„Sie nicht von der Welt sind, wie ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,16).

Die Beschneidung ist im Volk Gottes ein Zeichen, das sie wirklich sein Eigen sind, abgesondert zu ihm selbst hin nach seinem Ratschluss. Dem Vater der Gläubigen war es ein Zeichen des Bundes, den Gott mit ihm gemacht hatte (1. Mo 17,11). Die Worte des HERRN: „Und mein Bund soll an eurem Fleisch sein als ein ewiger Bund“ (1. Mo 17,13), schlossen die ganze Generation seines damaligen Volkes mit ein. Die Beschneidung bezeugte, dass Israel von den Nationen ringsum für Gott selbst abgesondert worden war. Der Christ ist in Christus, der aus den Toten auferstanden ist und der nicht mehr auf der Erde, sondern im Himmel wohnt, für Gott abgesondert. Die nicht mit Händen geschehene Beschneidung, die „des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben“ (Röm 2,29), hat nun die Beschneidung des Fleisches ersetzt.

„Die Beschneidung, die im Fleisch mit Händen geschieht” (Eph 2,11), ist heute nur noch Judentum und im Geist zum Judentum zurückzukehren heißt das Kreuz Christi abzulehnen. Dieses Kreuz hat für immer das Todesurteil auf den Menschen im Fleisch geschrieben (2. Kor 5,14), und hat gezeigt, dass der Mensch in Adam nie sich selbst wiederherstellen kann, um Gott zufrieden zu stellen oder zu gefallen. Der Christ rühmt sich daher weder der Einhaltung des Gesetzes, noch seiner Taten, noch dessen, was er in sich selbst ist – gut, schlecht oder neutral; er rühmt sich nicht seines Fleisches (Gal 6,13), nein, er lehnt die Vorstellung ab, sich selbst durch Werke oder Errungenschaften für Gott passend zu machen, indem er sagt: „Von mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt“ (Gal 6,14). Alle Anstrengungen, sich selbst für Gott passend zu machen, sind praktisch eine Ablehnung des Kreuzes Christi und Prahlerei im Fleisch, das Gott durch das Kreuz Christi verurteilt hat. Im Fleisch ist der Mensch, sei es Jude oder Heide, Beschneidung oder Vorhaut, von Gott als hoffnungslos verloren verurteilt. In Christus, der aus den Toten auferstanden ist, gibt es eine neue Schöpfung; deshalb ist weder Beschneidung noch Vorhaut etwas (Gal 6,15).

Israel war – wir sprechen jetzt von dem Volk als solchem – in Ägypten beschnitten worden. Sie waren Gottes Volk in jenem Land und trugen das Zeichen seines Bundes: „Denn das ganze Volk, das auszog, war beschnitten” (Jos 5,5). Doch als Wanderer in der Wüste war Israel ein unbeschnittenes Volk: „Das ganze Volk, das in der Wüste geboren war, auf dem Weg, als sie aus Ägypten zogen, hatte man nicht beschnitten.“ In der Wüste hatte das Volk fast 40 Jahre lang diesen Ritus vernachlässigt und hielt dadurch das von Gott bestimmte Zeichen der Absonderung von den Nationen zu ihm hin nicht aufrecht. Doch wir lesen nicht von einem Befehl des HERRN, diese Anordnung aufrecht zu erhalten, solange das Volk in der Wüste war, eine bemerkenswerte Tatsache, wenn wir an die persönliche Vergangenheit Moses denken und wie Gott mit ihm handelte, als er die Beschneidung in seiner Familie vernachlässigte (2. Mo 4,24.25). Warum war das so? Gott hatte verheißen, Israel in das Land zu bringen, doch sie weigerten sich, Gott in seinem Bund mit den Vätern anzuerkennen. Der Unglaube Israel mag der Grund dafür sein, dass sie unfähig waren, das Zeichen an sich zu tragen, das Volk des HERRN zu sein. Unglaube in Bezug auf Gottes Wort der Gnade und wahre Absonderung können nicht nebeneinander im Herzen des Menschen existieren. Israel wollte nicht glauben, dass Gott sie in das Land bringen würde, „das der HERR ihren Vätern geschworen hatte, ihnen zu geben.“ Ihr Umherwandern war die Folge ihres Unglaubens und das Zeichen, das Volk Gottes zu sein, wurde auf ihrer Wüstenreise nicht von ihnen verlangt.

Der große Grundsatz, dass die Gnade Gottes uns gegenüber die praktische Kraft unserer Trennung von der Welt ist, ist von größter Bedeutung. Der wahre Geist eines Gott geweihten Lebens ist das Ergebnis von Gemeinschaft mit Gott. Je mehr seine Gunst genossen wird, umso mehr unterscheidet sich sein Volk von der Welt. Das Bestreben, aus eigener Kraft heilig zu werden ist nichts als eine Verspottung der Gnade Gottes uns gegenüber. Solche eine Absonderung von den uns umgebenden Dingen der Erde, die praktiziert wird, um Heiligkeit vor Gott zu erreichen, ist nichts anderes als die Blätter von einem wilden Apfelbaum zu reißen, um aus ihm einen edlen Baum zu machen. Kein Versuch, heilig zu werden, indem man die Welt aufgibt, wird unsere böse Natur verändern, und wer auf der Suche nach Heiligkeit durch solche Mittel glaubt seinem Ziel näher gekommen zu sein, hat bloß die Frucht geistlichen Stolzes hervorgebracht. Wahre Beschneidung des Herzens ist das Ergebnis eines demütigen Bewusstseins der Gunst Gottes gegenüber den Heiligen Gottes.

Als Israel dann ins verheißene Land gebracht wurde, wollte der HERR nicht länger gestatten, dass sie in ihrem Besitztum wären, und doch in sich selbst wie die Nationen blieben. Daher waren die Austrocknung der Wasser des Jordan vor den Kindern Israel und sein Befehl, sich erneut beschneiden zu lassen, zwei moralisch miteinander verknüpfte Ereignisse. Er verlangte das Zeichen seines Bundes an ihnen und sie sollte das Zeugnis davon tragen, sein Volk zu sein, für ihn abgesondert von den Götzendienern um sie her.

„Auf dem Weg” – das heißt in der Wüste, die Epoche des Zweifelns und der Erprobung in der Geschichte Israels – hatte Gott ihnen die Beschneidung nicht geboten. Doch jetzt, da sein Wort in Erfüllung gegangen war, und sie selbst Zeugen seiner Treue waren und das Land der Verheißung betreten war, „in jener Zeit” verlangte Gott es sofort von ihnen. Die Gnade, die Gott ihnen erwiesen hatte und die Gunst in die er sie gebracht hatte, veränderten seine Handlungsweise ihnen gegenüber.

Der natürliche Mensch versucht in seinen religiösen Erwartungen, sich von dieser oder jener bösen Sache zu distanzieren und sich dadurch für den Dienst Gottes passend zu machen. Doch in Christus, in dem wir vollendet sind, sind wir auch beschnitten, und durch nichts weniger als das Ausziehen des Leibes des Fleisches! Nicht durch das Ablegen dieser oder jener bösen Neigung, sondern durch das Ausziehen des Leibes des Fleisches selbst.

Im Kolosserbrief (Kol 2,10–12) wird erklärt, was die Bedeutung der jüdischen Beschneidung und der christlichen Taufe für den Christen ist: „Und ihr seid vollendet in ihm, der das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist; in dem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in der ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat.“ Die Beschneidung Moses wies auf die Absonderung Israels von den Nationen für Gott hin. Die Beschneidung des Christus weist auf das Ausziehen des alten Menschen bei einem Gläubigen hin, wodurch er in dem aus den Toten auferstandenen Christus völlig für Gott abgesondert ist. Wir sollten nie vergessen, dass wir in Christus beschnitten sind und nicht in unserer eigenen Kraft; auch dass das Werk ein ausschließlich geistliches Werk ist, weil es „nicht mit Händen“ geschehen ist; und schließlich dass es ein göttliches Werk ist im Gegensatz zu allem Menschlichen. Keine menschliche Hand konnte diese Absonderung für Gott in seinen Heiligen bewirken, die durch den Tod und das Begräbnis Christi bewirkt wurde, denn es bedeutet nichts weniger als ihren geistlichen Tod und ihr Begrabensein mit ihm. Nur durch göttliches Handeln konnte der alte Mensch, der Leib des Fleisches, aus den Augen Gottes entfernt werden, und durch kein anderes Mittel als durch den Tod Christi. Unser Glaube erfreut sich an dieser Wahrheit.

Gott spricht bereits davon, dass die Gläubigen in Christus, dem Erhöhten, vollendet (o. erfüllt) sind, bevor die Beschneidung in Christus erwähnt wird. Die Vollendung ist absolut. Nichts kann ihr hinzugefügt werden. Und weder Mensch noch Engel können sie verbessern.

Wir sind in Christus jenseits des Jordan, in Kanaan, in den himmlischen Örtern. In Christus sind wir beschnitten – der Leib des Fleisches ist ausgezogen. Beschneidung als göttliche Tatsache für uns in Christus ist das gemeinsame Teil aller Gläubigen in Christus – mit ihm gestorben und mit auferweckt; Beschneidung als praktisches Ergebnis der Gnade Gottes uns gegenüber ist das Töten unserer Glieder, die auf der Erde sind, und so gesehen unser Platz der Kraft.

Welche Bitterkeit nimmt von manchem lieben Kind Gottes Besitz, weil es versucht, das Fleisch in sich zu zerstören. Ob solche Anstrengungen dahin führen, dass man den Körper peinigt, um ihn von der bösen Lust zu reinigen, oder dass man die Seele zermartert, um das Prinzip der Sünde – das Fleisch – zu zerstören, die ganze Mühe ist nichts als Selbstsucht, die das Ich meistern will. „Das Fleisch nützt nichts” (Joh 6,63). „Wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen“ (Phil 3,3).

Wie die Beschneidung in Gilgal das gemeinsame Vorrecht des Volkes Israel war, so sind alle Christen „die Beschneidung“. Doch genauso gibt es auch die praktische Seite des Vorrechts. Da wir in Christus beschnitten sind und der Leib des Fleisches somit durch Gott ausgezogen ist, sollen wir jetzt unsere Glieder töten, die auf der Erde sind (Kol 3,5), „da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen habt“ (Vers 9 und 10). Naturgemäß haben wir Gefallen daran, unseren Leidenschaften, Launen und Sehnsüchten nachzugeben. Sie zu Tode zu bringen, unseren Wünschen „Lebewohl“ zu sagen, unseren Willen zu verleugnen, ist keine schmerzlose Übung. „Tötet nun“, ist ein Wort, das uns alle betrifft – ein Wort, dass uns jeden Tag, den wir auf der Erde leben wie ein scharfes „Steinmesser“ ist.

„Der Herr sprach zu Josua: Mache dir Steinmesser”. Jetzt geht es um das tägliche praktische Leben, und der einzige Beschneider unserer Herzen ist Chritus, der durch den Geist in den Seinen echte Absonderung der Herzen zu Gott bewirkt. Christus hat diese Welt verlassen, er ist aus den Toten auferstanden, er ist der wahre Josua. Vom Himmel aus, wo er jetzt ist, sondert er sein Volk von der Welt für seinen Gott und Vater ab. „Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin” (Joh 17,4), sind seine Worte.

Vielleicht finden wir das beste Beispiel wahrer, praktischer Beschneidung bei dem Apostel. Sein Leben war eine Selbstaufopferung, eine ständige Selbstverleugnung. Täglich trug er das Sterben Jesu umher, und so war das Leben Jesu auf der Erde in seinem Diener sichtbar, denn das Muster der Wege und Schritte des herrlichen Meisters wurden in ihm gesehen.

Die Kraft, in der wir unsere Glieder, die auf der Erde sind, töten, ist die Innewohnung des Geistes Gottes: „Wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, so werdet ihr leben“ (Röm 8,13). Das Ich muss aus dem Blickfeld verschwinden, und der Glaube menschlichen Willen und Energie auf dem Weg der Absonderung für Gott verdrängen. Christus und der Geist sind unsere Stärke.

Als Mittel für das Töten unserer Glieder stellt Gott uns einfach den Tod Christi vor. „Allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde“ (2. Kor 4,10), das ist ein Wort, das in unseren Herzen eingraviert sein sollte. Wir können nicht durch Vorsätze, Anstrengungen oder Kasteiungen unsere Leidenschaften oder Launen abschneiden, oder unsere Gewohnheitssünden aus unserem Herzen entfernen. Doch wenn wir durch Glauben den Tod Jesu auf unser tägliches Leben anwenden und ihn aus Liebe zu ihm in unseren Körpern umhertragen, dann sind wir in der Lage, unsere bösen Wege zu töten. Und dann, wenn die Finsternis vertrieben ist, scheint in unseren armen sterblichen Körpern etwas von dem, was Jesus auf der Erde gewesen ist – sein Leben wird in uns sichtbar.

Israel – ein beschnittenes Volk im Lager von Gilgal – war Zeuge der Kraftlosigkeit des Menschen inmitten von Feinden. In sich selbst hatten sie keine Kraft zum Überwinden. Aber im dem Augenblick ihrer Schwachheit, war der Schrecken Gottes auf ihren Feinden. Unsere Stärke in der Gegenwart des Feindes, Satan, und inmitten von geistlicher Bosheit ist die Macht der Stärke des Herrn, denn wenn wir schwach sind, dann sind wir stark.

Es liegt eine sehr praktische Belehrung für uns in diesen Worten: „Das ganze Volk, das aus Ägypten gezogen war, die Männlichen, alle Kriegsleute, waren in der Wüste gestorben, auf dem Wege, als sie aus Ägypten zogen. Denn das ganze Volk, welches auszog, war beschnitten; ... die Kinder Israel wanderten vierzig Jahre in der Wüste, bis die ganze Nation der Kriegsleute, die aus Ägypten gezogen, aufgerieben war, … und ihre Söhne, die er an ihrer Statt aufkommen ließ, diese beschnitt Josua“ (Jos 5,4–7).

Die Kriegsleute, die aus Ägypten kamen, waren nicht so, dass Gott sie unter Josua in Kanaan gebrauchen konnte. Einer nach dem andern fiel in der Wüste, langsam aber sicher, bis schließlich alle von ihnen aufgerieben waren. Der Christ weiß in seinem Herzen sehr wohl, was das bedeutet. Die Kraft, die er aus Ägypten mitgebracht hat, wie natürliche Stärke, Stellung in der Welt, usw. sind in dem geistlichen Werk Gottes keine Hilfe. Langsam werden diese Kräfte aufgerieben und diese Kriegsleute fallen in der Wüste und genauso langsam lernen wir, ganz auf die Kraft Gottes zu vertrauen. Einer nach dem anderen muss gehen, je mehr wir Schritt für Schritt der Führerschaft unseres auferstandenen Herrn vertrauen. Der aufreibende Prozess, durch den Selbstvertrauen und ähnliche „Kriegsleute“ nach und nach fallen, ist oft bitter und schmerzlich. Die züchtigende Hand reibt auf, und doch ist es gleichzeitig eine segnende Hand, denn Gott lässt das Neue „an ihrer Statt“ aufkommen, während er das Alte abschneidet. Während er das Todesurteil auf unsere alten Kräfte schreibt, wird die Kraft Christi offenbar. Wie häufig beobachten wir diesen Prozess im Leben von Gläubigen, ja ein großer Teil des christlichen Lebens besteht aus dieser Erfahrung. „Die er an ihrer Statt aufkommen ließ“, ist also ein höchst ermutigendes Wort. Gebet, Warten auf Gott, Geduld, der Geist des Glaubens, der für die göttliche Leitung empfänglich ist, das Auge, das die Wege Gottes erkennt, die Kraft des Heiligen Geistes in uns; das sind „Kriegsleute“, die nicht aus Ägypten kommen, und vor ihnen muss die Festung Satans fallen. Und wir verstehen daher wohl, warum Israel nach Sieg und Niederlage, unter der Leitung Josuas wieder nach Gilgal zurückkehrte. Jeden Tag haben es die Kämpfer des Herrn nötig, zum Kreuz zurückzukehren und in ihren Körpern das Sterben Jesu umherzutragen.