Dieselben Gesetzmäßigkeiten, die mit dem geistlichen Tod des Ungläubigen einhergehen, können auch im Gläubigen gefunden werden, sie schwächen und behindern seine Einfalt in der Nachfolge Christi. „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch.“ Es ist wahr, der Gläubige ist nicht im Fleisch (Röm 8,8), er kann Gott durch die Gnade gefallen; und doch befindet sich das Fleisch (d.i. die sündige Natur) in ihm, und soweit dies ungerichtet bleibt, wird es sich als ein sicheres und schmerzliches Hindernis auf dem Glaubensweg erweisen. Daraus folgt, dass es im nicht wiedergeborenen Herzen des Menschen kein Übel gibt, das der von oben Geborene sich leisten könnte, nicht zu verabscheuen. Die Tendenz, vielmehr die Wurzel von allem, befindet sich in seinem eigenen Herzen, obwohl er, der als ein Gläubiger auf den Tod Christi getauft wurde, andererseits zu Recht sagen kann, dass er – dass sein Fleisch mitsamt seinen Leidenschaften und Lüsten mit Christus gekreuzigt ist. Das ist seine Waffe. Er ist gestorben, und er, der somit Gestorbene, ist von der Sünde befreit bzw. gerechtfertigt worden. Wenn wir jedoch der Sünde gestorben sind, wie sollten wir dann weiterhin in ihr leben? Und doch – auch wenn dies aus der Sicht Gottes eine Tatsache ist, denn Er identifiziert den Gläubigen mit dem Tod und der Auferstehung Christi – bleibt dies letztlich eine Tatsache, die allein der Glaube verwirklichen kann.

Der Gläubige macht die fortwährende, schmerzhafte Erfahrung, dass das Fleisch, das sich in ihm befindet, immer wieder den Versuch unternimmt, seine Feindschaft gegen Gott zu offenbaren; denn es ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, und das ist ihm auch überhaupt nicht möglich. Ganz praktisch stellt der Gläubige fest, dass das Fleisch noch lebt und tatkräftig darum bemüht ist, das Böse zu tun, und dass der Sieg nicht durch den Kampf mit dem Fleisch davonzutragen werden kann, denn das ist nicht das von Gott verordnete Mittel und damit auch nicht die Hilfsquelle, die der Glaube bereitstellt. Dies ist nicht die Art und Weise wie wir, vom Geist Gottes durch den Apostel angewiesen, mit der Sünde umgehen sollen. Denn nachdem er gesagt hat, „haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus“ fügt er noch hinzu: „So herrsche denn nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib, um seinen Lüsten zu gehorchen.“

Der Glaube, der uns aufgrund des Todes Christi – wodurch das Strafgericht Gottes über die Sünde vollzogen wurde – der Sünde für tot hält, ist die Waffe, die uns ganz praktisch tagtäglich den Sieg über die Anstrengungen der Sünde erleben lässt. Wenn jedoch der Gläubige – unwissend um das gewaltige Schwert, das ihm durch die göttliche Waffenrüstung zur Verfügung gestellt ist – den Versuch unternimmt, mit einem seiner eigenen kümmerlichen Waffen dem Feind gegenüberzutreten, sollte es da verwundern, dass er in dem Kampf scheitert? Wenn er sich, nachdem er durch den Glauben gerechtfertigt worden ist, im tagtäglichen Christenleben unter das Gesetz stellt, ist es dann erstaunlich, dass der Widerstand sich erneut aufbäumt, dass die Verirrungen des Fleisches wiederum lebendig werden, dass sich das Gesetz von neuem als ein Dienst der Verdammnis erweist? Ganz sicher nicht! Es ist das Wissen um die Gnade, es ist das Wissen um das, was die Gnade Gottes bewirkt hat, als sie uns mit dem Einen verbunden hat, der aus den Toten auferweckt worden ist – weit erhoben über alle Gesetzesforderungen und die Folgen der Sünde –, einsgemacht mit Seiner eigenen heiligen und gesegneten Aufnahme in die Gegenwart Gottes; dies ist es – unaufhörlich klar und deutlich und immer wieder von neuem vor und in unsere Herzen gestellt durch den Heiligen Geist –, was uns ermöglicht für Gott Frucht hervorzubringen. „Denn die Sünde“, so sagt der Apostel, „wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade.“

Der unbekehrte Mensch, so er sich überhaupt Gedanken über Gott und seine Seele macht, stellt sich natürlicher- und notwendigerweise unter das Gesetz und stellt unter Beweis, dass das der Weg des Gesetzes den Tod bringt. Der bekehrte Mensch bewegt sich in Bezug auf seinen Lebenswandel, wenn nicht sogar was seine Errettung anbelangt, in dieselbe Richtung und ist in dem Maß, indem er in die Gesetzlichkeit abrutscht, kraftlos für Gott und läuft Gefahr in der Weltlichkeit zu versinken. Daher lasst uns, liebe Brüder, Gnade haben, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen können mit Frömmigkeit und Furcht. Denn auch unserer Gott ist ein verzehrendes Feuer. Wenn auch das Fleisch jetzt sagen wird: Lasst uns in der Sünde verharren, auf dass die Gnade überströme; so besteht doch das Heilmittel für uns nicht darin, die einzige Quelle der Heiligkeit und der Errettung wegzuwerfen. Die Gnade Gottes ermöglicht nicht allein unsere Errettung, sondern unterweist uns auch, dass wir die „Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf“ (Tit 2,12).

Es ist jedoch weitaus gefährlicher für den Gläubigen, wenn er sich nur bruchstückhaft des Handelns Gottes bewusst wird, woraus Satan dann Kapital schlägt, indem er die betreffende Person für die Frage nach dem Willen Gottes gleichgültig macht. In der Praxis findet man dies oft in Form der viel zu weit verbreiteten und durch Gottes Wort korrigierten Gewohnheit – die einige Christen sogar verteidigen würden –, nämlich auf die Vorsehung (Umstände) zu blicken und damit, mit anderen Worten, nicht im Glauben sondern im Schauen zu leben. Der Gläubige ist jedoch dazu aufgerufen, so zu leben als sehe er den Unsichtbaren: „Wir dienen dem Herrn Christus.“ Es ist vergleichsweise leicht, sich so zu verhalten, wie es die Umstände zu verlangen scheinen, und wenn mir diese Umstände dann zu einer scheinbar gottgegebenen Verhaltensregel werden, so bedeutet dies nichts anderes als zugunsten der Vorsehung den Wandel im Glauben aufzugeben. Wehe uns! In wie viele Gruben führt dieser blinde Führer den unachtsamen bzw. den untreuen Christen? Selbst die arme ungläubige Welt redet gerne in einer theoretischen Art und Weise von „glücklicher Fügung“. So etwas erfordert keinen Glauben; ja es bedeutet sogar den auch heute immer noch handelnden Gott außen vorzulassen, der sich zu uns herablässt, um Seine Kinder mit Seinen Augen zu leiten; ein Gott, den wir durch Jesus kennen gelernt haben – der uns nahe gekommen ist und uns nahe zu Sich gebracht hat. Sie ziehen es vor eher über abstrakte Ideen zu sprechen, als über die Tatsache, dass wir so nahe zu dem lebendigen Gott gebracht worden sind. Der Ausdruck „glückliche Fügung“ ist ein geläufiger und wohlklingender Ausdruck, wohingegen, „Gott ist geoffenbart worden im Fleisch“ eher befremdend und unpassend erscheint. Praktisch gesehen bedarf es wenig Geistlichkeit, die Hand Gottes in den Umständen zu sehen; es erfordert jedoch große geistliche Kraft, die Absicht hinter den Umständen zu erfassen und inmitten der Umstände Christi Fußstapfen deutlich zu erkennen. Der Gläubige sollte nicht durch das, was er sieht, sondern allein durch das, was er nicht sieht geleitet werden.

Daher ist es besonders wichtig, ein ungeteiltes Herz bzw. ein einfältiges Auge zu haben. Nur auf diese Art und Weise wird der ganze Leib licht. Wenn mein Auge anstatt auf Christus auf die Umstände gerichtet ist, dann werde ich ganz bestimmt in die Irre gehen. Es geht hier weder um die Leugnung der glücklichen Fügungen Gottes noch darum, dass ein Christ diese ohne einen Verlust zu erleiden außer acht lassen könnte. Was herausgestellt werden muss, ist jedoch, dass Umstände niemals der angemessene Führer für das Handeln eines Christen sein können und dass die Umstände immer im Licht des vollkommenen Wortes Gottes beurteilt werden müssen. Außerdem glaube ich, dass, während Gott auf der einen Seite häufig Umstände aufgrund unseres mangelnden Glaubens verändert, Er auf der anderen Seite die Umstände oft derart gestaltet, um so vorhandene Treue zu prüfen oder ihr Nichtvorhandensein unter Beweis zu stellen. Mit anderen Worten, ein Christ mag in eine Position kommen, die er nicht erstrebt hat, sondern von Gott herbeigeführt wurde, die er trotzdem im Glauben aufzugeben hat bzw. in der er nicht bleiben darf, auch wenn die göttliche Vorsehung die Umstände so geführt haben mag. Die biblische Geschichte des Mose gibt uns davon eine bemerkenswerte Illustration. Ich spreche hier nicht von dem Glauben, der Moses Eltern kennzeichnete, denn es handelte sich um Glauben – und nicht lediglich um elterliche Liebe –, Glauben, der sie dazu brachte, ihr Kind drei Monate zu verbergen: „sie fürchteten das Gebot des Königs nicht“ (Heb 11,23).

Ich spiele hier auch nicht auf die Hand Gottes an, welche die Dinge verändert, die dem Glauben der Eltern begegnete und die Ereignisse so arrangierte, dass Gottes zukünftiger Plan mit Mose und seinem Volk verwirklicht werden würde. Sondern es ist das Verhalten des Mose, dass so voll von Belehrungen für den Mann Gottes ist, der verstehen möchte, was das wahre Gewicht ist, das der Glaube im Vergleich zu den von Gott zuvor geführten Umständen einnimmt.

„Durch Glauben weigerte sich Moses, als er groß geworden war, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, und wählte lieber, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, indem er die Schmach des Christus für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung.“

Hier nun erfahren wir, dass es – so sicher wie die Vorsehung Mose in das Haus von Pharao brachte – der Glaube war, der ihn wieder von dort hinausführte. Nirgendwo ist das göttlich gefügte Handeln deutlicher durch den Finger Gottes gekennzeichnet, als hier in der vor uns liegenden Geschichte. Trotz des Gebots des Königs nahm Pharaos Tochter den geächteten Mose auf und zog ihn als ihren eigenen Sohn groß. Die Vorsehung Gottes hatte ihn in eine erhabene Position gebracht, die er weder erstrebt noch erwartet hatte. Und dazu war er auch noch sehr gebildet, „unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter“ und „mächtig in seinen Worten und Werken.“ Warum sollte er sich seine Fähigkeiten und seine Weisheit nicht zunutze machen – warum sollte er den Einfluss, den er aufgrund seiner hohen Stellung, und seiner Nähe zu den edelsten Persönlichkeiten des Reiches, besaß, nicht geltend machen – warum sollte er derart augenscheinliche Geschenke der Vorsehung nicht weise und dankbar zum Dienst an Gottes Volk nutzen? Was für ein Segen wäre es gewesen, wenn Pharao, der Tyrann, in einen Förderer Israels verwandelt worden wäre! Und welch ein Werk hätte lohnender sein können für jemanden, der ohne eigene Ambitionen oder eigene Bemühungen, auf eine so ungewöhnliche Weise in die unmittelbare Nähe des Throns dieser Welt gebracht worden war? Welchen Dank würde er der erhabenen Person entgegenbringen, die ihn so sehr mit ihren Liebenswürdigkeiten überhäuft hatte? Und mit welcher Absicht hatte Gott alles so wunderbar bereitet, wenn nicht mit dieser, dass Mose Ägyptens Zepter zur Befreiung und Förderung von Gottes Volk gebrauchen sollte? Doch nein! Der Glaube erledigt sich sofort all dieser Überlegungen, die sich auf die glückliche Fügung Gottes gründen. „Durch Glauben weigerte sich Moses, als er groß geworden war, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen.“ Mose stellte sich schlicht und einfach die Frage: Hat Gott an dem, was ich hier tue, Gefallen? Wo ist das Herz Gottes? Ist es nicht bei seinem Volk?

Das Volk Gottes mag leiden, bedauernswert und schmachvoll. Es mag wenig davon verstehen und unangemessen auf die Liebe und auf den Glauben reagieren, der bereit war, auf alles zu verzichten. Das Volk mag die Gunst des Sohnes der Tochter Pharaos bei weitem einem hingebungsvollen Moses vorziehen, der seine Stellung aufgab und stattdessen lieber mit dem Volk leiden wollte; für Mose jedoch war es ausreichend, dass es sich bei diesen armen Gefangenen um Gottes Volk handelte. Es genügte ihm nicht, dass dort, an dem prachtvollen königlichen Palast Ägyptens, zwar sein Herz bei ihnen, er jedoch selbst weit von ihnen entfernt, war. Sein ungeteiltes Herz urteilte, dass alles, was die Tochter Pharaos ihm zu bieten hatte, lediglich die zeitliche Ergötzung der Sünde sein konnte. Er verzichtete ganz bewusst auf die glanzvollen Ehrerweisungen und den weltlichen Einfluss, womit die Vorsehung ihn überhäuft hatte, stattdessen erachtete er die Schmach des Christus für größeren Reichtum als alle Schätze Ägyptens. Womit identifizierte sich Gott: mit Pharaos königlichem Palast oder mit Israel im Feuerofen? Wäre Mose der Vorsehung gefolgt, so hätte er versucht Israel beizustehen, ihm Erleichterung zu verschaffen und das Volk letztlich, aufgrund der Möglichkeiten, die ihm durch seine Stellung zur Verfügung standen, befreit; der Glaube jedoch, brachte ihn dazu, mit der Welt zu brechen und sich mit dem Volk Gottes zu identifizieren. Die Welt hasst Gottes Volk und es mag sein, dass es ihr gestattet wird, dieses zu versklaven; kann die Welt jedoch Gottes Volk segnen? Nie und nimmer! Moses, als ein Mann des Glaubens, wäre vor dem Gedanken zurückgeschreckt, der Welt etwas Derartiges zu ermöglichen. Es würde die Welt zu etwas Großem machen; denn ohne Widerspruch wird das Geringere von dem Besseren gesegnet. Aus diesem Grund hat Moses alles aufgegeben und sich allein auf Gott gestützt. Er versuchte nicht den damit verbundenen Nachteilen, dem Leid und der Schmach aus dem Weg zu gehen. Ganz im Gegenteil: Er wählte all das, weil Gott in all dem zu finden war; und Moses verlangte danach, dort zu sein, wo Gott war und bei denen, die Gott liebte. Auf welche Weise die Glaubenstaten des Mose die Empfindungen Gottes für sein Volk widerspiegelten, kann man in 2. Mose 3,7–9 nachlesen.

Und so sehen wir, dass uns die Vorsehung in eine Stellung bringen kann, von der Gott wünscht, dass wir sie nicht nutzen, sondern aufgeben. Rein äußerlich mögen es zwar die bestmöglichsten Umstände zu sein; der Glaube fällt jedoch ein gegenteiliges Urteil, denn der Glaube sucht nicht die eigene Ehre, sondern die Ehre Gottes; er sucht nicht die eigene Bequemlichkeit, sondern hält Ausschau nach der Erlösung, die Gott wirkt. Glaube beruht auf den Verheißungen Gottes an sein Volk und schaut auf die Belohnung.

[Übersetzt von Andreas Albracht]