Der Herr Jesus war mit seinen Jüngern viel in Palästina unterwegs. Auf seinen Reisen wusste Er oft nicht, wo Er sein Haupt hinlegen sollte. Doch in Kapernaum, „seiner eigenen Stadt“, hatte der Herr eine feste Bleibe (Mt 4,13; 9,1). Der Apostel Petrus wohnte ebenfalls dort (vgl. Mk 1,21.29). Es ist daher verständlich, dass Simon Petrus gerade in dieser Stadt gefragt wurde, ob der große Lehrer „die Doppeldrachme“ (das heißt die Tempelsteuer) bezahle. Obwohl der Sohn Gottes nicht verpflichtet war, einen Beitrag für das Haus seines Vaters zu leisten, tat Er es in Gnade doch, um keinen Anstoß zu erregen.

Die Tempelsteuer

Alle israelitischen Männer ab dem zwanzigsten Lebensjahr hatten für den Tempel in Jerusalem jährlich eine Doppeldrachme zu entrichten. Diese griechische Silbermünze entsprach im Wert ungefähr zwei römischen Denaren, was uns hilft, die Höhe der Steuer zu taxieren: Ein Denar war der Tagesverdienst eines Tagelöhners (Mt 20,2). Die Doppeldrachme deckte sich in ihrem Wert auch mit einem halben Sekel, was uns zur Entstehung der Abgabe führt. Denn in 2. Mose 30,11–16 ist von einem halben Sekel die Rede, den jeder Israelit, der in der Wüste gemustert wurde, als Sühnegeld zahlen musste. Die Einnahmen wurden für den Bau des Zeltes der Zusammenkunft verwendet. Aus dieser einmaligen Abgabe entwickelte sich eine regelmäßige Tempelsteuer (vgl. 2. Chr 24,9). Nach der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft wurde zunächst nur ein Drittel-Sekel erhoben (Neh 10,33), später war es wieder ein halber Sekel. Die Steuer soll umstritten gewesen und nicht von allen entrichtet worden sein. Die Zahlungsunwilligen mussten auch nicht mit einer Strafe rechnen. Das mag erklären, warum die Steuereintreiber die Abgabe nicht direkt einforderten, sondern Petrus vorsichtig eine Frage stellten.

Obwohl Petrus die Tempelsteuer auch noch nicht bezahlt hatte, wurde er nur gefragt, ob der Lehrer die Abgabe entrichte. Das schien den Tempeldienern zweifelhaft zu sein, denn Jesus war es, der im Tempel in eigener Autorität für Ordnung gesorgt und gesagt hatte, dass Er mehr als der Tempel sei (Joh 2,14–22; Mt 12,6). Würde so jemand für den Tempel zahlen? Mit dieser Frage wollten sie offenbar keine Falle stellen, wie es einige versuchten, als es um die Steuer für den Kaiser ging (Mt 22,15–22).

Die Antwort des Petrus

Petrus bestätigte, ohne nachzudenken oder nachzufragen, dass der Lehrer die Steuer gewiss bezahle. Simon wollte mit seiner gut gemeinten Antwort von seinem Meister Schwierigkeiten fernhalten, aber durch sein vorschnelles Reden zog er in Wahrheit den Herrn auf den Boden eines gewöhnlichen Israeliten herab.

Kurz vorher hatte er etwas Ähnliches getan, als er auf dem sogenannten Berg der Verklärung sagte: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine“ (Mt 17,4). Während Petrus noch redete, bezeugte der Vater aus einer lichten Wolke, dass Jesus sein geliebter Sohn sei, an dem Er Wohlgefallen gefunden habe.

Genau das hatte Petrus auf dem Berg und auch jetzt im Tal nicht vor Augen gehabt. Das ist umso erstaunlicher, wenn wir bedenken, dass er nicht lange vorher den Herrn Jesus als den Sohn des lebendigen Gottes bezeugt hatte (Mt 16,16).

Kennen wir das nicht auch aus Erfahrung? Wir legen ein schönes Bekenntnis ab, sind dann aber im Alltagsleben nicht fähig, unser Reden und Tun in Überstimmung mit unseren Worten zu halten.

Durch die Belehrung des Herrn und durch das Wunder, an dem Petrus beteiligt werden sollte, wurde dem Jünger erneut die wichtige Wahrheit vor Augen geführt, dass er es mit dem Sohn Gottes zu tun hatte.

Das Gleichnis des Herrn

Simon Petrus, der schnell geantwortet hatte, war sich seiner Sache jedoch nicht sicher und wollte den Herrn fragen. Doch bevor er dazu kam, stellte der Herr Jesus ihm eine Frage: „Was meinst du, Simon? Von wem erheben die Könige der Erde Zoll oder Steuer, von ihren Söhnen oder von den Fremden?“ Die Antwort liegt auf der Hand: Ein König holt sich das für seine Regierung benötigte Geld bei seinem Volk und nicht bei seiner Familie. Petrus antwortete korrekt und sagte: „Von den Fremden.“ Daraufhin ergänzte der Herr, weil das für seine Unterweisung wichtig war: „Demnach sind die Söhne frei.“

Der König ist ein Bild von Gott, dessen Haus der Tempel ist. Der Sohn Gottes, Jesus Christus, muss darum frei von jeglicher Abgabe für das Haus seines Vaters sein.

Viele Söhne

Es fällt auf, dass der Herr in seinem Gleichnis von Söhnen und nicht von einem Sohn redete. Das legt den Gedanken nahe, dass auch Petrus frei von der Tempelsteuer war, weil er in einer engen Beziehung zu Gott stand. Demgemäß sprach der Herr davon, dass Er und Petrus keinen Anstoß erregen sollten und dass die Steuer mit einer Münze für Ihn und seinen Jünger zu bezahlen war.

Während Petrus mit seiner vorschnellen Antwort Christus auf die Ebene eines gewöhnlichen Israeliten herabzog, sprach der Herr in bewundernswerter Gnade von der erhabenen Stellung des Petrus, der zu den Söhnen Gottes gehörte!

Christus ist der ewige Sohn Gottes und in dieser Herrlichkeit einzigartig. Er ist auch immer frei gewesen. Die, die glauben, werden hingegen in eine Beziehung zu Gott als Söhne eingeführt und durch Christus frei gemacht (vgl. Joh 8,35.36).

Petrus war damit vertraut, dass Gläubige als Söhne Gottes bezeichnet werden (Mt 5,9.45). Doch erst nach dem vollbrachten Erlösungswerk Christi und dem Herabkommen des Geistes Gottes wurde er in den vollen Segen der Söhne Gottes eingeführt. Wir Christen genießen heute diese Beziehung und rufen im Heiligen Geist „Abba, Vater!“ (Gal 4,6).

Die Themen „Sohnschaft“ und „Freiheit“ werden im Galaterbrief ausführlich behandelt. Der Apostel Paulus zeigt, dass Christen keine Knechte, sondern Söhne sind (Gal 4,6.7). Wir sind zur Freiheit berufen und begeben uns deshalb nicht unter das Joch des Gesetzes (Gal 5,1.2). An die herrliche Freiheit der Söhne Gottes werden wir erinnert, wenn wir die Worte des Herrn lesen: „Demnach sind die Söhne frei.“

Keinen Anstoß geben

Der Herr wusste, dass Er verworfen werden würde; Er hatte kurz vorher noch davon gesprochen (Mt 17,22.23). Trotzdem tat Er alles, um keinen Anstoß zu geben. „Anstoß geben“ bedeutet, jemand ein Hindernis in den Weg zu legen, über das er strauchelt, so dass er sündigt. Wenn der Herr Jesus die Tempelsteuer nicht bezahlt hätte, würde das sicher manche verleitet haben, Ihn als Verächter des Tempeldienstes zu diskreditieren.

Der Herr Jesus war frei von der Tempelsteuer, aber Er machte von seiner Freiheit keinen Gebrauch. Ein Recht zu haben und ein Recht in Anspruch zu nehmen, sind zwei verschiedene Dinge. So hatten Paulus und seine Mitarbeiter als Verkündiger des Evangeliums das Recht, materielle Unterstützung von den Gläubigen zu empfangen. Aber was schreibt Paulus den Korinthern? „Wir haben von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, sondern wir ertragen alles, um dem Evangelium des Christus kein Hindernis zu bereiten“ (1. Kor 9,12). In Römer 14,14 zeigt der Apostel Paulus, dass er als Christ frei von Speisevorschriften und Überlieferungen der Juden war und deshalb auch Fleisch essen konnte. Doch er war bereit, auf Fleisch zu verzichten, wenn ein Bruder damit ein Gewissensproblem hatte (Röm 14,21; 1. Kor 8,13).

Nehmen wir Rücksicht auf das Gewissen anderer? Sind wir bereit, auf Freiheiten zu verzichten, damit wir kein Hindernis für das Evangelium werden? Können wir uns auch zu einem finanziellen Opfer durchringen, wenn es der Sache Gottes dient?

Der Münzfang

Der Herr befahl Petrus, angeln zu gehen. Das hatte der Fischer Petrus oft getan. Nun aber sollte er erstmalig mit der Absicht, Geld zu bekommen, an das Ufer des Sees Genezareth treten. Alles würde ganz schnell gehen: Petrus musste nur einen Fisch fangen und die benötigte Münze aus dem Maul nehmen. Der Fisch würde die Münze nicht einmal verschluckt haben.

Auch wenn nicht berichtet wird, dass Petrus seine Angel auswarf, besteht daran natürlich kein Zweifel. Petrus vertraute seinem Herrn. Einige Zeit vorher hatte er auf das Wort des Herrn hin Fischernetze ausgeworfen, obwohl ein Fang nach menschlichem Ermessen unmöglich erschien (Lk 5,4–7). Petrus war damals nicht enttäuscht worden und wird es auch dieses Mal nicht gewesen sein.

Dass der Herr sich ein Geldstück bringen ließ – wie Er es auch später noch einmal tat (Mt 22,19) –, erinnert uns daran, dass Er um unseretwillen arm wurde (2. Kor 8,9). Doch warum wirkte Er ein Wunder, um die Silbermünze zu erhalten? Gab es denn keine andere Möglichkeit? Wird in der Kasse, die Judas trug, nicht genug Geld gewesen sein? Bedenken wir: Nur durch ein Wunder kam die Herrlichkeit des allwissenden und allmächtigen Sohnes Gottes zum Vorschein, der – wenn Er auch die Tempelsteuer wie andere bezahlte – eben nicht irgendein Israelit war.

Als Christus sich freiwillig von Johannes dem Täufer taufen ließ, um dessen Dienst anzuerkennen und sich mit dem bußfertigen Überrest einszumachen, fuhr der Geist wie eine Taube auf Ihn herab, und eine Stimme erging aus dem Himmel, die sprach: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Gerade dort, wo der Herr wie andere Israeliten handelte, wurde ein Zeugnis von seiner Herrlichkeit als Sohn Gottes abgelegt! Sehen wir nicht etwas Vergleichbares, als Er die Tempelsteuer durch ein göttliches Wunder bezahlen ließ?

Die Bezahlung der Steuer

Es ist beachtlich, was für ein Geldstück Petrus im Maul des Fisches finden würde: einen Stater. Dieses Geldstück hatte den Wert von zwei Doppeldrachmen und reichte damit exakt für den Herrn und für Petrus. Dadurch dass es nur ein Geldstück war, verband sich der Herr auf bemerkenswerte Weise mit seinem geliebten Jünger Petrus. Diese Verbindung zwischen dem Herrn und den Seinen ist eine Wahrheit, die hier angedeutet und an vielen Stellen der Schrift bezeugt wird. So wird zum Beispiel das, was durch den Geist von Christus in Jesaja 50,8.9 gesagt wird: „Nahe ist, der mich rechtfertigt: Wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen hintreten! Wer hat eine Rechtssache gegen mich? Er trete her zu mir! Siehe, der Herr, HERR, wird mir helfen: Wer ist es, der mich für schuldig erklären könnte?“, in Römer 8,33.34 auf die Kinder Gottes bezogen. Das, was für Ihn gilt, gilt auch für uns!

Und doch nimmt Christus immer eine Vorrangstellung und einen besonderen Platz ein. Dementsprechend nennt der Herr Jesus sich an erster und Petrus an zweiter Stelle und sagt auch nicht: „Gib ihn [den Stater] für uns“, sondern: „Gib ihn für mich und dich.“ Etwas Ähnliches sehen wir in den Worten des Herrn in Johannes 20,17: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater [nicht: unserem Vater] und meinem Gott und eurem Gott [nicht: unserem Gott].“

Seine Überlegenheit wird ferner darin gesehen, dass Er es ist, der bezahlt. Er sorgt für Petrus und nicht umgekehrt. Vielleicht dachte Petrus später an diese Begebenheit, als er in seinem ersten Brief die ermutigenden Worte schrieb: „Er ist besorgt für euch“ (Kap. 5,7). Der Herr verfügt auch heute über Ressourcen, die wir nicht kennen und nicht sehen, um uns das zu geben, was wir aktuell brauchen. Halten wir daran fest!

Zusammenfassung

Diese Begebenheit zeigt uns die Gnade des Herrn: Er, der als Sohn Gottes nicht verpflichtet war, die Steuer für das Haus seines Vaters zu zahlen, tat es trotzdem, um niemand Anstoß zu geben. Wir sehen in diesen Versen ebenso seine Macht, denn Er regelte durch ein erstaunliches Wunder die Abgabe der Steuer. Ist es nicht beeindruckend, den Schöpfer des Himmels und der Erde zu sehen, wie Er in Gnade auf die religiösen Empfindungen nichtiger Menschen Rücksicht nimmt und alles vermeidet, was für sie ein Hindernis sein könnte, die Botschaft Gottes anzunehmen?