Innere Zerrissenheit

„Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ (Joh 12,27).

Je mehr der Sohn Gottes sich Jerusalem näherte, desto größer wurde der Schatten des Kreuzes, der auf seinen Weg fiel. Die Leiden des Vorauswissens über das, was dort auf Golgatha mit Ihm geschehen sollte, nahmen immer weiter zu. Er konnte nicht wünschen mit Sünde in Berührung zu kommen und von Gott verlassen zu werden. Einerseits schreckte Er davor zurück, andererseits wollte Er um jeden Preis den Willen des Vaters tun. Er spricht die innere Not im Gebet aus und auch den Wunsch aus dieser Stunde gerettet zu werden. Im Blick auf das Kreuz gab es nur einen, der Ihn wirklich verstehen konnte – und das war sein Vater. An Ihn wendet Er sich und öffnet Ihm sein Herz.

Wir können unsere Nöte nicht mit dem vergleichen, was auf dem Weg nach Golgatha vor der Seele des Sohnes Gottes stand. Trotzdem können wir einige grundsätzliche Dinge von seinen Worten lernen, die Er im Gebet zu seinem Vater sagte.

Es kann passieren, dass wir in Umstände kommen, wo wir nicht mehr wissen, wofür wir beten sollen. Was tun wir dann? Gerade in solchen Umständen dürfen wir Gott unsere Herzen ausschütten und ihm sagen, wie wir uns fühlen und was in uns vorgeht. Wir dürfen auch dafür beten, dass Gott uns Barmherzigkeit schenkt, indem Er uns bspw. aus schweren Umständen befreit. Gott verspricht uns zwar nicht, dass Er dann unser Gebet erhören wird, aber Er verspricht uns, dass sein Friede, den nichts erschüttern kann, unsere Herzen bewahrt (vgl. Phil 4,6).

Oft wird Gott mehr verherrlicht, wenn Er die Umstände nicht ändert, sondern uns die Gnade gibt, die wir brauchen, um Ihn inmitten der Umstände durch Vertrauen und Ausharren zu ehren! Paulus flehte dreimal am Thron der Gnade darum, dass der Herr Jesus den Dorn aus seinem Fleisch entfernen sollte. Doch der Herr erklärte ihm, dass Er, anstatt die Umstände zu ändern, Ihm jede Gnade geben würde, damit der Apostel Ihm in Schwachheit dienen konnte (vgl. 2. Kor 12,9–10). Am Thron der Gnade gibt es sowohl Barmherzigkeit als auch Gnade. Beides schenkt Gott zur rechtzeitigen Hilfe – denn Er kommt nie zu spät!

Manchmal sind Kinder Gottes von dem Leid, was die Sünde in diese Welt gebracht hat, so überwältigt, dass sie gar nicht mehr wissen was sie beten sollen. Doch der Geist Gottes, der uns dazu befähigt „Abba Vater“ zu sagen, verwendet sich besonders in solchen Situationen für uns in unaussprechlichen Seufzern, die Gott vollkommen verstehen kann (vgl. Röm 8,26). Der Herr Jesus selbst hat am Grab von Lazarus geweint und tief im Geist geseufzt (Joh 11,33). Wenn wir in Situationen kommen, wo wir nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll und worum wir bitten sollen, so gibt es dennoch eine Sache, die wir ganz sicher wissen: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Röm 8,28).

Wann haben wir uns das letzte Mal die Zeit genommen, Gott wirklich alle Anliegen zu sagen, die uns auf der Seele liegen (Phil 4,6), und alle unsere Sorgen auf Ihn zu werfen (1. Pet 5,7)? Beten wir normalerweise dafür, dass Gott die Prüfungen in unserem Leben wegnimmt oder dafür, dass Er uns in den Prüfungen die Gnade schenkt, die wir brauchen, um Ihn zu verherrlichen? Wie oft beten wir dafür, dass Gott die Umstände ändert und wie oft dafür, dass Er uns durch die Umstände verändert?