Einleitung

Der Leser wird im Folgenden eine einfache Darstellung der Lehren des Wortes Gottes über die Beziehungen zwischen dem Gläubigen und seinem Haus und über die sogenannten familiären Pflichten finden. Die Wichtigkeit der Entfaltung des christlichen Lebens in der Familie wird allgemein anerkannt, doch im öffentlichen Dienst wird dieser Gegenstand selten berührt. Und doch bewegt sich der weitaus größere Teil des Lebens vieler Gläubigen in familiären Pflichten, so dass dem Verfasser eine Betrachtung über die Verantwortlichkeiten der verschiedenen Familienmitglieder nötig und nützlich erschien. Möge der Herr selbst das Geschriebene segnen, so unvollkommen es auch ist, zu seiner Verherrlichung und zur Erbauung der Seinen.

1. Der Gläubige und natürliche Verhältnisse

Bevor wir die verschiedenen Beziehungen der Familienmitglieder untereinander und ihre Pflichten mehr im Einzelnen betrachten, lasst uns zuerst sehen, auf welche Art der Geist Gottes diesen Gegenstand behandelt. Angesichts der vollen Offenbarung der Gnade Gottes in der Erlösung möchte sich vielleicht bei manchen die Neigung zeigen, gering von natürlichen Banden zu denken. Und in der Tat haben oft genug aus Unkenntnis und daraus folgendem Missverständnis einzelner Teile der Schrift solche Gedanken in der Geschichte der Kirche ihren traurigen Ausdruck gefunden, und selbst zur jetzigen Zeit kann man beobachten, dass manche in denselben Irrtum fallen. Wie wichtig ist es daher, zu beachten, dass gerade der Brief, der die Wahrheit von der Stellung des Gläubigen in Christus vor Gott und von der Versammlung als dem Leib Christi am vollsten ins Licht stellt, nämlich der Epheserbrief, auch am ausführlichsten von den Verantwortlichkeiten spricht, die aus unseren natürlichen Verbindungen fließen. Ihr bindender Charakter wird dadurch aufs Deutlichste aufrechterhalten, und zwar mit göttlicher Autorität, und zugleich werden wir ermahnt, dass wir, bei aller Freude über unsere christlichen Vorrechte, nicht die Pflichten vergessen, die uns für diese Erde auferlegt worden sind. Es ist zwar wahr, dass unsere Stellung vor Gott nicht im Fleisch, sondern im Geist ist, wenn nämlich Gottes Geist in uns wohnt (Römer 8,9), weil uns der Tod und die Auferstehung Christi von dieser Welt getrennt und in eine neue Schöpfung versetzt haben. Aber Gott sendet uns sozusagen zurück, um auf neuem Boden – dem der Gnade, nicht nur der Natur – jeder Verpflichtung nachzukommen, die wir als seine Geschöpfe schon in unserem alten Zustand hatten.

Epheser 4 macht uns dies klar. Wir haben dort von Vers 17 an praktische Ermahnungen als Ausfluss der Wahrheiten, die im vorhergehenden Teil des Briefes gelehrt werden. Gleich am Anfang stellt uns der Apostel den übrigen Nationen gegenüber, die „in Eitelkeit ihres Sinnes“ wandeln, und fährt dann fort: „Ihr aber habt denn Christus nicht so gelernt, wenn ihr wirklich ihn gehört und in ihm gelehrt worden seid, wie die Wahrheit in dem Jesus ist: dass ihr, was den früheren Lebenswandel betrifft, abgelegt habt den alten Menschen, der nach den betrügerischen Begierden verdorben wird, aber erneuert werdet in dem Geist eurer Gesinnung und angezogen habt den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit. Deshalb legt die Lüge ab und redet Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder voneinander.“ Und ein wenig weiter werden wir ermahnt: „Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, durch den ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung.“ Wir haben also hier die zwei großen Wahrheiten: dass der Gläubige den neuen Menschen angezogen hat (denn die Ermahnung geht davon aus, was in Christus von uns allen wahr ist) und dass der Geist Gottes in ihm wohnt. Daher beginnt auch das nächste Kapitel mit: „Seid nun Nachahmer Gottes als geliebte Kinder.“ Indem wir also nach Gott geschaffen sind und ihn in uns wohnend haben, ist nun auch Gott der Maßstab unseres Wandels, wie er in Christus im menschlichen Leben dargestellt worden ist, und zwar als Licht und Liebe – zwei Worte, welche allein Gottes eigentlichstes Wesen bezeichnen. Daher lesen wir: „Wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch.“ „Für uns“ war göttliche Liebe, „Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ zeigt seine Vollkommenheit in Beweggrund und Ziel. „Jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Dies ist der zweite Wesenszug Gottes. Und als Teilhaber der göttlichen Natur sind wir Licht in dem Herrn. Auch hier ist wieder Christus das Muster: „Und der Christus wird dir leuchten.“ Diese Widerspiegelung Gottes im Menschen ist das Ziel, das Gott sich mit dem neuen Menschen vorgesetzt hat und was sich auch der neue Mensch selbst vorgesetzt hat, denn er ist die Widerspiegelung der Natur und des Wesens Gottes. Der Christ läuft den Wettlauf hin zu dem Kampfpreis seiner himmlischen Berufung, aber das ist nicht die Sichtweise des Epheserbriefs. Im Epheserbrief sitzt er in Christus in den himmlischen Örtern, und als solcher soll er gleichsam von dort hervorkommen, wie Christus es tatsächlich getan hat, um auf Erden den Charakter Gottes zu offenbaren, wovon Christus, wie wir gesehen haben, das Modell ist. In der Stellung von geliebten Kindern stehend, sind wir berufen, das Wesen unseres Vaters zu offenbaren.

Das also ist die Wahrheit bezüglich unserer Stellung und Verantwortlichkeit. Wir sind zu Teilhabern der göttlichen Natur gemacht worden; wir haben den neuen Menschen angezogen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit; der Heilige Geist wohnt in uns, und Gott hat uns mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus. Daher sollen wir von dort hervorkommen und gemäß dem neuen Menschen (nicht dem alten) in der Kraft des Geistes den Pflichten nachkommen, die sich aus den natürlichen Banden und Verhältnissen ergeben. Als himmlische Menschen sollen wir nun unsere Stellung in Familie und Haus ausfüllen. Somit sollte jede Beziehung für uns einfach eine Gelegenheit sein, Christus darzustellen in dem, was er ist und was er war, als er auf Erden wandelte. Denn „wer sagt, dass er in ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt ist“ (1. Joh 2,6). Würden wir das mehr beachten, würden viele Schwierigkeiten aus unserem Weg geräumt.

In der Aufrechthaltung natürlicher Verhältnisse, wo der Gläubige sich oft in abhängiger Stellung gegenüber dem Ungläubigen befindet, handelt es sich einfach darum, Christus zu offenbaren. Er hat das höchste Anrecht auf uns, und weder er noch wir können eine Forderung anerkennen, die den seinigen zuwiderläuft. Wir sollten daher nicht bloß fragen: Darf ich dieses tun?, oder: Sollte ich jenes lassen?, sondern: Kann ich gemäß dem neuen Menschen handeln und in der Kraft des Geistes? Das Fleisch oder allein die Natur dürfen uns nicht leiten; ja auch in Bezug auf diese Dinge sollen wir immer „das Sterben Jesu am Leib umhertragen, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde“ (2. Kor 4,10). Was auch das besondere Verhältnis sei, worin der Christ sich befindet, ob dasjenige von Mann oder Frau, Vater oder Mutter oder Kindern, immer ist die Offenbarung des Wesens und Charakters Christi das Maß und die Grenze seiner Verantwortlichkeit.