Vorbemerkungen zu Vers 31–33

Die Kapitel-Einteilung ist nicht inspiriert, und das wird hier auch deutlich. Die Verse 31–33 gehören inhaltlich zu Daniel 4, und in der früheren Elberfelder Übersetzung begann Daniel 4 mit Vers 31 aus Daniel 3. Hier ist die überarbeitete Fassung der Elberfelder Übersetzung nicht besser geworden. Diese drei Verse sind eine Vorwegnahme dessen, was in Daniel 4 dann geschieht. Nebukadnezar schreibt einen eigenen Brief, und man könnte sagen, er schreibt diesen Brief über seine Bekehrung. Er schreibt an alle Völker der Erde und will ihnen vorstellen, welche Wunder Gott mit ihm getan hat. Der Bericht darüber folgt dann ab Dan 4,1. Die Verse Dan 3,31–33 sind also eine Zusammenfassung dessen, was am Ende sich dann sichtbar zeigt. Das Ende wird also nach vorne projiziert, es wird zuerst gezeigt, was Gott erreicht hat, und dann der Prozess geschildert, der dahin geführt hat. Auch in den Psalmen finden wir oft eine ähnliche Struktur, dass das Ergebnis vorweggenommen wird in den ersten Versen, und dann der Vorgang geschildert wird, der dahin geführt hat.

Nebukadnezar, der König, allen Völkern, Völkerschaften und Sprachen, die auf der ganzen Erde wohnen: Friede euch in Fülle! Es hat mir gefallen, die Zeichen und Wunder mitzuteilen, die der höchste Gott an mir getan hat. Wie groß sind seine Zeichen, und wie mächtig seine Wunder! Sein Reich ist ein ewiges Reich, und seine Herrschaft währt von Geschlecht zu Geschlecht!“ (Vers 31–33)

Nebukadnezar macht hier eine Mitteilung an sein ganzes Reich und betont darin, was der höchste Gott (vgl. Dan 3,26) „an mir“ getan hat; damit bezieht er sich auf das, was er in Kap 4 erlebt. In Kap 3 hatte er erlebt, was der große Gott an denen, die ihm treu waren, getan hatte. Aber jetzt in Kap 4 bekommt er es ganz persönlich mit Gott zu tun. Wir bekommen eine tiefe Ehrfurcht davor, dass Gott diesen Nebukadnezar nicht gehen lässt; er muss jetzt etwas erleben, was ans Mark geht. Und zu sehen, wie Gott das macht mit diesem stolzen und mächtigen Mann, ist zutiefst beeindruckend. Von keinem anderen Menschen in der Heiligen Schrift wird ein solcher Prozess geschildert, dass er den Verstand verlor und zu einem Tier wurde.

Nebukadnezar schildert in diesem offenen Brief nicht seine Größe sondern die Herrlichkeit Gottes. Aber zuerst wünscht er allen Menschen Frieden in Fülle, dass hatte es bei ihm bis dahin überhaupt noch nicht gegeben! Und neu ist dann auch, dass er von den Wundern und Zeichen spricht, die der höchste Gott in dem Kapitel 4 an ihm getan hat. Bislang war bei ihm nie eine Veränderung eingetreten, ähnlich wie die Leute in Jerusalem zur Zeit des Herrn Jesus, die an Seinen Namen glaubten, weil sie Seine Zeichen sahen, die Er tat (Joh 2,23). Aber der Herr vertraute sich ihnen nicht an, weil Er wusste, dass bei diesem angeblichen Glauben keine wirkliche Buße vorhanden war, kein wirkliches Werk an ihrer Seele geschehen war. So war es bis dahin auch bei Nebukadnezar.

Aber jetzt schreibt er von den Geschehnissen des vierten Kapitels, dass Gott sie an ihm getan hatte. Und er nennt sie große Zeichen und mächtige Wunder. Mit diesem Mann waren Wunder geschehen! Und was er dann in Vers 33 über das Reich und die Herrschaft Gottes sagt, lässt sich direkt verbinden mit seinen Aussagen am Schluss des vierten Kapitels (Dan 4,31) – und dazwischen kommt jetzt der Prozess.

Kapitel 4

In Daniel 3 hatten wir Götzendienst vor uns gehabt, den das Haupt des ersten der vier Weltreiche eingeführt hatte und zu einem Zwang für das ganze riesige Reich machen wollte. In Daniel 4 wird uns ein anderer Gedanke vorgestellt, der immer kennzeichnend für die Menschen gewesen ist von Anfang an: Selbstüberhebung, Missbrauch der von Gott verliehenen Macht, Verlust der Beziehung zu Gott. Gerade für Babel ist dieser Charakterzug kennzeichnend, wenn wir nur an den Turmbau zu Babel, der genauso bis an den Himmel reichen sollte, wie hier dieser große Baum im Traum Nebukadnezars (1. Mo 11,4; Dan 4,8).

Gott ist von Anfang der Schöpfung an der alleinige Oberherrscher und König der Welt. David hatte das verstanden, als er den Tempel bauen wollte und dann sein Sohn Salomo dazu von Gott bestimmt wurde und er ihn vor der ganzen Versammlung dazu einsetzte: „Dein, Herr, ist das Königreich, und du bist über alles erhaben als Haupt…und du bist Herrscher über alles…“ (1. Chr 29,11+12). Damit ist die allgemeine Weltherrschaft Gottes des Schöpfers über Seine Schöpfung gemeint, die solange währen wird, wie die Schöpfung existiert. Die erste Unter-Herrschaft hatte Gott dem Adam gegeben; aber schon der erste Mensch hatte die ihm verliehene Fähigkeit und Autorität dazu benutzt, sich gegen Gott zu stellen und sich von Ihm loszumachen. Und dieses Sündenprinzip durchzieht seitdem die gesamte Menschheitsgeschichte. Gott hatte sich Israel als Volk erwählt und wollte ihr König sein (2. Mo 15,18), aber sie waren nicht damit zufrieden, direkt Gott unterstellt zu sein und wünschten einen König wie alle übrigen Nationen zu haben (1. Sam 8,5–7; 19 – 22) – Saul. Dann kam David, der Mann nach dem Herzen Gottes; und schon Salomo, die zweite Generation, versagte kläglich. Selbst diese bevorrechtigte Nation, die eine solche Beziehung zu Gott hatte, hatte versagt. Und dann kommt diese Zeit der Nationen, wo Gott den Menschen der Nationen die Weltmacht überlässt. Sie haben nicht solch eine konkrete Beziehung wie Israel zu Gott, aber sie sollten doch zumindest das Bewusstsein haben, dass Gott noch hinter der Szene steht und sie ihm verantwortlich sind. So kam Nebukadnezar erst dann zur Wiederherstellung, als er zu dieser Einsicht kam, dass die Himmel herrschen. Obwohl er von Gott als das Haupt von Gold eingesetzt wurde, musste er doch anerkennen, dass es einen gibt, der über ihm ist, dass es eine immerwährende Autorität Gottes gibt, die auch ihm seinen Platz gegeben hatte. So schildert es dann Daniel auch dem Belsazar, als er von diesen Erfahrungen Nebukadnezars berichtet (Dan 5,21). Viele Könige in der Geschichte Europas hatten das zumindest im Ansatz verstanden, wenn sie sich als Könige von Gottes Gnaden bezeichnet haben. Nachdem auch diese vier Weltreiche versagt hatten, kommt dann der, den Gott erwählt hat, dem Er das Reich Gottes geben wird. Dann wird ein Mensch wirklich in Übereinstimmung mit Gott über eine Erde herrschen, die in einem neuen Zustand sein wird. Es wird eine Herrschaft sein, die gegründet ist auf Erlösung und Vergebung. Unfassbar, dass sich auch das wieder verderben wird, und das wird dann das Ende der Weltgeschichte sein. Sogar in diesem Reich wird der Mensch beweisen, dass er in seinem natürlichen Zustand unverbesserlich ist und unfähig, die Gedanken Gottes zu tun. 6000 Jahre Menschheitsgeschichte beweisen, dass der Mensch einfach nicht zur Einsicht kommen und nach Gottes Gedanken leben kann und will.

Gott verleiht den Menschen Regierungs-Autorität, Weltmacht, und der Mensch, der ohne Gott lebt, benutzt diese von Gott verliehene Macht zu nichts anderem, als sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen. Das ist das zweite große Kennzeichen aller dieser Mächte und damit auch unserer Tage. Von Anfang an hat Satan den Menschen mit dieser Verlockung versucht, dass sie sein würden wie Gott (1. Mo 3,5). Und bis zum Ende der Menschheitsgeschichte wird er den Menschen dahin verführen, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen. Das heutige Bestreben der Autonomie ist nichts anderes als diese Taktik Satans: „Über uns gibt es kein Wesen, keine Autorität“. Und das wird enden in der Verbindung der beiden Machthaber mit dem wiedererstandenen römischen Weltreich, wenn sich der Antichrist selbst in den Tempel Gottes setzen wird und sich selbst als Gott darstellt und anbeten lässt (2. Thes 2,4).

Es kann angenommen werden, dass die Ereignisse dieses Kapitels zeitlich nicht unmittelbar im Anschluss an Daniel 3 stattgefunden haben, sondern einige Jahre dazwischen liegen und eher in der zweiten Hälfte oder gegen Ende der 43-jährigen Regierungszeit Nebukadnezars geschehen sind. Daniel ist dann hier auch kein junger Mann mehr, sondern eher schon ein Mann mittleren Alters. Das wird auch noch erhärtet durch den Umstand, dass sieben Zeiten = sieben Jahre vergehen sollten, bis Nebukadnezar wieder in den menschlichen Zustand zurückkehrte (Vers 13); und nach der Deutung des Traumes durch Daniel und dem Moment, wo das Wort an ihm vollzogen wurde, vergingen ja auch schon 12 Monate = 1 Jahr (Vers 26).

Ich, Nebukadnezar, wohnte ruhig in meinem Haus und hatte Gedeihen in meinem Palast. Ich sah einen Traum, er erschreckte mich; und Gedanken auf meinem Lager und Gesichte meines Hauptes ängstigten mich. Und von mir wurde Befehl gegeben, alle Weisen von Babel vor mich zu führen, damit sie mir die Deutung des Traumes kundtäten. Darauf kamen die Wahrsagepriester, die Sterndeuter, die Chaldäer und die Wahrsager herbei; und ich trug ihnen den Traum vor, aber sie taten mir seine Deutung nicht kund“ (Vers 1–4)

Was Nebukadnezar jetzt schreibt, ist zu seiner tiefen Demütigung, aber er schreibt es doch allen Völkern. Er schreibt, damit die Menschen seines Reiches wüssten, wie es dazu gekommen ist, dass er jetzt auf einmal ein ganz anderer war. Er sitzt da in seinem Palast und hatte Gedeihen; er war ein mit sich und der Welt zufriedener und glücklicher Mensch, nur – ohne Gott. Über diesen Palast wird er später noch mehr sagen (Dan 4,26+27), nämlich dass er und niemand sonst ihn erbaut hatte. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte, sein Reich war soweit in Frieden. Eine Zeit der Muße, der Sorglosigkeit und des Übermuts ist auch für den König David eine Gefahr und ein Fallstrick geworden (2. Sam 11,1+2). Hat das nicht auch uns etwas zu sagen? Wieviel Muße haben wir oft, und gerade in unseren Tagen des Internets sind die Gefahren so groß, dass wir in solchen freien Augenblicken gerade durch diese vielfältigen fleischlichen Anreize zu Fall kommen!

Dann bekam Nebukadnezar einen Traum, und diesmal vergaß er den Traum nicht. Ganz genau hatte sich dieser Traum in sein Gedächtnis eingegraben, jede Einzelheit. Und dieser Traum beängstigte ihn, obwohl er seine Bedeutung noch nicht verstand. Nebukadnezar empfindet wohl, dass über dem blauen Himmel sich Wolken zusammenziehen, die wahrscheinlich ihn zum Ziel haben. Und wieder ruft er seine Weisen zusammen, und wieder vermögen sie nicht, ihm den Traum zu deuten. Offenbar aber hatte er Daniel dabei vergessen, obwohl er ihn doch zum Obersten aller Weisen von Babel gemacht hatte (Dan 2,48).