Die in diesem Kapitel gefundene Anweisung ist äußerst bemerkenswert und bedeutend und war noch nie von größerer Notwendigkeit als zum gegenwärtigen Zeitpunkt. „Und Mirjam und Aaron redeten wider Mose wegen der kuschitischen Frau, die er genommen hatte.“ Im vorherigen Kapitel war das Volk in Sünde gefallen, klagend über die Nöte und Entbehrungen ihres Pilgerdaseins; und Mose, im Geist aufgebracht über das Benehmen der Menschen und seines Dienstes müde, versagte ebenso; und nun erheben sich Mirjam und Aaron in Rebellion gegen Mose als den Leiter des Volkes. Mirjam war eine Prophetin und Aaron der Hohepriester, während Mose „König in Jeschurun“ war. Folglich ist es die Rebellion des Volkes (denn Mirjam und Aaron sind Stellvertreter Israels) gegen die Ansprüche und Autorität Christi; oder, genauer ausgedrückt, ist es das Volk, das sich seiner Vorrechte bedient als Boten des Herrn, als mit den Mitteilungen Seines Herzens Betraute und demzufolge als Seine Zeugen, die durch den Priester Zugang zu Ihm genießen; das sich also all dieser Vorrechte bedient, um die Autorität abzuschütteln, die Mose als treuer Diener und Verwalter des Hauses des Herrn verliehen wurde. Es ist eine ernste Sache, wenn sich das Volk Gottes der Position bedient, die die Gnade ihnen gewährt, um jene Rechte zu beanspruchen, die einzig Christus zustehen; als ob die Würden, die Ausfluss der Gnade sind, jemals unabhängig von ihrer Quelle sein könnten.

Es hat den Anschein, dass Mirjam der Anstifter der Rebellion war, denn sie wird als Erstes genannt und das Gewicht der Strafe fällt auf sie. Der Anlass, oder der scheinbare Anlass, war die Tatsache, dass Mose eine kuschitische Frau geheiratet hatte. Dies hatte er in der Tat getan, jedoch lange bevor er zum Oberhaupt und Befreier seines Volkes ernannt wurde – nämlich als er in Ägypten von Israel abgelehnt und, durch den Zorn des Königs, in Gefangenschaft getrieben worden war. Daher war in dieser Lage ebendiese Ehe, worüber sie sich beklagten, ein Bild von der Zurschaustellung der souveränen Gnade Gottes, der Seinem geliebten Sohn, aufgrund der Ablehnung durch Israel, eine Braut aus den Nationen gegeben hat, um für immer sein Begleiter zu sein in Herrlichkeit. Mirjam und Aaron waren demnach nicht nur blind für das Handeln der souveränen Gnade des Herrn, sondern auch achtlos gegenüber der Tatsache, dass sie selbst Schuldner derselben Gnade waren; denn Derjenige, der Mose dazu berufen hatte, Vermittler zu sein, hatte ihnen auch ihre jeweiligen Plätze zugewiesen.

Jedoch war Neid die Quelle dieser bitteren Gewässer, wie Vers 2 offenbart. Die Ehe von Mose wurde nur als ein Vorwand gebraucht, um das zu verschleiern, was in ihren Herzen arbeitete. Sie sehnten sich nach Gleichstellung mit Mose, denn sie sagten: „Hat der Herr nur mit Mose allein geredet? hat er nicht auch mit uns geredet?“ All dies war sehr trügerisch und irreführend. Leichtgläubigen Gemütern mag es so erscheinen, als ob Mirjam und Aaron lediglich die Rechte des Volkes Gottes beschützen wollten, indem sie einfach behaupteten, dass sie alle gleichermaßen Brüder waren, da der Herr ihr gemeinsamer Herr war. So etwas ist heute nicht gänzlich unbekannt: Gläubige, die allgemeine Gleichstellung hinsichtlich der Gabe sowie der Position beanspruchen (als ob es Ansprüche geben könnte, wo doch alles aus Gnade ist) bis hin zum Vergessen der Tatsache, dass der Herr als Haupt Seiner Versammlung Gaben gemäß Seinem eigenen Willen gegeben hat. Derselbe souveräne Wille, der Mose in seine Position gebracht hatte, bestimmt die Stellung Seiner Diener in der Versammlung – ein Ort, wo der Herr allein Seine Rechte hat und in der Er gewiss Seine Autorität in Anspruch nehmen wird, wenn Sein Volk sie in Frage stellt oder darin versagt, sie aufrechtzuerhalten. Was wie Eifer auf Seiten von Mirjam und Aaron hätte erscheinen können, war vielmehr also Rebellion gegen die Autorität des Herrn.

Als Nächstes wird berichtet, dass „der Herr es hörte“. Wir mögen es uns durchaus zu Herzen nehmen und uns in Erinnerung rufen, wie nahe der Herr uns ist, sogar in unserem Versagen. Es ist nicht überraschend, dass Er den Unterredungen derer zuhörte, die ihn fürchteten und die sich oft miteinander unterhielten, wie es in Maleachi aufgezeichnet ist; aber die Geschichte von Thomas, ebenso wie die gegenwärtigen Ereignisse, lehren uns das, was wir andernfalls vergessen könnten, nämlich, dass er ebenso unseren sündigen und zweifelnden Worten zuhört (aber mit was für einer anderen Haltung!). Beachte außerdem, dass, bevor Gottes Handeln beschrieben wird, der Heilige Geist, als Er die Worte Mirjams und Aarons hörte, sie zur Seite nimmt und sich zu Seinem Diener Mose bekennt. Dieses ist außerordentlich schön und das Zeugnis nicht weniger. Es heißt: „Der Mann Mose aber war sehr sanftmütig, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren“ (V. 3). Dies, sagen wir es so, ist ein erstaunliches Zeugnis und eines, dass, bezogen auf persönlichen Charakter – ein Charakter, der ganz gewiss durch den Heiligen Geist erzeugt wird – auf die Tatsache hinweist, dass Mose ein deutliches Vorbild auf Christus war (siehe Mt 11,29). Es gibt einen besonderen Grund für die Einführung dieses Zeugnisses an dieser Stelle. Ein sanftmütiger Geist verübelt nie eine Beleidigung, sondern beugt seinen Kopf widerstandslos in der Gegenwart von Bösem, alles klaglos entgegennehmend. Mose würde sich dementsprechend nicht selbst rechtfertigen; und aus genau diesem Grund ist der Herr selbst eingeschritten, um Seinen Diener von den gegen ihn vorgebrachten falschen Anschuldigungen zu befreien (vgl. Röm 12,19). Das Zeugnis seiner Sanftmut gibt daher auch die Veranlassung dafür, dass der Herr Mose und seine Ankläger zu sich bestellte, um mit Ihm bei der Stiftshütte zusammenzutreffen.

Beachte, dass der Herr plötzlich sprach. Er kam plötzlich, um Seine souveränen Rechte zu beanspruchen, und Er sprach „zu“ jedem; denn er musste mit jedem Einzeln verfahren. Sie haben der göttlichen Aufforderung gehorcht, notgedrungen, „und sie gingen hinaus, die drei. Und der Herr kam in einer Wolkensäule herab und stand im Eingang des Zeltes; und er rief Aaron und Mirjam, und die beiden traten hinaus“ (V. 4,5). Es sei angemerkt, dass, während es allen dreien befohlen war, aus der Stiftshütte herauszukommen, nur zu Aaron und Mirjam gesprochen wird, als der Herr hinabkommt, um ihnen zu begegnen. Seine Absicht war, sich mit der Sünde der zwei Aufrührer zu befassen und die Stellung Seines Dieners aufrechtzuerhalten; und, in Seiner liebevollen Art erlaubt Er Mose, anwesend zu sein, um seine eigene Rechtfertigung mitanzuhören. Und welche Rechtfertigung es war! Einem Propheten machte der Herr sich selbst durch eine Vision bekannt und sprach zu ihm in einem Traum; aber weitaus nähere Intimität hatte er für Seinen Diener Mose vorbehalten, welcher treu war in seinem ganzen Hause (s Heb 3,5.6). „Mit ihm rede ich von Mund zu Mund, und deutlich und nicht in Rätseln, und das Bild des Herrn schaut er.“

Hierdurch bezeugt der Herr auf diese bemerkenswerte Weise sowohl die Treue Seines Dieners als auch den besonderen Platz der Nähe, die Er ihm in Seiner Gnade gewährt hatte. Mirjam und Aaron hatten gesagt: „Hat er nicht auch mit uns geredet?“ – „Niemand außer Mose”, ist die Antwort des Herrn, „hat das Privileg, Mund zu Mund angesprochen zu werden“, und: „die Gestalt des Herrn zu schauen“. Eine besondere Bedeutung liegt in dieser Aussage. Sie verweist zurück auf die Abtrünnigkeit Israels, an welcher Aaron und Mirjam ihren Anteil hatten, als Mose allein treu war und als er, in Übereinstimmung mit den Gedanken des Herrn, das Zelt nahm und außerhalb des Lagers in weiter Entfernung aufschlug und es Zelt der Zusammenkunft nannte; denn damals erhob sich die Wolkensäule und stand am Eingang der Stiftshütte (wie in der vorliegenden Szene), „und der Herr redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freund redet“ (2. Mo 33,7–11). Wo waren Aaron und Mirjam zu dieser Zeit? Und trotzdem hatten sie es gewagt, seinen Platz der Vertrautheit mit dem Herrn zu verleugnen und Gleichheit mit ihm zu beanspruchen! Kein Wunder, dass der Herr, nachdem Er dies in ihre Erinnerung gerufen hatte, sagt: „Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen meinen Knecht, gegen Mose, zu reden?“ (V. 8). Dies war durchaus Sünde, und zwar sowohl gegen Heiligkeit als auch gegen Gnade, und infolgedessen entbrannte „der Zorn des Herrn“ gegen sie „und er ging weg“ (V. 9). Aber als die Wolke die Stiftshütte verlassen hatte, wurde gesehen, dass Seine Hand Mirjam heimgesucht hatte; denn sie war aussätzig, weiß wie Schnee. Und Aaron, der sich Mirjam in ihrer Rebellion angeschlossen hatte, werden die schrecklichen Folgen von deren Sünde zu erkennen gegeben. Es gab eine Zeit, da Mirjam, die Prophetin, das Lied der Frauen Israels am Ufer des Roten Meeres angeleitet hatte; und jetzt war sie eine verunreinigte Aussätzige! Wie oft kommt es vor, dass die Natur der Sünde nicht sichtbar ist, bis ihre Früchte geerntet werden! Die Augen Aarons werden geöffnet in dem Moment, in dem er die Strafe sieht, die seiner Schwester auferlegt wurde, und gedemütigt wendet er sich auf einmal an Mose (Mose, dessen Vermittler-Position er verleugnet hatte) und schreit: „Ach, mein Herr, lege doch nicht die Sünde auf uns, durch die wir töricht gehandelt und uns versündigt haben! Lass Mirjam doch nicht sein wie ein Totgeborenes, dessen Fleisch, wenn es aus seiner Mutter Leib hervorkommt, zur Hälfte verwest ist!“ (V. 11.12).

Es ist offensichtlich, dass der Herr mächtig an Aarons Seele gearbeitet hatte; denn nichts könnte vollständiger sein als sein Bekenntnis und seine Fürbitte. Zum einen demütigt er sich selbst durch sein Hinwenden an Mose und bekennt die besondere Autorität, die Mose vor Gott innehat; zum anderen identifiziert er sich selbst vollkommen mit Mirjams Sünde („Durch die wir töricht gehandelt und uns versündigt haben!“). Dann gesteht er ihr gemeinsames Abweichen; und nimmt schließlich an Mirjams Stelle den Platz als Fürbitter ein.1 Mose antwortet augenblicklich auf Aarons Gesuch. Nichts könnte schöner sein als die Selbstlosigkeit dieses sanftmütigen und treuen Dieners in dieser Szene. Er hatte sich selbst den Händen des Herrn überlassen und ist reichlich gerechtfertigt worden; und er reagiert auf Aarons Fürbitte in unerschütterlicher Ruhe und nimmt seinen Platz als Vermittler ein, und er beweist damit, dass keine Spur von schlechten Gefühlen in seinem bescheidenen Geist war, als er sofort zum Herrn schrie: „O Gott, bitte heile sie doch!“ (V. 13). Der Herr hörte das Gebet Seines Dieners. Aber die Sünde Mirjams war nicht nur gegen Gott, sondern auch gegen Mose; und somit wird der Herr sie bestimmte Konsequenzen ihrer Rebellion vor den Augen des gesamten Volkes erleiden lassen. Eine weitaus geringere Sache – selbst wenn ihr Vater ihr ins Gesicht gespuckt hätte – hätte siebentägige Schande mit sich gebracht. Wie viel mehr, als sie als Strafe ihrer Sünde mit Aussatz verunreinigt wurde! Sie wurde als Antwort auf Moses Gebet geheilt; aber musste sieben Tage vom Lager ausgeschlossen werden, bevor sie ihre verlorenen Vorrechte wieder in Anspruch nehmen konnte.

Diese Tatsachen sind sehr lehrreich. Wann immer Sünde vom Volk Gottes begangen wird, wird sie auf ein Bekenntnis hin vergeben (s. 1. Joh 1,9). Dies ist zweifelslos so; aber zur selben Zeit muss der Gläubige, dem vergeben wurde, oft, nachdem ihm vergeben wurde, bestimmte regierungsmäßige Folgen seiner Sünde tragen. Wenn demnach beispielsweise eine Sünde von einem Gläubigen gegen das Volk Gottes begangen wurde, kann dieser, der sie begangen hat, oft von den Privilegien der Versammlung ausgeschlossen sein, noch lange nachdem ihm Vergebung zugesichert wurde. Ferner sollte angemerkt werden, dass die Wiederherstellung der Gemeinschaft ein Resultat der Zeit ist, während Vergebung unmittelbar dem Bekenntnis folgt. Sieben Tage müssen verstreichen, wie im Falle von Mirjam – ein Zeitraum, in dem das Selbstgericht ein vollkommenes Werk vollbringen wird, indem es die Seele dazu bringt, ihre Sünde in Gemeinschaft mit Gott zu betrachten und daraufhin Seinen Standpunkt dagegen einzunehmen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, ist die Wiederherstellung vollendet und die Seele kann wieder in die Versammlung aufgenommen werden als Ausdruck des Vertrauens in ihre Wiederherstellung. Es ist gut, wenn das Volk Gottes diese göttliche Verfahrensweise mit Seelen verstanden hat.

Noch etwas anderes muss beachtet werden. „Das Volk brach nicht auf, bis Mirjam wieder aufgenommen worden war.“ Die Sünde der einen verzögerte das Vorankommen aller Menschen. Fürwahr, wenn die Versammlung mit Zucht beschäftigt ist, und es gibt Zeiten, wenn die Ehre des Herrn es erfordert, dass keine Zeit für Erbauung oder Fortschritt bleibt. Als Achan sündigte, kamen die Siege Israels zu einem Ende; und sie waren gezwungen, sich selbst von Bösem zu reinigen, bevor sie ihre Kämpfe mit dem Feind wieder aufnehmen konnten. Hier also konnte das Lager keinen weiteren Schritt in Richtung Kanaan gehen, bis Mirjam wieder aufgenommen wurde. Dies zeigt die Natur und die Konsequenzen von Sünde in der Mitte von Gottes Volk in einer sehr ernsten Weise.

Mögen wir am Beispiel von Mirjam mehr über das Böse der Sünde vor Gott und auch mehr über unsere gegenseitigen Verantwortlichkeiten lernen.

Fußnote: Darin liegt zweifellos, bei allen Gegensätzen, ein vorbildlicher Hinweis auf die Fürbitte Christi für Israel, gegründet auf sein Sicheinsmachen mit den Sünden seines Volkes am Kreuz, für ein Israel, das mit Aussatz geschlagen war, weil sie die Gnade ablehnten, die sowohl sie selbst als auch die Heiden (die Kuschitin) umfasste.