Paulus macht während seiner dritten Missionsreise halt in Troas

In der letzten Phase seiner dritten Missionsreise legte Paulus besondere Eile an den Tag, da ihm nicht mehr viel Zeit blieb, seinen Vorsatz zu erfüllen, am Pfingstfest in Jerusalem zu sein (Apg 20,16). Als er auf dem Weg zu seinem angestrebten Ziel von Philippi nach Troas segelte, benötigte er mit fünf Tagen recht lange für die Überfahrt (Apg 20,6).Trotz des engen Zeitrahmens – es blieben ihm noch 41 Tage – verweilte der Apostel eine Woche in Troas. Warum diese Verzögerung? Die Antwort scheint darin zu liegen, dass er am Brotbrechen teilnehmen wollte, das offenbar jeden Sonntag vorgenommen wurde. Montags angekommen, hatte er darauf verzichten müssen, und das wollte er nicht noch einmal in Kauf nehmen. Gleichzeitig begrüßte er es gewiß auch, sich etwas länger in dieser Stadt aufhalten zu können, was ihm bei früheren Gelegenheiten nicht möglich gewesen war (Apg 16,8–10; 2. Kor 2,12).

Die Zusammenkünfte am Sonntag fanden abends statt, da dieser Tag damals ein gewöhnlicher Arbeitstag war. Man nutzte als Versammlungsort das oberste Stockwerk eines Gebäudes, das wohlhabende Gläubige zur Verfügung gestellt haben könnten.

Eutychus schläft im Obersaal ein und stürzt aus dem Fenster

Auch Eutychus (übersetzt: „Der Glückliche“) mag an dem ersten Tag der Woche hart gearbeitet haben. Trotzdem machte er sich auf, um an der Zusammenkunft teilzunehmen. Es ging an diesem Sonntag recht eng zu. Deshalb nahm Eutychus vorlieb mit einem Platz an der Fensterluke und überließ den Älteren die bequemeren Sitzgelegenheiten.Vielleicht war ihm das aber gar nicht so unrecht. Denn es konnte in dem überfüllten Raum, der von vielen Fackeln erleuchtet wurde, ziemlich warm werden, besonders dann, wenn es etwas länger dauerte. Und damit mußte man rechnen. War doch nach dem Brotbrechen eine Unterredung über Gottes Wort anberaumt worden, wobei allen bekannt war, dass Paulus am nächsten Morgen abreisen wollte; alles, was es zu besprechen gab, hatte also noch an diesem Abend zu erfolgen. Der Apostel war ausserdem dafür bekannt, dass er in seinem Eifer für den Herrn nicht selten auch nachts lehrte (vgl. Apg 20,31).

Es kam, wie man vermuten konnte: Paulus sprach lange, sehr lange. Stunde um Stunde verging. Die Konzentration des Eutychus nahm merklich ab, sein Interesse sank auf den Nullpunkt. Ein harter Kampf mit dem Schlaf entbrannte, den er verlor: Um Mitternacht stürzte er, vom Schlaf überwältigt, aus dem Fenster. Zutiefst erschrocken eilten die Gläubigen zu dem jungen Mann, der regungslos am Boden lag. Kein Lebenszeichen! Hier konnte auch der Arzt Lukas, der mit Paulus nach Troas gereist war, nicht mehr helfen. Paulus aber, dem Beispiel der alten Propheten folgend (1. Kön 17,21 / 2. Kön 4,34), beugte sich über den Knaben, der daraufhin durch die Kraft Gottes wieder lebendig wurde. Nach diesem aufsehenerregenden Ereignis nahm man eine kurze Mahlzeit ein. Anschließend wurde die Betrachtung bis zum Morgen fortgesetzt, während sich der „Glückliche“ in den verbleibenden Stunden der Nacht ausruhte. Bei Tagesanbruch wurde er zu den Geschwistern gebracht, die es als große Ermunterung empfanden, ihn wieder in ihrer Mitte zu sehen.

Was wir daraus lernen können

Wir lernen aus dieser Begebenheit, das wir aufmerksam in den Zusammenkünften sein sollten. Unsere regelmäßigen Zusammenkünfte als Versammlung dauern ja oft nicht länger als eine Stunde. Wäre es nicht sehr schade, wenn wir uns nicht einmal so lange konzentrieren könnten (vgl. Mk 14,37)? Und wie sieht es mit anderen Gelegenheiten aus, wo Gottes Wort betrachtet wird? Sind wir bereit dafür einen oder mehrere Tage zu investieren? Oder ist uns alles, was länger wie eine Stunde dauern könnte, grundsätzlich zu viel? Den Gläubigen in Troas – bis auf Eutychus! – fiel es, mit ihren für den Herrn brennenden Herzen, jedenfalls nicht schwer, tiefgehende Erörterungen über geistliche Themen stundenlang mit gespitzten Ohren zu verfolgen.

Eine weitere Frage drängt sich auf. „Hören“ wir auf Paulus in unserem persönlichen Bibelstudium, auch wenn einige seiner Briefe schwer zu verstehen sind (vgl. 2. Pet 3,15.16)? Wieviel Zeit nehmen wir uns für das Lesen der Heiligen Schrift? Ein Tag hat 96 Viertelstunden, sollte nicht wenigstens eine (das wäre nur ca. 1%!) dafür reserviert werden?

Einen anderen Aspekt wollen wir auch noch kurz beleuchten. Eutychus saß in der äußerste Ecke. Darin könnte man einen Hinweis sehen, dass die vorher erwähnte Interesselosigkeit oft mit einer Art „Randfigurendasein“ in der Versammlung einhergeht: Einerseits werden die Kontakte zu Gläubigen vernachlässigt, andererseits aber Freundschaften mit Ungläubigen geknüpft, die sich doch in geistlicher Finsternis befinden (vgl. 1. Pet 2,9; 1. Thes 5,4.5). Die Frage nach der Teilnahme am Brotbrechen wird verdrängt. Selbst wenn dieser Schritt getan wurde, erwägt man nicht, inwiefern der Herr einen in den Zusammenkünften benutzen möchte (als jungen Bruder). Irgendwie steht man abseits.

Dies alles sind Symptome eines Schlafes im geistlichen Sinn, der die große Gefahr in sich birgt, „abzustürzen“, das heisst in Sünde zu fallen. Wir können dabei in einen Zustand geraten, in dem wir den Unbekehrten gleichen, die tot – tot in ihren Sünden und Vergehungen (vgl. Eph 2,1) – sind. Das neue Leben, das jeder Christ hat, ist dann kaum mehr wahrnehmbar. Das wird Unruhe und tiefe Besorgnis in der Versammlung (Gemeinde) hervorrufen. So war es im Prinzip bei Eutychus. Doch seine Geschichte zeigt uns auch, das es nicht so bleiben muß. Es gibt einen Weg zurück! Wer ihn geht, wird für andere zum Trost und selbst wirklich glücklich werden.

Wir wollen diese Geschichte aus Gottes Wort zum Anlaß nehmen, die nachfolgende Ermahnung des Apostels Paulus zu unseren Herzen reden zu lassen:

„Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!“ (Eph 5,14)