Es war ein denkwürdiger Tag für Saul, als Samuel ihn zum König über sein Eigentumsvolk Israel salbte und Gott ihm an drei bemerkenswerten Orten drei bemerkenswerte Zeichen gewährte, um ihn auf die große Aufgabe vorzubereiten.

Das, was Saul an diesem Tag erlebte, ist von tiefer Belehrung für jeden, der dem Herrn dienen möchte und Aufgaben im Volk Gottes übernimmt. Darum sollten wir stillstehen und darauf achten, was Gottes Wort uns durch diesen Abschnitt zu sagen hat (vgl. 1. Sam 9,27).

Am Grab Rahels  

Das erste Zeichen ereignet sich an einem historischen Ort: am Grab Rahels. Rahel war die Mutter von Sauls Stammvater Benjamin. Sie starb bei der Geburt Benjamins, den sie in den letzten Augenblicken ihres Lebens Benoni („Sohn meiner Not“) nannte (1. Mo 35,17–18). Not und Tod waren die Vorzeichen, unter denen Benjamin geboren wurde; aber schon Jakob blickte über das Leid hinaus, indem er seinen Sohn Benjamin („Sohn meiner Rechten“) nannte. Und Benjamin wurde einer der zwölf Stammväter des Volkes Israels und nahm innerhalb seiner Familie einen besonderen Platz ein, auch wenn Saul den Stamm als gering erachtete (1. Sam 9,21).

Da, wo der Mensch zu Ende kommt, bringt Gott dennoch Segen hervor. Das ist die Lektion für Saul. Er soll mit sich selbst zu Ende kommen und dem Wirken Gottes in seinem Leben Raum geben. Stolz und Selbstvertrauen sind nicht gefragt. Sein angesehenes Elternhaus, seine beeindruckende äußere Erscheinung, sein Fleiß und seine natürliche Bescheidenheit (1. Sam 9,1.2.4; 10,16) genügen nicht, um eine wichtige Funktion nach den Gedanken Gottes bekleiden zu können.

Wir alle sind aufgerufen, Gott allein zu vertrauen und uns immer wieder bewusst zu machen, dass die Stärke bei Gott ist (vgl. Ps 62,9–12). „Wenn jemand dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus“ (1. Pet 4,11).

Was Saul am Grab Rahels gesagt bekommt, bewegt sich zum Teil auf derselben Ebene: Es begegnen ihm zwei Männer, die ihm mitteilen, dass seine ausgedehnte Suchaktion vergeblich war – andere hatten die entlaufenen Eselinnen gefunden. Diese Erklärung ist umso bemerkenswerter, da Saul das bereits wusste (1. Sam 9,20). Offenbar soll er gründlich darüber nachdenken, dass es eben nicht auf seine Energie und Anstrengung ankommt!

Darüber hinaus hat die Begegnung mit den beiden Männern Saul noch mehr zu sagen: Er muss dankbar sein, dass ihn die beiden Männer auf die gefundenen Tiere aufmerksam gemacht und damit den Schlussstrich unter die mühsame Fahndung nach den Eselinnen gezogen haben. Saul wird gelehrt: Wenn ich auf dem Weg gehe, den Gott mir weist, finde ich treue Männer an meiner Seite, die es gut mit ihm meinen. Zudem erinnerten ihn die beiden an die Zuneigung seines Vaters, dem das Wohlergehen seines Sohnes tausendmal wichtiger war als sein Vieh. Saul, der eine Neigung zu Depressionen hatte, darf wissen, dass er geliebt wird. Ob er sich in seinen Gedanken wohl noch weiter zu Gott aufschwingen kann, der sich für ihn interessiert und ihn liebevoll segnen will?

Das redet auch zu uns. Wenn wir ein Werk Gottes ausführen, sind wir selten auf uns allein gestellt. Da sind solche, die uns wohlwollend raten und uns vor falschen Wegen zurückhalten. Außerdem dürfen wir uns geliebt wissen – besonders geliebt von Gott, dem wir mehr wert sind als viele Sperlinge, und geliebt von unserem guten Herrn. Sicher kann es nicht fest genug in unserem Herz verankert sein, dass wir in uns selbst hilf- und kraftlos sind, aber wir wissen auch, dass der Herr gütig auf uns blickt. Es ist wichtig, beide Tatsachen vor Augen zu haben, um vor Hochmut oder Kleinmut bewahrt zu bleiben.

Bei der Terebinthe Tabor 

Die nächste Station Sauls ist eine Terebinthe, die den Namen Tabor trägt. Der Gegensatz zum vorhergehenden Ort könnte anscheinend kaum größer sein. Das Grab erinnert an den Tod und somit an menschliche Schwachheit (vgl. 1. Kor 15,43). Die Terebinthe, ein gedrungener Baum mit tiefem Wurzelwerk, redet dagegen von Kraft. Passen Schwachheit und Kraft zusammen? Ja, sie gehören sogar zusammen! Paulus sagt: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2. Kor 12,10). Es ist einfach so, dass dem, der seine Schwachheit eingesteht, die Kraft des Herrn reichlich zuströmt.

Die Terebinthe ist für die drei Männer, die Saul dort trifft, nur eine Durchgangsstation nach Bethel. Bethel erinnert wieder an Jakob und Rahel. Denn Rahel starb, nachdem sie aus Bethel gezogen waren (1. Mo 35,16). Und bevor sie nach Bethel kamen, spielte eine Terebinthe[1] eine wichtige Rolle: Jakob begrub dort die fremden Götter, damit er Gott in Bethel einen Altar bauen könne (1. Mo 35,1–5). In Bethel selbst durfte Jakob erleben, dass Gott sich ihm, der ihm auf der Flucht bedingungslose Verheißungen gegeben hatte, erneut offenbarte.

Will Saul seiner Aufgabe als König gerecht werden? Dann muss nicht nur sein Ich in den Hintergrund treten, sondern auch Gott in den Mittelpunkt seines Lebens. Er soll mit einem heiligen Gott Gemeinschaft haben. Das ist aber nur möglich, wenn er das Böse aus seinem Leben und aus seiner Familie räumt, wie Jakob es getan hatte. Aber das ist nicht alles. Die drei Männer, denen er begegnet, haben auch etwas zu bringen. Er soll also nicht nur wegtun, was Gott nicht gefällt, sondern auch etwas haben, was Gott gefällt. Schon im Gesetz Moses wurde gesagt, dass man nicht leer vor dem Angesicht Gottes erscheinen dürfe (5. Mo 16,16).

Wir Christen sollen die heilige Gemeinschaft mit Gott wertschätzen, der unserer Anbetung würdig ist. Das ist der Ausgangspunkt für jeden Dienst, zu dem der Herr sich bekennen kann.

Wie schon beim ersten Zeichen, so erfährt Saul hier die Freundlichkeit anderer. In seine leeren Hände werden zwei Brote gelegt, die er als Reiseproviant sicher gebrauchen konnte. Samuel hat dem neuen König ausdrücklich gesagt, dass er dieses Geschenk annehmen soll (Vers 4), was offenbar nicht unbedingt seinen Vorstellungen entspricht.

Beim Hügel Gottes

Das dritte Zeichen ereignet sich am Hügel Gottes, wo sich Propheten aufzuhalten pflegen. An diesem Hügel haben aber auch die Philister Fuß gefasst. Was soll Saul jetzt tun? Er war doch zum König gesalbt worden, um gegen die Philister zu streiten (1. Sam 9,16). War es daher nicht angebracht, einige Männer zusammen zu trommeln, um einen Kampf gegen diese hartnäckigen Feinde vom Zaun zu brechen? Nein. Samuel hatte ihm geboten, weiterzugehen, um in der Stadt eine Schar Propheten zu treffen. Propheten reden das Wort Gottes. Und auf dieses Wort zu achten und sich danach zu richten, das war die Voraussetzung, um im Kampf gegen die Philister bestehen zu können!

Vor den Propheten gehen nicht bewaffnete Soldaten her, sondern solche, die mit Musikinstrumenten ihre Freude bekunden und das Lob Gottes anstimmen. Sie können schon im Voraus den Sieg bejubeln, weil sie den großen Gott kennen. Diese Verquickung zwischen den Propheten und denen, die Gott loben, wird sehr schön in der Geschichte Josaphats illustriert, dem Gott einen gewaltigen Sieg über seine Feinde schenkte (2. Chr 20,20–23).

Aber Saul wird nicht nur deutlich gemacht, wie wichtig der Dienst der Propheten für sein Königtum und den Kampf gegen die Philister ist, sondern er darf selbst die Kraft erleben, die Propheten in ihrem Dienst treibt. Er wird durch den Geist Gottes in einen anderen Mann verwandelt und beginnt zu weissagen. Das ist das Letzte, was Saul an diesem denkwürdigen Tag durch die Hand Gottes erlebt und es ist zugleich das Höchste.

Bei den drei Zeichen sehen wir sowohl eine Steigerung in der Anzahl der Personen, die Saul traf, als auch in dem, was Saul erlebte. Bei dem ersten Zeichen begegneten ihm zwei Männer und es wurde ihm gesagt, dass er seine mühsame Suche einstellen kann. Bei dem zweiten Zeichen kreuzten drei Männer seinen Weg und er empfing etwas von ihnen. Bei dem dritten Zeichen traf er auf eine ganze Schar von Männern und durfte erleben, dass er selbst unter die Kontrolle des Heiligen Geistes geriet. Gott war nun mit ihm.

Erst nachdem das alles geschehen ist, und Saul gelernt hat im Blick auf sich, im Blick auf Gott und ihm Blick auf die Feinde, soll er etwas tun: „Und es soll geschehen, wenn dir diese Zeichen eintreffen, so tu, was deine Hand finden wird; denn Gott ist mit dir“ (1. Sam 10,7).

Was für eine wichtige Unterweisung für jeden Diener heute! Ein Diener mag wissen, dass er eine bestimmte Aufgabe hat und auch die Bedürfnisse unter dem Volk Gottes klar erkennen, aber das allein ist noch nicht genug, um unter Gottes Segen voranschreiten zu können. Es müssen Bedingungen erfüllt sein, ehe wir Gott auf unserer Seite haben. Paulus schreibt an die Philipper: „Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dies tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein“ (Kap. 4,9).

Der Test in Gilgal

Es scheint so, dass sich Sauls Begegnung mit Samuel in Gilgal unmittelbar an die drei Zeichen anschließt (Vers 8). Doch das ist nicht der Fall. Was in Gilgal geschehen soll, ist eben nicht ein weiteres Zeichen für Saul, um ihn auf das Königtum vorzubereiten, sondern ein Test, ob er seine Lektionen gut gelernt hat. Drei Fragen wird Saul in Gilgal quasi gestellt bekommen und seine Reaktion wird offenbaren, ob er die Lektionen der drei Zeichen verinnerlicht hat: Ist er bereit, zu warten und selbst nichts zu tun? Ist ihm klar, dass Gott durch ihm wohlgefällige Opfer geehrt werden will? Ist er bereit, auf den Propheten Samuel zu hören?

Es ist nicht von ungefähr, dass der Ort Gilgal für diesen Test bestimmt wird. In Gilgal wurden die Israeliten nach dem Durchzug durch den Jordan beschnitten. Bei der Beschneidung wird den Männern die Vorhaut, die sie natürlicher Weise haben, mit einem Messer, dem Sinnbild des Gerichts, abgetrennt. Die Beschneidung spricht folglich davon, dass Gott über den Menschen, so wie er von Natur aus ist, das Gericht bringen muss. Wird Saul etwas davon verstehen, wird er entsprechend handeln?

Nach einiger Zeit ist die Stunde für den Test gekommen (1. Sam 13,8–15). Saul ist in Gilgal und befindet sich in einer prekären Situation. Eine große Heeresmacht der Philister steht zum Kampf bereit, während sich hinter Saul nur einige zitternde Israeliten scharen (1. Sam 13,5.7). Es ist klar, dass er nun auf Samuel in Gilgal zu warten hat. Er tut es zunächst auch, aber sein Ausharren hat „kein vollkommenes Werk“. Schließlich opfert er unerlaubter Weise selbst.

Damit beweist er, dass er seiner eigenen Weisheit vertraut und folglich die Lektion am Grab Rahels nicht in sein Herz gedrungen ist. Er hat auch nicht verstanden, Gott in rechter Weise zu ehren, was ihm an der Terebinthe Tabor gezeigt worden war. Denn die Opferung ist für ihn kaum mehr als eine magisch-religiöse Handlung, die das Unglück abwenden soll (1. Sam 13,12) und er verdrängt, wie wichtig der Gehorsam ist (vgl. 1. Sam 15,22). Die Unterweisung vom Hügel Gottes ignoriert er ebenfalls, denn er achtet nicht auf Samuel, den Propheten Gottes.

Wäre Saul gehorsam gewesen, hätte er bewiesen, dass er seine Lektionen gelernt hat und Gott würde sein Königtum bestätigt haben. Jetzt aber kündigt Samuel an, dass Sauls Königtum nicht bestehen wird und rückt den Nachfolger David ins Blickfeld (1. Sam 13,13.14).

Die weitere Geschichte Sauls zeigt, dass er seinen eigenwilligen Kurs nicht aufgab. Vielmehr verstrickte er sich immer mehr in Stolz, Eigenwillen und Ungehorsam, bis er schließlich auf dem Gebirge Gilboa ein schreckliches Ende fand: Dort trieben ihn die Bogenschützen der Philister in den Tod. Er wurde Opfer der Feinde, die er bezwingen sollte und über die er auch Sieger gewesen wäre, wenn er die Lektionen jenes denkwürdigen Tages gelernt und gelebt hätte!

Saul und Saulus   

Werfen wir noch einen Blick auf Sauls Namensvetter im Neuen Testament, auf Saulus von Tarsus. Äußerlich betrachtet gibt es vieles, was bei diesen Männern ähnlich ist. Beide waren Benjaminiter, stammten aus einem bevorzugten Elternhaus, hatten gute natürliche Eigenschaften und ragten aus dem Volk heraus (Saul durch die Körpergröße und Saulus durch die Gelehrsamkeit). Aber innerlich gesehen waren die Unterschiede größer wie sie größer nicht sein können.

Saul wurde an jenem denkwürdigen Tag in einen anderen Mann verwandelt, worüber sich seine Zeitgenossen verwunderten (1. Sam 10,6.11). Aber diese Verwandlung war nur vorübergehend; Saul blieb das, was er war: ein Mann ohne Beziehung zu Gott. Sein trauriges Leben endete schließlich damit, dass er sich verzweifelt in sein eigenes Schwert stürzte. Saulus von Tarsus wurde auch in einen anderen Mann verwandelt und bei ihm staunten die Menschen ebenso (Apg 9,21). Aber bei Saulus war es eine innere und darum bleibende Veränderung. Aus Saulus wurde Paulus, was „der Kleine“ bedeutet, während Saul nie klein in seinen Augen wurde. Saulus starb, im Gegensatz zu Saul, als Märtyrer durch das Schwert eines anderen.

Saulus, der auch Paulus heißt, hatte verstanden und praktiziert, was Saul an jenem denkwürdigen Tag lernen sollte. Allein ein Blick in das dritte Kapitel des Philipperbriefs – und gerade in diesem Kapitel erwähnt Paulus seine natürlichen Vorzüge – bestätigt das. Er vertraute nicht auf Fleisch (Vers 2), suchte intensiv die Gemeinschaft mit seinem Herrn (Vers 10) und diente Gott in der Kraft des Heiligen Geistes (Vers 3). Kann man das nicht gut mit den drei Stationen verbinden, die Saul durchlief? Und das Bild rundet sich ab, wenn wir an den Test Sauls in Gilgal, dem Ort der Beschneidung, denken und daran, dass Paulus sich in geistlicher Hinsicht als zu der „Beschneidung“ gehörend betrachtet (Vers 3).

Wem gleichen wir, Saul oder Saulus? Wenn wir in die Fußstapfen des Apostels treten wollen, müssen wir uns die Unterweisungen jenes denkwürdigen Tages aus dem ersten Buch Samuel zu Herzen nehmen und dürfen sie nicht, wie Saul, in den Wind schlagen.

[Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Monatszeitschrift “Ermunterung und Ermahnung“ im Jahr 2006, der Artikel wurde überarbeitet, www.imglaubenleben.de]


Fußnoten:

  1. Die Terebeinthe ist auch ein Hinweis auf Gemeinschaft mit Gott, wie es das Leben Abrahams zeigt.