menschen vor seinen Mitmenschen. „Zeige mir deinen Glauben“, sagt der eine zum anderen. Gott benötigt keine Werke, um zu sehen, ob jemand Glauben hat. Er rechnet dem Menschen im Moment seiner Bekehrung die Gerechtigkeit zu, ohne dass dieser – bis auf seine Bekehrung – auch nur ein einziges gutes Werk getan hat. Aber anderen Menschen muss der Gläubige seinen Glauben zeigen, und dazu braucht es Werke, die beweisen, dass jemand Glauben hat. Erst wenn diese Werke sichtbar werden, wird der Glaube „vollendet“, das heißt vor Menschen bestätigt.

Gerade das von beiden Schreibern verwendete Zitat aus dem Leben Abrahams macht deutlich, dass sie an unterschiedliche Dinge denken, wenn sie von Rechtfertigung sprechen. Denn Paulus sieht Abraham (vor Gott) in dem Moment gerechtfertigt, als er Gott glaubte (1. Mo 15). Jakobus dagegen sieht Abraham (vor Menschen) erst in dem Moment gerechtfertigt, als er seinen Glauben in der Opferung Isaaks unter Beweis stellte (1. Mo 22). Abraham hatte schon in 1. Mose 15 geglaubt, dass Gott aus schon Erstorbenem Leben erwecken könnte, aber wie hätte er es mehr unter Beweis stellen können, als durch die Opferung dessen, von dem Gott gesagt hatte: „In Isaak soll dir ein Same genannt werden“ (1. Mo 21,12).

Es ist auch bezeichnend, dass Jakobus nicht von Errettung aus Werken spricht. Denn die Errettung geschieht einzig und allein vor Gott. Jakobus stimmt daher mit Paulus völlig überein, wenn dieser an die Epheser schreibt: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen“ (Eph 2,8–10). Zuerst benötigen wir die Errettung mittelst des Glaubens. Und dann „sollen“ aus dem Glauben gute Werke hervorkommen, die den Besitz des Glaubens beweisen – nicht Werke, um errettet zu werden, sondern Werke, weil wir errettet sind.

Geschieht das nicht, dann ist der Glaube tot, und das ist – bei allem Respekt vor der Person Martin Luthers – kein sanfter Streich mit einem Bündel Stroh, sondern ein gewaltiger Schlag mit dem Vorschlaghammer Gottes auf das Gewissen jedes toten Bekenners.