Ich glaube, dass wir mehr und eindringlicher als bisher Sündern die Liebe Gottes verkündigen sollten. Doch pflege ich dies mehr vor einer gemischten Zuhörerschaft zu tun, wo vermutlich eine größere Zahl ungläubiger Personen anwesend ist, als in den Zusammenkünften der Gläubigen. Wenn es sich um Letztere handelt, ist es wichtiger, dass sie tiefer gegründet werden.
Die Verkündigung sollte stets so geschehen, dass die Ungläubigen ihre Sünden erkennen und sehen, dass Gott keine Gemeinschaft mit Sünde haben kann. Dann wird auch die Notwendigkeit der Versöhnung gut verstanden werden. Und an dieser Stelle tritt sofort Christus vor die Blicke und mit Ihm Sühnung und Gerechtigkeit. Gottes Heiligkeit lässt keine Sünde in Seiner Gegenwart zu, Seine Gerechtigkeit verurteilt sie. Dies sollte der Sünder verstehen, damit er weiß, wodurch das Werk der Liebe erforderlich wurde. Diese Liebe sollte ebenfalls uneingeschränkt verkündigt werden. Schon dadurch werden manche Gewissen, in denen bereits geistliche Bedürfnisse vorhanden sind, von der Sünde überführt und zur völligen Erkenntnis ihres Zustands gebracht. Doch ist, wie bereits ausgeführt, die Überführung von Sünde gemäß der Gerechtigkeit sehr nützlich, wenn zugleich die Gnade völlig verkündigt wird; und beides ist in Christus verbunden.
Ich halte es für äußerst wichtig, dass gerade jetzt Prediger in diese Welt hinausgehen mit einer Botschaft besonderer Liebe zu Sündern; Liebe, in dem Charakter, wie sie in Christus offenbart wurde; Liebe, die dem Sünder seinen verlorenen Zustand ins Bewusstsein bringt, damit es nicht ein leichtfertiges Hinwegsehen über die Sünde ist; damit es eine Liebe ist, die sich an Sündern in Gnade erweist; Gnade, die durch Gerechtigkeit herrscht und sich dadurch als die vollkommene Gnade erweist. Manchmal denke ich, dass die Liebe Gottes so verkündigt wird, als ob sie eine Art Gabe sei, die der Sünder nur anzunehmen brauche. Und das ist Gottes Freude. Doch sollte der Sünder dabei ein tiefes Bewußtsein davon haben, dass er Gott gegenüber ein Schuldner ist ...
Ich erachte das Evangelisieren für den glücklichsten Dienst. Doch geht mein Verlangen auch dahin, dass die Heiligen in der Wahrheit und der Herrlichkeit Christi befestigt werden. Wie glücklich, dass es Einen gibt, der alles tut.
Ich würde zudem äußerst betrübt sein, wenn ich sähe, dass die besonderen Grundsätze der Brüder und ihre richtige und nie zu lockernde Bindung an die Versammlungen der Heiligen dahin führten, die Arbeit unter unbekehrten Seelen aufzugeben. Es war anfangs ganz das Gegenteil. Wenn Liebe am Werk ist – und wenn die Zusammenkünfte gesegnet sein sollen, so muss sie wirksam sein –, dann ist das, was in der Welt wirkt, zugleich auch ein Segen für die Zusammenkünfte; nur müssen wir immer darauf achten, dass beides unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes geschieht.
Ich bin so weit wie möglich davon entfernt zu denken, dass Evangelisation eine „niedrige Sache“ sei. Ein treuer Bruder, dem der Wandel der Brüder am Herzen lag, beschuldigte mich vor mehr als zwanzig Jahren, ich widmete mich ihr zu viel. Aber ich bedauere es nicht – weit entfernt davon ... in diesen letzten Zeiten ist diese Arbeit von der größten Wichtigkeit. Auch hat Gott viele in sie hineingeführt. Bei manchen ist Oberflächlichkeit, so dass noch ein tiefer auf die Gewissen wirkendes Werk nötig wird; aber es scheint, als wollte Gott so nahe vor dem Ende die Seelen an einen Platz der Sicherheit nötigen. Gott sei Dank! Es gibt unter den Brüdern mehr Eifer auch in dieser Hinsicht; aber ich glaube, dass zu allen Zeiten der Segen „drinnen“ von dem Maße des Geistes des Evangelisierens abhängig ist. Der Grund hierfür ist sehr einfach: Es ist die Gegenwart Gottes, die segnet, und Gott ist Liebe, und es ist Liebe, welche mich Seelen suchen lässt. Es geht absolut nicht darum, die Sorge um Gläubige zu vernachlässigen oder zu verachten. Nichts ist an seinem Platz wichtiger; aber es scheint mir, dass, wo die Liebe Gottes gefunden wird, die beiden Dinge zusammengehen. Auch geht es durchaus nicht darum, das zu vernachlässigen, was man „die Grundsätze der Brüder“ genannt hat. Aber Gott liebt Seelen, und wenn wir sie nicht suchen, wird Er Sein Zeugnis woanders hinsetzen. Ich glaube, dass Er uns liebt; aber Er ist nicht auf uns angewiesen. Möge Er uns nur schenken, Ihm treu zu sein, dann wird Er uns gewiss segnen; denn Seine Langmut ist groß.
Wir benötigen Arbeiter. Oh, dass der Herr doch noch einfältige, hingebungsvolle Arbeiter erweckte, die direkt von Christus zu den Menschen kommen, die als gute Kriegsmänner Jesu Christi beizeiten Schwierigkeiten erdulden lernen! Er hat einige erweckt, Sein Name sei dafür gepriesen! Aber wir brauchen weit mehr. Wir müssen den Herrn der Ernte bitten, dass Er sie schenken möge! Ich frage mich, ob nicht die Auslegung der Schrift die mir zugewiesene Aufgabe ist. Ich sehe die diesbezüglichen Bedürfnisse der Versammlung und bin zufrieden mit allem, aber ich habe immer die Evangelisation geliebt. Ich bin in diesem Werk aufgegangen. Die Versammlung liegt mir vielleicht mehr am Herzen als das Gewinnen von Seelen, dennoch habe ich die Zuversicht, dass ich sie liebe. Aber für mich muss sich mit dem Evangelisieren die Herrlichkeit Christi verbinden.
Was all die aufgeregte Betriebsamkeit angeht, sie wird vergehen. Ich sagte den Brüdern: Leistet keinen Widerstand, es wird alles sein normales Maß finden. Evangelisieren ist eine gesegnete Arbeit, und Gott hat mit vielen Irrungen und Überspanntheiten darin Nachsicht, obwohl sie zu bedauern sind. Ein Übel ist, dass Leute, die wirklich hereingebracht wurden, immer sogleich nach Betriebsamkeit und Predigen trachten. Doch alles wird sich normalisieren. Die Erregung wird dahinsterben, aber Gottes Werk wird bleiben.
Wenn es um „Gaben“ geht, halte ich das Evangelisieren für das größte Vorrecht von allen, obgleich ich kein Evangelist bin und nur gelegentlich das Werk eines Evangelisten tue, so gut ich es vermag. Die Schwierigkeit für mich liegt in Ihrer Behauptung, dass die Evangelisation die Belehrung der Heiligen geschwächt habe. Die Gaben sind klar unterschieden, aber ich sehe nicht, dass die eine die andere schwächen sollte. Ich bin im höchsten Maß dagegen, die Evangelisation zu schwächen, ich glaube, Gott segnet sie, damit besonders in diesen letzten Tagen Seelen herausgerettet werden. Auch ist es für eine Versammlung gesund, wenn die Herzen der Gläubigen daran Anteil nehmen. Ganz zu Anfang charakterisierte dies die Brüder, und ich habe das Vertrauen, dass es auch jetzt noch so ist, obgleich heute das Evangelisieren allgemeiner auf allen Seiten geschieht. Die Liebe, die beim Evangelisieren in Tätigkeit ist, bindet auch die Heiligen zusammen. Ich bin sicher, wenn wir Christus näher wären, würden wir beides richtig tun, natürlich vorausgesetzt, dass Christus uns dafür berufen hat. Versuchen Sie nicht, das eine an die Stelle des anderen zu setzen, sondern erkennen Sie, was Christus mit beidem beabsichtigt! Wenn Sie den Heiligen dienen, tun Sie es mit Christus! Bleiben Sie in bezug auf beides in Gemeinschaft mit Ihm, und dann mögen Sie sehen, was das Ergebnis sein wird.
Ich wäre äußerst betrübt, wenn Brüder aufhörten, eine evangelisierende Schar von Christen zu sein. In der Tat, sie würden ihren geistlichen Standpunkt nach und nach aufgeben und würden – wenn nicht in der Theorie, so doch in der Praxis – höchstwahrscheinlich sektiererisch werden, weil das weitende Prinzip der Liebe nicht mehr da wäre. Gott sei Dank, es ist noch nicht so! Aber Gnade allein kann das Zeugnis aufrecherhalten. Zu Anfang waren die Brüder – und sie meistens als Einzige – mit Evangelisieren in rauhesten Umständen beschäftigt, auf Jahrmärkten, Messen, Rennen, Regatten und überall unter freiem Himmel. Die Zusammenkünfte wuchsen, und es wurde nötig, für sie Sorge zu tragen, obgleich das Evangelisieren fortgesetzt wurde und gesegnet war und in einem gewissen Maße an vielen Orten noch ist. Andere haben inzwischen das Feld eingenommen und sind wirklich ihre Nachfolger unter Gott geworden.