Nachdem er das gesagt hat, wendet er sich an die Empfänger. Das ist auch sehr interessant. Er nennt jetzt die Empfänger nicht „die Versammlung in Ephesus“ wie im 1. Korintherbrief. Warum haben wir diese Anrede im 1. Korintherbrief, aber hier nicht? Wir müssen einfach lernen, geliebte Geschwister und liebe junge Freunde, solche Fragen zu stellen beim Bibellesen. Ihr müsst euch einfach mal selber Fragen stellen. Ihr müsst die Unterschiede mal sehen lernen. So studiert man das Wort mit großem Nutzen. Wenn man die Unterschiede erstmal erkennt, die da sind, ist man schon einen großen Schritt weiter in der Erkenntnis. Wenn man sieht, dass gar nicht alles so gleich ist. Und dann muss man fragen: Warum ist das so? Das hilft unwahrscheinlich weiter. Also die Frage erhebt sich, warum hier gesagt wird: „Den Heiligen und Treuen, die in Ephesus sind“, und nicht: „der Versammlung in Ephesus“, während es im 1. Korintherbrief so heißt. Die Antwort scheint mir die zu sein: Es offenbart sofort eine Tiefe der Gedanken Gottes. Wenn es um die Ordnung Gottes auf der Erde in seiner Versammlung, in seinem Haus, geht, dann sagt er: „Ich schreibe an die Versammlung Gottes an einem Ort“. Sie ist verantwortlich, diese Ordnung zu stützen. Aber wenn er jetzt an die Gläubigen schreibt, um den Ratschluss Gottes zu enthüllen, dann schreibt er an die „Heiligen und Treuen“.

Und hier möchte ich jetzt mal versuchen auszudrücken, was mich persönlich sehr glücklich macht. Wenn es um den Ratschluss Gottes geht, Geliebte, dann ist sein Herz auf jeden Einzelnen von uns gerichtet. Ich weiß nicht, ob es euch schon mal aufgefallen ist in diesem Kapitel, dass von der Versammlung, also von dieser korporativen Seite, erst ganz am Schluss gesprochen wird, tatsächlich erst in den letzten Versen, und dort in einem Sinn, der noch nicht erfüllt ist. Es ist von der Versammlung in Herrlichkeit die Rede, in Verbindung mit dem auferstandenen Christus. Sie ist selber auch im Himmel. Das ist jetzt noch nicht der Fall. Aber wenn es um den Ratschluss Gottes geht und um Auserwählung, wie wir es gleich sehen werden, dann beginnt er nicht mit der Versammlung, sondern er beginnt mit den einzelnen Heiligen. Und hier lernen wir, dass der Ratschluss Gottes und auch seine Auserwählung sich nicht in erster Linie auf die Versammlung beziehen, sondern auf die Einzelnen, die sie bilden. Es ist sehr auffällig: In irdischen, bösen religiösen Systemen geht das Individuum grundsätzlich unter. In allen heidnischen Religionen zählt die Persönlichkeit nichts. Die Masse ist alles. Im Christentum ist es nicht so. Da ist die höchste Segnung die persönliche Segnung. Jeder von uns persönlich ist angesprochen, ist im Blickfeld Gottes vor aller Zeit. Deswegen heißt es hier: „allen Heiligen und Treuen“ und nicht: „der Versammlung“. Es ist der Ratschluss Gottes, der sich mit dem Individuum beschäftigt. Deswegen habe ich gesagt, dass mich das so glücklich macht. Ich bin der Meinung, und ich glaube, dass es stimmt, dass die höchste Segnung, die es überhaupt gibt, persönlich ist. Die korporative Segnung ist unbedingt nicht zu fassen an Größe. Aber an erster Stelle kommen in Gottes Gedanken die Segnung des Einzelnen und sein Ratschluss für den Einzelnen. Natürlich ist die gemeinsame Freude eine vermehrte Freude, und ich will gar nichts gegeneinander stellen. Aber es scheint mir, dass das der Blickwinkel Gottes ist. Er hat das Individuum vor sich, dich und mich ganz persönlich. Deswegen glaube ich auch, dass wir alle lernen müssen (das hat der Schreiber dieser Zeilen so nötig wie die Leser), das Wort ganz persönlich für mich zu nehmen. Für mich! Dass ich das mal endlich fasse (soweit ich das überhaupt  kann), dass ich gemeint bin. Das ist etwas sehr Persönliches.

„Heilige und Treue“, das sind nicht zwei Gruppen von Gläubigen. Heilige, das sind alle. Ich hatte vorhin den Vers aus Hebräer 10 angeführt, dass wir geheiligt sind durch den Willen Gottes, aufgrund dieses wunderbaren Opfers unseres Herrn. Jeder Christ, ob er es weiß oder nicht, steht in der Stellung eines für Gott Abgesonderten. Das bedeutet das Wort „heilig“. Und wir werden nicht aufgefordert, heilig zu leben, damit wir heilig werden, sondern weil wir es sind. Das ist so beglückend. Und ich habe den Eindruck, dass der Ausdruck „Heilige“ sich auf die ersten drei Kapitel bezieht, weil „Heilige“ ausnahmslos alle Gläubigen umfasst. Und die ersten drei Kapitel dieses Briefes enthalten die eigentliche Lehre, und in den letzten drei Kapiteln haben wir die Ermahnungen, wie es übrigens immer die Weise Gottes ist, dass er mit der Lehre beginnt.

Das möchte ich uns mal sehr ans Herz legen. Wenn wir etwas über das Wort Gottes nachdenken und sogar sagen wollen, dann sollten wir erstmal versuchen zu verstehen, was die Lehre dieses Abschnitts ist. Lehre ist durchaus nicht eine trockene Sache. „Ach, ist ja bloß Lehre“, wenn ich so etwas höhere, dreht sich mir das Herz um. „Bloß Lehre?“ Worauf fußen wir eigentlich, geliebte Geschwister? Worauf fußen wir denn, wenn nicht auf der Lehre des Wortes Gottes. Auch die Praxis ist nötig, aber sie kommt immer an zweiter Stelle. Wenn Beziehungen geknüpft sind, wenn durch die Gnade Gottes Beziehungen existieren, dann ermahnt mich Gott auch diesen Beziehungen entsprechend zu leben. Aber zuerst müssen wir die Beziehung aufzeigen. Das sollten wir uns auch mal ein bisschen merken. Auch wenn wir uns mal ermahnen müssen, lasst uns immer anknüpfen an die Beziehungen, die bestehen, dann ist eine Ermahnung auch viel erfolgreicher.

Und die „Treuen“, wer ist das? Es mochte sein, dass nicht alle Heiligen auch „Treue“ sind. Ich glaube, dass zu jenem Zeitpunkt die Gläubigen in Ephesus durch Heiligkeit und Treue gekennzeichnet waren. Aber es mochte sein, dass der Ausdruck „Treue“ nicht mehr auf alle zutraf. Und in der Tat, Geschwister, wenn wir das letzte Zeugnis dieser Versammlung in Ephesus anschauen, in dem Sendschreiben in Offenbarung 2, dann sehen wir, dass sie eben nicht mehr „Treue“ waren, nicht treu geblieben sind. So liegt hierin eine gewisse Ermahnung: „Heilige und Treue“.

Aber auf der andern Seite macht er deutlich, dass er auch vor einer Versammlung die durch Heiligkeit stellungsmäßig und durch Treue in der Praxis gekennzeichnet war, den Ratschluss Gottes enthüllen kann. Die Versammlung in Ephesus war hier jedenfalls in einem ausgezeichneten Zustand. Der Zustand war so gut, dass er sofort anfangen kann mit der Enthüllung der Gedanken  Gottes, die über jedes Verständnis hinausgehen. Es war ein Zustand in der Versammlung, der ihm das gestattete. Das ist wirklich etwas Erstrebenswertes, dass auch heute, am Ende der Tage, der Zustand einer Versammlung so ist, dass Gott über solche Dinge mit uns sprechen kann.

Dann haben wir einen doppelten Gruß. Im Allgemeinen lesen wir über den Gruß schnell hinweg.  „Gnade und Friede, habe ich hundertmal gelesen, kenne ich alles.“ Ich bleibe immer dabei stehen, auch beim persönlichen Lesen, nicht nur wenn ich darüber spreche. „Gnade und Friede“, es ist ein wunderbarer Gruß, Geschwister, nur habe ich den Eindruck, dass der immer fast gleich oder ähnlich lautende Gruß zum Beginn dieser Briefe ganz verschiedene Bedeutungen hat, entsprechend dem Charakter dieses Briefes. Wenn du die Petrusbriefe liest dann heißt es: „Gnade und Friede sei euch vermehrt“, und er denkt an die Wüstenreise. Das ist nicht der Epheserbrief. Aber Petrus schreibt davon, und ich lese gerne Petrus, weil ich genau weiß, dass meine Füße gerade durch diese Wüste gehen. Das weißt du doch auch ganz genau. Wenn der Zahn weh tut, dann merkst du schon: das ist die Wüste. Ich wollte mich eigentlich mit Christus beschäftigen, aber es tut so weh, ich muss zum Zahnarzt. Wie viele Nöte gibt es, die uns zeigen, dass wir immer noch in der Wüste sind. Was wir dann brauchen, ist Gnade. Und wenn die Gnade Gottes genossen wird, dann stellt sich Friede ein. Es ist das wunderbare Ergebnis von Gnade. Immer. Nie umgekehrt. Gnade kommt zuerst und das Ergebnis ist Friede. Jene Gunst Gottes, die wir nicht verdient haben, das ist Gnade. Und das Ergebnis ist Frieden der Seele. Das brauchen wir in der Wüste.

Aber der Epheserbrief zeigt uns in den himmlischen Örtern. Brauchen wir da auch Gnade? Ja, da brauchen wir auch Gnade, sehr viel Gnade, Geschwister, um den Inhalt dieses Briefes überhaupt ins Herz aufzunehmen. Wir brauchen sehr viel Gnade und einen Zustand des Friedens, der nicht von Gewissensnöten belastet ist, um in die Geheimnisse der Gedanken Gottes einzutreten. Und so habe ich den Eindruck, dass hier der Gruß des Apostels: „Gnade und Friede“, gerade diese Bedeutung hat, die ich eben versuchte zu erklären.

Es ist aber ein doppelter Gruß, auch was den angeht, von dem diese Dinge ausgehen. „Gnade und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.“ Diese wunderbaren Dinge, an denen wir uns gar nicht genug erfreuen können, kommen von Gott dem Vater. Seht, Geschwister, Gott ist der Gott aller Gnade. Das macht mich immer sehr glücklich. Die Gnade, die ich gerade brauche, die hat er. Er ist der Gott aller Gnade. Und wenn wir die Gnade brauchen, uns jetzt mal zu lösen von allem, was uns runterzieht, er wird uns auch diese Gnade schenken, seid gewiss, wenn wir ihn darum bitten. Es ist der Gott aller Gnade, aber er ist auch der Gott des Friedens (Heb  13,20). Es gibt noch mehr Stellen, die ihn so bezeichnen. Gott ist der Gott des Friedens, der in sich immer in Frieden ist, der durch nichts, nicht einmal durch meine Sünden, in seinem Frieden gestört wird. Der Gott, der Frieden zu geben vermag, an den man sich immer anlehnen kann. Dann geht der Friede auf uns über. Sein Thron wird durch nichts erschüttert.

Der Herr Jesus hat auch diese beiden Züge offenbart. Johannes 1 sagt uns, dass er, als er kam, unter uns wohnte „voller Gnade und Wahrheit“. Da haben wir das. „Voller Gnade und Wahrheit.“ Und dann heißt es ein wenig später auch in Kapitel 1: „Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade.“ Der Herr Jesus gibt Gnade um Gnade. Ich habe es schon oft gesagt, dass dieser griechische Ausdruck bedeutet: Gnade gegen Gnade. Eine Gnade löst die andere ab. Das ist ganz beglückend. Wenn die eine Gnade in den Hintergrund tritt, weil ich sie jetzt nicht mehr brauche, tritt eine andere Gnade hervor, die ich jetzt gerade brauche. Wunderbar ist der Heiland, der das gibt. Und in Kapitel 14 sagt er dann: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“

Welch ein Gruß, Geschwister. Den Gruß darfst du mal ganz persönlich nehmen. Das ist ein Gruß, der dir gilt, nicht nur den Ephesern damals. „Gnade und Friede von Gott und dem Herrn Jesus“, das wünscht Gott dir und mir heute. So sollten wir die Bibel mal lesen, dann wird sie ein sehr sehr lebendiges und sprechendes Buch.