„Paulus aber sprach: Ich möchte wohl zu Gott beten, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie auch ich bin, ausgenommen diese Fesseln“ (Apg 26,29).

In diesem Abschnitt hat Paulus einen bemerkenswerten Wunsch für Agrippa. Kein Weltmensch, nicht einmal der glücklichste, kann einem anderen so etwas wünschen. Jeden Christen muss Folgendes kennzeichnen: erstens eine vollkommene Befriedigung bezüglich seines Zustandes vor Gott; zweitens der brennende Wunsch, dass die anderen das werden, was er ist: ein Christ.

Wie konnte Paulus sagen: „Ich möchte wohl zu Gott beten, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie auch ich bin, ausgenommen diese Fesseln“? Wir lesen in 1. Timotheus 1,15 seine Meinung über sich selbst: dass er der Erste der Sünder ist, das heißt, dass niemand eine größere Sünde begangen hatte als er. Niemand hatte einen so ausgeprägten Hass gezeigt gegen Gott und gegen diejenigen, die Er liebt. Jetzt aber wünschte Paulus nichts sehnlicher, als dass andere zur Bekehrung kamen. Er konnte nicht allen sein Apostelamt wünschen, denn wenn alle Apostel wären, gäbe es keine Zuhörer. Ebenso wenig konnte er ihnen seinen geistlichen Fortschritt wünschen, weil er selbst damit nicht zufrieden war und noch weiteres Wachstum wünschte (Phil 3,12–14).

Die Geschichte der Menschheit bis zum Tod Jesu ist die Geschichte der Bosheit des Menschen: In allen Umständen, in die er gestellt wurde, hat er nämlich vor Gott versagt. Je mehr ein schlechter Baum gepflegt wird, desto schlechtere Früchte bringt er hervor. Der Stolz des Menschen hasst die Wohltaten Christi: „Jetzt aber haben sie … gehasst sowohl mich als auch meinen Vater“ (Joh 15,24). Paulus übertraf diese Bosheit noch (und ebenso auch wir), denn Gott hatte den Heiligen Geist gesandt und den Mördern von Jesus Vergebung predigen lassen. Nachdem die Juden Jesus abgelehnt hatten, ließ der Heilige Geist ihnen sagen: „Ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt … So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure Sünden ausgetilgt werden“ (Apg 3,17.19). Doch die Juden widerstanden dem Heiligen Geist erneut. Stephanus tadelte sie und erinnerte sie an ihre Geschichte in der Wüste: „Ihr widerstreitet allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr“ (Apg 7,51). Von Natur aus lehnen auch wir, wie die Juden, den Sohn ab und widerstehen dem Heiligen Geist.

Nachdem Jesus schon gekreuzigt war, wurde Er schließlich nochmals misshandelt, und da kamen aus Seiner durchbohrten Seite Blut und Wasser hervor – die Symbole unseres Heils. Gott beantwortet den Hass des Menschen mit einem Zeugnis Seiner Liebe. Der Heilige Geist bot erneut Vergebung an, die jedoch abgelehnt wurde. Stephanus wurde gesteinigt und unter seinen Mördern wird zum ersten Mal Saulus genannt. Er verfolgte die Heiligen sogar bis in die ausländischen Städte.

Auf einer dieser Reisen begegnete ihm Gott. Paulus war der personifizierte Ausdruck des ganzen Hasses des menschlichen Herzens gegen das, was Gott tut. Niemand, weder unter den Priestern noch unter den Juden noch unter den Heiden, war in seinem Hass so aktiv wie Paulus. So können wir von ihm sagen, wie er es selbst tat, dass er der Erste der Sünder war (1. Tim 1,15). Und doch hatte er ein Gewissen, beobachtete er das Gesetz und war sehr religiös. Er war überzeugt, dass er die Gläubigen verfolgen musste, und er handelte darin nach seinem Gewissen und führte die Aufträge der Führer seiner Religion aufrichtig aus. Doch sein Gewissen wurde von seinem Stolz und von Satan verblendet. Das Instrument des Hasses Satans gegen Christus, Paulus, war in den Augen der Welt ein untadeliger Mensch. Aber der verherrlichte Jesus erschien ihm und sprach zu ihm: „Was verfolgst du mich?“ (Apg 9,4). (Er sagt nicht: „meine Jünger“.) Wir alle waren im Grunde wie Paulus (jedoch hatte wahrscheinlich niemand dieselbe Charakterstärke); da war niemand, der so wie Paulus nicht gegen den Stachel ausgeschlagen und dem Evangelium widerstanden hätte. Wir sind von Natur nicht anders, als Paulus war. Das Wort Gottes zeigt uns anhand von vielen Beispielen diese allgemeingültigen Wahrheiten. Die Geschichte von Adam und Eva ist auch unsere Geschichte. Satan hatte zu ihnen gesagt: „Ihr werdet durchaus nicht sterben“ (1. Mo 3,4), und diese Überzeugung im Hinblick auf den zweiten Tod haben die Ungläubigen bis heute.

Aber Paulus ist auch ein Beispiel der Barmherzigkeit Gottes. Gott ließ den Hass von Saulus zu seinem Höhepunkt kommen und bewirkte in weniger als drei Tagen, dass derjenige, welcher der „Apostel“ des Hasses von Menschen und Satan gegen Gott war, der Apostel der Liebe und Gnade Gottes wurde. Durch die Worte „Warum verfolgst du mich?“ wurde Paulus von dem nun verherrlichten Herrn überführt, dass die Versammlung eins ist mit Christus. Das Erste, was Paulus sah, war die Herrlichkeit Christi, der mit Seiner Versammlung eins ist. Petrus hatte den Herrn auf der Erde erlebt und in den Himmel auffahren sehen. Paulus kam durch die Offenbarung des verherrlichten Herrn aus dem Himmel zum Evangelium. Die Gnade Gottes wird ihm bei dieser Gelegenheit auf eine außergewöhnliche Art und Weise offenbart. Das Gesetz und das Gewissen, die äußerlichen Führer der Religion, hatten Paulus dazu getrieben, die Christen zu verfolgen. Daher konnte er, wenn er in seinen Briefen vom Gesetz und vom Gewissen schrieb, ihre Auswirkungen beschreiben; aber auch bei ihm war nun nach seiner Bekehrung die Gnade das vorherrschende Empfinden. Als Gott sich Paulus offenbarte, musste sein Erwachen schrecklich gewesen sein: Denn all das, worauf er sich gestützt hatte, fehlte ihm jetzt und verurteilte ihn; aber bald erkannte er, dass er ein Kind Gottes geworden war. Weil die Versammlung eins ist mit Christus, ist der Christ in die Stellung „in Christus“ versetzt; vom Augenblick seiner Bekehrung an gibt das Einssein des Paulus mit Christus ihm denselben Platz. Er findet dort nicht mehr die Gerechtigkeit des Gesetzes, sondern die Gerechtigkeit Gottes. Gottes Gerechtigkeit ist das Ergebnis Seines Charakters, sie befindet sich in Christus. Paul konnte sich keine höhere Gerechtigkeit wünschen; er hat jetzt Teil an dem Leben Christi, ist eins mit Ihm und weiß sich mit jener Liebe geliebt, mit welcher der Vater seinen Sohn liebt, an dem Er sein ganzes Wohlgefallen hat.

Paulus hatte die Gerechtigkeit Gottes in Christus, das Leben Christi, die Liebe, deren Gegenstand Christus ist, die Herrlichkeit Jesu; konnte er sich selbst und anderen mehr wünschen? Wir, die wir glauben, sind im Besitz der gleichen Schätze. Jeder von uns muss für andere denselben Wunsch haben, wie Paulus ihn hatte: dass sie zur Bekehrung kommen. Wir sind Teilhaber derselben Dinge, wenn wir sagen können, dass wir an Jesus glauben, während viele sich so sehr die Veränderung anderer wünschen, ohne selbst innerlich gefestigt und glücklich zu sein. O ja, wir sind errettete Sünder, von denen Paulus der Erste war, und zugleich sind wir das, was Jesus ist.

Der Glaube hält sich an das Zeugnis Gottes und ersetzt es nicht durch die Vernunftschlüsse des Menschen. Die unendliche Liebe Gottes zu Christus ist auch für uns da und sie befestigt unsere Gedanken und bringt sie zur Ruhe.

[Übersetzt von Manuel Thomas)