Seit dem Herabkommen des Heiligen Geistes am Tag der Pfingsten wird das Evangelium von Jesus Christus allen Nationen gepredigt. Doch es gibt viele, die diese wunderbare Botschaft in ihrem Leben nie gehört haben. Was ist mit diesen „Unerreichten“? Müssen sie alle verloren gehen?
Die Frage, ob alle, die das Evangelium nicht gehört haben, verloren gehen, wird zuweilen unterschiedlich beantwortet. Wir wollen uns zunächst drei typische Antworten ansehen und danach noch einige grundsätzliche Erwägungen anstellen.
„Alle Menschen, die das Evangelium von Jesus Christus nicht gehört haben, sind verloren.“
Kann das stimmen? Das würde bedeuten: Alle Menschen, die vor dem Kreuz Christi gelebt haben, wären verloren – denn die Nachricht von einem gekreuzigten und auferstandenen Retter war in dieser Zeit unbekannt. Somit würden gläubige Männer wie Abraham, Mose oder David in der Hölle enden. Das ist undenkbar. Hebräer 11 erwähnt viele Glaubende aus der Zeit des Alten Testaments ehrend, und am Ende des Kapitels wird gesagt, dass sie mit uns Christen „vollkommen gemacht“, das heißt mit einem Herrlichkeitsleib in den Himmel eingeführt werden (V. 39.40).
„Alle Menschen, die das Evangelium nicht gehört haben, sind verloren, und zwar seitdem der Heilige Geist (am Tag der Pfingsten) auf die Erde gekommen ist und das Evangelium der Gnade gepredigt wird.“
Auch wenn das präziser klingt: Diese Aussage kann ebenfalls nicht richtig sein. Stellen wir uns einen Mann vor, der in den ersten Jahrzehnten nach Christi Geburt lebte. Wenn es für ihn vor Pfingsten möglich war, mit Gott ins Reine zu kommen (und es gab ja Gläubige vor der Ausgießung des Geistes) – warum sollte es für ihn nach Pfingsten auf einmal nicht mehr möglich sein? Sollte der Himmel für ihn verschlossen werden, weil es ab einem bestimmten Zeitpunkt theoretisch möglich war, die gute Nachricht zu hören? Das ist unmöglich. So eine Vorstellung passt nicht zu einem gerechten und liebenden Gott.
„Viele gehen verloren, die das Evangelium von Jesus Christus nicht gehört haben. Und alle gehen verloren, die das Evangelium gehört haben und es dennoch ablehnten.“
Diese Antwort stimmt! Ja, auch von denen, die das Evangelium nicht gehört haben, werden sicher nur wenige in das Leben eingehen (vgl. Mt 7,13.14). Dazu gehören zum Beispiel Henoch, Melchisedek und Hiob. Viele andere jedoch, die zu ihrer Zeit lebten, taten nicht Buße, lehnten Gott ab und sind daher verloren gegangen.
Wer die große Errettung des Evangeliums verachtet, wird dem Gericht nicht entfliehen; und wer dem Evangelium nicht gehorcht, wird „Strafe erleiden“, „ewiges Verderben“ (Heb 2,3; 2. Thes 1,8.9). Wer das Wort vom Kreuz für Torheit hält, geht verloren; und wer sich vom Weg der Wahrheit abwendet, muss furchtvoll Gericht erwarten (1. Kor 1,18; Heb 10,26.27). Das ist also sicher: Alle, die das Heil in Christus verwerfen, gehen verloren.
Wie können Menschen, die das Evangelium nicht gehört haben, dem Gericht entfliehen?
Ob wir an Menschen denken, die vor dem christlichen Heilszeitalter gelebt haben (sei es ohne oder mit Gesetz), oder an solche, die heute leben und „unerreicht“ sind – die Antwort ist immer gleich: Der Mensch muss an Gott glauben, Ihn ehren (Heb 11,4; Off 14,6.7) und Buße tun. Das ist die „Mindestanforderung“ Gottes an den sündigen Menschen durch alle Heilszeitalter hindurch; das ist das „ewige Evangelium“.
Buße und Sündenbekenntnis finden wir vielfach im Alten Testament, und zwar sowohl bei Israeliten als auch bei solchen aus den Nationen (Ps 32; das Buch Jona etc.). Schon bei Abel sehen wir, dass er etwas von seinem sündigen Zustand verstand: Er brachte ein blutiges Opfer und erlangte dadurch das Zeugnis, „dass er gerecht war“ (Heb 11,4).
Wie kommen Menschen zur Buße, wenn ihnen der Rettungsplan Gottes nicht bekannt ist?
Ich möchte drei „göttliche Zeugnisse“ nennen, durch die ein Mensch, der das Evangelium der Gnade nicht kennt, zur Buße kommen kann:
• die Schöpfung (Röm 1,19.20),
• das Gewissen (Röm 2,14.15),
• Offenbarungen Gottes wie das Gesetz (Röm 2,17 ff.).
Von Natur aus verwirft der Mensch diese göttlichen Zeugnisse. Und dennoch müssen nicht alle, die nur diese Zeugnisse haben, verloren sein. Denn Gott kann an ihren Seelen wirken und sie zur Einsicht und Buße führen, so dass sie mit Ausharren in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unvergänglichkeit suchen (Röm 2,7). Er bringt Menschen ja auch dazu, das anzunehmen, was sie von Natur aus ebenfalls nie akzeptieren würden: das Wort vom Kreuz.
Was ist mit Menschen, die Buße getan haben und in Gottesfurcht leben und dann das Evangelium hören?
Der Hauptmann Kornelius kannte den auferstandenen Heiland nicht, aber er ehrte den wahren Gott und zeigte der Buße würdige Frucht (Apg 10,1 ff.). Als ihm durch Petrus das Evangelium der Gnade gebracht wurde, nahm er die Botschaft freudig auf, wurde mit dem Heiligen Geist versiegelt und ließ sich taufen. Ähnlich war es bei den Jüngern von Johannes dem Täufer, die zwar Buße getan hatten und gläubig waren, aber nicht den Heiligen Geist besaßen, da sie das Evangelium nicht kannten. Als sie es annahmen, konnten sie den Geist empfangen und die christliche Taufe vollziehen lassen – nun waren sie Christen (Apg 19,1–7).
Wer – ohne den Auferstandenen zu kennen – vor Gott über seinen verderbten Zustand Buße getan hat und in echter Gottesfurcht lebt, wird das Evangelium der Gnade dankbar aufnehmen, wenn er es hört. Wahrhaftige Jünger erkennen die Wahrheit (Joh 8,31.32). Wer die Botschaft jedoch ablehnt, beweist damit, dass er noch nie Sündenerkenntnis hatte.
Werden denn nicht alle Gläubigen nur aufgrund des Werkes des Herrn Jesus am Kreuz vom Zorn Gottes befreit?
Doch, selbstverständlich! Jeder Segen Gottes beruht auf dem Tod des Herrn. In der Zeit vor dem Kreuz konnte Gott sein Strafgericht nur deshalb zurückhalten, weil er vorausblickte auf das Blut Christi (Röm 3,25). Die Gläubigen jener Tage wussten natürlich noch nichts von dem vergossenen Blut Christi und konnten deshalb auch nicht daran glauben, wie wir es in der „jetzigen Zeit“ tun dürfen (Röm 3,26). Alle Glaubenden aller Heilszeitalter verdanken jedoch die Rettung vor der Hölle allein Jesus, dem Lamm Gottes, und seinem Erlösungswerk am Kreuz. Manche wissen das schon zu Lebzeiten (glückselig sind sie!), andere erfahren es erst in der Ewigkeit.
Wenn die „Unerreichten“ nicht unbedingt alle verloren sind – was motiviert uns dann eigentlich noch, ihnen das Evangelium zu verkündigen?
Wir Christen sollten uns durch solche rein menschliche Schlussfolgerungen nicht demotivieren lassen, sondern schlicht dem Auftrag des Herrn gehorsam sein und das Evangelium bis ans Ende der Erde tragen (Lk 24,47 etc.). Was Gott in seiner Souveränität unter den „Unerreichten“ wirken mag, ist allein seine Sache und hebt unsere Verantwortung niemals auf. Und bedenken wir auch: Der Glaube an das Evangelium der Gnade führt zu einem gewaltigen Strom des Segens, der weit über den Segen der Gläubigen anderer Zeitalter hinausgeht. Dieser Glaube macht die Seele glücklich, wie sie es auf keine andere Weise werden kann!
Wieso wird das „Schicksal“ derer, die vom Evangelium nicht erreicht werden, im Neuen Testament nicht ausführlich beleuchtet?
Ich denke, das geschieht deshalb, weil es die „Unerreichten“ eigentlich nicht (dauerhaft) geben sollte und auch, damit wir im Blick auf das Evangelisieren nicht noch schläfriger werden. Das Schweigen der Schrift zu manchen Punkten macht uns sicher vorsichtig, und so wissen wir auch nicht, wie viele der „Unerreichten“ den wahren Gott kennen und verherrlichen. Doch dass Gott unter diesen Menschen in seiner Gnade wirkt, möchte ich festhalten, denn ansonsten wären sie ohne Chance, dem Gericht zu entfliehen.
Ein Gott, der Liebe ist, wird aber doch jedem Menschen die Chance geben, seine Lebensschuld loszuwerden und sich mit Ihm zu versöhnen. Und so werden am großen weißen Thron nicht nur die Bücher geöffnet, in denen all die bösen Werke der Menschen verzeichnet sind, sondern auch das Buch des Lebens, in dem die Namen aller stehen, die neues Leben geschenkt bekommen haben (Off 20,12).
Gott wirkt in seiner Gnade auf der ganzen Erde. Er hat es getan, Er tut es und Er wird es tun. Unsere Verantwortung als Christen aber ist es, den Namen seines Sohnes zu bezeugen und den Heiland der Welt allen Menschen bekannt zu machen. „Und er sprach zu ihnen: Geht hin in die ganze Welt und predigt der ganzen Schöpfung das Evangelium. Wer da glaubt und getauft wird, wird errettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,15.16).