Die Stufenlieder sind, wie das ganze Buch der Psalmen, prophetisch. Das liegt daran, dass bei der Abfassung der Psalmen wesentliche Elemente der Weltgeschichte und der Geschichte des Volkes Israel in der Zukunft lagen: das Leiden Christi, das Leiden des Überrestes in der Drangsalszeit, die öffentliche Herrlichkeit Christi und die Segnung des Überrestes im Friedensreich.

Die Psalmen werden meistens zur persönlichen Erbauung gelesen und direkt auf das Leben eines Christen angewendet. Das ist natürlich möglich und gut und richtig. Dennoch sollten wir diese Linie der Prophetie (die der Schlüssel dazu ist, die Anordnung der Psalmen zu verstehen) nicht übergangen werden. Werfen wir also nun einen Blick auf die Stufenlieder unter diesem Gesichtspunkt!

Die Stufenlieder teilen sich in 5 x 3 Gruppen ein, wobei jeweils dem ersten Psalm einer Gruppe besondere Bedeutung zukommt.

In den Psalm 120 – 122 finden wir den gläubigen Überrest der Juden, der aus Jerusalem und Umgebung geflohen ist. Eine massive Flucht der treuen Juden wird einsetzen, wenn der Gräuel der Verwüstung – in der Mitte der letzten Jahrwoche Daniels – im Tempel aufgestellt wird (Mt 24,15ff.). Dieser Überrest wird von Gott dreieinhalb Jahre bewahrt werden (Off 12,14). In der Fremde fühlen sie sich nicht wohl, sie bringen zum Ausdruck, dass sie lange genug bei den Friedenshassern waren (Ps 120). Sie wollen sich auf den Weg zur Heimat machen und rechnen mit der Bewahrung Gottes (Ps 121). Im Glauben wissen sie, dass ihre Füße wieder in den Toren Jerusalems stehen werden (Ps 122).

In den Psalm 123 – 125 geht es um die Juden, die nicht aus Jerusalem fliehen konnten. Diese Gruppe wird in Offenbarung 12,17 erwähnt, es sind die Übrigen, die die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben. Sie haben es besonders schwer. Ihr Feind ist der Antichrist und seine Anhänger, die sie verachten (Ps 123). Ihr Feind ist außerdem der König des Nordens, der das Land überfluten wird wie ein Wildbach (Ps 124). Doch in dem Berg Zions, den sie täglich vor Augen sehen, sehen sie das Bild der Glaubenden, die nicht wanken werden.

In den Psalm 126 – 128 geht es die Zusammenführung dieser beiden Gruppen der gläubigen Juden, kurz vor der Erscheinung des Herrn. Die Juden, die in Jerusalem blieben, sind wie Träumende, als die Gefangenen Zions zurückkehren. Sie beten auch dafür, dass andere zehn Stämme zurückgeführt werden (Ps 126); der Überrest stützt sich allein auf die Gnade Gottes (Ps 127) und will in Gottesfurcht leben, um den Segen Gottes erfahren zu dürfen (Ps 128).

In den Psalm 129 – 131 sehen wir, wie sich der Überrest auf den kommenden Gottesdienst in Herrlichkeit innerlich zurüstet. Der vereinigte Überrest erinnert sich an die lange und schwierige Geschichte des Volkes Israel und erwartet das Gericht der Gottlosen (Ps 129). Sie glauben an die Vergebung Gottes und warten darauf, dass die Sonne der Gerechtigkeit mit Heilung in ihren Flügeln aufgeht (Ps 130). Sie wollen sich in Schwierigkeiten beruhigen und genug haben an Gottes Güte (Ps 131).

In den Psalm 132 – 134 sehen wir, dass Israel (das heißt der Überrest) in den Segen des Reiches eingeführt worden ist. Der Tempel ist errichtet und der Gottesdienst nach Gottes Gedanken eingerichtet worden – Gott findet seine Ruhe in Jerusalem (Ps 132). Die Glaubensbrüder leben in Frieden unter dem Segen Gottes miteinander (Ps 133) und der Name Gottes wird im Heiligtum gepriesen (Ps 134). Mit diesem Lob Gottes enden die Stufenlieder – und die Geschichte des Volkes Israel.