Gottesfurcht oder die Furcht des Herrn, wie es die Bibel auch nennt, ist doch ein merkwürdiger Begriff. Einerseits will er so gar nicht passen zu einer Beziehung als Kinder Gottes zu ihrem Vater, und andererseits begegnet er uns doch an so vielen Stellen in der Bibel als ein grundlegendes Kennzeichen eines wahren Christen.

Gott zu fürchten, ohne sich vor Ihm zu fürchten – kann das überhaupt gehen? Psalm 2 fordert uns auf, dem Herrn mit Furcht zu dienen, während Zacharias sich darüber freut, dass wir dem Herrn dienen dürfen ohne Furcht (Lk 1,74). Wie sollen wir das verstehen?

Angst kann es nicht bedeuten. Kein Vater möchte, dass sein Kind Angst vor ihm hat. Aber hüten wir uns vor der Gefahr, Gotteskindschaft und Gottesfurcht gegeneinander auszuhebeln. 1. Petrus 1,17 macht klar, dass beides zusammengehört: „Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht.“ Gott möchte als Vater geliebt und gefürchtet werden.

Epheser 5,33, wo das gleiche Wort Furcht vorkommt, zeigt auch, dass nicht Angst gemeint sein kann. Niemals würde Gott von der Frau verlangen, Angst vor dem Mann zu haben. Aber sie soll anerkennen, dass sie in der Schöpfungsordnung Gottes ihren Mann als Autorität über sich hat und ihm Ehrerbietung zollen. Auch Römer 13,7 („Gebt allen was ihnen gebührt, die Furcht dem die Furcht, die Ehre dem die Ehre gebührt“), macht deutlich, dass nicht Angst gemeint ist, sondern Anerkennung und Achtung gegenüber einer Person, die über mir steht. Deshalb fordert Mose das Volk Israel in einem Atemzug auf, vor grauem Haar aufzustehen und sich zu fürchten vor ihrem Gott (3. Mo 19,32). Halten wir also als Erstes fest, dass Gottesfurcht etwas zu tun hat mit dem Bewusstsein der Größe und Erhabenheit Gottes.

Doch wenn wir die vielen Stellen in Gottes Wort untersuchen, in denen von Gottesfurcht die Rede ist, merken wir, dass das nur ein Aspekt der Gottesfurcht ist. Gottesfurcht ist ebenso das Bewusstsein, unter den Augen dieses Gottes sein Leben zu führen. Es ist der eindeutige Wille unseres Gottes, dass wir ein heiliges Leben führen (1. Thes 4,3), d.h. ein Leben in Trennung von dem Bösen. „Die Furcht des Herrn ist das Böse hassen“ (Spr 8,13). „Lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes (2. Kor 7,1). Der natürliche Mensch lebt ohne Gottesfurcht. Er tut Böses und verabscheut es nicht (Ps 36,2–5). Der Räuber am Kreuz brachte es auf den Punkt, als sein mitgekreuzigter Kumpane sich nicht scheute, den Sohn Gottes zu lästern: „Auch du fürchtest Gott nicht?“ (Lk 23,40). Doch wer Gott ehren möchte, scheut sich, etwas zu tun, was der Heiligkeit Gottes nicht entspricht. Das ist keine Angst. Das ist eine heilige Sorgfalt, die alles vermeidet, was die Ehre Gottes beeinträchtigen könnte.

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen wagen wir mal eine Definition von Gottesfurcht: Gottesfurcht ist die Hochachtung vor der Größe und Autorität Gottes und das tiefe Bewusstsein seiner Heiligkeit verbunden mit dem Wunsch, ein Leben zu führen, das die völlige Zustimmung Gottes findet und seinen Willen und seine Ehre über alles zu stellen.

Aus der Fülle an Bibelstellen können wir folgende Aussagen zur Gottesfurcht ableiten:

Gottesfurcht …

  • … ist die Frucht einer echten Bekehrung (Jer 32,37–41)
  • … ist Ehrfurcht und Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes (Jes 66,2; 3. Mo 19,32)
  • … ist der Schlüssel zu echter Weisheit (Hiob 28,28; Ps 111,10; 25,12; Spr 1,7; 9,10)
  • … ist besser als Menschenfurcht (Lk 12,5; 1. Pet 3,14.15; 2. Mo 1,17)
  • … wird erlangt durch Gebet (Ps 86,11) und durch das Hören auf Gott (Spr 2,1–5; Apg 10,22.33)
  • … kann gelernt werden (5. Mo 14,23; 17,19; 31,12)
  • … ist eine Voraussetzung für wahren (Gottes-)Dienst (Heb 12,28)
  • … zeigt sich bei der täglichen Arbeit (Kol 3,22)
  • … zeigt sich, wenn keiner zusieht (1. Mo 39,9)
  • … zeigt sich im Verhalten und Äußeren der Frauen (1. Tim 2,10)
  • … führt mich mit Gleichgesinnten zusammen (Mal 3,16)
  • … war ein Kennzeichen der ersten Christen (Apg 9,31)
  • … hat immer Segen zur Folge (Ps 33,18; 34,9; 61,5; Spr 14,26.27; Pred 8,12; Lk 1,50)
  • … ist Dankbarkeit für Golgatha (1. Pet 1,17–19)
  • … hat die Anerkennung Gottes (Mal 3,16)
  • … ist Heiligkeit im Wandel (1. Pet 1,14–19; 3,2; 2. Kor 7,1)
  • … trennt vom Bösen (Spr 8,13; 16,6)
  • … und Demut gehen Hand in Hand (Eph 5,21)