„Und als er dies gesagt hatte, hauchte er in sie und spricht zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22).

Zwischen dieser Stelle und dem Geschehen in Apostelgeschichte 2 gibt es einen großen Unterschied. Aus Johannes 7,39 geht hervor, dass der Heilige Geist den Gläubigen erst verliehen wurde, dass er erst kam, um im Sinne von Apostelgeschichte 2 in ihnen zu wohnen, als Jesus verherrlicht war. Auch aus den Worten des Herrn selbst kann man erkennen, dass er die Handlung in Johannes 20 überhaupt nicht als Vorwegnahme der speziellen Segnung von Pfingsten betrachtete (vgl. Lk 24,49; Apg 1,4.5). Ein klares Verständnis hiervon bereitet uns auf die Bedeutung der Worte des Herrn in Johannes 20 vor: „Empfangt Heiligen Geist.“ Eigentlich ist das die Erfüllung von Johannes 10,10: „Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Überfluss haben.“ 

Vor dem Kreuz, während seines Erdenweges, hatten die Jünger, die wirklich an ihn glaubten, Leben; aber nur von ihm als dem Auferstandenen konnten sie es „im Überfluss“ empfangen. Die Tatsache, dass sie es so empfingen, setzt den neuen Platz voraus, den der Herr als der aus den Toten Auferstandene einnimmt. Er war in seiner Menschwerdung der zweite Mensch; doch er nahm diesen Platz nicht ein und war erst nach seiner Auferstehung in dem „Zustand“ des zweiten Menschen.

Das verleiht der Szene in Johannes 20 seine ganze Bedeutung. Durch Maria hatte Jesus den Jüngern bereits offenbart, dass sein Vater nun ihr Vater und sein Gott ihr Gott war. Er hatte sie also mit sich in seinen Beziehungen verbunden; und er war von jetzt an das Haupt eines neuen Geschlechts. Als er dann in ihre Mitte trat, wo sie versammelt waren, und ihnen Frieden zugesprochen hatte, ihnen seine Hände und seine Seite gezeigt und ihnen geboten hatte, in der Kraft des Friedens, den er ihnen verliehen hatte, auszugehen, teilte er ihnen das Leben im Überfluss mit, um sie zu befähigen, ihren neuen Platz und ihre neuen Beziehungen einzunehmen: ein Leben, dessen Fülle die Gleichförmigkeit mit seinem eigenen Zustand in Herrlichkeit bedeuten würde.

Man sollte auch bedenken, dass die Form, in der er ihnen den Heiligen Geist als die Kraft des Lebens mitteilte, dessen Bedeutung erklärt. „Er hauchte in sie“; und in 1. Mose 2,7 lesen wir dazu: „Und Gott der Herr bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele.“ Der erste Mensch wurde durch die Verleihung göttlichen Odems lebendig gemacht, „wurde eine lebendige Seele“; der „letzte Adam“ hauchte als lebendigmachender Geist von seinem eigenen Leben in Auferstehung in seine Jünger, und sie lebten in dessen Kraft durch den Heiligen Geist. Dieser Gegensatz schließt zweifellos die Wahrheit über die Person des Herrn ein, aber darauf gehen wir hier nicht ein.

Das ist also, nach unserem Verständnis, die Wahrheit dieser Szene und Handlung. Was die Jünger auf diese Weise empfingen, war der Heilige Geist als die Kraft des Lebens, gemäß dem was wir in Römer 8,1–11 finden; auf den Empfang des innewohnenden Geistes als Kraft, als Salbung und Unterpfand, Siegel und Geist der Sohnschaft mussten sie noch bis zum Pfingsttag warten. Und folglich wurden sie erst zu Pfingsten in die volle christliche Stellung gebracht.