Die neunte Stunde war bei den Juden die Stunde des Gebets (vgl. Apg 3,1). Es war die Stunde, in der in Jerusalem das Abendopfer gebracht wurde. Der Duft des Brandopfers und Speisopfers verbunden mit dem Räucherwerk stieg jeden Tag um diese Zeit als Wohlgeruch zu Gott auf (vgl. 2. Mo 29,38–41; 30,8), während das Volk offenbar vor dem Heiligtum draußen betete.

Gott hatte seine Freude daran, Gebete zu erhören, die zur neunten Stunde vor ihn kamen. Als Elia um die neunte Stunde auf dem Berg Karmel betete, fiel Feuer vom Himmel auf den Altar (1. Kön 18,36–39). Esra betete um dieselbe Zeit und bekannte die Sünde seines Volkes, und Gott schenkte eine Wiederherstellung (Esra 9,5 ff). Auch Daniel bekam eine wunderbare Antwort auf sein Gebet zur neunten Stunde (Dan 9,21). Selbst für den erweckten heidnischen Hauptmann Kornelius, der sich offenbar an die jüdische Gebetszeit hielt, wurde die Gebetserhörung um die neunte Stunde zum Wendepunkt in seinem Leben (Apg 10,3).

Um die neunte Stunde schrie auch unser Herr Jesus mit lauter Stimme: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Aber auf dieses Gebet bekam er keine Antwort. Der Gott, der Elia, Esra und Daniel erhört hatte, schwieg. Sein Sohn, der wusste, dass der Vater ihn allezeit erhört, betete zu ihm und er antwortete nicht. Die Väter hatten zu Gott geschrien und waren errettet worden. „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann“, klagt der Herr Jesus in Psalm 22,7. Das macht uns die ganze Unfassbarkeit von Golgatha deutlich.

Aber weil Gott damals schwieg, kann er jetzt antworten, wenn Menschen zu ihm flehen. Christus hat sich als Speisopfer und Brandopfer Gott dargebracht. Sein Werk hat die heiligen Ansprüche Gottes im Blick auf die Sünde befriedigt, sodass Gott jetzt in Gnade und Vergebung Menschen annehmen kann, die in Reue und Demütigung (sozusagen „um die neunte Stunde“) zu ihm kommen.

Auch wenn seine Heiligen zu ihm flehen, verbindet sich der Wohlgeruch des Opfers Christi mit ihren Gebeten und macht sie vor Gott angenehm – ähnlich wie damals in Israel. Gibt uns das nicht Freimütigkeit, unsere Gebete Gott zu bringen (vgl. Off 8,3–4; 5,8; Ps 141,2). Wir dürfen es jederzeit tun und sind nicht auf bestimmte Gebetszeiten angewiesen.