Im Neuen Testament haben wir drei ausgesprochene Lehrbriefe, den Römer-Brief, den Epheser-Brief und den Kolosser-Brief. Und wenn wir den Kolosser-Brief richtig verstehen wollen, ist es wichtig, dass wir etwas wissen vom Römer-Brief und vom Epheser-Brief.

Der Römer-Brief zeigt uns den natürlichen Menschen in seiner Verantwortung vor Gott als lebend in der Sünde; und Befreiung von diesem Zustand gab es nur durch den Tod. Wenn es seinen eigenen Tod bedeutet hätte, dann wäre die ewige Verdamnis die Folge davon. Aber er ist aus diesem Zustand herausgekommen durch den Tod des Herrn Jesus. Und so ist er der Sünde gestorben (Röm 6,2). Einst lebte er in der Sünde, und jetzt ist er der Sünde gestorben.

Im Epheser-Brief hatte Gott den Gedanken, uns nach Seinem Ratschluss alles zu schenken, was Er sich vorgesetzt hatte. Hier haben wir nicht die Seite der Verantwortlichkeit des Menschen, sondern das, was Gott den Menschen geben wollte. Im Römer-Brief finden wir das, was Gott mit dem alten Menschen tut, im Epheser-Brief das, was Er dem neuen Menschen schenken will. Aber die Menschen waren tot in Vergehungen und Sünden (Eph 2,1), und sie mussten Leben haben. Und dann hat der Herr Jesus sie mitlebendig gemacht. Und noch mehr: wir sind in Christus versetzt in himmlische Örter. Und im Blick auf den Epheser-Brief könnte man sagen: Einst waren wir tot, und jetzt leben wir in Christus.

Die Geschichte des irdischen Volkes gibt uns dabei eine Illustration. Das Volk Israel war in Ägypten, in der Welt, und wurde dann durch das Rote Meer, durch den Tod Christi für uns, herausgeführt aus Ägypten und kam in die Wüste – in das Land des Todes. Und dort lebte es in Neuheit des Lebens. Anschließend kam es durch den Jordan in das Land Kanaan – in das Land der Lebendigen; ein Bild von den herrlichen Segnungen, wie wir sie aus dem Epheser-Brief kennen.

Und genau dazwischen, auf dieser Nahtstelle zwischen Römer-Brief und Epheser-Brief, liegt der Lehre nach der Kolosser-Brief. Er legt gleichsam eine Hand auf den Römer-Brief und eine Hand auf den Epheser-Brief. Im Kolosser-Brief sehen wir den Menschen sowohl als lebend in der Sünde (Kol 2,20), was der Lehre des Römer-Briefes entspricht. Aber der Kolosser-Brief sagt auch, dass wir tot waren in unseren Vergehungen (Kol 2,13), und das entspricht der Lehre des Epheser-Briefes. Einerseits geht der Kolosser-Brief weiter als der Römer-Brief – in Römer sind wir mit Christus gestorben, in Kolosser sind wir mit Ihm auferweckt – aber andererseits noch nicht so weit wie der Epheser-Brief, wo wir versetzt sind mit Christus in himmlische Örter, denn in Kolosser werden wir noch gesehen als lebend auf der Erde, suchend was droben ist (Kol 3,1). So war es mit dem irdischen Volk in Gilgal, wo sie wohl jenseits des Jordan waren, aber das Land noch nicht in Besitz genommen hatten.

Diese drei Briefe zeigen uns auch die drei Feinde des Christen: im Römer-Brief ist der Feind des Christen in erster Linie das Fleisch, im Epheser-Brief ist es der Teufel, und im Kolosser-Brief die Welt. Was das Problem der Kolosser angeht, standen sie in Gefahr, verführt zu werden, abgezogen oder weggeführt zu werden durch zwei Gefahren: durch die heidnische Philosophie einerseits, und durch die Überlieferungen der Menschen, durch jüdische Gesetzeslehren andererseits. Und wenn das dem Feind gelang, dann wurden sie abgezogen von Christus, dem Haupt, und deswegen werden sie ermahnt, das Haupt festzuhalten. Im Gegensatz zum Epheser-Brief haben wir im Kolosser-Brief deshalb in erster Linie die Herrlichkeit des Hauptes vorgestellt, während wir im Epheser-Brief mehr die Herrlichkeit des Leibes haben. Und alle Bemühungen des Apostels in diesem Brief an die Kolosser gehen dahin, ihnen die Schönheit und Herrlichkeit dieser Person, der das Haupt ist, vorzustellen – desjenigen, der in allem den Vorrang hat.

Im Kolosser-Brief geht es um ein höheres Niveau des geistlichen Wachstums als z.B. im 1.Korinther-Brief, und darum auch um ein Versagen auf diesem höheren Niveau. Ihnen war der Herr Jesus aus dem Blickfeld geglitten, und deshalb muss ihnen nun diese Person vorgestellt werden. Und wenn wir diesen Brief heute lesen, müssen wir doch sagen, dass es auch heute ständig unsere Gefahr ist, dass wir den Herrn Jesus als das Zentrum unseres Glaubens aus dem Auge verlieren. Deshalb hat dieser Brief eine zu Herzen gehende Botschaft für uns alle und ist auch für uns heute hochaktuell! Wie schön wäre es, wenn wir am Ende dieser Konferenz diesen Gedanken in unseren Herzen hätten, dass doch auch in unserem Leben Christus wieder mehr den Vorrang hätte!

Der Heilige Geist wird im Kolosser-Brief nur ein einziges Mal, fast nebenbei, erwähnt (Kol 1,8). Weil es die Absicht des Heiligen Geistes ist, Christus zu verherrlichen, das Haupt groß zu machen, tritt Er in diesem Brief zurück. Der Zustand der Kolosser war nicht so, dass ihnen der ganze Ratschluss Gottes entfaltet werden konnte wegen der Gefahren, denen sie zu erliegen drohten. Und wenn Gefahren da sind, die dazu führen, nicht mehr festzuhalten an dem Haupt, dann ist die Antwort nicht Gebot, Bedingung oder Regel, sondern die Herrlichkeit und Größe und Schönheit der Person des Herrn Jesus. Dann werden die Herzen nämlich nicht nur von etwas abgehalten, sondern hingezogen zu dem Herrn Jesus, und wir werden voll und ganz eingenommen von Ihm! Und das ist die Tätigkeit des Heiligen Geistes, von dem der Herr Jesus gesagt hat: „Er wird mich verherrlichen“ (Joh 16,14; vgl. 1. Mo 24,53). Und so stellt uns der Apostel unter der Leitung des Heiligen Geistes im ersten Kapitel erstens die Herrlichkeit der Person des Herrn vor und zweitens die Vollkommenheit Seines Werkes auf Golgatha.

Wenn wir eine Überschrift über diesen wunderbaren Brief setzen wollten, dann wäre das Kol 1,27: „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“. Das ist ein Kernsatz dieses Briefes. Der Apostel liebt es zu sagen, dass wir in Christus sind, das ist unsere christliche Position vor Gott – angezogen mit der Schönheit und Vollkommenheit unseres Herrn Jesus Christus. Aber hier ist der große Gedanke Christus in euch, das bedeutet, die Person des Herrn Jesus ist unser Lebensinhalt. Er ist nicht nur mein Heiland, sondern wir haben durch den Glauben an Ihn einen neuen Lebensinhalt bekommen. Vor unserer Bekehrung hatten wir einen anderen Lebensinhalt, und das war unsere eigene Person, unser Egoismus. Und durch den Glauben haben wir nun diesen neuen Lebensinhalt, Christus in uns, keine Lehre sondern eine Person. Und es wird uns hier so vorgestellt, dass Christus in uns ist, aber als Hoffnung der Herrlichkeit. Wir haben Ihn durch den Glauben, wir sehen Ihn mit den Augen des Herzens und noch nicht mit den Augen unseres Körpers. Aber wir wissen, dass dieser unser Lebensinhalt verborgen ist in Gott (Kol 3,3) droben in der Herrlichkeit. Und unsere Hoffnung ist es, dass wir einmal Ihn sehen werden.

Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder“ (Vers 1)

In den Briefen, in denen wichtige lehrmäßige Dinge entwickelt werden oder auch ernste Anliegen vorliegen, stellt sich Paulus als Apostel vor. Das spricht einmal von seiner Autorität, und zum anderen, wenn es um die Entfaltung der Lehre geht, spricht es auch davon, dass ihm der Ratschluss Gottes offenbart worden war. Durch Gottes Willen war er Apostel, wie es auch Gal 1,1 deutlich zeigt.

Im Epheser-Brief hatte der Apostel Paulus nichts zu tadeln und auch nicht auf Gefahren hinzuweisen, und darum stellt er in der Anrede nur sich selbst vor. Da aber in Kolossä Gefahren vorhanden waren, verbindet er sich hier in diesem Brief mit Timotheus. Das tut er immer, wenn er auf eine Gefahr hinweisen muss, auch z.B. im 1.Korinther-Brief, um aus zweier oder dreier Zeugen Mund bestätigt zu werden. Er verbindet sich hier mit einem einfachen Bruder, der auch am Werk des Herrn mitarbeitete, wie Paulus selbst (1. Kor 16,10). Timotheus stand immer loyal zu Paulus, ununterbrochen vom Anfang in Apg 16 bis zum Ende in 2. Tim 4. Wie wohltuend muss das für Paulus gewesen sein, dass selbst da, wo alle anderen sich längst von ihm abgewandt hatten, Timotheus noch immer zu diesem Mann stand, der so verfolgt wurde und den man im Allgemeinen nicht mehr wollte.

Timotheus hatte einen ungeheuchelten Glauben (2. Tim 1,5), der am ehesten deutlich wird in der Familie. Dann hatte er auch ein gutes Zeugnis von zwei Versammlungen, Lystra und Ikonium (Apg 16,2). Und drittens spricht Paulus von seiner Bewährung im Dienst an dem Evangelium (Phil 2,22).

„…den heiligen und treuen Brüdern in Christus, die in Kolossä sind: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Vers 2)

Die Kolosser werden angesprochen als heilige und treue Brüder. Und wenn sie auch in den erwähnten Gefahren standen, so waren sie doch in keinem grundsätzlich schlechten Zustand. Nur noch die Epheser werden so angesprochen, wobei er hier noch den Ausdruck Brüder hinzufügt.

Heilig ist ihre (und auch unsere) Stellung in Christus. So werden auch die Korinther angesprochen. Aber die Treue hat zu tun mit der Praxis. Treue ist unsere Antwort auf das, was der Herr uns geschenkt oder anvertraut hat. Wer beurteilt unsere Treue? In erster Linie der Herr, aber nach 2. Tim 2,2 haben auch wir zu beurteilen, wer treu ist und wem wir die christliche Lehre weiter anvertrauen können.

In der Praxis des christlichen Glaubens gibt es im Wesentlichen zwei Zustände. Es gibt den Zustand, dass wir immer wieder der in uns wohnenden Sünde nachgeben und sündigen, und der Geist Gottes muss sich mit uns beschäftigen zu unserer Wiederherstellung. Das war im Wesentlichen der Zustand der Korinther, sie waren fleischlich. Aber die Epheser und die Kolosser waren solche Gläubige, die im Allgemeinen gelernt hatten, sich der Sünde für tot zu halten, und der Geist Gottes konnte sie mit Christus beschäftigen. Wenn es um die Liebe des Apostels zu den Korinthern ging, dann war die nicht abhängig von ihrem Zustand; er liebte sie, weil sie gläubig waren, weil sie die neue Natur besaßen (1. Kor 4,14). Aber bei Timotheus fügt er noch etwas hinzu, was mit seinem praktischen Zustand zusammenhängt: er bezeichnet ihn als sein geliebtes und treues Kind (1. Kor 4,17). Also das, was Paulus bei den Kolossern sah und lobend erwähnen konnte, das kennzeichnete auch den Mann, mit dem er sich beim Schreiben dieses Briefes verband.

Brüder: wenn ein solcher praktischer Zustand der Heiligkeit und Treue da ist, dann hat das eine Auswirkung auf das Zusammenleben der Geschwister. Wenn wir Geschwister an einem Ort gelernt haben, uns der Sünde für tot zu halten und der Geist Gottes Sich bei uns mit Christus beschäftigen kann, dann wird uns das enger zusammenführen und miteinander verbinden.

In Christus: Als der Herr auf der Erde war, konnte niemand in Christus sein. Bevor Er gestorben und auferstanden war, konnte es keinen Menschen in Christus geben. Die Jünger waren bei Ihm, aber nicht in Ihm. Bevor überhaupt jemand in Christus sein konnte, musste das Erlösungswerk vollbracht werden, musste Gott vollkommen verherrlicht werden in Christus. Aber seitdem hat jeder, der an den Herrn Jesus glaubt und verstanden hat, dass der Herr Jesus nicht nur für ihn gestorben ist, sondern dass er mit Christus gestorben ist, seine Stellung in Christus. Keine Verdammnis ist für die, die in Christus Jesus sind (Röm 8,1). Es ist aber nicht nur Stellung, sondern auch das Bewusstsein, dass in Ihm unser alter Mensch völlig beseitigt ist und dass sich nur in Ihm unser neues Leben entfalten kann (vgl. 2. Kor 12,2). Wenn Gott auf uns blickt, dann sieht Er Christus (1. Kor 1,30). Wie furchtbar wäre es, wenn wir in unserer Praxis unheilig und untreu wären in dieser Stellung in Christus! Alle unsere Praxis entfaltet sich in Christus (1. Tim 1,14).

Und dann entbietet der Apostel den Kolossern noch einen göttlichen Gruß: Gnade ist Liebe, die wir nicht verdient haben, die wir aber nötig haben an jedem Tag auf unserem Weg zum Ziel. Und aus dem Bewusstsein dieser Gnade heraus fließt als Ergebnis Friede hervor. Wenn wir diese Gnade bewusst in Anspruch nehmen und darin leben, dann ruht unser Herz in Frieden, dann genießen wir den unerschütterlichen Frieden Gottes in unseren Herzen.