Esther naht sich dem König – Ein Bild des jüdischen Überrests, der zu Gott ruft

Sobald Esther über das furchtbare Los ihres Volkes in Kenntnis gesetzt ist, wird ihr geboten, „dass sie zum König hineingehe, ihn um Gnade anzuflehen und vor ihm für ihr Volk zu bitten“ (Est 4,4–9). Aber das war etwas, was sie bisher noch nicht getan hat und wovor sie sich fürchtet, denn niemand kann aus freien Stücken in die Gegenwart des Königs treten, ohne getötet zu werden. Es spricht von der Tatsache, dass niemand nach seinen eigenen Vorstellungen zu Gott kommen kann. Das Gesetz ist jedoch dergestalt, dass die Person, welcher der König „das goldene Zepter“ (ein Bild der göttlichen Gnade) entgegenreicht, leben und nicht sterben würde. Gnade hat es dem Menschen ermöglicht, Gott zu nahen (Est 4,10.11).

Mordokai, der zu Esther immer noch aus einer Entfernung redet (durch „Hatak“), dringt auf sie ein, zum König zu gehen, selbst wenn es hieße, ihr Leben „in ihre Hand zu nehmen“, denn allein darin besteht die Möglichkeit der Befreiung für ihr Volk (Est 4,12–14). Nach vielem Gebet und Fasten entscheidet sich Esther schließlich, zum König zu gehen (Est 4,15–17).  So wird auch der Überrest einmal nach vielen Seelenübungen Gott nahen aufgrund der großen Leiden, die durch die Verfolgung über sie kommen.

Als Esther nun dem König naht, nachdem sie eine längere Zeit nicht in seiner Gegenwart gewesen war, erlangt sie Gnade in seinen Augen. Ihr wird „das goldene Zepter“ gereicht (Est 5,1.2). Es unterstreicht die Tatsache, dass Gott an denen Wohlgefallen hat, die im Glauben zu ihm kommen (Spr 15,8). In derselben Weise wird der gebrochene und bedrängte Überrest Gott im Gebet und Flehen suchen und Gnade zur Zeit ihrer großen Drangsal erhalten. Es ist bemerkenswert, dass es „am dritten Tag“ ist, an dem Esther in die Gegenwart des Königs tritt. Die Zahl Drei redet in der Schrift von Auferstehung (Jona 1,17; 2,10; Mt 12,40) und weist auf die nationale Wiederherstellung Israels hin (Hes 37,1–28; Dan 12,1.2), wenn Gott für den gottesfürchtigen jüdischen Überrest einschreiten wird, um Befreiung zu bewirken. Hosea 6,1.2 sagt: „Kommt und lasst uns zu dem HERRN umkehren; denn er hat zerrissen und wird uns heilen, er hat geschlagen und wird uns verbinden. Er wird uns nach zwei Tagen wieder beleben, am dritten Tag uns aufrichten; und so werden wir vor seinem Angesicht leben.“

Nachdem Esther in die Gegenwart des Königs getreten ist, schüttet sie nicht sofort ihr ganzes Herz vor ihm aus. Stattdessen bittet sie darum, dass der König und Haman zu einem Mahl kommen, das sie bereitet hat, um dort ihr eigentliches Anliegen vorzubringen. Als die Zeit gekommen ist, zögert sie den Ausspruch ihres Anliegens erneut um einen Tag hinaus (Est 5,3–14). Es deutet darauf hin, dass der Überrest anfangs noch einen gewissen Mangel an Vertrauen gegenüber Gott haben wird, sein Herz offenzulegen. Das wird sich jedoch in der Not ändern, so dass sie doch zu ihm kommen werden (vergleiche die BußPsalm 25, 32, 38, 41 und 51. Achte darauf, wie sich ihre Herzensübungen dort fortschreitend vertiefen).