Das Gleichnis

Das Gleichnis kann in drei Phasen eingeteilt werden. In der ersten sehen wir, wie ein offensichtlich reicher Herr im Begriff steht, ins Ausland zu reisen. Vor der Abreise ruft er seine drei Knechte zu sich und vertraut ihnen seine Habe an. Dabei gibt er ihnen nicht allen gleich viel, sondern gemäß ihrer Fähigkeit: dem ersten Knecht fünf Talente, dem zweiten zwei Talente und dem dritten ein Talent.

In der zweiten Phase ist der Herr im Ausland, und uns wird mitgeteilt, wie die Knechte mit den ihnen anvertrauten Talenten umgehen: Der erste Knecht betreibt Handel und gewinnt fünf weitere Talente hinzu. Auch der zweite Knecht handelt mit den Talenten und gewinnt zwei weitere Talente hinzu. Lediglich der dritte Knecht verhält sich sonderbar: Er vergräbt das ihm anvertraute Talent. Dementsprechend bleibt es bei dem einen Talent.

In der dritten Phase kommt der Herr aus dem Ausland zurück, und die Knechte müssen vor ihm Rechenschaft ablegen, wie sie mit den ihnen anvertrauten Talenten umgegangen sind. Der erste Knecht kommt und gibt sowohl die fünf anvertrauten als auch die fünf dazugewonnenen Talente ab. In gleicher Weise kommt der zweite Knecht und gibt die zwei anvertrauten als auch die zwei dazugewonnenen Talente ab. Obwohl ihnen ein unterschiedliches Maß anvertraut wurde, dürfen beide dasselbe Lob aus dem Mund des Herrn hören: „Wohl, [du] guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn“ (Mt 25,21.23). Auch der dritte Knecht muss Rechenschaft ablegen und gibt das eine Talent, das er vergraben hatte, ab. Seine dazu abgegebene Ausrede offenbart nur, dass er den Herrn gar nicht kannte, entsprechend auch nicht in seinem Interesse gehandelt hatte. Die Reaktion des Herrn ist ernst: „[Du] böser und fauler Knecht! … Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis: Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein“ (Mt 25,26.30). Das eine Talent wird ihm abgenommen und dem mit den zehn Talenten gegeben.

Im Folgenden wollen wir uns anschauen, was das Gleichnis uns zu sagen hat. Aufgrund ihrer Stellung und ihres Verhaltens können wir drei Personen, bzw. Gruppen ausmachen, die wir etwas genauer untersuchen wollen:

1.    Der Herr

Der Herr in unserem Gleichnis reist ins Ausland. Warum er das tut, ist nicht Gegenstand des Gleichnisses. Es geht um die Tatsache, dass er nicht anwesend ist und in dieser Zeit seinen Knechten seine Habe anvertraut. In gleicher Weise ist auch unser Herr Jesus auf dieser Erde nicht körperlich anwesend. Wir haben es mit einem hier auf der Erde verworfenen, aber von Gott im Himmel verherrlichten Herrn zu tun. In dieser Zeit leben wir als seine Knechte hier auf der Erde, in der der Herr selbst uns Talente, d.h. geistliche Gaben geben hat. Damit sind nicht natürliche Fähigkeiten gemeint, die wir schon mit in die Wiege gelegt bekommen, erlernt oder entwickelt haben, wenn diese auch nicht ganz davon abzulösen sind. Vielmehr sind damit geistliche Befähigungen gemeint, die der Herr gibt, um die Aufgaben, von denen er möchte, dass wir sie für ihn tun, erledigen zu können. Auffallend sind dabei zwei weitere Tatsachen: Erstens ist es der Herr selbst, der seinen Knechten die Talente gibt. Er hat keinen anderen Knecht oder andere Knecht mit dieser Aufgabe beauftragt, sondern der Herr tut dies persönlich. In gleicher Weise erhält jeder Knecht Gottes, und das sind wir alle, seine geistliche Befähigung vom Herrn Jesus persönlich und nicht von Menschen. Dementsprechend sind wir in der Ausübung unserer Gaben, der Aufgaben, allein vor dem Herrn Jesus verantwortlich. Zweitens gibt der Herr seinen Knechten nicht alle die gleiche Anzahl an Talenten, sondern nach ihrer eigenen Fähigkeit. Auch wir besitzen nicht das gleiche Maß an geistlicher Fähigkeit. Der Herr Jesus hat uns in seiner Souveränität und Weisheit ein unterschiedliches Maß gegeben. Dementsprechend sind wir auch nicht für alle Aufgaben geeignet und haben unterschiedliche Aufgaben.

2.    Die beiden treuen und guten Knechte

Beide Knechte unterscheiden sich, haben aber auch Gemeinsamkeiten. Der eine hatte fünf, der andere zwei Talente bekommen. Beide handeln mit der ihr anvertrauten Habe. Da aber die Ausgangsbedingungen unterschiedlich sind, so ist auch das Ergebnis unterschiedlich. Der eine gibt zehn, der andere vier Talente seinem Herrn zurück. Aber es geht gar nicht um das Ergebnis, zumindest nicht im Vergleich zu anderen Knechten. Was für ein Herr wäre das, der unterschiedlich ausstatten, dann aber das gleiche Ergebnis erwarten würde? So ist aber nicht unser Herr! Wenn der Herr beide Knechte in gleicher Weise lobt, dann zeigt uns das offensichtlich, dass es ihm nicht auf das unterschiedliche Ergebnis ankommt, sondern auf die Art und Weise, wie sie mit der ihnen anvertrauten Gabe umgehen: treu! In dieser Hinsicht müssen wir uns nicht so sehr um das Ergebnis sorgen. Es sollte uns keine Sorgen bereiten, dass wir vielleicht nur „vier Talente“ vorzuweisen haben, unser Mitbruder oder unsere Mitschwester aber „zehn Talente“. Die Frage ist vielmehr: Sind wir treu? Treu sind wir, wenn wir im Bewusstsein, dass es der Herr ist, der uns persönlich geistliche Befähigungen gegeben hat, diese in seinem Sinne eifrig ausüben. Wenn wir das beachten, dann wird auch unser persönliches Ergebnis stimmen.

3.    Der böse, faule und unnütze Knecht

Der dritte Knecht ist ein trauriges und warnendes Beispiel, wie mit dem vom Herrn Jesus anvertrauten Gaben umgegangen werden kann. Das Ende dieses Knechtes ist schrecklich: Er wird hinausgeworfen in die äußerste Finsternis. Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass ein Kind Gottes nicht wieder verloren gehen kann. Seine Stellung ist „in Christus“ (Eph 1,3–14) und in seinem vollbrachten Werk gesichert. Es kann sehr wohl sein, dass ein Kind Gottes sich in seinem Verhalten versündigt und in seinem Dienst untreu ist, aber das wird seine Stellung „in Christus“ nicht verändern (wenn auch die Gemeinschaft gestört sein wird). Der Knecht in unserem Gleichnis wird jedoch in die äußerste Finsternis geworfen, das heißt ins ewige Verderben. Es kann sich also nicht um ein Kind Gottes handeln. Und dennoch wird dieser Knecht zu „seinen“ Knechten gezählt. Es scheint also eine gewisse Beziehung da zu sein, wenn auch nur formal und äußerlich. Daher müssen wir bei diesem dritten Knecht davon ausgehen, dass er einen christlichen Bekenner darstellt, d.h. jemanden, der zwar behauptet, Christ zu sein, bei dem aber die entscheidenden Elemente – Buße, Glaube, Umkehr – in seinem Leben fehlen. Der Knecht in unserem Gleichnis ist dadurch gekennzeichnet, dass er weder den Herrn kannte noch einen Einblick in seine Interessen hatte noch eine Wertschätzung für das ihm Anvertraute hatte. Sonst hätte er das Talent wohl nicht in der Erde vergraben. Der Herr brandmarkt diesen Knecht mit harten Worten: böse, faul und unnütz.

Da es sich bei diesem dritten Knecht, wie wir gesehen haben, um einen bloßen Bekenner handelt, könnte ein Kind Gottes der Gefahr unterliegen, den herzerforschenden Fragen des Herrn Jesus an uns zu entgehen. In der Tat hat auch der dritte Knecht uns etwas zu sagen. Kann es nicht sein, dass es uns an Erkenntnis über die Person des Herrn Jesus mangelt? Dass wir daher auch gar keinen rechten Einblick in seine Interessen haben und daher nicht in seinem Sinne handeln? Kann es nicht sein, dass wir die uns anvertraute Gabe geringschätzen? Dass wir vielleicht lieber die „fünf Talente“ unseres Mitbruders haben wollen? Kann es nicht sein, dass wir so mit irdischen Dingen beschäftigt sind, dass unsere geistliche Gabe gar nicht in rechter Weise zur Ausübung kommt, wir also unser Talent „in der Erde vergraben“?

Als Gottes Knechte wollen wir treu mit dem uns anvertrauten Gaben in der Zeit seiner Abwesenheit handeln. Wir tun dies in dem Bewusstsein, dass wir vor unserem Herrn verantwortlich sind und über unser Handeln einmal Rechenschaft ablegen müssen. Dabei wollen wir nicht über das hinausgehen, was der Herr uns an Befähigung gegeben hat, wollen aber auch nicht darunterbleiben. Bei allem darf es unsere stete Ermunterung und Motivation sein, die Zustimmenden Worte unseres Herrn einmal hören zu dürfen:

„Wohl, [du] guter und treuer Knecht!
Über weniges warst du treu,
über vieles werde ich dich setzen;
geh ein in die Freude deines Herrn.“

(Mt 25,21.23)