Josua 22

„Denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7).

Wenn wir die Geschichte der Rückkehr der 40000 Kämpfer aus den zweieinhalb Stämmen betrachten, müssen wir die erste Aufforderung des Herrn an Israel im Hinterkopf behalten: „Mach dich auf, geh über diesen Jordan, du und dieses ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Kindern Israel, gebe.“ Wir müssen uns auch daran erinnern, dass diesseits des Jordan die zwölf Gedächtnissteine des Durchzugs durch den Fluss, die Kraft Gilgals, das Lager, die eingestürzten Mauern Jerichos, die Steine, auf die am Ebal das Gesetz geschrieben wurde, das Zelt und die Wolke waren.

„Lass und nicht über diesen Jordan ziehen“, war die feste Entscheidung der zweieinhalb Stämme, die Gott auf ihrem Weg zum verheißenen Land so reich beschenkt hatte. Sie zogen es vor, sich niederzulassen und ihre Reichtümer zu genießen, statt in das Erbteil vorzudringen. Es war mehr Zweckmäßigkeit als Glauben, die sie leitete. Die Städte Gileads hatten mehr Anziehungskraft für sie als die Soldatenzelte auf der anderen Jordanseite. Sich niederzulassen, in welcher Form auch immer, ist eine traurige Sache. Der Glaube erbt „jenseits des Jordan und weiterhin“, in der Nähe Gottes.

„Lass und nicht über diesen Jordan ziehen“, lautete der Ruf dieser Stämme; „wir wollen nicht mit ihnen erben“ – d.h. mit der Masse des Volkes – lautete ihre Entscheidung. Deshalb kam für ihre Kämpfer der traurige Tag ihrer Rückreise. Wie sehr wir auch den Eifer der 40000 bewundern, die für ihre Brüder auf des Herrn Seite des Jordan kämpften – und gewiss bekamen sie ihren Lohn – kann es doch nicht geleugnet werden, dass sie von den zweieinhalb Stämmen für die Kämpfe des Herrn ausgesandt waren, um einen Kompromiss zu machen. „Wir wollen gerüstet vor dem HERRN in das Land Kanaan hinüberziehen, und unser Erbteil verbleibe uns diesseits des Jordan.“

Nachdem der Herr Israel Ruhe verschafft hatte, wie er es verheißen hatte, sagte Josua zu den Kämpfern: „Kehrt zurück.“ Er lobte ihre Treue und ihren Gehorsam und ermahnte sie feierlich zur Ernsthaftigkeit gegenüber dem Herrn. Er bat sie, den Herrn zu lieben, in allen seinen Wegen zu wandeln, seine Gebote zu halten, ihm anzuhangen und ihm mit ganzem Herzen und ganzer Seele zu dienen, und dann segnete er sie und sandte sie fort. „Kehrt zu euren Zelten zurück mit vielen Reichtümern und mit sehr vielem Vieh, mit Silber und mit Gold und mit Kupfer und mit Eisen und mit Kleidern in großer Menge; teilt die Beute eurer Feinde mit euren Brüdern.“ Es gibt Segen für jedes Kind Gottes, das dem Herrn mit aufrichtigem Herzen nachfolgt, auch wenn es nur für einen Tag ist, und es wird immer genug sein, um es mit denen zu teilen, die zu Hause bleiben und auf das Gerät aufpassen; doch „kehrt zurück“ ist ein ernster Satz.

„Kehrt zurück“ von dem Schauplatz der Mühe und des Sieges zu den Hirtenzelten! „Kehrt zurück“ von Kanaan nach Gilead! „Kehrt zurück“ von dem verheißenen Eigentum zu dem Erbteil eurer Wahl! Jede Abkehr von Eifer für Gott oder Nähe zu Gott, ist eine traurige Sache; und das erlebten die 40000 als sie vom Kampfplatz zurückkehrten und Silo, den Ort der Anbetung, verließen. In gewissem Sinn mag es sein, dass Gott den Weg akzeptierte, den sie gewählt hatten (siehe das Ende von Vers 9), denn er handelt mit seinem Volk entsprechend seines eigenen Grundsatzes der Treue, selbst wenn sie in einer falschen Position sind. „Er bleibt treu.“

Als diese Kriegsmänner, die mit ihren Brüdern gekämpft und Mühen erduldet hatten, zu ihrem Erbteil zurückkehrten, kamen sie an den Jordan, und dort machten sie Halt und überlegten miteinander. Der Anblick des Jordan rief tiefe Erinnerungen an die Wege Gottes mit Israel wach. Sie waren durch das trockene Bett des Stromes, den sie nun auf ihrem Heimweg wieder durchqueren würden, nach Kanaan eingezogen; sie hatten mitgeholfen, das Denkmal von dem Durchzug Israels durch den Jordan in Gilgal aufzurichten. Wollten sie das verheißene Land jetzt wirklich verlassen? Standen ihre eigenen Füße im Begriff, den Fluss zwischen sich und die zwölf Steine von Gilgal und die Stiftshütte in Silo zu setzen? Ihre Herzen schlugen. Würde sich in dieser Krise der Glaube behaupten, oder würde der Kompromiss argumentieren? Sie folgten nicht dem Rat, den die neuneinhalb Stämme ihnen später gaben: „Kommt herüber in das Land des Eigentums des HERRN, wo die Wohnung des HERRN weilt.“ Nein! „Sie baten dort einen Altar, groß von Ansehen.“

Ihr großer Altar war nicht der Altar des Herrn – es war ein Denkmal, eher eine Erinnerung. Sein hauptsächlicher Zweck lag darin, zu beweisen, dass die, die ihn errichtet hatten, einmal in Silo gewesen waren! Solche Notwendigkeit machte deutlich, wie unhaltbar ihre Position auf der anderen Seite des Jordan war.

Was war dieser Altar, den sie „Zeuge“ nannten, doch für ein arme Sache! Er diente nicht der Anbetung, nie würden darauf Brandopfer, oder Speisopfer oder Friedensopfer gelegt werden. Kein duftender Wohlgeruch würde von dort aufsteigen, keine beglückten Herzen würden ihn umgeben. Wozu dann dieser große Altar? „Ein Zeuge soll er sein“, ein Zeuge einer brillanten Vergangenheit! Ein Zeuge davon, dass seine Erbauer in vergangenen Zeiten Kämpfer in Kanaan und Anbeter in Silo gewesen waren. Ach, wie oft baut der Christ seinen Altar, genannt Zeuge; Altäre als Zeugen gibt es in manchem Herz und mancher Gemeinschaft, wo einst echte Hingabe an Christus zuhause war. „Große“ Altäre sind es. Unseren Händen gefällt es, sie groß zu errichten, von dem Altar des Herrn heißt es nie, dass er groß war. Menschen sprechen davon, was sie gewesen sind, wie sie Gott gedient haben, wie sie Zeiten inniger Anbetung genossen haben, und durch das Zeichen der Vergangenheit wollen sie die Gesundheit ihres gegenwärtigen Zustands beweisen. Traditionen und Erinnerungen, nicht die lebendige Energie der Gegenwart, beflügeln solche Seelen. Kein Mensch errichtet sein Denkmal auf dem Schlachtfeld. Denkmäler werden gebaut, wenn die Soldaten nach Hause zurückgekehrt sind. Die zwölf Steine in Gilgal waren ein Denkmal für das, was Gott für Israel getan hatte. Der Alter der 40000 war ein Denkmal zur Erinnerung an das, was sie selbst gewesen waren. Unser Kampf sollte nicht aufhören, bevor unser Leben zu Ende ist. Möge unser tägliches Leben und nicht ein Altar für uns zeugen. In Kanaan, jenseits des Jordan, war der Ort, den Gott als Heimat für Israel bestimmt hatte, dort war Israels Ort des Segens. In Christus in den himmlischen Örtern ist unser einziger wahrer Ort als Kämpfer unseres Josua. Mögen unsere Seelen niemals von diesem Platz des Segens zu einem Ort unserer Wahl zurückkehren.

Der Betrug der Sünde und die Arglist unserer Herzen verhärten die Seele. Es gibt kein echtes Gedeihen, außer in der Nähe Gottes und durch das Wohnen in den Segnungen mit denen er uns in Christus gesegnet hat. Der Geist der Zweckmäßigkeit steht im äußersten Widerspruch zu Gott; doch wer hat sein eigenes Herz noch nicht bitten hören, einen bequemeren Ort auszuwählen und noch nicht nach Entschuldigungen dafür gesucht, an einem Ort zu bleiben, wo man nicht bleiben sollte? Wir müssen lernen, die Position des Glaubens einzunehmen, was es auch immer sei, was Gott uns vorstellt, und die Einladungen unserer eigenen Begierden abzulehnen, die uns bitten wollen, Gott in unser selbst erwähltes Land des Schauens zu bringen. Der Christ muss ständig auf der Hut sein; in dem Moment, wo er dem Kampfplatz des Glaubens den Rücken zuwendet, versagt er und steht in Gefahr zu fallen.

Sie konnten „die Wohnung des Herrn“ nicht haben, außer indem sie hinüberkamen in das Land des Eigentums des Herrn. Doch ihre Zuneigungen, ihre Frauen und Kinder und ihre Reichtümer waren auf der anderen Seite des Jordan, und dorthin kehrten sie zurück.

Sie argumentierten wie folgt: Vielleicht würden die Kinder der neuneinhalb Stämme in späteren Tagen einmal sagen: „Was geht euch der HERR, der Gott Israels, an? Der HERR hat ja eine Grenze, den Jordan, zwischen uns und euch gesetzt, ihr Kinder Ruben und ihr Kinder Gad; ihr habt kein Teil an dem HERRN! Und so würden eure Kinder machen, dass unsere Kinder aufhörten, den HERRN zu fürchten.“ Natürlich war der Jordan eine Grenze. Es war ihnen klar, dass die Überquerung den Anschein erweckte, sie würden den Herrn, seine heilige Wohnung und seine Segnungen verlassen, und dass ihr Handeln sehr gefährlich war; das Nachdenken über diese Gefahren brachte sie dazu, in höchst ungebührlicher Weise die Last des Abweichens ihrer Kinder von dem Herrn denen aufzuerlegen, die in der Nähe der Wohnung des Herrn blieben.

Ihre Brüder hatten weder eine Teilung inmitten des Israels des Herrn gewollt, noch dass der Jordan eine Trennung zwischen ihnen sein sollte, noch dass ihre Kinder aufhören sollten, den Herrn zu fürchten. Doch so ist es: der Gläubige, der seine treueren Gefährten wegen irgendwelcher irdischen Verbindungen verlässt, gibt immer denen, die bei Gott bleiben, die Schuld für die Konsequenzen. Gottesfürchtigen Leuten die Schuld zu geben, ist eine gebräuchliche Salbe für ein belastetes Gewissen. Fehler bei dem Bruder zu finden ist ein universelles Heilmittel für die eigene Schande.

Als die Nachricht von dem Altar Israel erreichte, versammelte sich die ganze Versammlung in Silo, an dem einen Altar des Herrn. Sie sahen in der Errichtung eines zweiten Altars nichts anderes als Rebellion gegen die Herrn der zwölf Stämme. Der Eifer Israels wurde angefacht, und wenn das Herz angesichts des Versagens anderer für Gott eifert, erinnert es sich mit gebeugtem Geist an die eigenen Sünden; daher stand die Ungerechtigkeit Peors, die Sünde Achans, mit all ihren bitteren Früchten vor ihren Augen. Israel richtete sich selbst, bevor sie versuchten, die Missetäter zu richten; sie empfanden, dass der Same genau dieses Bösen, das sie bei den zweieinhalb Stämmen beklagten, und das sie jetzt gemeinsam ausrotten wollten, auch unter ihnen war. Das ist der Geist, in dem der Gläubige, wenn er in Gemeinschaft mit Gott ist, die Fahnenflucht seiner Mitkämpfer beklagt und mit dem Bösen handelt. Gericht muss zuhause beginnen, und wer ist schuldlos? Und da, wo die Sünde eine Auseinandersetzung zwischen dem Herrn und ihren Brüdern ist, so sahen es ja die Israeliten, werden solche, denen die Gnade gegeben wurde, für Gottes Herrlichkeit zu eifern, dies mit großer Reue und gebrochenem Geist tun. Jeder andere Geist ist rein menschlicher Eifer.

Das Schwert menschlicher Rache mag im Namen der Heiligkeit geführt werden, und Pharisäer und Schriftgelehrte mögen den Übeltäter steinigen, und doch wegen ihrer eigenen Herzenshärte größere Schuld haben als der, den sie verurteilen. Doch von Rom anfangend, war das Feuer immer ein übliches „Heilmittel“ für Unordnung in der Kirche.

Die neuneinhalb Stämme erkannten in der Sünder der zweieinhalb Stämme eine Übertretung, die ganz Israel einbezog. „Und ihr wendet euch heute ab von der Nachfolge des HERRN! … so wird er morgen über die ganze Gemeinde Israels erzürnen.“ Wie wenig verstehen die Christen die ernste Wahrheit, dass die Sünde des Einzelnen das Wohlergehen des Ganzen beeinträchtigt (vgl. Vers 20). Es gäbe weniger Gleichgültigkeit einer dem anderen gegenüber und weniger Verlangen, den anderen zu beschuldigen, wenn diese Wahrheit mehr beachtet würde. Der Christ ist kein Einzelkämpfer, er ist eins mit allen Gläubigen. Sein Verhalten hat Auswirkungen auf andere, und das Verhalten anderer hat Auswirkungen auf ihn. Die Auflehnung, der Eigenwille, sagen wir, einer Gruppe von Christen offenbart sich in dem Missfallen Gottes, das auf sein ganzes Volk fällt. Dieses Argument der neuneinhalb Stämme richtete sich kraftvoll an die Herzen der zweieinhalb Stämme und war gleichzeitig eine deutliche Warnung, gegründet auf die Grundsätze der Regierung Gottes.

Das Reine und das Unreine (vgl. Vers 19), bezüglich des Landes, wo sie wohnten, bestimmte sich durch die Gegenwart der Stiftshütte; nicht durch menschliche Gedanken, oder Fragen, sondern durch die Wolke der Herrlichkeit und die Bundeslade. Sie taten gut daran, ihre Brüder zu solch einem heiligen Zentrum einzuladen. Nur da, wo Gott ist, kann sein Volk in Reinheit und Frieden wohnen. Wäre Christus mehr der wahre Mittelpunkt seines Volkes, dann würde seine heilige Gegenwart die Sünde verurteilen und Bitterkeit und Stolz vertreiben.

Nichts beweist den wahren, gottgemäßen Geist der neuneinhalb Stämme besser als ihre Geduld, den Argumenten der 40000 Kämpfer, oder besser der zweieinhalb Stämme, zuzuhören (Jos 22,21). Sie akzeptierten diese dann und der Frieden wurde aufrechterhalten. Ihre Worte waren gut in den Augen Israels, und sie freuten sich, dass der Herr unter ihnen war und sie vor offenem Abweichen von ihm und vor der vernichtenden Hand seines Gerichts und vor der Notwendigkeit des Kampfes gegen ihre Brüder bewahrte. Die Tat der 40000 schien so dunkel zu sein, wie Israel es befürchtet hatte, doch Gott, der die Motive unserer Herzen kennt, gab Israel Gnade, durch geduldiges Nachfragen zu erkennen, was die wahren Motive dieser Tat waren, und bewahrte sie so vor Zerstörung. Würde dieser Grundsatz unter Christen in Auseinandersetzungen mehr beachtet, würden vielleicht manche Trennungen und Bitterkeiten verhindert werden, die, gelinde gesagt, genauso scharf wenn nicht sogar tödlich sind wie die Schärfe des Schwertes.

Nach Verlauf einiger Jahre wandelte sich die Wohlfahrt Israels in Bochim („Weinen“; Ri 2,1). Die traurige Zeit des nationalen Niedergangs begann. Voller Mitgefühl erweckte der Herr Richter, um sein irrendes Volk zu befreien; und zu jener Zeit lesen wir von einem Tag der Erprobung (Ri 5). Wo waren die zweieinhalb Stämme? Inspirierte sie der große Altar, ihr Leben ganz in den Dienst des verheißenen Landes zu stellen? „Gilead ruhte jenseits des Jordan“, blieb bequem zu Hause. „An den Bächen Rubens waren große Beratungen des Herzens.“ Überlegungen der Herzen, große Entschlüsse wurden durch die Kriegsleute gefasst, aber nichts geschah! „Warum bliebst du zwischen den Hürden, das Flöten bei den Herden zu hören?“ Weil man die Flöten der Hirten den Posaunen des Kampfes vorzog? Die Not muss schon groß sein, um einen bequemlichkeitsliebenden Gläubigen in Aktion zu bringen. Tägliche Nähe zu Christus allein bewahrt die Seele vor geistlichem Niedergang. Eifer, Reichtümer, Mühen und Segnungen früherer Tage, als man das Land des Erbteils des Herrn durchzog, werden nicht genügen.

Wo viele sich abwenden, sind solche dreimal glückselig, die „weiterhin“ erben, und an den Trübsalen teilnehmen als gute Streiter Christi Jesu.

Später in der Geschichte Israels sehen wir, wie die zweieinhalb Stämme in die Gefangenschaft geführt werden und das Land Gideon unwiederbringlich verloren geht (1. Kön 22).