Rahab, eine Hure aus Jericho, versteckte zwei israelitische Kundschafter in ihrem Haus und setzte den einheimischen Suchtrupp auf eine falsche Fährte. Wie ist ihr Verhalten zu beurteilen? Sie log eindeutig, als sie sagte, die Kundschafter seien geflohen, obgleich diese zwischen den Flachsstängeln auf ihrem Hausdach zitterten.

Man kann es sich einfach machen und sagen: Lüge ist Lüge und Lüge ist Sünde. Und deshalb muss ihre Tat verurteilt werden. Man kann auch sagen: Sie hat das Gute für andere gewollt und auch erreicht und damit ist alles in Ordnung.

Doch sollte man das nicht etwas differenzierter betrachten?

Rahab befand sich in einer Zwickmühle: Sie meinte, sich zwischen Wahrheit und Liebe entscheiden zu müssen. Sie wählte die Liebe. Liebe zu zeigen ist etwas Gutes! Auch zeigte sich ihr Glauben bei alledem (Heb 11; Jak 2). Das ist ebenfalls etwas Gutes. Und doch: In ihrer Handlung fehlt etwas. Eben die Wahrheit. Und das kann von Gott, der Licht ist, niemals gutgeheißen werden.

Natürlich muss man hier auch der Frage nachgehen, was sie anders hätte tun sollen. Es ist ja billig, das Verhalten eines anderen zu kritisieren und dann selbst keine Alternative aufzeigen zu können. Und wir verstehen auch, dass wir in dieser Extremsituation, in der es um Leben und Tod von anderen ging, sehr milde im Urteil sein sollten. Aber was hätte sie denn nun tun sollen? Wenn sie vielleicht ganz ruhig gesagt hätte: „Führt die Männer doch selbst heraus, wenn ihr meint, dass sie hier sind“, dann wäre der Effekt möglicherweise der gleiche gewesen und sie hätte nicht direkt die Unwahrheit gesagt. Oder aber: „Das Beste wäre, ihr würdet sie jetzt direkt im Gebirge suchen.“ Nun, Gott ist gewiss in der Lage, auch in derartigen Situationen zu helfen!

Wir können nicht von oben herab Rahab für ihr Verhalten, das so viel Anlass zu Lob gibt,  verurteilen. Wir können aber auch Rahabs Verhalten (und es gibt andere ähnliche Situationen im Alten Testament) nicht in jeder Hinsicht empfehlen. Notlügen sind nun eben auch Lügen!

Es kommt für uns verschärfend noch hinzu, dass wir als Christen die ganze Wahrheit Gottes kennen und dass der Heilige Geist in uns wohnt. Wir können darum gewiss nicht einfach einer Frau folgen, die in einer völlig verdorbenen Umgebung aufgewachsen war und in deren Herz der Glaube gerade erst schwach aufkeimte!

Wir sollten vermehrt beten: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Wir wissen, wie schwach wir sind, und wir wissen, dass wir in schwierigen Situationen – in den Versuchungen – sehr schnell straucheln können. Deshalb scheuen wir die Erprobung und bitten um Verschonung. Allerdings dürfen wir andererseits auch festhalten, dass Gott uns nicht über Vermögen versuchen wird und dass er uns gerne hilft, unserer Berufung als Christ in vollem Maß zu entsprechen und uns stets als Nachfolger dessen zu erweisen, durch den die Gnade und die Wahrheit geworden ist.

Abschließend können wir vielleicht sagen, dass in der Tat von Rahab sowohl etwas Gutes als auch etwas Schlechtes zu finden war. Das Gute aber überwiegt eindeutig und der Wermutstropfen der Unwahrhaftigkeit wird im Neuen Testament auch nicht erwähnt.