Die ersten Verse des achten Kapitels des Briefes an die Römer sind die Zusammenfassung der Wahrheiten, die in den vorhergehenden Kapiteln dieses Briefes entfaltet wurden, und das Ergebnis dieser Wahrheiten ist in der wunderbaren Aussage festgehalten: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“
Für diese Aussage werden zwei Gründe angegeben: Der erste gründet sich auf die Lehre des sechsten Kapitels; der zweite auf die des siebten Kapitels. Gott hat sein „Also“ für die Sicherheit seines Volkes, und es ist ihr Vorrecht, sich dessen bewusst zu sein und zu erkennen dass ihr „Also“ Gottes „Also“ ist.
Grund 1: „Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“
Was ist das Gesetz der Sünde und des Todes? Wir sprechen von Naturgesetzen, durch die zum Beispiel die Sonne scheint oder der Sommer kommt; Naturgesetze, die die natürliche Welt am Laufen halten. Und so wie es in der Natur ein herrschendes Gesetz gibt, so gibt es geistlich gesehen über den Menschen auch ein Gesetz: das Gesetz der Sünde und des Todes. Nicht Gott hat den Menschen diesem Gesetz unterworfen; er hat ihn unschuldig erschaffen und nicht unter der Notwendigkeit des Todes; doch seit dem Sündenfall herrscht das Gesetz der Sünde und des Todes über den Menschen.
Der Mensch ist machtlos, dieses Gesetz, unter dem er sich befindet, zu verändern. Wie der Fisch, der bei einer herannahenden Gefahr über die Wellen fliegt, machen Menschen Anstrengungen, von der Sünde frei zu werden, aber genau diese Anstrengungen demonstrieren nur seine Unfähigkeit, sich selbst zu befreien. Die kurzen Flügel des Fisches ändern ihn nicht in einen Vogel oder befreien ihn von der Gesetzmäßigkeit seiner Existenz, und schon bald fällt er wieder zurück in sein ursprüngliches Element; und der Mensch kann sich nicht selbst aus seiner Natur erheben. Auch durch seine Anstrengungen, sich über seine Natur zu erheben, entflieht er nicht dem Gesetz, unter welchem er geboren ist.
Verdammnis ist mit diesem herrschenden Prinzip der Sünde und des Todes verbunden. Der Mensch fällt in die Verdammnis, wie der Apfel zur Erde fällt. Der Mensch steigt nicht zur Herrlichkeit empor, wie die Flamme aufsteigt. Es ist nicht das Wesen des Menschen, seinen Weg auf Gott und auf den Himmel auszurichten; leider ist es seine Natur, sich so weit wie möglich von Gott zu entfernen und den breiten Weg zu beschreiten.
Dieses schreckliche Gesetz der Sünde und des Todes herrscht überall da, wo das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus nicht zu finden ist. Überall außerhalb von Christus ist der Mensch unter der Herrschaft dieses Gesetzes, ob das im Heidentum, im Christentum, in moralischen oder religiösen Bereichen oder in verdorbenen und profanen Bereichen ist, spielt keine Rolle.
Stellen wir uns vor, wir wären im Winter in der Arktis. Es ist keine Sonne zu sehen, es bleibt mehrere Monate Nacht. Der einzige Weg, dieser langen, langen Nacht zu entkommen, läge darin, die Arktis zu verlassen und südwärts zu reisen, wo das Gesetz des täglichen Sonnenaufgangs und Sonnenuntergangs herrscht. Eine Kerze, die man in der arktischen Nacht anzünden würde, würde doch den Charakter dieser langen Dunkelheit nicht verändern, und die Suche des Menschen nach Licht ist im besten Fall nicht mehr als das Erleuchten seiner Nacht; keine seiner Anstrengungen kann Sonnenlicht produzieren oder ihn aus der Dunkelheit seiner Natur in das wunderbare Licht Gottes bringen.
Doch wir sind freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Gott hat uns durch seinen Geist ein neues Leben mitgeteilt. Der Geist des Lebens, der in Christus Jesus ist, ist uns in unserem hilflosen und verurteilten Zustand begegnet, und nun sind wir in Christus, der auferstanden ist, und dadurch aus unserem früheren Zustand erhoben. Der Christ lebt nicht mehr in dem Element, das ihn natürlicherweise kennzeichnete, und sein Leben besteht allein in Christus Jesus.
Um zu veranschaulichen, wie das Gesetz des Lebens in Christus den Gläubigen von der Verdammnis freimacht, können wir das Geschöpf nehmen, das symbolisch für Auferstehung steht: den Schmetterling. Könnte jemand, der seine wunderbare Geschichte nicht kennt, glauben, dass die langsam kriechende Raupe zu einem schnellen und wunderschön geflügelten Schmetterling wird? Sie kroch und fraß sich durch die Blätter, bis der Zeitpunkt der Befreiung von ihrem ersten Zustand herbeikam. Dann starb sie ihrem ersten Zustand und trat so in das Puppenstadium ein. Der Tod beendete ihre frühere Existenz und ihre frühere Geschichte, und aus dem Tod erwuchs ein Geschöpf voller Schönheit, um ein neues Leben zu leben, andere Nahrung zu fressen und im Sonnenschein zu fliegen.
Doch noch weit wunderbarer ist die moralische Veränderung, die Veränderung der Lebensgewohnheiten, der Gedanken und der Gesinnung, ja des ganzen Wesens dessen, den Gott wirklich bekehrt hat. Der Beweis ist erkennbar und ringt selbst solchen, die nicht in Christus Jesus sind, Respekt ab. Ein solches Beispiel habe ich gerade vor Augen. Ein Mann, der sein ganzes Leben von vielleicht 40 Jahren mit jeder erdenklichen Art von Bösem verbracht hatte, bekehrte sich plötzlich durch eine Predigt von Christus zu Gott. Die Leute seiner Stadt bezeugten die unverkennbare Realität seines neuen Lebens. Seine alten Weggefährten zogen den Hut davor. Auch seine Familie bezeugte es. Das Wunder des neuen Lebens in der Natur, von der Raupe zum Schmetterling, ist nichts im Vergleich zu diesem Wunder der Gnade Gottes, das einen Rädelsführer der Ungerechtigkeit in ein Muster an Gottesfurcht und Freundlichkeit verwandelt hat.
Der Christ ist mit Christus seinem früheren Zustand gestorben, und aus dem Tod Christi, in der Kraft seiner Auferstehung, hat er neues Leben und ist dadurch von dem alten beherrschenden Prinzip der Sünde und des Todes befreit. Der Geist des Lebens, der allein in Christus ist, hat die Befreiung des Glaubenden bewirkt. Er gehört nicht mehr zu dem alten verurteilten Zustand, sondern ist in Christus und „also ist jetzt keine Verdammnis“.
Grund 2: „Denn dass dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem er, seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte.“
Das Gesetz, das dem Menschen durch Mose gegeben war, hatte sich unfähig erwiesen, Gerechtigkeit in den Menschen hervorzubringen, und zwar wegen der Unfähigkeit des moralischen Wesens des Menschen, seinen Geboten gehorsam zu sein. Es war durch das Fleisch kraftlos. Selbst die besten Gesetze machen den Menschen nicht gut. Das Fleisch lieferte wie ein unregelmäßiger und dummer Schüler den Geboten des Zuchtmeisters keine Ergebnisse. Und das blieb so bis auf Christus hin (Gal 3,24). Dann sandte Gott, der das Gesetz gab, seinen Sohn in die Welt in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde, aber nicht um das Werk des Gesetzes zu vollenden, auch nicht um seinen Anweisungen noch etwas hinzuzufügen oder sein Bemühen fortzusetzen, etwas Gutes aus dem Menschen hervorzubringen, sondern um anstelle des ungelehrigen und störrischen Schülers Mensch zu sterben.
Gott sandte seinen Sohn in die Welt, um die Frage der Sünde zu lösen. Das Gesetz stand mit Sünde in Verbindung. Es verbot Sünde. Christus kam und nahm sich dieser Frage an und beendete sie. Gott verurteilte die Sünde, indem er ihn, seinen eigenen Sohn, auf dem Kreuz verließ. Und Gott tat dies, um uns zu befreien, damit in Christus Jesus und mit einem neuen Leben und mit neuer Kraft in ihm die Rechtsforderung des Gesetzes in uns erfüllt werden möchten, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln.