Das Nachsinnen über eine Frau wie Maria, die Mutter des Herrn Jesus, ist wichtig, weil sie die Mutter von dem werden sollte, der „Sohn des Allerhöchsten“ genannt werden würde. Doch sollte niemand von uns daran denken, die Frau zu verehren, wie es in einigen Kirchen geschieht, doch es ist gut, das Glaubensleben dieser von Gott begnadeten Seele zu überdenken. Sie war es, an der Gott Seine Allmacht, Seine Gnade und Seine unendliche Barmherzigkeit auf eine einzigartige Art und Weise offenbarte.

Als die Worte des Engels in ihre Ohren drang: „Sei gegrüßt, Begnadete. Der Herr ist mit dir“ (Lk 1, 28), überlegte sie, was dieser Gruß bedeuten sollte. Sie, die Jungfrau, unbekannt bei den Angesehenen in dieser Welt, mit einem Zimmermann verlobt, von einem Engel angesprochen zu werden als „Begnadete“. Maria war sich ihrer Niedrigkeit bewusst und konnte nicht anders, als über diesen Gruß erstaunt zu sein.

Ihre Verwunderung nimmt noch zu, als der Engel die göttliche Botschaft mitteilt: „Du hast Gnade bei Gott gefunden, und siehe, du wirst im Leib empfangen und einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden, und der Herr Gott wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird über das Haus Jakob herrschen in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“ (Lk 1,30–33). „Wie kann das sein“, ruft sie aus, „da ich keinen Mann kenne?“

Sicher war in dieser Frage kein Zweifel verborgen an dem Ausspruch des Engels so wie bei Zacharias, als Gott ihm die Erhörung seiner Gebete um einen Sohn vorhersagte. Sie zweifelte nicht an der Erfüllung der ihr gegebenen Verheißung. Sie fragt nur, wie dieses Ereignis – wobei das Heilige, das geboren werden würde, der Zentralpunkt sein würde – außerhalb des normalen Gangs der Dinge erfüllt werden würde. Als der Engel ihr auf diese Frage eine Antwort gegeben hatte, deren Tiefe sie nicht ergründen konnte, sie aber doch vollkommen befriedigte, weil „bei Gott kein Ding unmöglich ist“, beugte sie sich in Unterwürfigkeit unter den Willen und das Wort Gottes und stammelte: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38).

Welch ein beschämender Glaube! Zuerst die Beunruhigung über das Wort des Engels an sie, die niedrige Magd, dann ihre kindliche Frage: „Wie kann das sein?“, und zum Schluss die völlige Unterwerfung unter den Willen Gottes, der sie als Mittel zur Ausführung seines ewigen Ratschlusses auserkoren hatte, und der Wunsch ihres Herzens: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort.“ Wir können wohl mit Elisabeth sagen: „Glückselig die, die geglaubt hat“ (Lk 1,45).

Es ist schön, zu sehen, wie Gottes wunderbares Wirken, wodurch von diesem Augenblick an alle Geschlechter der Erde sie selig preisen sollten, sie zur Demut bringt statt zur Selbsterhebung. Maria sah in dem, was stattfinden sollte, nicht sich selbst, sondern Gott. Die großen Wunder, die bei ihr und ihrer Verwandten Elisabeth geschehen waren, brachte sie so nah zu Gott, dass ihre eigene Person verschwand. Gott selbst hatte einen so großen Platz in ihren Gedanken über diese Dinge, dass kein Raum übrig blieb für ihre eigene Person.

„Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist frohlockt in meinem Heiland, denn er hat hingeblickt auf die Niedrigkeit seiner Magd, denn siehe, von nun an werden mich glücklich preisen alle Geschlechter. Denn große Dinge hat der Mächtige an mir getan und heilig ist sein Name“ (Lk 1,47–49). Zeigen uns diese Worte nicht trefflich, wie Maria davon überwältigt war, dass gerade ihr niedriger Stand umso mehr Gottes Größe und Allmacht hervorstrahlen ließ? Kommt da nicht deutlich zum Ausdruck, dass sie die Gnade Gottes erkannte? Bezeugt sie nicht auf eindeutige Art, dass alles für sie nur Gnade war?

Wirklich – in Maria erkennen wir eine Frömmigkeit, die besonders hervorkommt, weil sie sich selbst in den Hintergrund stellt. Gott war alles – sie nichts. Wenn sie etwas aus sich selbst gemacht hätte, würde sie ihren wahren Platz der Abhängigkeit verloren haben. Gottes Gnade bewahrte sie davor, damit seine Herrlichkeit in diesen göttlichen Dingen voll enthüllt werden konnte.

Als Gottes Verheißungen in Erfüllung gingen und der Herr Jesus geboren wurde, der Erlöser, der Herr, der Emmanuel, der Gott-mit-uns; als sie sich alle verwunderten über das, was von den Hirten das Kind betreffend gesagt wird; als Maria vernahm, dass eine Menge der himmlischen Heerscharen Gottes Lob zum Ausdruck gebracht hatten: „Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen“ (Lk 2,14), wurde ihre Seele mit stiller Freude erfüllt, und sie „bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Lk 2,19).

Das ist ein schönes Zeugnis von ihrem stillen, verborgenen Umgang mit Gott. „Sie bewahrte all diese Dinge und erwog sie in ihrem Herzen.“ Sie sprach nicht viel darüber, dass Gott sie so begnadigt hatte; sie stellte nicht sich in den Vordergrund; sie machte nicht sich selbst zum Mittelpunkt der Gespräche, sondern sie zog sich zurück. Sie erwog in der Gegenwart Gottes all die Herrlichkeiten seiner Gnade, die Er an ihr erwiesen hatte und dass ein solches Heil den Menschen erschien.

Diese Offenbarung eines stillen und sanftmütigen Geistes wollen wir beachten. Lasst uns  den Herrn bitten, dass Er uns einen gleich kindlichen Glauben und an seine Verheißungen geben möge und dass wir in einer ebenso innigen Gemeinschaft mit Gott leben mögen, die
Er offenbart hat durch die Sendung Seines Geliebten in diese Welt.

Ein beachtenswerter Charakterzug bei Maria, der Mutter des Herrn Jesus, ist, dass sie alle Dinge, die ihr mitgeteilt werden, in ihrem Herzen bewahrte und erwog. Das finden wir sowohl bei der Begrüßung durch den Engel; das finden wir auch bei dem Bericht über die Hirten über das, was sie in den Gefilden von Bethlehem erlebt hatte. Das Gleiche hören wir auch, nachdem der 12-jährige Jesus von ihr und Josef gesucht und im Tempel gefunden wurde.

„Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht“ (Lk 2,48). Josef und Maria waren erstaunt über das, was sie da sahen: Ihr 12-jähriger Sohn saß inmitten der jüdischen Lehrer, die von ihm befragt wurden und ihm antworteten. Sie verstanden die Herrlichkeit Seiner Person in Wirklichkeit nicht und auch nicht die Antwort, die Er ihnen gab. „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich dem sein muss, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,48). Obwohl Maria die Antwort nicht verstand, begriff sie auch nicht völlig, dass der Herr Jesus der gehorsame Mensch war, der als gehorsames Kind seinen Eltern untertan war, der sich aber auch seiner Beziehung zu Gott völlig bewusst war als der Sohn Gottes. Aber sie befragte ihren Sohn nicht weiter, sondern „sie bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen“.

Welch eine ernste Belehrung für uns! Auch wir verstehen nicht immer alles, was Gott zu uns sagt, aber hören wir auf Sein Wort und beugen wir uns nieder in Abhängigkeit vor dem Wirken Seines Geistes und bewegen wir alle uns noch unverständlichen Dinge und bewahren sie in unsrem Herzen. Auch wir verstehen oft nicht, welche Wege Gott mit uns geht, doch muss es unser ernstes Gebet sein, dass wir immer Seinem weisen Willen unterworfen sind und alle Dinge so in Liebe zu sehen.

Vor allen Dingen ist das eine lehrreiche Belehrung für Jung und Alt, sowohl für Gereifte als auch Neubekehrte und nicht zuletzt auch für junge Leute. Wie leicht können Zweifel aufkommen betreffend der Wahrheit des Wortes Gottes, wenn man in der Bibel etwas findet, was man nicht versteht, oder wenn man meint, etwas Widersprüchliches entdeckt zu haben. Wie wichtig ist es dann, den Zweifel nicht zu nähren, indem man das liest, was ungläubige Schreiber geschrieben haben, sondern den einfältigen und abhängigen Platz eines Kindes einzunehmen und, so wie Maria, die unverstandenen Dinge und die scheinbaren Widersprüche „im Herzen zu erwägen“ und Gott zu bitten, dass sein Licht für uns darüber erleuchtet.

Nicht weniger beachtenswert ist die Weise, wie Maria sich betrug nach dem öffentlichen Auftreten des Herrn anlässlich der Hochzeit zu Kana in Galiläa. Es war eine Hochzeit, zu der auch der Herr Jesus und Seine Jünger eingeladen waren. Maria, die sah, dass es an Wein mangelte, sagte zu dem Herrn: „Sie haben keinen Wein“ (Joh 2,3). Welch ein einfaches Wort, woraus ihr festes Vertrauen auf die Macht des Herrn hervorgeht, dass Er imstande sein würde, in allen Bedürfnissen zur Hilfe zu kommen und allen Nöten zu begegnen. Die Antwort des Herrn an Seine Mutter klingt vielleicht fremd in unseren Ohren: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“

Sicher hat da Maria auch nicht verstanden, was der Herr meinte und warum Er ihr eine derartige Antwort gab. Sie wusste nicht – und konnte es auch nicht wissen –, dass Er sie, was Sein Handeln betraf, nicht als seine Mutter betrachten konnte. Um eine echte Segnung bringen zu können – was uns gezeigt wird in der Verwandlung von Wasser der Reinigung in Wein der Freude –, musste Er sich von ihr abwenden, weil das Verhältnis, worin Er zu ihr stand, prophetisch gesehen die Verbindung seiner natürlichen Beziehung zu Israel kennzeichnete.

Das Gleiche sehen wir bei einer anderen Gelegenheit: Als jemand aus der Volksmenge zu ihm sagte: „Siehe deine Mutter und deine Brüder draußen suchen dich“ (Mk 3,32), antwortete Er und sprach: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder?“ Er durchbrach auch da das Band, das Ihn mit Israel verband. Und als Er umhersah, sprach Er: „Siehe, meine Mutter und meine Brüder, denn wer irgend den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“ (Mk 3,34.35).

Und doch, wenn auch Maria dieses Wort und die Handlungsweise des Herrn Jesus nicht begreifen konnte, hören wir aus ihrem Mund kein Widerwort, keine Klage. Der Glaube in Ihn akzeptierte es und beugte sich. „Was irgend er euch sagen mag, tut“ (Joh 2,5). Das sagte sie zu den Dienern, wodurch sie ihre völliges Vertrauen auf Seine Weisheit zeigte sowie ihren festen Glauben, dass Er das tun würde, was recht war.

Möge das doch auch bei uns immer der Fall sein. Möchten auch wir ein so festes Vertrauen auf die Weisheit des Herrn zeigen, auf die Weisheit dessen, der uns liebt mit einer vollkommenen Liebe, mit der Er uns stets den Platz anweist, den wir entsprechend Seinen Gedanken, einnehmen sollen.

„Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau!“ Ein derartiges ermahnendes Wort muss der Herr auch jetzt noch öfter an uns richten, wenn wir den von ihm angewiesenen Platz verlassen und meinen, uns auf eine andere Art in den Vordergrund stellen zu müssen. Lasst uns in einem solchen Fall – so wie Maria – das Haupt demütig beugen und auf das warten, was der Herr in seiner Weisheit für uns als gut betrachtet.

„Frau, siehe dein Sohn“, sagte der Herr Jesus zu Seiner Mutter, als Er für unsere Sünden ans Kreuz genagelt war. Danach sprach Er zu Johannes, den Jünger, den Er lieb hatte: „Siehe, deine Mutter.“ Die Stunde war jetzt gekommen, von der Simeon im Tempel gesprochen hatte, als er das Kind Jesus in seinen Armen hatte und zu Maria sagte: „Auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Lk 2,35).

Maria hatte alle Dinge, die den Herrn Jesus betrafen, in ihrem Herzen bewahrt. Sie hatte ihren Sohn aufwachsen sehen; sie hatte gesehen, wie Er stark wurde und mit Weisheit erfüllt, wie Er zunahm in Größe und Gunst bei Gott und den Menschen; sie hatte verfolgt, wie Er Gutes tuend durch das Land zog und jedes Leiden und jede Krankheit unter dem Volk heilte. Sie hatte gesehen, dass Er, der gemäß der Botschaft des Engels bis in Ewigkeit König über das Haus Jakob sein und dessen Königreich kein Ende nehmen sollte, doch durch Sein Volk abgelehnt und verworfen wurde. Oft war sie geschockt und beunruhigt gewesen. Oft hörte sie Worte, wie sie sie bei der Hochzeit in Kana hatte vernehmen müssen: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau!“ (Joh 2,4).

Und jetzt? Jetzt stand sie am Fuß des Kreuzes, wo man ihren Sohn angenagelt hatte. Mit ihrer ganzen Seele zu Ihm hingezogen, war sie Ihm mit anderen Frauen nach Golgatha gefolgt und hatte gehört, wie Er zu ihnen gesagt hatte: „Töchter Jerusalems, weinet nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder“ (Lk 23,28). Während diejenigen, die dabeistanden, spottend sagten: „Wenn du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuz … und wir wollen an dich glauben“ (Mt 27,40–42), waren aus seinem Mund nur Worte der Vergebung und Erbarmung hervorgekommen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). Sie hörte, wie der Herr Jesus einem der Übeltäter auf sein Wort: „Herr, gedenke meiner“, die herrliche Verheißung zusprach: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,42.43).

Und jetzt war der Augenblick gekommen, wo Er sterben sollte, Er, ihr Kind. Jetzt war der Augenblick gekommen, von dem Simeon gesagt hatte, dass ein Schwert durch ihre Seele dringen sollte. Aber horch! Da ruft der Herr Jesus ihr vom Kreuz aus zu: „Frau, siehe dein Sohn“ (Joh 19,26), und zu dem Jünger, den Er lieb hatte, sagt Er: „Siehe deine Mutter!“ Welch ein Balsam für ihre Wunden! Er, der dort am Kreuz hing, wo über Sein Haupt schon Wellen des Gerichtes Gottes hingingen, Er denkt an sie und vertraut sie der Sorge des Jüngers an, zu dem Er besondere Zuneigung hatte.

Wie groß ist doch die Liebe des Heilandes! Waren auch Seine eigenen Leiden noch so groß – Er konnte doch mit Seiner Mutter beschäftigt sein und für ihre Zukunft sorgen. Johannes wartet nicht, sondern nimmt die Mutter des Herrn Jesus von dieser Stunde an in sein Haus
auf.

Möge doch diese Zuneigung des Herrn für seine Mutter für uns alle eine ernste Mahnung sein.

Gehe, wenn du den Herrn Jesus als deinen Erlöser und Herrn kennst, auch in dieser Hinsicht in Seinen Fußstapfen. Sei nicht nur deiner Mutter untertan, sondern betrage dich ihr gegenüber in derselben Herzensgesinnung, wie sie der Herr Jesus offenbarte, als Er seine letzten Worte an Seine Mutter richtete. Bedenke, dass nicht nur geschrieben steht: „Ihr Kinder gehorcht euren Eltern im Herrn, denn das ist recht“, sondern auch: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, welches das erste Gebot mit Verheißung ist, damit es dir wohl ergehe und du lange lebest auf der Erde“ (Eph 6,1.2).

Nach dem Kreuz finden wir Maria nur noch einmal in der Bibel erwähnt. Das ist beachten-wert! Weder am Grab noch bei der Auferstehung des Herrn noch während der Herr Jesus
sich lebend den Seinen zeigte, finden wir über sie eine einzige Mitteilung. Sie tritt ganz in
den Hintergrund, als ob sie zu uns sagen wollte, dass sie, obwohl sie eine wirklich gläubige
Frau war, doch nicht eine Frau war, die göttlicher Ehre zu empfangen würdig war. Der Herr
Jesus selbst hatte, als Er noch auf Erden war, auf den Ruf einer Frau aus der Menge: „Glückselig der Leib, der dich getragen“, geantwortet: „Ja, vielmehr glückselig die, die das
Wort Gottes hören und bewahren“ (Lk 11,27.28).

Wo finden wir Maria denn wieder? Wir finden sie inmitten derer, die in Jerusalem zusammengekommen waren, wo sie mit ihren ausharrte im Gebet. Siehe, das war ihr Platz. Und diesen Platz nahm sie mit Freuden ein. Ihr Leben war ein Leben in Niedrigkeit, ihr Wandel bestand im Bewahren der Worte des Herrn Jesus, und ihr Platz war in der Mitte derer, die sich in Abhängigkeit, mit Gebet und Flehen vor dem Herrn „niederbeugten“!

[Übersetzt aus „Uit het Woord der Waarheid“]