„Ihr Herren, gewährt euren Knechten das, was recht und billig ist, da ihr wisst, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt“ (Kol 4,1)

Die Herren sollen gütig und gnädig sein, denn auch sie haben einen gütigen und gerechten Herrn im Himmel. Die Herren mussten eins lernen: in der damaligen Zeit war ein Sklave ohne irgendein Recht, er war Null. Ein gläubiger Herr sollte bedenken, dass er nach Gerechtigkeit handelt und auch nach Gleichheit. Seine Sklaven sollten gerecht behandelt werden und gleichartig behandelt werden. Ungleichbehandlung kann sehr leicht bei den Sklaven zu Unzufriedenheit und Auflehnung und Rebellion führen. Die Herren sollten darauf achten, dass das was sie ihnen vergalten, einerseits gerecht ist und andererseits auch den Gleichheitsgrundsatz beachtet (vgl. 5. Mo 24,14+15; Hiob 31,13–15). In der Stelle aus Hiob wird auf den gleichen Ursprung hingewiesen, den Knecht und Herr haben; und in Kol 4,1 wird betont, dass Knecht und Herr den gleichen Herrn im Himmel haben. Nur, wer als gläubiger Herr gelernt hat, seinem Herrn im Himmel zu dienen, kann dann auch ein guter Herr gegenüber seinen Untergebenen sein. Ein schönes Beispiel, wie ein guter gläubiger Herr seinen Knechten begegnet ist, finden wir bei Boas in Ruth 2,4.

Da wir in unseren zivilisierten Ländern diese Zustände von Sklaven und Herren nicht mehr haben, müssen wir diesen Vers in unsere Verhältnisse übertragen. Herren in diesem Sinn sind dann für uns nicht nur die Arbeitgeber höchster Instanz, sondern jede Art von Vorgesetzter, die über andere Mitarbeiter gesetzt sind. Wenn man Vorgesetzter ist, ist man für den Umgang mit den Untergebenen dem Herrn verantwortlich. Man kann nicht willkürlich mit seinen Mitarbeitern umgehen, sondern ist dem Herrn im Himmel verantwortlich dafür. Diese Grundsätze zu verwirklichen ist sicher dann besonders schwierig, wenn man als Vorgesetzter ungläubige Mitarbeiter unter sich und einen ungläubigen Chef über sich hat.

Der Nachsatz ist ohne Zweifel ein sehr ernster Gedanke. Es ist auffällig, wie wenig der Heilige Geist über die Herren sagt. Zu den Sklaven hatte er soviel zu sagen, aber hier wird er kurz und knapp und sagt ihnen nur, dass sie einen Herrn über sich hatten – von Christus ist nicht die Rede. Sie mussten sich offenbar bewusst machen, dass sie in den Sklaven keine leblose Ware vor sich hatten, sondern Geschöpfe aus der Hand Gottes, und zudem Menschen, die auch den Christus besaßen.

„Verharrt im Gebet und wacht darin mit Danksagung“ (Vers 2)

In diesem Vers treffen sich jetzt alle irdischen Verhältnisse der vorhergehenden Verse wieder, das Gebet ist für alle Betroffenen gleichermaßen wichtig. Und im Zusammenhang mit dem Gebet werden hier drei Dinge vorgestellt: Beharrlichkeit, Wachsamkeit und Dankbarkeit.

Wir hatten in den einleitenden Gedanken gesehen, dass ab Kap 3,12 gezeigt wird, wie sich das Ausziehen des alten Menschen und das Anziehen des neuen Menschen in den verschiedenen Bereichen auswirken soll:

Kap. 3,12 – 4,1:   unsere Haltung gegenüber den Geschwistern

Vers 12–17:          im Zusammenleben als Geschwister allgemein

Vers 18–21:          in Ehe- und Familienleben

Vers 22 – 4,1:      im Berufs- und Geschäftsleben

Kap 4,3+4:           unsere Haltung zu den Dienern des Herrn

Kap 4,5+6:           unsere Haltung zu den Ungläubigen

Und zwischen diesen verschiedenen Beziehungen haben wir in diesem Vers 2 eine Beschreibung unserer eigenen Beziehung zu Gott. Daraus müssen wir folgende Schlussfolgerung ziehen: unsere Beziehung zu den Geschwistern, zu den Dienern des Herrn und zu den Menschen der Welt können nur dann gut sein, wenn unsere Beziehungen nach oben zu Gott intakt sind.

Nach den speziellen Ermahnungen ab Kol 3,18 kommen jetzt wieder allgemeine Ermahnungen, die aber überhaupt nicht irgendwie unwichtig wären, sondern nur von allgemeinem Charakter sind. Das Verharren im Gebet ist viel viel wichtiger, als wir denken! Wenn das Gebet nicht gepflegt wird, wenn wir nicht unsere Gemeinschaft mit Gott praktisch im Gebet ausüben und lernen, vor dem Auge Gottes zu sein, bedeutet das unbedingt einen Verlust, der in unserem Glaubensleben spürbar werden wird. Das Verharren zeigt, dass es nicht damit getan ist, in einer besonderen Not zum Herrn zu rufen. Natürlich können wir in Not zum Herrn schreien, aber dieser Vers drückt einen Zustand aus, in dem man bleibt. Der Herr Jesus hat einmal ein Gleichnis dafür erzählt, „dass sie allezeit beten und nicht ermatten sollten“ (Lk 18,1).

Dieses Verharren im Gebet ist ein unendlicher Segensquell. Alles, was wir bisher hier gehört haben, diese wunderbare Stellung in Christus, vollendet zu sein in Ihm, und Christus in uns, die Hoffnung der Herrlichkeit, wird von uns nicht wirklich erfasst oder verstanden oder genossen, es sei denn durch das Gebet. Es ist eine Sache, durch Konferenzen oder dem Lesen von Betrachtungen zu lernen, was da gemeint ist – aber dann ist es noch lange nicht mein Eigentum. Wenn wir Verständnis über eine Wahrheit aus Gottes Wort erlangt haben und im Herzen glücklich geworden sind darüber, dann müssen wir noch auf die Knie gehen und dafür danken – erst in dem Moment wird es unser Eigentum! Wir lernen die Wahrheit erst dadurch, dass wir mit Gott darüber verkehren. Und mit den Ermahnungen verhält es sich genauso, es geht nicht anders als durch Gebet! Woher wollen wir die Kraft haben, um diese Dinge zu tun, die wir als richtig erkannt haben, wenn wir nicht mit Gott darüber verkehren; wenn wir nicht lernen, dass die Kraft dazu aus dem Gebet kommt. Alles Studium des Wortes Gottes muss unter Gebet erfolgen. Das meint nicht nur, dass wir Ihn vorher darum bitten, dass Er uns dabei hilft, sondern dass wir das, was Er uns zeigt, mit Dank aus Seiner Hand annehmen.

Und grad wenn wir das Vorrecht des Gebets wahrnehmen, ist das Wachen nötig, weil gerade dann Satan uns angreifen will, wo Er unsere Gedanken wegtreiben will. Ist es nicht so, dass gerade dann, wenn wir auf den Knien sind, alle möglichen Gedanken an uns herankommen, die wir überhaupt nicht wollen? Hat nicht gerade deshalb der Herr Jesus im Garten Gethsemane das Wachen und das Beten miteinander verbunden (Mk 14,38)? Wir müssen wachsam sein vor dem Beten (1. Pet 4,7); ehe wir überhaupt anfangen zu beten, sollen wir schon wachsam sein, dass wir aus der richtigen Position zum Herrn beten. Dann müssen wir wachen im Gebet, dass nicht unsere Gedanken wegschweifen. Und auch nachdem wir gebetet haben, sollten wir wachen, auch darauf wachen, ob der Herr Antwort gibt auf unsere Gebete, und wie; Hebr  Er darauf antwortet.

Die Danksagung ist ein christliches Element. Nachdem wir Gott alles gesagt haben, dürfen wir schon dafür danksagen (Phil 4,6), dass Er antworten wird. Wir wissen nicht, wie Er antworten wird und wann Er antworten wird, aber Er wird antworten. Wir wissen, dass Er gut ist und antworten wird gemäß Seiner Weisheit.

Wenn wir beten, lasst uns nicht nur beten um Gelingen in der Schule oder im Beruf. Sind die Gegenstände unserer Gebete in erster Linie materieller Art? Das Wesentliche unserer Gebete sollte das Geistliche und das Wohlergehen in geistlicher Hinsicht sein und nicht unser Wohlergehen in persönlicher, materieller Hinsicht. Unsere Gebete sind weit mehr als bloß Hilferufe zum Herrn. Auch das Erfassen der Wahrheit Gottes und auch das Verwirklichen der damit verbundenen Ermahnungen geht nur über das Gebet!

Ganz praktisch ist es wohl bei uns allen so, dass wir meistens stumm beten, meistens beten wir mehr in Gedanken als in Worten. Das ist ein bisschen gefährlich. Wenn wir versuchen würden, die Bitten, die wir an den Höchsten schicken, wenigstens mit den Lippen zu formulieren, dann würden wir bewahrt bleiben vor mancher Flachheit. Das laute oder gesprochene Beten erschwert es, dass unsere Gedanken abschweifen.

Beten ist das Atmen der Seele; ohne Gebet können wir Christen nicht leben. Unablässig zu beten (1. Thes 5,17) meint nicht, dass wir unablässig auf den Knien sein müssen, sondern entscheidend ist, dass wir eine Gebetshaltung kennen. Haben wir persönlich feste Gebetszeiten reserviert? Daniel hatte dreimal des Tages fest reservierte Zeiten für das Gebet (Dan 6,11).

„Und betet zugleich auch für uns, damit Gott uns eine Tür des Wortes auftue, das Geheimnis des Christus zu reden, um dessentwillen ich auch gebunden bin, damit ich es offenbare, wie ich es reden soll“ (Vers 3+4)

Wenn wir die Briefe der Apostel lesen, finden wir bei den Korinthern und den Galatern kein Wort der Aufforderung zum Gebet. In den übrigen Briefen an Versammlungen oder auch an Einzelne wird immer wieder zum Gebet aufgefordert (z.B. Röm 12,12; Eph 6,19; Heb 13,18). Das muss uns zum Nachdenken bringen! Wieso nicht bei der Versammlung in Korinth und den Versammlungen in Galatien? Der Inhalt dieser Briefe macht das klar: diese Versammlungen waren in einem so iedrigenZustand, dass sie von dem Apostel nicht aufgefordert werden konnten, in geistlicher Weise Fürbitte für andere zu tun. Was lernen wir daraus für uns? In unserem eigenen Leben muss Ordnung sein. In Korinth waren es moralische Verfehlungen und bei den Galatern lehrmäßige Gründe. Solche Zustände machen unfähig, Fürbitte für andere zu tun, wie es nach Gottes Gedanken ist (vgl. Spr 28,9). Wenn also die Kolosser zur Fürbitte aufgefordert werden, zeigt das, dass sie doch einen recht guten Zustand hatten, besser als den der Korinther und Galater.

Es ist entscheidend, dass zwischen uns und Gott nichts Ungeordnetes vorhanden ist, wenn wir richtig beten wollen (1. Pet 3,7; 1. Joh 3,20–22). Gott kann uns nicht erhören, wenn unser Herz uns verurteilt, wenn wir nicht im Selbstgericht vor Gott waren. Wenn wir aber im Selbstgericht vor Gott waren, verurteilt uns unser Herz nicht – ein wunderbarer praktischer Zustand, in dem wir frei hinzutreten können zum Gebet.

Vers 2 war eine allgemeine Aufforderung zum Gebet gewesen, in Vers 3 kommen jetzt konkrete und auch persönliche Gebetsanliegen vor die Kolosser. Paulus lässt nicht um Befreiung aus seiner Gefangenschaft beten, sondern um eine geöffnete Tür für das Wort. Warum übrigens bittet er um eine geöffnete Tür, wo er doch in Ketten im Gefängnis war? Im Brief an Philemon, der zur gleichen Zeit geschrieben wurde, wie der Kolosser-Brief, bittet er darum, dass ihm eine Herberge bereitet würde (Phlm 22); er war zuversichtlich, dass er als Erhörung ihrer Gebete bald die Freiheit erlangen würde. So sieht er hier wohl schon die Zeit nach seiner Gefangenschaft vor sich und wünschte für diese Zeit, eine geöffnete Tür zu haben. Und in Phil 1,12+13 (der Philipper-Brief ist etwas später geschrieben worden als der Kolosser-Brief) sagt er, dass seine Fesseln offenbar geworden waren, dass sie in Christus sind, dass er also nicht als Verbrecher gefangen genommen worden war, sondern weil er Christus verkündigt hatte. Und auch da hatte ihm Gott eine Tür geöffnet, und im ganzen Prätorium, der kaiserlichen Leibgarde von 9.000 Soldaten, war Christus bekanntgemacht worden (Phil 4,22).

Praktische Bemerkungen zu der geöffneten Tür:

  • Es ist immer nur eine geöffnete Tür, wir können niemals durch mehrere Türen gehen. In diesem Vers stehen wir auf dem Boden des Dienstes im Werk des Herrn, da können wir nicht umherspringen, mal hierhin, mal dorthin, sondern da geht es darum, einen klaren Auftrag zu haben für eine Sache, eine Tür, die Gott uns auftut und durch die wir gehen können.
  • In dieser Welt, wo Satan herrscht, ist alles Gott und Seinem Wort entgegen. Wenn Sein Wort Lauf nehmen soll in dieser Welt, dann muss Gott Türen auftun, sonst gibt es keinen Dienst am Wort! In Philadelphia finden wir die Verheißung des Herrn an den dortigen Überrest, dass Er eine geöffnete Tür gegeben hatte (Off 3,8), eine Tür für die Wirksamkeit des Geistes Gottes noch in unseren Tagen.
  • In diesem Vers geht es aber um etwas Spezielles. Allgemein hat Gott uns eine geöffnete Tür bis heute erhalten, diese Konferenz in Hückeswagen ist ein Beweis dafür. Aber es geht hier in dieser Stelle um den persönlichen Dienst, und auch da muss Gott eine Tür auftun. Wenn Gott die Tür nicht öffnet, müssen wir warten, sonst laufen wir gegen die Wand. In Apg 16,7 meinten die Apostel, sie sollten nach Bithynien gehen, „aber der Geist Jesu erlaubte es ihnen nicht“. Gott wollte zu jener Zeit nicht, dass sie nach Bithynien gingen, aber Er öffnete die Tür nach Europa, nach Mazedonien. Und ehe Paulus nicht in Mazedonien war, öffnete Gott auch nicht die Tür nach Kleinasien. Nur Gott weiß, was Er vorhat.
  • In 2. Kor 2,12 finden wir ein Beispiel dafür, dass Paulus trotz einer geöffneten Tür in Troas nicht dort blieb, sondern nach Mezedonien zog. Es gab nach seinem Urteil in diesem Moment größere und gewichtigere Nöte in Korinth, als die geöffnete Tür für das Evangelium in Troas. Aus Vers 14 kann man dann aber schließen, dass diese plötzlichen Prioritäten des Paulus bei Gott Anerkennung gefunden haben.
  • Nach 1. Kor 16,9 müssen wir auch feststellen, dass eine offene Tür durchaus nicht etwas ist, was man äußerlich erkennen kann. Sonst hätte Paulus hier sagen können, dass wegen der vielen Widersacher es noch gar keine offene Tür gibt. Wir sehen also, dass eine offene Tür eine ganz persönliche Sache des Dieners und seines Herrn ist. Wir können wohl nicht einem anderen Diener des Herrn sagen, dass es da oder da eine offene Tür für ihn gäbe, die er nutzen müsse. Jeder Diener steht und fällt seinem eigenen Herrn. Jede geöffnete Tür ist eine sehr persönliche Beurteilung der Umstände aus der Sicht dessen, der einen Dienst für den Herrn tun möchte. Natürlich sollte man auch den Rat von Brüdern in Betracht ziehen und nicht leichtfertig beiseite schieben. Manchmal merken wir es auch erst hinterher, dass eine Tür offen war.
  • Eigentlich ist es normal, dass dann, wenn der Herr einen Auftrag gibt, der Widerstand des Feindes direkt einsetzt (Mt 14,22–24). Wenn Gott einen Auftrag gibt, egal wo und wann, dann wird der Widerstand des Feindes direkt spürbar, denn er will nicht, dass wir den Willen des Herrn ausüben. Deshalb ist Widerstand kein Beweis dafür, dass die Tür geschlossen ist.

Paulus wusste um die Souveränität des Handelns Gottes im Öffnen von Türen und bat die Kolosser, dass sie sich mit ihm in der Bitte darum einsmachten. Übrigens eine schöne demütige Haltung des Apostels. Er sagte nicht, dass er für sie beten würde und ihre Gebete nicht nötig hätte. Jeder Diener des Herrn weiß es zu schätzen, wenn man auch für ihn betet. Eine ähnliche Bitte hat er auch an die Thessalonicher in 2. Thes 3,1+2: zuerst darum, dass das Wort laufen möge und Frucht bringt, denn dadurch wird das Wort verherrlicht, und dann erst um seine persönlichen Umstände. Es ist schön zu sehen, wie sich der Apostel hier hinter dem Wort verbirgt; die Tür sollte für das Wort aufgetan werden, nicht für ihn als Diener. Ähnlich sagt er auch in Kol 1,5+6, dass das Wort zu ihnen gekommen war. Natürlich war es durch die Diener zu ihnen gelangt, aber sie verbergen sich hinter dem Wort. Martin Luther soll einmal gesagt haben: „Das Wort ist durchs Land gegangen und hats gemacht“. Daraus spricht auch eine tiefe Ehrfurcht vor der dem Wort Gottes innewohnenden Kraft. Bruder Darby hat einmal gesagt: „Diene, ohne gesehen zu werden“.

Paulus wollte, dass für die Verbreitung des Geheimnisses des Christus gebetet würde. Wir beten nicht nur für die Verbreitung des Evangeliums, sondern auch für die Ausbreitung des Geheimnisses des Christus. Es ist das Drama des Christentums, dass man das Evangelium getrennt hat vom Geheimnis des Christus. Es geht eben nicht nur darum, dass Menschen vor dem Höllenfeuer gerettet werden, sondern dass sie die ganze Wahrheit erkennen. Und dabei wollte Paulus auch noch die Fürbitte für das wie er reden soll. Der Ton macht die Musik. Wir müssen auch den rechten Ton finden im Dienst für den Herrn.

Und dann verweist Paulus noch darauf, dass er für das Geheimnis des Christus gebunden war. Dieses Geheimnis ist die Wahrheit von Christus und Seiner Versammlung, und das war dem Apostel so wichtig, dass er bereit gewesen war, dafür ins Gefängnis zu gehen. Es war nur ihm und keinem anderen sonst offenbart worden (Eph 3,3+4; 6,20). Dieses Geheimnis des Christus war die Ursache dafür, dass er gebunden war, und jetzt will er es aber weiter offenbaren. Obwohl die Verkündigung dieses Geheimnisses ihm das Gefängnis eingebracht hatte, hatte er nicht gedacht, dass er jetzt mit der Verkündigung aufhören müsse. Und deshalb bittet er besonders um die Fürbitte dafür, dass sein spezieller Auftrag, den er vom Herrn empfangen hatte, erfüllt würde. Und wenn dieser Auftrag durch andere erfüllt wurde, wie im Philipper-Brief, dann hat er sich darüber gefreut. Aber hier hofft er wohl doch, dass er selbst frei wird für diesen Auftrag, denn er sagt: „wie ich reden soll“. Es ist wirklich lieblich, dass er nicht betet, dass er frei wird für sich, sondern dass er frei wird, um diesen Weg gehen zu können.

Wenn es um einen Dienst am Wort geht, egal ob öffentlich oder persönlich, dann gibt es verschiedene Fragen, die wir uns ganz praktisch dabei stellen sollten:

  • Was soll gesagt werden? Für Paulus war es das Geheimnis des Christus
  • Wo soll etwas geredet werden? Auch diese Frage sollten wir uns im Dienst für den Herrn immer stellen: wo soll ich hingehen? Gehe ich aus Routine irgendwo hin, oder weil ich vielleicht lange nicht dort war, oder weil ich dort gerne aufgenommen werden; oder gehe ich irgendwo hin, weil mir der Herr den Weg dorthin weist?
  • Wann soll ein solcher Dienst geschehen? Wann möchte der Herr, dass ich etwas für Ihn tue? Auch im Leben des Herrn Jesus selbst sehen wir, dass dieses wann durchaus eine Rolle spielte.
  • Wie soll geredet werden? Auch für Paulus war das eine wichtige Frage (Vers 5 und 6). Können die Zuhörer das verstehen und aufnehmen, was geredet wird? In Joh 3 spricht der Herr Jesus zu einem Theologen und in Joh 4 spricht Er mit einer Sünderin; und in beiden Abschnitten können wir nur staunen über die Weisheit des Herrn Jesus, wie Er mit diesen Beiden gesprochen hat.

Für diese Punkte brauchen wir alle sehr viel Weisheit! Diese Weisheit, das Richtige am richtigen Ort und zur richtigen Zeit und auf die richtige Weise zu sagen, bekommen wir nur unter der Leitung des Heiligen Geistes und durch Gebet.

Praktische Frage: Wie erkenne ich den Willen des Herrn für einen Dienst?

Sicher ist es so, dass es für den Diener des Herrn nur eine geöffnete Tür gibt, aber haben wir nicht auch oft die Übung, dass es scheinbar viele Gelegenheiten zu einem Dienst gibt, und wir dann nicht recht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Welches ist in einem solchen Fall die ganz konkrete Tür, durch die wir gehen sollen? Es ist gut, wenn wir immer in solchen Übungen bleiben. Es gibt dafür kein Schema F. Der Herr führt auf unendlich viele verschiedene Weisen. Wir müssen in Abhängigkeit von Ihm bleiben, und Er lässt uns auch manchmal eine gewisse Unsicherheit. Wir würden es nicht ertragen, wenn wir immer ganz deutlich eine Stimme vom Himmel hören würden, die uns den Weg weist, wir würden uns dadurch überheben. Manchmal hat man einen klaren Auftrag, manchmal zeigt der Herr nur kleine Schritte und man bekommt nachher die Bestätigung. Der Herr möchte, dass wir in Übung bleiben, in Demut und nicht in Sebstsicherheit vorangehen. Und vielleicht werden wir mal droben sehen, dass wir sehr selten völlig auf der Höhe der Leitung des Geistes gewesen sind. Eine Tür für das Wort aufzutun bedeutet, dass Gott in Seiner Vorsehung den Weg bahnt. Wir können nie zu 100% von der Richtigkeit eines Dienstes überzeugt sein.

„Wandelt in Weisheit gegenüber denen, die draußen sind, die gelegene Zeit auskaufend“ (Vers 5)

Die, die draußen sind, sind die ungläubigen Menschen. Und ihnen gegenüber sollten die Kolosser in Weisheit wandeln. Das bedeutet, dass sie sich diesen Menschen, die draußen sind, nicht gleich stellen sollten, sich moralisch nicht mit ihnen auf eine Stufe stellen sollten. Das ist eine Voraussetzung dafür, ihnen auch im Evangelium dienen zu können. Denn heute noch gibt es die Möglichkeit, von draußen nach drinnen zu kommen; es wird der Augenblick kommen, wo es unabänderlich und ewig sein wird, draußen zu sein.

In Kol 3,16 hatten wir gesehen, dass Weisheit bedeutet, in den jeweiligen Situationen die erkannte Wahrheit in Weisheit auszuleben, den Umständen entsprechend das zu tun, was jetzt angemessen ist. Wenn wir das tun, dann kaufen wir die gelegene Zeit aus. Es gibt Zeiten, die besonders gelegen sind, um im Dienst für das Evangelium tätig zu werden. Wieviele solcher gelegenen Zeiten haben wir wohl schon verstreichen lassen? In 2. Tim 4,2 werden wir aufgefordert, zu gelegener und ungelegener Zeit für das Wort einzutreten. Grundsätzlich gesehen ist diese ganze Zeit der Gnade eine gelegene Zeit, aber doch gibt es auch besondere Gelegenheiten, tätig zu werden, und diese sollten wir dann auch in Weisheit nutzen zum Zeugnis gegenüber denen, die draußen sind.

Wir können vielleicht unbewusst durch ein nicht besonnenes Auftreten gegenüber der Welt die Ehre des Herrn in den Schmutz treten. Welch eine Beschämung für uns, wenn die Welt über uns sagen müsste: „Das hätte ich von einem Christen nicht erwartet“. Dann hätten wir nicht in Weisheit gewandelt gegenüber denen, die draußen sind. Wir sollten besonnen genug sein, uns immer zu fragen, was wir für einen Eindruck von unserem Herrn und von der Lehre abgeben. Hier geht es also um die Besonnenheit in unserem Umgang mit der Welt.

Im Griechischen gibt es zwei verschiedene Wörter für den Ausdruck Zeit[1]. Das eine ist chrónos, Zeit als messbare Größe. Hier in diesem Vers aber steht ein anderes Wort, kairós, das zwar grds. auch Zeit bedeutet, aber Zeit unter dem Aspekt der Gelegenheit. Deshalb wird hier auch mit gelegener Zeit übersetzt. Der Sinn dieses Verses ist also nicht so sehr, soviel wie möglich in der zur Verfügung stehenden Zeitspanne erledigen zu wollen, sondern an den sich bietenden Gelegenheiten nicht vorbeizugehen, sie nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Aus Sicht des Ungläubigen mag es immer ungelegene Zeit sein, Felix wollte sich seine gelegene Zeit selbst aussuchen (Apg 24,25). Auskaufen meint also, die vom Herrn gebotenen Gelegenheit wahrnehmen und sie nicht verstreichen lassen.

„Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, so dass ihr wisst, wie ihr jedem Einzelnen antworten sollt“ (Vers 6)

In Vers 5 haben wir unseren Wandel und hier in Vers 6 unsere Worte. Das sind die beiden Äußerungen, die von den uns umgebenden Menschen wahrgenommen werden. Wir werden in unserem Lebensalltag von den ungläubigen Menschen beobachtet, von unseren Nachbarn, Arbeitskollegen usw. Sie sehen, wie wir uns verhalten, was wir tun und was wir nicht tun, und sie hören, was wir sagen. Unser Wandel und unsere Worte sollen miteinander in Übereinstimmung sein, sonst werden wir unglaubwürdig. Und ohne Glaubwürdigkeit öffnen sich keine Türen!

Wenn wir wissen sollen, wie wir in den Gesprächen mit Ungläubigen antworten sollen, müssen wir uns also Gedanken darüber machen und besonnen sein in unserem Umgang mit ihnen. Wir dürfen nicht leichtfertig daherreden. Die Gnade, die wir selbst erfahren haben, in der wir stehen, soll in unseren Worten zum Ausdruck kommen; dann aber auch die erhaltende Kraft des Salzes inmitten des Bösen um uns herum. Bei dem Herrn staunten die Volksmengen über die Worte der Gnade, die aus Seinem Mund hervorgingen (Lk 4,22).

Es steht hier nicht, dass wir Worte des Salzes haben sollen, die vielleicht noch etwas Gnade enthalten. Wir müssen das rechte Maß finden, um das Ziel zu erreichen, dass Herzen getroffen und gewonnen werden für die Sache des Herrn. Gnade ist die schöne Glut göttlicher Milde gegenüber denen, die es nicht verdient haben. Salz zeigt die erhaltende Energie der Rechtsansprüche Gottes inmitten des Verderbens.


[1] Chr. Briem: Wörterbuch zum Neuen Testament: chrónos = Zeitraum, Intervall, Zeitdauer; kairós = Gelegenheit, Entscheidungszeit [fixierte, besondere Zeit/Gelegenheit; definierte, begrenzte Periode, jeweils mit dem zusätzlichen Gedanken einer gewissen Passendheit oder Angemessenheit]; Chr. Briem: Das NT mit sprachlichen Erklärungen zum Grundtext zu Kol 4,5: jede günstige Gelegenheit ergreifen