Dass es gewisse Ähnlichkeiten gibt in den Berichten über die Frauen, die den Herrn salbten, liegt auf der Hand. Die Unterschiede zwischen den Berichten in Matthäus 26,6–13, Markus 14,3–9 und Johannes 12,1–8 sowie der Begebenheit in Lukas 7,37–50 verbieten es jedoch, die Frau, „die eine Sünderin war“, mit Maria, der Schwester des Lazarus, gleichzusetzen.

Die Frau in Lukas hatte etwas total anderes im Sinn als Maria, als sie sich dem Herrn näherte. Von der Gnade Christi angezogen, fand sie in seinem Herzen (und in seinem Herzen allein) etwas, das dem tiefen Bedürfnis ihrer Seele und dem ganzen Bewusstsein ihrer Schuld vor Gott entsprach. Das Waschen und Salben der Füße Jesu war daher der Ausdruck ihrer Dankbarkeit und Liebe für den, dessen Herz ihr Ruheplatz inmitten der ganzen Last ihrer Sünden geworden war; denn ohne es zu wissen, hatte sie das Herz des Gottes aller Gnade in dem Herzen Jesu gefunden. Deswegen schützte und rechtfertigte der Herr sie und entließ sie in Frieden.

Maria hatte etwas ganz anderes im Sinn. Sie allein, so scheint es, hatte die Wahrheit des Todes Christi erfasst und salbte daher im Voraus, wie der Herr sagte, seinen Leib zum Begräbnis. Sie befand sich somit im Einklang mit den Gedanken ihres Herrn und ist daher (dürfen wir das nicht sagen?) am Auferstehungsmorgen nicht am Grab zu finden. Sie suchte den Lebendigen nicht unter den Toten. Ihre Salbung (beachte, dass sie nicht die Füße des Herrn mit ihren Tränen wusch) war der Ausdruck der Huldigung und Anbetung ihres Herzens. So lesen wir im Hohenlied: „Während der König an seiner Tafel war, gab meine Narde ihren Duft“ (Hld 1,12).

Es gibt darüber hinaus auch Unterschiede zwischen den Berichten in Matthäus und Markus und dem in Johannes. In Matthäus und Markus wird das Haupt Christi gesalbt, in Johannes seine Füße. Das steht im Einklang mit der Art und Weise, wie Christus in den einzelnen Evangelien vorgestellt wird. In Matthäus, wo er als Messias vorgestellt wird, wird ihm das Haupt gesalbt, ebenso in Markus als dem Diener-Propheten; doch in Johannes, wo er als der ewige Sohn vorgestellt wird, werden die Füße gesalbt – der einzige Platz, der dem Anbeter zusteht. Auch in Lukas sind es die Füße, weil es dort um die Tat einer bußfertigen Sünderin geht.

Zum Schluss sei noch bemerkt, dass man die Gedanken des Geistes Gottes in den Evangelien mehr in ihren charakteristischen Unterschieden entdeckt als in dem Versuch, die Unterschiede miteinander in Einklang zu bringen.