Nach diesem schaute ich in Gesichten der Nacht: Und siehe, ein viertes Tier, schrecklich und furchtbar und sehr stark, und es hatte große, eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und das Übriggebliebene zertrat es mit seinen Füßen; und es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm gewesen waren, und es hatte zehn Hörner. Während ich auf die Hörner Acht gab, siehe, da stieg ein anderes, kleines Horn zwischen ihnen empor, und drei von den ersten Hörnern wurden vor ihm ausgerissen; und siehe, an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Mund, der große Dinge redete“ (Dan 7,7.8).

Hier kommt das vierte Weltreich, das römische Weltreich vor uns. Hier gibt es scheinbar keine Vergleichsmöglichkeit mehr mit einem Tier aus der bekannten Tierwelt, es wird nur noch als ein Tier vorgestellt, aber so schrecklich und furchtbar, dass es keinen Vergleich mehr gibt. Es wird als verschieden von allen Tieren, die vor ihm gewesen waren, beschrieben. Warum? Wir können wenigstens vier Gründe dafür angeben:

  • In dem Ursprung seiner Macht: In der zukünftigen Form des Römischen Reiches bekommt das Tier seine Macht direkt von Satan, es ist satanischen Ursprungs; in dieser Form des zukünftigen Reiches ist es keine Regierung, die von Gott eingesetzt wurde (Röm 13,1).
  • In seinen Eigenschaften: Es weist überhaupt keine natürlichen Eigenschaften mehr auf. Alle vier Tiere sind zwar Symbole, aber es ist doch auffällig, dass es für das vierte Tier keinen Vergleich mehr gibt. Es hat eiserne Zähne und kupferne Klauen (Dan 7,19), Produkte menschlicher Intelligenz und menschlicher Industrie von unwahrscheinlicher Härte und Durchsetzungskraft. Es ist also eine menschliche Konstruktion ohne Beziehung zu der Schöpfung wie bei den anderen Tieren; es ist eine absolute Verschlimmerung von allem, was man in der Natur findet

  • In seinen drei verschiedenen Phasen: Es war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraufsteigen und ins Verderben gehen (Off 17,8); die erste Phase dieses Reiches ist bereits Vergangenheit, und wir leben heute in der Zeit, in der es nicht ist, aber wir sehen schon die Vorboten der zukünftigen Phase, die nach der Entrückung der Versammlung beginnen wird.

  • In seinem Ende: Das Römische Reich wird bei seinem Ende tatsächlich getötet und vollständig vernichtet (Off 19,19–21), während den anderen drei Reichen nur ihre Macht genommen wurde und sie in ihrer Existenz bestehen blieben (Dan 7,11.12); als Weltreich gingen sie unter, aber ohne aufzuhören zu existieren.

Es handelt sich hier also um Rom, aber nicht nur in seiner historischen Form, sondern vielmehr prophetisch in der noch zukünftigen Form. Höchstens den ersten Teil von Vers 7 könnte man noch mit dem ersten Aufleben des historischen Römischen Reiches in Verbindung bringen, aber seine eigentliche Bedeutung hat das Bild dieses vierten Tieres in der Phase des römischen Weltreiches, die bis heute noch nicht entwickelt ist. Die zehn Könige und alles, was mit ihnen zusammenhängt, sind heute noch absolut zukünftig, das hat es in der vergangenen Geschichte des Römischen Reiches noch nicht gegeben. Im Unterschied zu dem Bär, der auch fraß, aber zu seiner eigenen Bereicherung sich alles einverleibte, zertritt dieses vierte Tier alles, was es übrig ließ. Was dieses vierte Tier sich nicht einverleibt, das zerstört es vollständig. Diese Brutalität des vierten Weltreichs wird auch schon in bei dem großen Bild aus dem Traum Nebukadnezars betont (Dan 2,40). In erster Linie richtet sich dessen Grausamkeit gegen das Volk der Heiligen (Dan 7,21).

Eine Anwendung davon können wir machen, wenn wir in unseren heutigen Tagen sehen, wie sich brutale Mächte gegen das Christentum wenden. Hat uns da das vergangene Jahr nicht Schrecken einjagen können? Denken wir an Boko Haram in Nigeria oder den Islamischen Staat im Irak und Syrien, die in nie gekannter Grausamkeit Christen brutal ermorden. Auch auf Europa hat diese Bewegung übergegriffen. Aber wir halten fest, dass wir keine Angst zu haben brauchen, auch wenn der Teufel Hand an die Gläubigen legt (1. Pet 5,7.8). Vielleicht werden wir äußerlich gar nicht widerstehen können, aber innerlich sollen wir standhaft im Glauben bleiben und daran festhalten, dass kein Haar von unserem Haupt verloren gehen wird (Lk 21,16–18). Sie vermögen vielleicht den Leib zu töten, aber danach können sie nichts weiter tun (Lk 12,4). Um das festhalten zu können, ist Glauben nötig. Und wenn wir selbst noch Ruhe haben dürfen, wollen wir unsere Glaubensgeschwister, die in solchen Umständen leben, nicht vergessen und dafür beten, dass sie fest im Glauben bleiben können und vielleicht auch Befreiung erfahren können – Gott ist auch heute noch der Weltenlenker und hält die Zügel in der Hand. Und wir sollten auch für die obrigkeitlichen Gewalten beten, dass sie Entscheidungen treffen, die dem Volk Gottes dienen (1. Tim 2,1.2; Esra 6,10).

Zehn Hörner – zehn Könige?

Ist das eine symbolische Zahl, wenn hier von den zehn Königen gesprochen wird, oder werden es exakt zehn Könige sein? In der Offenbarung steht vielleicht insgesamt mehr die Symbolik im Vordergrund, aber hier in Daniel sind doch Zahlenangaben meist buchstäblich zu nehmen, so dass man schon annehmen darf, dass das kommende Römische Reich aus zehn einzelnen Reichen bestehen wird. Dieser Gesichtspunkt wird in dem Traum Nebukadnezars bei dem vierten Weltreich schon angedeutet, wenn dort von den Zehen gesprochen wird, zwar nicht ausdrücklich von zehn Zehen, aber das ist ja der Normalfall bei dem Menschen (Dan 2,41.42).

Dass es hier ein Tier mit zehn Hörnern ist, weist darauf hin, dass es ein Reich sein wird, nicht zehn einzelne Reiche oder vielleicht sogar zehn aufeinanderfolgende Reiche. Zehn Fürsten gleichzeitig bestehender einzelner Teil-Reiche werden übereinkommen, ihre Macht dem Tier zu geben (Off 17,12.13). Unsere alten Vorväter haben immer von zehn Reichen geschrieben, und nach dem Zweiten Weltkrieg meinte man schnell, in der Neuordnung Europas diese zehn Reiche gefunden zu haben. Aber dann wurden es immer mehr, und heute besteht die EU aus 28 Ländern. Und haben wir nicht in den letzten Jahren miterlebt, wie sich diese Zusammensetzung Europas von heute auf morgen ändern kann? Es ist heute total offen, welche zehn Länder gemeint sind; zählt z.B. Benelux als ein einziges Land oder als drei Länder? Dann müssten wir bald jedes Jahr die Erklärung der Prophetie neu schreiben und an die politische Entwicklung anpassen. Daraus lernen wir wieder, dass wir nicht die Prophetie des Wortes Gottes anhand der Weltgeschichte erklären oder die Prophetie den Realitäten anpassen dürfen. Bleiben wir dabei, dass es zehn Reiche sein werden.

Daniel war von diesen zehn Hörnern absolut beeindruckt, und es muss ihn total beschäftigt haben, und genau dabei wird dann in Vers 8 beschrieben, wie sich dieses Bild auf einmal verändert und zwischen diesen Hörnern ein kleines Horn emporsteigt und vor diesem kleinen Horn drei der zehn Hörner ausgerissen wurden. Offenbar wird es drei Reiche innerhalb der zehn Reiche geben, die eine besondere Stellung oder Vorherrschaft haben und deshalb von dem kleinen Horn vernichtet werden. Der Ausdruck „wurden vor ihm ausgerissen“ meint ein totales Ausreißen mitsamt der Wurzel; diese drei Könige werden also überhaupt keine Stellung mehr haben. Vers 8 zeigt dabei die Seite, dass Gott dahintersteht und diese Entwicklung so führt, dass dieser kommende Fürst Platz bekommt; in Vers 24 wird die Seite betont, dass es das Haupt des Römischen Reiches selbst sein wird, der diese Reiche erniedrigen und sich diesen Platz durch Gewalt aneignen wird. Beide Seiten sind wahr.

Das kleine Horn – der kommende Fürst des römischen Reiches

Dieses kleine Horn hat Augen wie Menschenaugen und einen Mund, der große Dinge redet. Das ist ein Hinweis auf den kommenden römischen Fürsten, der drei Könige erniedrigen (Dan 7,24) und sich absolute Oberhoheit aneignen wird. Dieses kleine Horn ist etwas total anderes als das kleine Horn in Daniel 8,9! Hier ist es das von Satan inspirierte Haupt des Römischen Reiches, das heute in dieser Stellung noch nicht existiert. Wenn es als klein beschrieben wird, deutet das wohl darauf hin, dass dieser Mensch anfangs überhaupt nicht als solcher wahrgenommen wird. Vielleicht hat er zu Beginn äußerlich kein Charisma, nichts Aufsehenerregendes; aber dann wächst er und steigt empor.

In Offenbarung 13,1.2 wird dieser Fürst des römischen Weltreichs beschrieben in dem Tier, das aus dem Meer heraufsteigt. Aus dieser Beschreibung wird deutlich, dass es alle Kennzeichen der vorhergehenden Reiche (Leopard, Bär, Löwe), wie sie hier in Daniel 7 vorgestellt werden, in sich vereinen wird. Die Reihenfolge wird in Offenbarung 13 genau andersherum vorgestellt wie in Daniel 7, was eine ganz einfache Erklärung hat: Als Daniel schrieb, waren diese Dinge noch zukünftig, und als Johannes schrieb, hatte das vierte Weltreich schon begonnen und er blickt zurück.

Die Augen wie Menschenaugen sprechen von Einsicht, teuflischer Einsicht. Und in Offenbarung 13,5 wird zu den großspurigen, prahlerischen, vermessenen Dingen, die er reden wird, noch hinzugefügt, dass er auch Lästerungen aussprechen wird, vom Teufel inspirierte Lästerungen gegen Gott (vgl. Ps 12,4.5). Es ist auffallend, wie diese großen Worte immer wieder bei diesem Haupt des Römischen Reiches betont werden (Dan 7,8.11.20.25). Es sind vermessene Worte gegen den Höchsten, Lästerungen direkt gegen Gott! Dieses ganze Reich wird von Lästerungen gegen Gott gekennzeichnet sein.

Wir leben heute noch nicht in dieser Zeit, aber diese kommenden Ereignisse werfen heute schon ihre Schatten voraus. Gerade in unserer heutigen Zeit erleben wir, dass Gott im christlichen Abendland in einer Weise verspottet und gelästert wird, wie es kaum je zuvor zu finden war. Man spricht in unserer Zeit tatsächlich von einem Menschenrecht auf Gotteslästerung; Gesetze, die die Blasphemie einschränken, seien mit den allgemeinen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar (vgl. Ausführungen zu Dan 7,23–25).

Damit ist der Überblick über diese vier Weltreiche auch schon vollständig. Gott stellt sie relativ rasch vor, aber es wird im weiteren Verlauf deutlich, dass das Hauptgewicht auf dem vierten Weltreich liegt. Aber all diese Entwicklungen geschehen nach Seiner Vorsehung. Und das gilt auch für unsere Zeit heute, in der sich unbeschreibliche Grausamkeiten ereignen dürfen. Wir wissen, dass auch hinter diesem allem Gott steht! Niemals entgleiten Ihm die Zügel!