Als aber die, die um ihn waren, sahen, was es werden würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und ein gewisser von ihnen schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. Jesus aber antwortete und sprach: Lasst es so weit; und er rührte das Ohr an und heilte ihn (Lk 22,49–51).

Alle vier Evangelien berichten, dass einer der Jünger Jesu dem Knecht des Hohenpriesters ein Ohr im Garten Gethsemane abgeschlagen habe (Mt 26,51–54; Mk 14,46.47; Lk 22,49–51; Joh 18,10.11). Lediglich Lukas, der Arzt, schreibt von der Heilung des Ohrs durch den Herrn.

Wenn wir uns mit dieser Begebenheit beschäftigen, sehen wir einerseits die Sündhaftigkeit der Menschen, andererseits aber auch die Gnade und Macht unseres Herrn.

Die Gefangennahme

Nachdem der Herr Jesus mit Seinen Jüngern das Passah gegessen und das Abendmahl eingesetzt hatte, verließ Er spät abends die Stadt Jerusalem und ging mit Seinen Jüngern in den Garten Gethsemane. Einige Zeit später tauchte Judas Iskariot dort auf, begleitet von 600 römischen Soldaten und einer großen Volksmenge, die Stöcke, Schwerter, Fackeln und Leuchten mit sich führten. Als Judas sich Jesus näherte, wurde die eindringliche Frage an ihn gerichtet: „Judas, überlieferst du den Sohn des Menschen mit einem Kuss?“ (Lk 22,47.48). Doch Judas ließ sich davon nicht beeindrucken und küsste Ihn in seinem Hass überreichlich (Spr 27,6; Mt 26,49). Damit gab er den Schergen das vereinbarte Zeichen. Eine Verwechslung im Dämmerlicht der Fackeln war nun ausgeschlossen. Schon griffen die ersten Hände nach dem Herrn, um Ihn gefangen zu nehmen (Mt 26,50).

Die Frage der Jünger

Die Jünger erkannten den Ernst der Lage und wollten kämpfen, damit der König Israels nicht wie ein Verbrecher abgeführt würde. Sie fragten Jesus, ihren Herrn, ob sie das Schwert ziehen sollten (Lk 22,49). Auch wenn es besser war, zu fragen, als drauflos zu schlagen, so offenbarte die Frage dennoch, dass sie einiges nicht berücksichtigt hatten:

  • Der Kampf war unangebracht. Der Herr hatte kurz vorher gesagt, dass Seine Stunde gekommen sei, und sich der Volksmenge bereitwillig „gestellt“ (Mk 14,41; Joh 18,11). Es konnte nicht nach Seinen Gedanken sein, dass sie Widerstand leisteten. Sollte Er denn den Kelch nicht trinken, den Er gerade aus der Hand des Vaters genommen hatte (Joh 18,11)?
  • Der Kampf war aussichtslos. Was sollten ein paar Männer mit zwei Schwertern gegen diese Übermacht ausrichten? Sie überschätzten ihre Macht und ihre Möglichkeiten.
  • Der Kampf war unnötig. Der, der wenige Augenblicke vorher mit einem „Ich bin es“ Seine Feinde zu Boden geworfen hatte (Joh 18,5), war auf die Hilfe der Jünger nicht angewiesen. Es standen Ihm mehr als zwölf Legionen Engel zur Verfügung (Mt 26,53) – wozu brauchte Er dann „die Zwölfe“’? Sie unterschätzten Seine Macht und Seine Möglichkeiten.
  • Der Kampf war unangemessen. Der Herr Jesus Christus war in Gnade zu den Menschen gekommen und war wohltuend und heilend umhergegangen. Als einmal zwei Jünger Feuer vom Himmel fallen lassen wollten, hatte Er sie getadelt (Lk 9,54). Konnte Er jetzt wünschen, dass sie mit Schwertern für Ihn kämpften?

Christus sollte nicht mit Schwertern der Menschen verteidigt werden, denn Er ging zum Kreuz, wo Ihn Gottes Schwert treffen würde (Mt 26,17)!

Warum Schwerter?

Wie kamen die Jünger überhaupt auf die Idee, mit Schwertern kämpfen zu wollen? War es nicht klar, dass das verkehrt war? Wahrscheinlich verstanden die Jünger die Worte des Herrn Jesus falsch, die Er ihnen wenige Stunden vorher gesagt hatte: „Als ich euch ohne Geldbeutel und Tasche und Sandalen sandte, fehlte es euch wohl an etwas? Sie aber sagten: An nichts. Er sprach aber zu ihnen: Aber jetzt, wer einen Geldbeutel hat, der nehme ihn, und ebenso eine Tasche, und wer keins hat, verkaufe sein Oberkleid und kaufe ein Schwert; denn ich sage euch, dass noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muss: ‚Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden‘; denn auch das, was mich betrifft, hat eine Vollendung. Sie aber sprachen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug“ (Lk 22,35–38).

Die Zeit, in der die Jünger ohne Geldbeutel, Tasche und Sandalen unterwegs waren (vgl. Mt 10,9.10; Mk 6,8.9; Lk 9,3), ging zu Ende, weil Christus verworfen werden würde. Die Jünger würden nicht mehr durch einen auf der Erde lebenden Messias versorgt und beschützt werden. Sie sollten darum in den kommenden Verfolgungen (vgl. Joh 16,1–4) an ihre Sicherheit denken und sich entsprechend verhalten. Das hatte der Herr gemeint, als Er sagte, dass sie sich „ein Schwert“ kaufen sollten (Lk 22,36). Die Jünger aber dachten, Er spräche von buchstäblichen Schwertern, und zeigten Ihm ihre zwei. Der Herr sagte daraufhin „Es ist genug“, womit Er meinte, dass Er in dieser Sache keine Unterweisungen mehr geben wolle. Ob die Jünger diese Aussage auf die Anzahl ihrer Schwerter bezogen hatten und dadurch in ihren falschen Gedanken bestärkt wurden?

Eins wird deutlich: Wenn die Jünger die vielfältigen Belehrungen des Herrn besser verstanden und mehr gebetet hätten (vgl. Lk 22,40.46), wären sie kaum auf den Gedanken gekommen, die Waffen zu ergreifen. So aber regte sich das Fleisch.

Auch bei uns regt es sich schnell, wenn Einsicht in die Gedanken Gottes und die Abhängigkeit vom Herrn fehlt. Selbst kurze Bemerkungen und Fragen verraten dann oft, dass wir wenig von Seiner Gnade verstanden haben und von unseren menschlichen Überlegungen erfüllt sind. Wir befinden uns dann in Gefahr, etwas zu tun, das Ihm nicht gefallen kann. Der beste Schutz davor ist das sorgfältige Lesen der Schrift und das intensive Gebet.

Der Schwertstreich

Die Jünger hatten dem Herrn eine Frage gestellt, aber einer von ihnen wollte nicht auf eine Antwort warten und eröffnete den Kampf. Nur Johannes schreibt, dass es Petrus gewesen sei. Ohne seinen Bericht hätten wir wahrscheinlich vermutet, dass der impulsive Petrus das Schwert ergriffen hat – so aber wissen wir es.

Petrus war immer schnell bereit, zu reden und zu handeln. Als er auf dem sogenannten Berg der Verklärung von drei Hütten redete, wusste er nicht, was er sagte (Lk 9,33). Hier wusste er nicht, was er tat. Seine spontane Art, die zweifellos ihre guten Seiten hatte, wurde ihm bei dieser Gelegenheit zum Fallstrick.

Von einem rein menschlichen Standpunkt aus betrachtet, war seine Tat mutig und ehrenwert. Aber Petrus stellte sich damit gegen die Schrift, die das Leiden und Sterben des Sohnes des Menschen vorhergesagt hatte (Mt 26,54). Petrus sann erneut nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist (Mt 16,23).

Wir müssen annehmen, dass Petrus den Knecht des Hohenpriesters, der Malchus hieß (Joh 18,10), töten wollte. Seine Absicht wird kaum gewesen sein, ein Ohr abzusäbeln. Aber genau das passierte, weil der Fischer Petrus nicht richtig traf. Wenn der Herr jetzt nicht eingegriffen hätte, wäre die Menge gewiss auf Petrus losgegangen. Vielleicht hätte er konkret erfahren müssen, wie wahr das Wort des Herrn ist: „Alle, die das Schwert nehmen, werden durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,52). Petrus machte mit dieser Tat jedenfalls auf sich aufmerksam, was ihm später Probleme bereitete (Joh 18,26).

Der Apostel Petrus fand im Lauf der Jahrhunderte viele Nachahmer: Solche, die sich Jünger Jesu nannten, griffen zu Waffen, um den christlichen Glauben zu verteidigen. Sie handelten damit im Widerspruch zu Dem, der zu Seinen Jüngern hier gesagt hat: „Lasst es so weit.“

Auch wenn wir derartige Gewaltanwendung ablehnen, können wir doch manches lernen:

  • Wir sollten auf Weisungen des Herrn warten können und Hast vermeiden (vgl. Spr 19,2).
  • Wir sollten uns vor Eifer ohne Erkenntnis hüten (vgl. Röm 10,2).
  • Wir sollten für die Wahrheit Gottes in Sanftmut und Milde kämpfen (vgl. 2. Tim 2,24.25).

Wie oft haben wir anders gehandelt und im fleischlichen Eifer unbesonnene Worte gesprochen, die wie Schwertstiche waren (Spr 12,18). Auf diese Weise schlugen wir gewissermaßen Ohren ab – wir sorgten durch unser Verhalten dafür, dass andere ihre Ohren nicht mehr auf Gottes Weisheit richten wollten (vgl. Spr 2,2). Wie bedauerlich ist das!

Die Heilung

Nach der Attacke des Petrus hatte der Herr zu Seinen Jünger geredet und sie vor weiteren Schlägen zurückgehalten. Nun heilte der Herr das Ohr und beruhigte damit die Volksmenge.

Die Heilung von Malchus’ Ohr war in verschiedener Hinsicht besonders:

  • Es war die einzige Heilung des Herrn, in der Er eine Verletzung beseitigte, die durch Gewalt entstanden war.
  • Es war das einzige Wunder, das der Herr an einem vornahm, der ihm Feindschaft erwies.
  • Es war ein Wunder, das nicht verlangt und für das nicht gedankt wurde.
  • Es war das letzte Heilungswunder des Herrn vor Seiner Kreuzigung.

Das Wunder war nötig, um die Jünger zu schützen und um dem Vorwurf, Er sei ein Aufrührer, jede Daseinsberechtigung zu entziehen. Jetzt konnte die Volksmenge auf Seine Frage, warum sie gegen Ihn mit Schwertern und Stöcken ausgezogen sei (Lk 22,52), nicht mehr auf die Aktion des Petrus verweisen. Und Pilatus konnte nicht widersprechen, als der Herr später zu ihm sagte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, hätten meine Diener gekämpft, damit ich den Juden nicht überliefert würde; jetzt aber ist mein Reich nicht von hier“ (Joh 18,36). Auch heute dürfen wir erfahren, dass der Herr Schäden, die wir angerichtet haben, wieder in Ordnung bringt – zu Seiner Ehre und zu unserer Freude.

Wie reagierte die Volksmenge auf Sein Wunder der Gnade? Sie ließen sich davon genauso wenig beeindrucken, wie von dem „Ich bin es“, durch das der Herr sie Augenblicke vorher zu Boden geworfen hatte (Joh 18,5.6). In erschütternder Gleichgültigkeit und Bosheit banden sie die Hände des Herrn Jesus, die eben noch in Barmherzigkeit tätig gewesen waren (Lk 22,54). Dass sie derart Seine Macht und Gnade verachteten, kann nur damit erklärt werden, dass die Stunde der Menschen und die Gewalt der Finsternis gekommen waren (Lk 22,53).

Zusammenfassung

Der niederträchtige Verrat eines Judas Iskariot, das Unverständnis der Jünger, der fleischliche Eifer eines Petrus und der Hass der Volksmenge bilden einen dunklen Hintergrund, die Seine Herrlichkeit nur umso klarer hervortreten lässt. Wie sanftmütig wies Er Petrus und die Jünger zurecht, und wie gnädig heilte Er das Ohr des Malchus, der an der Spitze derer stand, die Ihn wie einen Verbrecher abführen wollten! Er, der bald am Kreuz sterben würde, dachte auch noch in den letzten Stunden Seines Lebens an andere. Seine Demut, Seine Liebe, Seine Gnade, Seine Sanftmut berühren unsere Herzen immer wieder neu und mahnen uns auch, Seine Gesinnung in dieser dunklen Welt mehr zu offenbaren.