„Und darüber kamen seine Jünger und wunderten sich, dass er mit einer Frau redete. Dennoch sagte niemand: Was suchst du?, oder: Was redest du mit ihr?“ (Vers 27)
In diesen Versen 27–30 tut der Herr Jesus nichts und sagt auch nichts. Hier stehen zunächst die Jünger vor uns, dann die Frau und dann die Leute der Stadt. Die Jünger hatten von der ganzen Unterredung des Herrn mit der Frau nichts mitbekommen, denn sie waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen (Vers 8). Und sie offenba-ren hier ein gewisses Unverständnis für das, was der Herr Jesus mit dieser Frau tut. Für einen Juden wäre es schon ungewöhnlich gewesen, mit einer jüdischen Frau über geistliche Themen zu reden, für noch ungewöhnli-cher hielten es die Jünger, dass der Herr mit einer samaritischen Frau redete. Hätten sie noch dazu gewusst, worüber der Herr sich mit der Frau unterhalten hatte, wäre ihre Verwunderung noch größer gewesen.
Sie kannten den Wert nicht, den diese Frau in den Augen des Herrn hatte. Und sie verstanden auch noch nicht, dass der Herr in völliger Abhängigkeit von Seinem Vater in allem dessen Willen tat. Auch kannten sie noch nicht die Größe der Gnade, die sich in dem Herrn Jesus offenbart. Aber sie behalten wohl aus einem gewissen Respekt vor dem Herrn und Taktgefühl ihre Verwunderung und ihre Gedanken für sich. Sie hatten ein Empfinden dafür, dass es nicht angemessen war, ihrer Verwunderung auch Ausdruck zu geben und den Herrn vielleicht sogar zu korrigieren. Es ist nie angemessen, wenn wir meinen, wir wüssten besser, wie man sich zu verhalten hat, als der Herr. Möchten wir nie aufhören, in der Schule des Herrn zu lernen. Auch wenn wir die Wege des Herrn nicht ver-stehen, dürfen wir uns doch in Anerkennung der Größe Seiner Person nicht dazu hinreißen lassen, einen Vorwurf zu erheben (vgl. Mk 9,32). Auch in Joh 21,12 haben wir eine Szene, in der im Schweigen der Jünger ihre Hoch-achtung und Ehrerbietung zum Ausdruck kommt.
Ob die Frau wohl auch diese Verwunderung bei den Jüngern wahrgenommen hat? Ob das auch mit Anlass für sie gewesen ist, wegzugehen in die Stadt? Wir lesen in dieser Begebenheit nichts darüber. Aber wir wollen uns eine gewisse Sensibilität bewahren, wenn wir zu einem Gespräch zwischen zwei Personen dazustoßen, und die beiden vielleicht erst einmal ihr Gespräch beenden lassen. Es könnte störend wirken, wenn man so zu einem vertrauli-chen Gespräch einfach dazu tritt und könnte dieses Gespräch vielleicht abrupt beenden.
„Die Frau nun ließ ihren Wasserkrug stehen und ging weg in die Stadt und sagt zu den Leuten: Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe! Dieser ist doch nicht etwa der Christus“? (Vers 28+29)
Das alte Leben der Frau war nun vorbei, sie war zum Glauben gekommen. Sie ließ ihren Wasserkrug am Brunnen stehen. Das, wovon sie sich im ersten Teil dieses Gespräches überhaupt nicht hatte lösen können, war nun neben-sächlich geworden, weil sie nun ein höheres Interesse hatte. Bildlich gesprochen weist dieser Krug darauf hin, dass der Durst der Seele des unbekehrten Menschen nie zur Ruhe kommt, diese Zeit lag nun hinter der Frau. Der Herr war mit Seinen sieben Aussprüchen mit ihr zum Ziel gekommen. Sie zeigt auch das, was fast immer in Men-schen vorgeht, die zum Glauben gekommen sind: ihr erstes Bedürfnis ist, dass sie das, was sie erlebt hatte, ande-ren mitteilen wollte.
Lassen wir auch unseren Wasserkrug stehen angesichts der Herrlichkeiten, die wir in der Beschäftigung mit der Person des Herrn Jesus entdecken? Was auch immer unsere Neigungen oder Interessengebiete sein mögen, einem Vergleich mit der Herrlichkeit Seiner Person halten sie nicht Stand. Lassen wir das alles beiseite und konzentrie-ren uns allein auf diese wunderbare Person, die allein uns unendlich glücklich machen wird.
Diese Frau war zu der Erkenntnis gekommen, dass Jesus der Christus ist; der Blindgeborene war zu der Erkennt-nis gelangt, dass Jesus der Sohn Gottes ist (Joh 9,35–38). Beide Aspekte werden als Zielsetzung für die Zeichen im Johannes-Evangelium genannt (vgl. Joh 20,31).
Das Zeugnis, das diese Frau gibt, ist ein sehr einfaches Zeugnis. Sie spricht von dem, was sie selbst erlebt hat. Aber sie verbindet das mit der bemerkenswerten Aufforderung: „Kommt, seht einen Menschen...“. Ihr Zeugnis ist nicht allein auf sie selbst gerichtet, sondern sie weist auf den Herrn Jesus hin. Aber sie formuliert ihre Überzeu-gung über den Herrn Jesus in Form einer Frage, weil sie eine Frau ist. Auch für uns ist es wichtig, dass wir nicht so viel über uns erzählen; ein gutes Zeugnis ist ein Zeugnis über den Herrn Jesus. „Kommt und seht“ hatte auch der Herr Jesus selbst in Joh 1,39 zu den beiden Jüngern von Johannes dem Täufer gesagt, und Philippus ge-braucht die gleichen Worte gegenüber Nathanael (Joh 1,46).
Die Frau spricht mit diesen Worten eine Einladung aus, aber sie spricht auch ein Bekenntnis aus (Röm 10,10) und verschweigt nicht, dass der Herr Jesus sie ins Licht Gottes gestellt hatte. Das ist ein Beweis der Echtheit des Wer-kes, das in ihrem Herzen geschehen war. Eigentlich hatte der Herr ja nur recht wenig zu ihr gesagt; aber Er hatte bewiesen, dass Er alles wusste. Er hatte ihr ganzes altes Leben prägnant zusammengefasst, und es konnte auch in einem einzigen Wort zusammengefasst werden: es war gekennzeichnet von Sünde! Für diese Frau war das eine völlige Offenbarung ihres Zustandes gewesen. In den Versen 17+18 hatte sie noch vor dem Herrn verbergen wol-len, wie es wirklich in ihrem Leben aussah; hier bekennt sie und will nichts mehr verbergen. Der Herr hatte ihr eigentlich nur einen einzigen Punkt – allerdings einen ihr ganzes Leben prägenden Punkt – gesagt; Er hatte durch dieses prophetische Wort einen Punkt in ihrem Leben aufgedeckt, aber ihr war bewusst, dass damit auch alle an-deren Bereiche angesprochen waren. Der Herr möchte auch bei mir durch das, was Er mir gerade in meinem Le-ben aufzeigt, was nicht Seinen Gedanken entspricht, dass ich mein ganzes Leben in Sein Licht stelle, nicht nur diesen einen Punkt.
Der Herr Jesus hat bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gesagt: „Aus der Fülle des Herzens redet der Mund“ (Mt 12,34; Lk 6,45). Diese Frau bestätigt mit dem, was sie den Leuten der Stadt sagt, die Wahrheit dieser Worte des Herrn. Ihr Herz war voll von der Person, die mit ihr gesprochen hatte, und davon redete sie nun. Auch für uns gilt, dass wir nur dann ein wirksames Zeugnis für Christus ablegen können, wenn unser Herz voll von Ihm ist.
Der Ausdruck der Christus bedeutet nicht über all dasselbe. Hier ist der im Alten Testament angekündigte Messi-as für Sein irdisches Volk gemeint. In Apg 2,36 finden wir, dass der Herr Jesus von Gott „zum Herrn und zum Christus“ gemacht wurde. Da ist der Gedanke ein anderer; gemeint ist der von Gott erhöhte Herr, der jetzt im Himmel zur Rechten Gottes ist. In 1. Kor 12,12 bedeutet der Ausdruck der Christus die untrennbare Einheit zwi-schen der Versammlung auf Erden verbunden mit ihrem verherrlichten Haupt im Himmel.
„Sie gingen aus der Stadt hinaus und kamen zu ihm“. (Vers 30)
Die Leute aus der Stadt kommen zu dem Herrn Jesus. Darum geht es in jedem Dienst, dass die Menschen zu dem Herrn Jesus geführt werden, dass sie zu Ihm kommen. Das ist der entscheidende Punkt eines jeden Zeugnisses. War es nicht auch bei uns so, dass wir aus den alten Beziehungen herausgerufen werden mussten, um außerhalb „der Stadt“ eine persönliche Beziehung mit dem Herrn Jesus zu haben?
In diesem Vers lesen wir, dass sie aus der Stadt hinaus zu Ihm hingingen, aber erst in Vers 40 kommen sie an. Die Verse 31–39 beschreiben, was sich in der Zwischenzeit ereignet. Die Verse 31–38 beinhalten das Gespräch des Herrn mit Seinen Jüngern, und Vers 39 zeigt, was, ausgelöst durch die Worte der Frau, in der Stadt geschieht.
Das Gespräch des Herrn mit Seinen Jüngern – die Speise des Herrn (Vers 31–34)
In diesem Zwischenabschnitt von Vers 31–38 finden wir das Handeln des Herrn mit Seinen Jüngern. Der Ab-schnitt hat zwei Hauptpunkte: zuerst geht es um den Gegensatz von geistlicher Speise zu natürlicher Speise, und dann um die Frage des Säens und des Erntens. Aus der Unterweisung des Herrn für Seine Jünger können wir prak-tische Belehrungen für uns ableiten.
„In der Zwischenzeit baten ihn die Jünger und sprachen: Rabbi, iss“! (Vers 31)
Nur kurz wurde bisher in diesem Kapitel erwähnt, dass die Jünger in die Stadt gegangen waren, um Speise zu kau-fen (Vers 8), und dass sie von diesem Weg zurückgekehrt waren (Vers 27). Der Gegenstand der Unterredung des Herrn mit Seinen Jüngern ist ein ganz anderes Thema, als es das mit der Frau gewesen ist. Aber der Herr führt beide Themen zusammen. Die Verkündigung des Evangeliums, was in diesem Abschnitt im Vordergrund steht, hat nämlich immer das höchste Ziel, Anbeter zu gewinnen.
Einerseits sehen wir in der Aufforderung der Jünger an den Herrn ihre ganz natürliche Fürsorge für Ihn. Sie sind bemüht und besorgt um ihren Herrn. Er war ermüdet von der Reise, und die Jünger waren mit Ihm gereist und werden auch müde und hungrig und durstig gewesen sein. Sie hatten in der Stadt für diese natürlichen Bedürfnis-se gesorgt und fordern jetzt ihren Meister auf, zu essen.
„Er aber sprach zu ihnen: Ich habe eine Speise, die ihr nicht kennt.“ (Vers 32)
Mit Seiner Antwort möchte der Herr aber die Aufmerksamkeit der Jünger von den natürlichen, materiellen Din-gen, von der Speise für den Körper, weglenken, und deshalb spricht Er von einer ganz anderen Speise. So ähnlich war Er ja auch bei der Frau mit ihrem Wasserkrug vorgegangen; sie hatte immer nur an ihren natürlichen Durst gedacht und wurde vom Herrn auf etwas weit Höheres hingewiesen. Hier hatten sich die Jünger nur auf die natür-liche Speise konzentriert, und der Herr Jesus lenkt sie davon weg auf eine höhere Speise, eine geistliche Speise.
Wir lernen daraus, dass es im Leben wichtigere Dinge gibt als die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse. Na-türlich braucht unser Körper Speise, und Gott gibt uns das auch nicht nur zur Erhaltung des Leibes, sondern sogar zum Genuss (1. Tim 4,3; 6,17). Aber die Frage ist, was für uns das Wesentlichere im Leben ist (vgl. Röm 14,17). Wir können uns in diesem Zusammenhang auch einmal die Frage stellen, was in unseren Gebeten den Vorrang hat, die natürlichen Bedürfnisse oder die geistlichen Bedürfnisse (vgl. Kol 4,12)? Die geistliche Ebene ist das hö-here Niveau, und der Feind möchte uns gern mit dem Niedrigeren beschäftigen.
„Da sprachen die Jünger zueinander: Hat ihm wohl jemand zu essen gebracht“? (Vers 33)
Die Jünger verstehen diese Worte des Herrn nicht, sie können in die Gedanken des Herrn nicht eingehen. Sie hängen, ähnlich wie die Frau, am natürlichen Essen, an der Befriedigung der natürlichen körperlichen Bedürfnis-se.
„Jesus spricht zu ihnen: Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich ge-sandt hat, und sein Werk vollbringe“. (Vers 34)
Speise ist doch normalerweise etwas, das man zu sich nimmt. Aber der Herr spricht hier von etwas, das Er tut. Er drückt mit Seinen Worten aus, was Ihn befriedigt hat: nicht das Aufnehmen natürlicher Speisen, sondern das Vollbringen des Willens Seines Gottes (Ps 40,9). Das ist nicht nur das Werk vom Kreuz, was sicherlich der Höhe-punkt des Willens und Werkes Gottes war, sondern es ist auch Heiland der Welt zu sein und verlorene Sünder zu finden und dem Vater Anbeter zuzuführen.
Nur der Herr Jesus kannte diese Speise, niemand anders hätte sie kennen können, denn nur Er war gesandt wor-den von dem Vater. Mehrere Male wird das im Johannes-Evangelium betont (Joh 4,34; 5,30; 6,38; 8,29). Ohne Speise kann man natürlicherweise nicht leben; und so wollte und konnte der Herr auch nicht leben, ohne den Willen des Vaters zu tun. Der erste Aspekt oder die erste Aufgabe des Herrn Jesus als des vom Vater Gesandten war, den Vater hier auf der Erde zu offenbaren. Kein anderer konnte das tun. Die zweite Aufgabe war, hier auf der Erde in absolut vollkommener Weise den Willen des Vaters zu tun vom Anfang bis zum Ende. Sein ganzes Leben war ein Leben des Gehorsams. Und das dritte und letzte, was Er tun sollte, war Sein Werk zu vollbringen (vgl. 1. Joh 4,10). – Das war die Speise des Herrn Jesus! Es ist einzigartig, dass die Speise darin bestand, nicht nur etwas für sich zu nehmen, sondern etwas für andere zu tun; das war Sein Lebensinhalt, Seine Speise.
Wir sehen hier den Herrn Jesus als Mensch, wie Er gehorsam war und den Willen Gottes in vollkommener Weise tat. Aber Er hat nicht nur gehorcht, es war Seine Lust, das Wohlgefallen des Vaters zu tun. Das erhebt Seinen Ge-horsam auf eine einzigartige Höhe. Er unterwarf sich nicht nur dem Willen des Vaters, sondern Sein Wille und der Wille des Vaters waren vollkommen übereinstimmend, sodass es Seine Freude war, mit dem eigenen Willen den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hatte. Das ist etwas ganz anderes, als was wir unter Gehorsam verste-hen. Der Herr hat Gehorsam nicht gelernt (Heb 5,8), weil Er unterworfen werden oder zum Gehorsam gezwungen werden musste. Er lernte Gehorsam als etwas, was Er vor Seiner Menschwerdung nie gekannt hatte. In diesem Sinn war es etwas Fremdes, Neues für Ihn in Seiner eigenen Existenz, was Er lernte, aber es war nicht etwas Er-zwungenes. Sein Gehorsam bestand darin, dass Er Freude daran hatte, das zu tun, was der Vater wollte – bis hin zu dem Kreuz (vgl. Lk 22,41+42), es gab für Ihn keinen anderen Weg. Und Er hat in Seinem Gehorsam nicht nur getan, was der Vater wollte, sondern auch die Art und Weise, wie Er es tat, war zur vollkommenen Befriedigung des Vaters (Joh 14,31). In Seinem Gehorsam ist Er einzigartig und anbetungswürdig!
Jeder Beweggrund, den der Herr hatte, war zur Freude Seines Vaters. Jeder Gedanke, der Ihn leitete, war zu Sei-nem Wohlgefallen. Ob Er redete oder ob Er schwieg, nie war ein Wort zu viel oder zu wenig. Ob Er an einem Ort blieb oder ob Er weiterging, alles geschah im richtigen Augenblick. Ununterbrochen stieg der Duft des Speisop-fers zu Gottes ständigem Wohlgefallen empor. Wiederholt öffnete Er den Himmel über Ihm mit den Worten: „Dieser ist mein geliebter Sohn“ (Mt 3,17; 17,5), oder: „Du bist mein geliebter Sohn“ (Mk 1,11; Lk 3,22). Und dieses vollkommene Leben gipfelte in Seinem Werk am Kreuz (Joh 10,17). Die Speise Gottes im Alten Testament ist das Leben und das Opfer des Herrn Jesus, die Speise des Sohnes im Neuen Testament ist in allem der Wille des Vaters. Das war auch dann Seine Speise, als es mit Leiden und Verwerfung zu tun hatte. Und der Gipfelpunkt von allem, das Werk vom Kreuz, gehörte auch zu dieser Speise. Nie ist Gott mehr verherrlicht worden, als da, wo der Sohn Sein Werk vollbracht hat.
Das Gespräch des Herrn mit Seinen Jüngern – das Ernten der Jünger (Vers 35–38)
In einem gewissen Sinn wird das Thema das Werk Gottes auch in den jetzt Versen 35–38 fortgesetzt – jetzt aber nicht in dem, was der Herr Jesus getan hat, sondern in dem, was Seine Jünger tun sollten. Es geht in erster Linie um die Ernte, in die die Jünger ausgesandt worden waren, aber es geht auch noch einmal um das Säen. Wir müs-sen beim Nachdenken über diese Verse unterscheiden zwischen der eigentlichen Bedeutung für die Jünger da-mals und der praktischen Anwendung auf uns heute. Gerade bei der Betrachtung dieser Verse dürfen wir diese beiden Linien nicht durcheinanderbringen. Die erste Bedeutung der Worte des Herrn betrifft die 12 Jünger. Sie waren ausgesandt, das zu ernten, was andere gesät hatten.
Der Herr Jesus spricht hier vom Säen und vom Ernten, und davon, dass die Jünger in die Arbeit anderer eingetre-ten waren. Deshalb müssen wir zuerst verstehen, wer hier gesät und wer geerntet hat. Vor dem Herrn Jesus waren nämlich auch andere da, die gesät hatten, die Propheten des Alten Testaments. Die Säenden sind also die Prophe-ten des Alten Testaments bis hin zu Johannes dem Täufer, der der letzte in dieser Reihe ist. Aber auch der Herr Jesus hat gesät, in einer zweifachen Weise: Er hat das Wort gesät (Mk 4,14), und Er ist selbst als das Weizenkorn in die Erde gefallen und ist gestorben und hat dadurch viel Frucht gebracht (Joh 12,24). Gerade auf Ihn trifft das Wort aus Ps 126,5+6: „Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Er geht hin unter Weinen und trägt den Sa-men zur Aussaat; er kommt heim mit Jubel und trägt seine Garben“.
Durch das, was die alttestamentlichen Propheten als Grundlage gelegt hatten, und auch ganz besonders durch den Dienst und das Werk des Herrn war eine Basis geschaffen, auf der die Jünger jetzt eine reiche Frucht einbringen konnten. Besonders in der Apostelgeschichte sehen wir die Frucht, die die Jünger eingebracht haben. Denken wir nur einmal an Samaria; hier in Joh 4 wird in Samaria gesät, und in Apg 8 finden wir, wie in Samaria viel Frucht eingebracht wird.
Heb 1 und 2 zeigen uns diese erste Linie deutlich auf. In Heb 1,1+2 finden wir, wie durch den Dienst der alttes-tamentlichen Propheten bis hin zu dem Dienst und Werk des Herrn Jesus die Aussaat erfolgte, und in Heb 2,3+4 finden wir, wie in den ersten Tagen der Apostelgeschichte durch die Apostel die erste Ernte eingebracht wurde.
Wenn wir neben dieser buchstäblichen Auslegung diesen Abschnitt auf uns anwenden, finden wir darin ver-schiedene schöne Beweggründe, um in der Ernte des Herrn zu arbeiten:
• die Ernte ist groß
• es gibt Lohn, es gibt Frucht
• es gibt gemeinsame Freude derer, die säen und derer, die ernten
• der Herr Jesus ist derjenige, der aussendet; Er als Auftraggeber macht unseren Dienst so wertvoll
„Sagt ihr nicht: Es sind noch vier Monate, und die Ernte kommt? Siehe, ich sage euch: Erhebt eure Augen und schaut die Felder an, denn sie sind weiß zur Ernte“. (Vers 35)
Die Erntezeit begann mit der Gerstenernte, die im März/April des bürgerlichen Jahres stattfand. Wenn es hier in diesem Gespräch noch vier Monate bis dahin waren, ereignen sich die Geschehnisse dieses Kapitels im Dezem-ber/Januar. Im jüdischen Festkalender wurde die Erstlingsgarbe der Gerstenernte direkt nach dem Passah ge-bracht, und sieben Wochen später das neue Speisopfer mit den Webebroten aus Weizen. Aus den Worten des Herrn wird deutlich, dass die Jünger wieder mit dem Natürlichen beschäftigt waren, und der Herr muss sie davon weg auf das Geistliche lenken.
Deshalb fordert Er sie jetzt auf, die Augen ihrer Herzen zu öffnen. Dann würden sie ganz andere Felder sehen als die landwirtschaftlichen Felder Israels; Felder, die weiß zur Ernte sind. Mit der Mehrzahl-Form Felder lenkt Er ihren Blick über Israel hinaus. Der Herr befand sich hier ja auf einem Feld, das nicht mehr direkt zu Israel bzw. Judäa gehörte, wo sie Ihn verworfen hatten. Und jetzt weitet Er den Blick der Jünger dafür, dass die Botschaft Gottes über Israel hinaus sich über die ganze Erde erstreckt. Die Samariter bestätigten das, indem sie Ihn als Hei-land der Welt erkannt hatten (Vers 42; vgl. Jes 49,6). Es geht in Jes 49 übrigens nicht um das Evangelium der jet-zigen Zeit, die Propheten sprechen nicht von der Gnadenzeit, sondern von der Zeit des Messias und vom 1000-jährigen Reich. Auch Jes 49,6 bezieht sich in buchstäblicher Auslegung in erster Linie auf das 1000-jährige Reich.
Wir müssen dabei aber im Auge behalten, dass alle Voraussagen, die auf das 1000-jährige Reich zielen, eine geistliche Vorweg-Erfüllung in der gegenwärtigen Zeit der Gnade finden. In diesem Sinn haben auch wir Teil am Reich Gottes, aber nicht in der äußerlichen Weise, sondern in einer geistlichen Weise. Die Weissagungen des Al-ten Testaments haben als Ziel das 1000-jährige Reich mit dessen König, aber vieles davon hat seine Vorweg-Erfüllung im Christentum schon gefunden.
„Der erntet, empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit beide, der sät und der erntet, zugleich sich freuen. Denn hierin ist der Spruch wahr: Einer ist es, der sät, und ein anderer, der erntet.“ (Vers 36+37)
Wir sehen in diesem Vers eine Unterscheidung zwischen denen, die säen, und denen, die ernten. Aber sie werden auch miteinander verbunden, wenn es um die gemeinsame Freude geht. Die alttestamentlichen Propheten haben gesät, ihr Dienst war nicht erfolglos gewesen, auch wenn sie es zu ihren Lebzeiten nicht mehr erlebt hatten. Jetzt in den Tagen der Apostel war die Zeit der Ernte angebrochen. Wie ist das eigentlich möglich, dass sich die alttes-tamentlichen Propheten und die neutestamentlichen Apostel zugleich freuen? Die alttestamentlichen Propheten lebten doch gar nicht mehr. Auch Johannes der Täufer lebte in den ersten Tagen der Apostelgeschichte nicht mehr. Aber es wird der Augenblick kommen, wo beide zugleich sich freuen werden. Wir blicken hier voraus in die vor uns liegende Ewigkeit, wenn das ganze Ergebnis der Ernte zum ewigen Leben sichtbar sein wird. Die alt-testamentlichen Propheten werden nicht ohne uns vollkommen gemacht (Heb 11,40); es wird eine Zeit gemein-samer Freude alttestamentlicher und neutestamentlicher Diener geben, wo sie gemeinsam die wunderbaren Wege Gottes und das Wirken des Geistes Gottes durch alle Zeiten hindurch bewundern werden.
Das Säen der alttestamentlichen Propheten geschah also, indem sie Christus angekündigt haben, wie Er in Gnade kommen würde und sich diese Gnade zu allen Menschen erstrecken würde (1. Pet 1,10–12; Apg 13,46). Und die Ernte konnte jetzt beginnen, weil Christus da war.
Im Natürlichen ist es so, dass zuerst gesät wird und dann geerntet wird. Hier spricht der Herr Jesus zuerst und auch mehr von dem Ernten und erst danach von dem Säen. Das Ernten ist sicher auch Arbeit, aber es wird mehr mit Freude verbunden. Die Erntezeit war in Israel eine Zeit der Freude (Ps 126,5+6). Die Ernte hat in den Augen des Herrn einen hohen Wert, wie wertvoll ist für Ihn schon eine einzige Seele, wie hier die Samariterin. Der Herr Jesus hatte es nicht nötig, an 7000 erinnert zu werden, Er hatte einen Blick für den Einzelnen. Er sagt in Lk 10,2, dass die Ernte groß ist. In unseren Augen ist sie manchmal unscheinbar, aber für Ihn ist sie groß. Wie wertvoll ist Ihm jede einzelne Seele! Im Himmel ist Freude über einen Sünder, der Buße tut (Lk 15,7+10) – was muss dann erst die volle Ernte für Jubel bedeuten für den Herrn Jesus.
Wie groß ist Gott, dass Er auch dem, der erntet, Lohn geben wird. Lohn wird empfangen, Frucht wird gesammelt. Der Lohn ist für jeden Arbeiter persönlich, die Frucht ist für Gott. Lohn bezieht sich darauf, dass wir in Treue für den Herrn arbeiten. Lohn verdienen wir nicht, wir empfangen ihn aus Gnade (Off 22,12). Dieser Lohn wird übri-gens nicht zu unserer eigenen Ehre sein, sondern zur Verherrlichung des Herrn. Frucht ist das Ergebnis, das aus der Arbeit auf den Feldern des Herrn herauskommt, sie wird gesammelt. Das zeigt uns, dass wir darin eine Aufga-be haben. Zum Empfangen von etwas muss man nur die Hand aufhalten, aber zum Sammeln muss man selbst tätig werden. Selbst im natürlichen Leben sagt man: „Von nichts kommt nichts“; das gilt auch im Geistlichen. Wenn wir nicht sammeln, können wir nicht damit rechnen, dass wir etwas haben, was wir Gott bringen können.
Frucht in diesem Sinn ist auch nicht nur, dass Menschen dem Evangelium glauben und gerettet werden. Jedes Er-gebnis, das aus der Aussaat des Wortes hervorgeht – nicht nur die Bekehrung von Menschen, auch das Wachstum in Gläubigen, die Auferbauung des Leibes Christi – ist Frucht für Gott. Ist es nicht auch eine wunderbare Frucht für Gott, wenn solche, die durch das Blut des Lammes erlöst worden sind, hin zur Anbetung geführt werden? Und es ist Frucht zum ewigen Leben, sie bleibt in Ewigkeit zur Verherrlichung unseres Herrn. Frucht, die für Gott ge-wirkt worden ist, hat ewigen Bestand. Auch der Lohn und die Freude werden ewigen Bestand haben.
„Ich habe euch gesandt, zu ernten, woran ihr nicht gearbeitet habt; andere haben ge-arbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten“. (Vers 38)
Der Herr Jesus ist der Auftraggeber für jeden Dienst, wir sind Gesandte an Seiner Statt (2. Kor 5,20). Und wenn das Säen und auch das Ernten hier ganz deutlich mit Arbeit verbunden wird, mit Mühe, dann ermuntern wir uns und motivieren uns im Blick auf diese Mühe mit den Worten von Paulus an die Korinther: „Daher meine gelieb-ten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werk des Herrn, da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist in dem Herrn“ (1. Kor 15,58).