In Esra lesen wir von Jubelgeschrei, das sich mit Weinen mischte (Esra 3, 10–13). Ein Überrest war aus der Gefangenschaft in Babylon zurückgekehrt, und die Bauleute hatten den Grund des Tempels gelegt. Anscheinend stand man diesem Ereignis mit gemischten Gefühlen gegenüber. Beides aber war vor Gott angenehm: Freude über Seine Güte (V. 11) und Weinen über den schwachen Zustand des Volkes, der bei weitem nicht ihrer ruhmreicheren Vergangenheit entsprach (V. 12). Beide Reaktionen waren zu jenem Zeitpunkt berechtigt und auch die innere Verfassung war angemessen, der diese beiden Gefühle entsprangen. Es ist jedoch eine traurige Tatsache, daß das Bauen des Tempels kurz danach aufhörte (Esra 4, 24). Haggai und Sacharja weissagen in dieser Zeit, und so wird die Arbeit wieder aufgenommen (Esra 5, 2).

Es ist auffallend, dass der Prophet Haggai bei seinen Ermunterungen für den schwachen Überrest nicht versucht, das Volk noch einmal zu einer der beiden oben beschriebenen Reaktionen zu veranlassen. Die ausschließliche Beschäftigung mit dem, was schon erreicht worden war, beinhaltete eine Gefahr. Es bestand die Möglichkeit, sich der vollbrachten Leistungen zu rühmen (obwohl der Herr es war, der gewirkt hatte). Mit seiner Frage erstickte Haggai jeden Gedanken in dieser Richtung im Keime: „Wer ist unter euch übriggeblieben, der dieses Haus in seiner früheren Herrlichkeit gesehen hat? Und wie sehet ihr es jetzt? Ist es nicht wie nichts in euren Augen?“ (Haggai 2,3). Es war nötig, dass sie sich der Nichtigkeit ihres Werkes bewußt wurden, damit jeder Neigung entgegengewirkt wurde, sich dessen zu rühmen.

Andererseits will Haggai damit nicht sagen, dass sie deshalb weinen sollten, sondern er fährt überraschenderweise unmittelbar mit den Worten fort: „Seid stark ... und arbeitet“ (V. 4). Diese Ermahnung gründet sich weder auf bisher empfangene Hilfe (der Grund der Freude in Esra 3) noch auf einen Vergleich zwischen ihrem gegenwärtigen Zustand und vergangener Herrlichkeit (der Grund des Weinens in Esra 3). Der Prophet stellt ihnen eine zweifache Ermunterung vor, die auf keiner der beiden Tatsachen beruht. Zuerst weist er sie auf gegenwärtige Hilfsquellen hin (der Herr ist mit ihnen, Sein Wort und Sein Geist – Verse 4 und 5).

Dann lenkt er ihre Aufmerksamkeit in einer sehr klaren und bemerkenswerten Weise auf die zukünftige Herrlichkeit. Die Verheißungen „ich werde dieses Haus mit Herrlichkeit füllen“ (V. 7) und „die letzte Herrlichkeit dieses Hauses wird größer sein als die erste“ (V. 9) liefern uns den Schlüssel. Sie verbinden die gegenwärtige Arbeit des schwachen Überrestes mit der zukünftigen Herrlichkeit. Der jetzige Tempel ist vielleicht geringer als Salomos, aber er wird in Verbindung mit einem Tempel gebracht, der größer als der von Salomo sein würde. Ihr jetziger Tempel ist vielleicht nicht von der Wolke der Herrlichkeit erfüllt, aber er wird mit einem Tempel in Verbindung gebracht, der von noch größerer Herrlichkeit erfüllt sein wird. Die Verbindung ist so eng, daß Haggai beide gleichsetzt, indem er feststellt, daß „dieses Haus“ mit Herrlichkeit erfüllt würde und daß die zukünftige Herrlichkeit „dieses Hauses“ die frühere übertreffen würde. Dadurch, daß er den Tempel aus den Tagen kleiner Dinge (Sach 4, 10) mit dem von Herrlichkeit erfüllten Tempel des Tausendjährigen Reiches gleichsetzt, stellt Haggai die gegenwärtige Arbeit auf ein sehr hohes Niveau. Diese neue Perspektive ist eine sehr große Ermunterung, die Arbeit fortzusetzen. Sie war daher ganz in Einklang mit dem Ziel Haggais.

Vergleichen wir heutzutage das Zeugnis, das die Versammlung als Behausung Gottes (Eph 2, 22) hat, mit dem kraftvollen Beginn dieses Zeugnisses in Apostelgeschichte 2 – 4, können wir nur zu dem Ergebnis kommen, daß es „wie nichts“ in unseren Augen ist. Aber das sollte uns nicht von der Arbeit am Haus Gottes abhalten (1. Kor 3,10. Siehe auch Abschnitte über „Auferbauung“ wie z. B. Eph 4, 12.16; 1. Thes 5, 11; Judas 20 etc.). Im Gegenteil! Wir können uns auf unsere heutigen Hilfsquellen verlassen (alle drei stehen uns in größerem Maße zur Verfügung als in Haggais Tagen – Kap. 2,4–5). Im völligen Bewußtsein unserer gegenwärtigen Schwachheit sollten wir dennoch das nicht verachten, was (wenn auch klein) ein Zeugnis für den Herrn und Seine Versammlung ist. Wir sollten es vielmehr als ein Bindeglied zwischen einem kraftvollen Beginn (Apg 2–4) und einer herrlichen Zukunft (Eph 5,27) betrachten.

Wenn Gottes Volk die Dinge aus diesem Blickwinkel betrachtet, wird es sogar in heutiger Zeit ermuntert werden, „sich aufzumachen“ und wieder anfangen, „das Haus Gottes in Jerusalem zu bauen“ (Esra 5,2). In diesem Sinn wird es uns „gelingen durch die Weissagung Haggais, des Propheten... „ (Esra 6,14).