Christen und Krankheiten

Immer wieder hört man Stimmen, die behaupten, dass Christen nicht krank zu sein brauchen. Es wird gesagt: „Wenn ihr nur Glauben genug habt, könnt ihr alle geheilt werden. Das ist das volle Evangelium. Niemand braucht zu leiden.“ Was ist davon zu halten? Sind Krankheiten ein Übel, das es auszuhalten gilt? Was für eine Bedeutung haben Krankheiten im Leben eines Gläubigen?

Vor einigen Jahren sprach ich mit einem Glaubensbruder aus der charismatischen Bewegung [Fußnote 1], der sich als Ungläubiger mit dem HIV-Virus infiziert hatte. Er war davon überzeugt, dass die Krankheit bei ihm nicht ausbrechen würde. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Gott ihn leiden lassen würde. Hatte der gute Gott ihm nicht Segen verheißen? – Aber was passiert, wenn die Krankheit eines Tages doch ihren Tribut fordert? Wird er an Gott verzweifeln, weil Er seine Verheißungen nicht wahrzumachen scheint? Oder wird er an sich selbst verzweifeln, weil er angeblich nicht genug an die Verheißungen Gottes geglaubt hat? Eine ernste Glaubenskrise und ein emotionaler Absturz wären dann geradezu vorprogrammiert.

Das macht auch deutlich, wie wichtig es ist, klar und ausgewogen über das Thema Krankheit und Heilung zu denken. Wir wollen uns deshalb einige Argumente ansehen, die gebraucht werden, um zu „beweisen“, dass Gläubige nicht krank zu sein brauchen und jederzeit mit Heilung rechnen können.

Hat Gott Heilung versprochen?

Im Kontext der charismatischen Bewegung wird gesagt: Die Bibel enthält großartige Verheißungen, dass wir geheilt werden können. Stellen wie 2. Mose 15,26 oder 2. Mose 23,25 reden eine deutliche Sprache. In 5. Mose 7,15 steht: „Der Herr wird jede Krankheit von dir abwenden.“ Siehe ferner Psalm 103,3, Jesaja 29,18 sowie Jesaja 35,4.5. Und Markus 11,24 sagt doch, dass der im Glauben Bittende alles empfängt – sind darin Heilungen nicht eingeschlossen?

Wenn wir die Schrift richtig auslegen wollen, müssen wir darauf achten, an wen ihre Aussagen unmittelbar gerichtet sind. Es ist wichtig, zu fragen: Geht es in dieser Stelle um Israeliten, die unter Gesetz sind, oder geht es um Christen, die nicht unter Gesetz stehen (Röm 6,14)? Das muss man unterscheiden. Paulus schreibt: „Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es zu denen redet, die unter Gesetz sind“ (Röm 3,19).

Die angeführten Stellen aus den Büchern Mose richten sich direkt an Israeliten. Sie würden nicht krank werden, wenn sie Gottes Geboten gehorchten. Diese alttestamentliche Verheißung, die für das irdische Volk Gottes galt, dürfen wir nicht einfach auf Christen übertragen, denen himmlische Segnungen gehören (Eph 1,3)!

Wer die Zusage der Heilung für sich in Anspruch nehmen will, müsste konsequenterweise alles, was das Gesetz sagt, auf sich beziehen [Fußnote 2]. Zum Beispiel die Anweisungen über die tierischen Schlachtopfer, die in den Büchern Mose einen breiten Raum einnehmen, oder auch die schrecklichen Flüche (5. Mo 28,15 ff.). Man tut dem Wort Gottes Gewalt an, wenn man sich aus dem Gesetz das herauspickt, was einem gefällt, und es als für Christen verbindlich erklärt. Dass wir das Alte Testament als von Gottes Geist inspiriert erachten und wertvolle Belehrungen daraus schöpfen, ist klar (2. Tim 3,16; Röm 15,4), aber das ist etwas anderes, als Christen unter das Gesetz stellen zu wollen.

Die angeführten Stellen aus den Psalmen und Propheten weisen auf das tausendjährige Friedensreich hin, wenn Gott sein Volk Israel von Krankheit und Gebrechen befreien wird. Die „Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“ (Heb 6,5) werden sich unter ihnen entfalten, sodass Blinde sehend und auch andere wunderbare Dinge geschehen werden. Das hat aber nichts mit der gegenwärtigen Zeit zu tun, in der Gott sich aus allen Nationen ein Volk für seinen Namen sammelt, das darauf wartet, dem Herrn entgegengerückt zu werden.

Und die Worte aus Markus 11,24 sollen uns sicher nicht vermitteln, dass wir alles bekommen, was wir uns wünschen und in Worte des Gebets kleiden. Der Angelpunkt dieses Verses ist der Glaube. Der Glaube ist die geistliche Fähigkeit, Gottes Gedanken aufzunehmen. Wenn wir eine Verheißung für Heilung im Neuen Testament hätten, könnten wir sehr wohl freimütig und vertrauensvoll um Heilung bitten und würden erhört werden. Doch wir Christen haben keine Zusage, dass wir von allen Krankheiten befreit werden. Darum kann sich unser Glaube auch nicht darauf stützen.

Hat Christus unsere Krankheiten am Kreuz getragen?

Manchmal wird gesagt: Der Herr Jesus hat am Kreuz sowohl die Sünden der Gläubigen als auch ihre Krankheiten getragen. Wer an Jesus Christus und sein Werk glaubt, wird seine Krankheiten genauso wie seine Sünden los. Denn es steht geschrieben: „Er [Jesus] hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen ... doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Ungerechtigkeiten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden“ (Jes 53,4.5). 

In diesen beiden Versen stehen das Tragen der Leiden und das Zerschlagenwerden um der Sünde willen in der Tat dicht beieinander. Doch das beweist nicht, dass beides am Kreuz auf Golgatha geschehen ist. Die Schrift lehrt etwas anderes. In Matthäus 8,16.17 lesen wir: „Er [Jesus] trieb die Geister aus mit einem Wort, und er heilte alle Leidenden, damit erfüllt würde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht: ‚Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten.'“ Das macht klar: Der Herr Jesus trug die Krankheiten und Leiden der Menschen, als Er sie in seinem Dienst auf der Erde heilte. Er heilte nicht einfach, indem Er in göttlicher Majestät ein Wunder vollbrachte, sondern Er machte sich innerlich eins mit dem Kranken – Er trug die Krankheiten und Leiden der Menschen auf seinem Herzen. So  erfüllte sich Jesaja 53,4! Unsere Sünden aber trug Er in den drei Stunden der Finsternis am Kreuz, als Er um unserer Übertretungen willen verwundet und um unserer Missetaten willen zerschlagen wurde.

Jesaja 53,4 spricht also von seinem Dienst in seinem Volk und Jesaja 53,5 von seinem Werk am Kreuz. Das wird dadurch unterstrichen, dass Petrus in 1. Petrus 2,24, als er von dem Sühnungswerk Christi spricht, sich nur auf Vers 5 aus Jesaja 53 bezieht und nicht auf Vers 4.

Zu vermerken ist noch, dass in Jesaja 53 der zukünftige jüdische Überrest spricht, der bewundernd und mit Buße auf den Dienst des Herrn Jesus unter seinem irdischen Volk zurückblicken wird. Es geht also in Jesaja 53 nicht direkt darum, dass der Herr die Krankheiten und Schmerzen von Christen getragen hat. Dennoch dürfen wir, wenn wir krank sind, natürlich mit dem besonderen Mitleid des Herrn rechnen. Er war zwar selbst nicht krank, hat aber Schmerzen gehabt und hat die Krankheiten der Menschen getragen, die Er geheilt hat, und Er weiß aus Erfahrung, was Leiden sind.

Halten wir fest: Christus hat unsere Sünden am Kreuz getragen. Wer an sein Werk glaubt, darf sich der Vergebung gewiss sein (Heb 10,17.18). Christus hat aber nicht unsere Krankheiten am Kreuz getragen.

Kommt jede Krankheit vom Teufel?

Manche behaupten: Jede Krankheit kommt vom Teufel. Christus ist gekommen, um die Werke des Teufels zu vernichten (1. Joh 3,8), darum muss kein Christ krank sein.

Diese Rechnung geht nicht auf. Denn erstens sagt 1. Johannes 3,8 nicht, dass die Werke des Teufels heute schon alle vernichtet sind. Das wird erst dann so sein, wenn es einen neuen Himmel und eine neue Erde gibt, in denen alles in Überstimmung mit Gott sein wird.

Zweitens können Krankheiten nicht einfach dem Teufel zugeschrieben werden, auch wenn es wahr ist, dass er im Garten Eden die Menschen zur Sünde verleitet hat und infolgedessen Schmerz, Tod und Krankheit in die Welt gekommen sind (1. Mo 3). Der Grund dafür, dass es Krankheiten überhaupt gibt, liegt also in dem Sündenfall, der die gesamte Schöpfung in Mitleidenschaft gezogen hat (vgl. Röm 8,22.23).

Aber es ist dem Teufel nicht gegeben, die Menschen nach Belieben mit Krankheiten zu schlagen. Die Schrift zeigt nur wenige Fälle, wo der Teufel Menschen – und auch nur dann, wenn Gott es zuließ – krank gemacht hat. Wir denken an Hiob, der von Satan mit Geschwüren gepeinigt wurde (Hiob 2,4–7). Auch der dämonisch besessene Mann, der nicht hören und reden konnte, ist ein vergleichbarer Fall (Mk 9,25). Aber so etwas darf nicht verallgemeinert werden. Zacharias zum Beispiel konnte eine Zeit lang nicht sprechen, weil Gott ihn für seinen Unglauben züchtigte (Lk 1,20.64). 

Viele Bibelstellen zeigen, dass Gott Krankheiten sendet: Er schlug die Ägypter mit Geschwüren (2. Mo 9,9) und die Asdoditer mit Beulen (1. Sam 5,6); Er ließ einen Sohn Davids todkrank werden (2. Sam 12,15); Er sandte Joram eine schwere Krankheit der inneren Organe (2. Chr 21,15) und strafte Ussija mit Aussatz (2. Chr 26,20).

Wenn Gott Krankheiten sendet, wie kann man dann behaupten, jede Krankheit komme vom Teufel und kein Gläubiger brauche krank zu sein? Und selbst wenn bei einer Krankheit der Teufel seine Hand im Spiel hat (was wir aber in der Regel gar nicht wissen), lernen wir gerade bei Hiob, wie man sich in dieser Situation verhalten soll: Er nahm alles Leid aus Gottes Hand an und vertraute Ihm (vgl. Hiob 1,21; 2,10).

Schickt der gute Gott böse Krankheiten?

Es wird gesagt: Kinder Gottes brauchen nicht krank zu sein, weil der gute Gott ihnen nur Gutes gibt. Wir, die wir böse sind, geben unseren Kindern gute Gaben und halten Übel von ihnen fern (vgl. Mt 7,11). Sollte Gott etwa weniger gütig sein?

Das mag auf den ersten Blick plausibel klingen, ist aber ganz verkehrt. Wenn Gott auch „nicht von Herzen Menschen plagt und betrübt“ (Klgl 3,33), so tut Er es manchmal doch. Eltern, die ihre Kinder erziehen, geben ihnen ja auch nicht alles, was die Kinder schön und angenehm finden. Gottes Handeln zielt nicht darauf ab, dass seine Kinder ein möglichst bequemes und einfaches Leben haben. Er hat mehr als ihr körperliches Wohlergehen im Auge (obwohl Er auch das oft schenkt).

Wir dürfen wissen: Gott will durch Krankheit viel Gutes in unserem Leben bewirken. Er will erreichen, dass wir

  • seinen Sohn mehr verherrlichen (Joh 11,4),
  • uns selbst und Ihn besser kennenlernen (Hiob 42,5.6),
  • mehr ausharren (Jak 1,2–4),
  • geheiligter leben (Heb 12,4–17),
  • abhängiger vom Herrn werden (2. Kor 12,7–10),
  • uns im Glauben bewähren (1. Pet 1,6.7),
  • unsere Hoffnung auf Ihn richten (Röm 5,1–5),
  • Buße tun und somit nicht mit der Welt verurteilt werden (1. Kor 11,29–32),
  • fähig werden, andere zu trösten (2. Kor 1,3–4),
  • uns mit ewigen Dingen beschäftigen (vgl. 2. Kor 4,17).

Christen können krank sein

Natürlich werden Christen krank. Das kann man an sich selbst und um sich her erleben. Das ist so, weil unser Körper, im Gegensatz zu unserer Seele, noch nicht erlöst ist (Röm 3,24; 8,23). Die Erlösung des Leibes wird geschehen, wenn der Herr Jesus wiederkommen wird, „der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit“ (Phil 3,21). Dann werden wir nicht mehr einen schwachen, natürlichen Leib haben, sondern einen geistigen Leib, der von Krankheit und Tod nicht angetastet werden kann (1. Kor 15,43.53–54).

Jetzt aber „seufzen“ wir noch in der „Hütte des Leibes“, die zerfällt und schließlich zerstört wird (2. Kor 5,1–4). Krankheiten, Alterserscheinungen und Tod betreffen jeden Menschen auf dieser Erde. Christen bilden keine Ausnahme. Sie altern, sie sterben – und sie werden auch krank. Und das nicht deshalb, weil sie nicht genug Glauben haben, sondern weil ihr Körper noch nicht erlöst, sondern Teil der gefallenen Schöpfung ist.

Die Schrift spricht von vielen Gläubigen, die krank waren, ohne dass Gottes Wort ihnen irgendwie konkrete Sünden oder mangelnden Glauben anlasten würde. Hier einige Beispiele:

  • Paulus (2. Kor 12,7.8)
  • Epaphroditus (Phil 2,27)
  • Trophimus (2. Tim 4,20)
  • Timotheus (1. Tim 5,23)
  • Dorkas (Apg 9,37)
  • Lazarus (Joh 11,1–3)

Auch heute gibt es viele treue Gläubige, die krank sind. Manche plagen sich ein Leben lang mit bestimmten Gebrechen. Andere werden nach einer gewissen Zeit wieder gesund, manchmal vielleicht sogar auf eine besondere Art und Weise, durch ein Wunder Gottes. Doch die Erfahrung bestätigt, dass Christen nicht damit rechnen können, dass sie immer gesund bleiben oder wieder geheilt werden.

Was tun bei Krankheit?

Was machen Christen, wenn sie krank sind? Sie suchen die Nähe Gottes und vertrauen darauf, dass ihnen „alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Röm 8,28). Sie scheuen sich nicht, um Genesung zu beten, aber sie tun es im Bewusstsein, dass nicht ihr Wille, sondern der Wille Gottes geschehen soll. Ärztliche Hilfe und Medizin nehmen sie dankbar in Anspruch (vgl. Mt 9,12; Kol 4,14). In biblischen Zeiten leisteten Balsam (Jer 46,11), Feigenkuchen (Jes 38,21), Öl (Lk 10,34; Jak 5,14) und Wein (1. Tim 5,23) gute Dienste; heute gibt es andere Medikamente und Heilverfahren, zu denen Ärzte raten. Wenn wir auch diesen Rat befolgen, so setzen wir unser Vertrauen doch nicht auf Menschen, wie Asa es getan hatte (2. Chr 16,12). Wir möchten vielmehr Gott vertrauen, der die Bemühungen der Ärzte segnen muss, wenn wir gesund werden sollen. Was auch geschieht: Wir möchten uns in jeder Situation an der Gnade des Herrn genügen lassen (2. Kor 12,9).


FN 1: Vor ungefähr 50 Jahren entstand die charismatische Bewegung, als das Gedankengut der Pfingstkirchen in viele christliche Kreise hineingetragen wurde. In dieser Bewegung spielen zwei Gnadengaben (griech. charisma) eine große Rolle: das Reden in Sprachen und die Wunderheilungen.

FN: Auch wenn Israel Heilung versprochen war, so werden in 2000 Jahre ihrer Geschichte nicht einmal zwei Dutzend konkrete Krankenheilungen berichtet. Der Herr Jesus sagt ausdrücklich, dass es viele Aussätzige zur Zeit Elisas (!) gab, aber dass nur Naaman der Syrer geheilt wurde (Lk 4). Und Elisa selbst, der viele Wunder gewirkt hat, ist selbst krank geworden und gestorben.