Der bekannte und viel bewunderte Professor einer bestimmten Hochschule saß in seinem Studierzimmer. Auf seinem Schreibtisch lagen zahlreiche Nachschlagewerke, doch ein Buch fehlte: die Bibel. Er bereitete gerade eine Predigt für den kommenden Sonntag vor. Er war gebeten worden, in der Universitätskirche zu predigen. Er wusste, dass er vor einem großen Publikum sprechen würde. Der Dekan und die Fakultät der Universität würden da sein, ebenso hunderte Studenten. Alle führenden Geschäftsläute der Stadt würden ihm zuhören. Die feine Gesellschaft nahm am Morgengottesdienst der prachtvollen Kirche teil, der für sein ausgewähltes Musikprogramm bekannt war. Er würde sein Bestes geben müssen. Es ging um seinen Ruf, das wusste er. Einige seiner Kollegen, die vor ihm gepredigt hatten, waren massiv kritisiert worden. Er musste alle ihre Fehler vermeiden. Er musste etwas Einmaliges entwerfen, etwas Modernes.

Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und murmelte von Zeit zu Zeit vor sich hin. Plötzlich rief er: „Ich hab’s.“ Dann nahm er ein Blatt Papier und schrieb darauf: „Die neue Auffassung.“ – „Das wird mein Thema sein“, sagte er zu sich selbst: „Die neue Auffassung.“

Vor zwei Sonntagen hatte ein Prediger auf der Kanzel gestanden, der den Ruf hatte, dass er zum sogenannten Fundamentalismus neigte, und einige seiner Aussagen waren verhöhnt worden, während die jungen Leute ihn selbst einen „alten Kauz“ nannten. Durch eine Predigt über „Die neue Auffassung“ erhoffte sich der Professor die Chance einige Argumente dieses Predigers zu entkräften. Er wusste, dass das Publikum dies sehr begrüßen würde.

Nun war es an der Zeit, einen Entwurf zu machen. Doch er benötigte dazu eine Bibelstelle. Es war üblich, als Grundlage des sonntäglichen Morgengottesdienstes wenigstens einen Bibelvers zu benutzen. Welchen sollte er nehmen? Schließlich wählte er Apostelgeschichte 17,19: „Und sie ergriffen ihn, führten ihn zum Areopag und sagten: Können wir erfahren, was diese neue Lehre ist, von der du redest?“

„Das ist eine glückliche Wahl“, sagte der Professor zu sich selbst, „denn es gibt mir die Gelegenheit, etwas von meinen Kenntnissen in griechischer Geschichte und Literatur zu zeigen.“ Schnell begann er zu schreiben. Nach dem er rasch etwas über den Areopag, den Mars-Hügel und über die griechische Philosophie zu Papier gebracht hatte, überschrieb er den ersten Teil seiner Predigt mit: „Die alte Auffassung“.

„Es gibt in religiösen Dingen eine alte Auffassung“, schrieb er. „Diese alte Auffassung kann im Licht moderner wissenschaftlicher Forschung nicht länger aufrechterhalten werden. Alles, was unsere Väter glaubten, ist überholt. Wenn die großen Theologen der Vergangenheit heute ins Leben zurückkämen, würden sie ihre Überzeugungen verwerfen und sich unserer modernen Auffassung anschließen. Doch was genau ist diese alte Auffassung?“ Hier bot sich ihm die Chance, die Aussagen des vorigen Predigers zu widerlegen. Er würde den lächerlichen Glauben an ein unfehlbares Buch erwähnen. In dieser Welt gab es nichts Unfehlbares. Unfehlbarkeit würde den totalen Stillstand jeden Fortschritts bedeuten, und das war unmöglich. Es konnte kein unfehlbares Buch geben, und es gab weder jemals eine unfehlbare Wahrheit noch eine unfehlbare Person. Christus war nicht unfehlbar; Er machte seine Fehler.

Dann, dachte der Professor, würde er über den unwissenschaftlichen Glauben an eine Jungfrauengeburt sprechen, die letztlich nichts als eine Legende war, ohne historische Beweise. Dann notierte er sich etwas über die Auferstehung eines Menschen, der gestorben war. Die besten Gelehrten hatten diesem Glauben widersprochen. Kein vernünftiger Mensch zweifelt, so würde er argumentieren, dass Jesus, der gestorben ist, heute nicht als Auferstandener lebt, sondern in seinen Lehren, seinem Charakter, seiner Menschheit, seiner Führerschaft und seinem Beispiel. Die alte Auffassung von einer Existenz nach dem Tod, von einem Himmel und einer Hölle (er strich das Wort „Hölle“ durch und ersetzte es durch „einen Ort der Bestrafung“) kam als Nächstes an die Reihe. Ein solcher Glaube wurde ebenfalls als unsinnig gebrandmarkt. Wir wissen nichts über die Zukunft. Wahrscheinlich gibt es ein Weiterleben nach dem Tod, aber sicher nicht in der Form, die die Bibel lehrt. Wir wissen nichts Genaues darüber.

Dann kam er zum zweiten Teil seiner Predigt: „Die neue Auffassung“. Wie die Athener damals sind wir immer noch auf der Suche und sind jetzt auf der richtigen Spur. Er schrieb immer schneller, als er die verschiedenen Phasen der evolutionären Theologie des Modernismus entwickelte ...

Caroline, seine Tochter, war schwer erkrankt. Ihr Fieber hielt die ganze Nacht an, während Vater und Mutter ängstlich an ihrem Bett wachten. Immer wieder ging der Professor in sein Studierzimmer und fiel vor seinem Schreibtisch, auf dem seine Redenotizen lagen, auf die Knie. Dann weinte er leise und sagte: „O Gott, wenn du Gebete hörst, dann rette mein Kind, mein einziges Kind, meine Caroline.“

Der Morgen kam und der Doktor, der in aller Frühe erschien, musste enttäuscht feststellen, dass der Zustand des kleinen Mädchens sich sehr verschlechtert hatte. Sie atmete schnell. Manchmal murmelte sie in ihrem Delirium: „Papa, den Hügel hinauf.“ Der Arzt sah ernst aus. Er entschied, für einige Stunden zu bleiben.

Der Professor ging zurück in sein Studierzimmer. Er wollte beten, doch er konnte nicht beten.

Eine Stunde später klopfte der Hausarzt, ein alter Christ, an seiner Tür. Der Professor sprang auf. „Und, Doktor, wie geht es ihr? Reagiert sie auf Ihre Behandlung? Wird sie gesund werden?“

Der alte Mann gab ihm keine Antwort. Er sah dem Vater in die Augen, dann neigte er still den Kopf. Schließlich sagte er: „Kommen Sie, Herr Professor, und schauen Sie sich ihr hübsches Lächeln an. Es geht ihr jetzt besser – besser in dem Sinn, wie ein Christ darüber denkt, dass …“ Er sprach den Satz nicht zu Ende. Sie hatten das Krankenzimmer erreicht und dort lag Caroline mit geschlossenen Augen und einem friedlichen Lächeln auf ihrem bleichen Gesicht. Sie war tot.

Die traurige Nachricht verbreitete sich schnell. Unter den Studenten waren einige aufrichtige Gläubige. Als es Nacht wurde, versammelten sie sich unter dem Zimmerfenster des Professors und sangen mit gedämpfter Stimme:

Herr, bleib bei mir! Schon ist der Abend da,
die Finsternis bricht ein, bleib Du mir nah!
Rings schwarze Nacht, es sank des Tages Zier.
O Du, der Schwachen Hort, bleib Du bei mir!
Des Lebens kurzer Tag gar schnell sich neigt,
der Erde Lust wird matt, ihr Glanz erbleicht.
Nur Wechsel und Verwelken seh ich hier,
o Du, der ohne Wandel, bleib bei mir!

Sie wussten nicht, dass der Professor an seinem Schreibtisch saß, seine Rede zur Seite geschoben hatte und alle seine Nachschlagewerke auf das Regal zurückgestellt hatte. Er hatte seine Bibel in der Hand. Er hatte eine Stelle aufgeschlagen, die ihm aus früheren Zeiten vertraut war, und las mit Tränen in den Augen: „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubt an Gott, glaubt auch an mich. In dem Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seid.“

Draußen erklang die nächste Strophe und während er zuhörte, schluchzte er leise.

Halt Du Dein Kreuz mir vor, wenn's Auge bricht,
zerreiß das Dunkel und führ mich zum Licht.
Die Schatten fliehn, dort glänzt des Himmels Tür,
im Leben und im Tod, Herr bleib bei mir!

Der Professor blätterte zum zweiten Mal in seiner Bibel und las wieder, diesmal: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du dies?“ Mit zitternder Stimme rief er: „O Herr, ich glaube.“

Plötzlich wurden ihm die Augen geöffnet. Er sah die Sinnlosigkeit der neuen Auffassung des Modernismus. Er fühlte in seinem Innersten, dass es darin keine Hoffnung und keinen Trost für ihn gab. Alles, was er geglaubt hatte, erschien ihm leblos, kraftlos und unfähig, ihm das zu geben, was er in der Stunde der größten Not am meisten brauchte. Er fiel auf die Knie und betete. Und was für ein Gebet! Er bekannte seinen Irrtum und warf sich in die Arme seines vergebenden Herrn.

Am Montagmorgen gingen sie den Hügel hinauf. Der weiße, blumenübersäte Sarg, in dem Carolines Körper ruhte, wurde von vier Mitglieder der Fakultät getragen. Der Prediger las: „Denn dieses sagen wir euch im Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten.“

Nachdem der Sarg in die Erde gelassen worden war, trat der Vater mit gebeugtem Kopf vor und sagte vor der ganzen versammelten Menge: „Freunde, mein liebes Kind hat uns verlassen. Sie ist bei Ihm, der für sie gestorben ist, und ich möchte Ihn vor diesem offenen Grab als meinen Heiland bekennen, der aus der Herrlichkeit des Himmels auf die Erde herabkam, um für unsere Sünden zu sterben, der begraben wurde und am dritten Tag auferstanden ist und der wiederkommen wird, um uns in seine herrliche Gegenwart zu bringen. Dann werde ich meine Caroline wieder in die Arme schließen. Dieser Glaube, den ich vor euch, liebe Studenten und Kollegen, so oft verleugnet habe, ist der einzige Glaube, der Frieden und Hoffnung gibt.“