Das Alte Testament spricht an zahlreichen Stellen vom Messias. Sie zeigt einerseits die Leiden und andererseits die Herrlichkeiten des Christus (1. Pet 1,11; Lk 24,26). Der Messias ist einmal gekommen, um zu leiden, und ein anderes Mal wird er erscheinen, um zu herrschen.

Viele Rabbiner aber denken, dass es zwei Messiasse gibt. Einen Sohn Josephs, der leiden würde (wie auch Jospeh gelitten hat), und einen Sohn Davids, der danach kommen und regieren soll. Der Gedanke an einen leidenden Messias, den die früheren Rabbis gelehrt haben, ist aber stark in den Hintergrund geraten.

Da ist zum Beispiel Jesaja 53. In den antiken Schriften des Judentums (Babylonischer Talmud etc., auch Yalkut Shimoni) wird dieses Kapitel messianisch gedeutet. In den frühesten Targumin (aramäische Übersetzungen) wurde das Wort Messias sogar in diesen Abschnitt eingefügt. Doch der bekannte Rabbi Raschi (ca. 1050 n. Chr.) hat eine alternative Sichtweise populär gemacht. Er verstand unter dem leidenden Knecht Gottes Israel. Das ist heute die verbreitete Ansicht im Judentum. Doch diese Auslegung ist nicht möglich, wenn man dem Text keine Gewalt antun will:

  • Jesaja redet hier augenscheinlich von einer Person und nicht von einem Volk. So sagt er, dass das Grab des Knechtes Gottes bei Gottlosen bestimmt war, dass er aber bei einem Reichen gewesen ist im Tod (Vers 9). Das kann man nicht auf Israel beziehen. Ebenso die Formulierung, dass der Knecht seine Seele in den Tod ausgeschüttet hat.
  • Jesaja sagt: „Wir haben ihn für nichts geachtet.“ Wenn es um die Verachtung der Nationen gegenüber den Juden geht, wer ist dann mit „wir“ gemeint? Sollte sich etwa Jesaja mit den Nationen einsmachen in der Verachtung des Volkes Gottes?
  • Wenn das jüdische Volk (wovon der Prohet spricht, wenn er die Pronomen „uns“ und „wir“ verwendet) durch „ihn“ Heil erlangt, wie soll dann mit „ihn“ das Volk der Juden gemeint sein?
  • Wann hat Israel die Strafe für die Nationen getragen? Israel hat durch die Nationen gelitten und nicht für sie. Und wie soll den Nationen durch die Striemen der Juden Heilung widerfahren sein?
  • In Vers 8 heißt es, dass der Knecht des Herrn Strafe bekommen hat für die „Übertretung meines Volkes“. Das Volk Jesajas ist das Volk Israel. Wer ist dann der Knecht des Herrn?
  • Der Knecht Gott schweigt in den Misshandlungen, das haben die Juden nicht getan.
  • In dem ganzen Abschnitt deutet nichts daraufhin, dass der Knecht eine Allegorie auf das Volk Israel ist. Die Beschreibung ist durchgängig auf eine Person anzuwenden. Das gilt nicht zuletzt für die Auferstehung.

Es ist ganz klar: Dieses Kapitel beschreibt den leidenden Messias. Die Erklärung, dass Israel mit dem Knecht gemeint sein soll, ist unhaltbar. Das fühlen auch die orthodoxen Juden. Deshalb wird in Synagogen das Kapitel in den liturgischen Leseungen gar nicht erst vorgelesen.

Jesaja oder einen anderen Propheten in dem Knecht zu sehen, wie es der Kämmerer aus Äthopien dachte (Apg 8,34), ist natürlich auch nicht richtig. Wir Christen wissen, dass sich dieses Kapitel in Jesus Christus erfüllt hat, und wir dürfen, wie Philippus, auch anhand von Jesaja 53, das Evangelium von Jesus Christus verkündigen.