Die Wüstenreise der Kinder Israel dauerte exakt 40 Jahre. Sie begann in Raemses am 15. des 1. Monats im 1. Jahr ihres Auszugs (4. Mo 33,2) am Tag nach dem Passah und endete in Gilgal mit der Passahfeier am 14. des 1. Monats im 41. Jahr ihres Auszugs (Jos 5,10 in Verbindung mit 5. Mo 1,3).

Ein Teilabschnitt dieser Reise wird in 5. Mose 1,2 angesprochen:

„Elf Tagereisen sind es vom Horeb, auf dem Weg des Gebirges Seir, bis Kades-Barnea.“

Der Umfang dieser Teilstrecke ist aus der unten dargestellten Karte ersichtlich. Auch ohne weitere Überlegungen wird deutlich, dass die in 5. Mose 1,2 für diese Etappe angegebene Reisedauer von 11  Tagen keineswegs auf die komplette Wüstenreise des Volkes Israel übertragen werden darf. Selbst wenn das Volk ohne große Unterbrechungen mit optimaler Reisegeschwindigkeit unterwegs gewesen wäre, hätte es für den Weg von Raemses bis Gilgal sicherlich ein Vielfaches von 11 Tagen benötigt.

Fazit:

Die oft gehörte und auch gelesene Aussage, nach dem Ratschluss Gotte habe das Volk Israel nur 11 Tage durch die Wüste ziehen sollen, findet ihre Grundlage jedenfalls nicht in 5. Mose 1,2!

Gottes Ratschluss und die Wüstenreise

Es bleibt dann noch die Frage offen, ob es überhaupt der Ratschluss Gottes war, das Volk Israel auf dem von ihm vorgesehenen Weg (2. Mo 13,17.18) unmittelbar ins gelobte Land zu führen:

Nach dem Durchzug durch das Rote Meer zog das Volk nach dem Ratschluss Gottes über einige wesentliche Stationen zunächst in die Wüste Sinai. Dort kamen sie im 3. Monat nach ihrem Auszug aus dem Land Ägypten an (2. Mo 19,1). Hier blieben sie nach 4. Mose 10,11–13 bis zum 20. des 2. Monats im 2. Jahr ihres Auszugs, das sind rund 11 Monate.

In dieser Zeit und an diesem Ort wurde dem Volk das Gesetz gegeben, es wurde die Wohnung des Zeugnisses (die Stiftshütte) hergestellt und aufgerichtet, der Opferdienst wurde eingesetzt und der Priesterdienst eingerichtet. Erst als alle diese Verrichtungen abgeschlossen waren, erhob sich die Wolke von der Wohnung des Zeugnisses und gab so das Signal zum Aufbruch.

An keiner Stelle dieser umfangreichen Berichte in 2. Mose, 3. Mose und 4. Mose findet man einen Hinweis darauf, dass die Geschehnisse nicht den Gedanken Gottes entsprochen hätten. Vielmehr festigt sich der Eindruck, dass der Aufenthalt in der Wüste Sinai genau Gottes Absicht entsprach:

  • War es nicht nützlich für das Volk Gottes, tatsächlich für eine gewisse Zeit Erfahrungen in der Wüste zu sammeln, Erfahrungen, von denen die Gläubigen heute (in der Anwendung) noch großen Nutzen haben?
  • Der Einzug in das Land Kanaan und die ersten Jahre danach waren geprägt von Kämpfen, beginnend mit der Einnahme von Jericho. Wann hätte das gesamte Volk denn Zeit und vor allem wo hätte es einen geeigneten Ort finden können, in Ruhe die oben genannten einzelnen Vorschriften und Einrichtungen aus der Hand Gottes entgegen zu nehmen?
  • Salomo begann 480 Jahre nach dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten im Auftrag Gottes mit dem Bau des Tempels, dem Haus Gottes (1. Kön 6,1). Ist es nicht vorstellbar, dass Gott, der doch bei seinem Volk wohnen wollte, Sorge dafür trug, dass bereits beim Einzug in das Land ein – wenn auch noch mobiles – Heiligtum zur Verfügung stand, das dann (freilich nach allerlei Wirren) Bestand hatte, bis seine Einzelteile in den Tempel gebracht wurden?
  • Wie hätte zum Beispiel die Einnahme Jerichos nach den Vorgaben Gottes erfolgen sollen, wenn weder die Lade des Herrn noch die Priester zur Verfügung gestanden hätten (s. Jos 6,6)?

Diese Aufzählung könnte man sicher noch weiter führen. Die genannten Punkte mögen aber hinreichend den Gedanken unterstützen, dass der Aufenthalt von 11 Monaten in der Wüste Sinai Gottes ausdrückliche Absicht war.

Nach 5. Mose 1,19 zog das Volk vom Horeb weiter nach Kades Barnea. (Das ist genau die Teilstrecke, die in 5. Mose 1,2 erwähnt wird!) Hier erst ereignet sich dann die entscheidende Wende insofern, als Gottes Ratschluss durch die Widerspenstigkeit seines Volkes maßgebend verändert wird.

Von Kades Barnes aus sollte nach dem Ratschluss Gottes die Landeinnahme beginnen, das ist in 5. Mose 1,21 nachzulesen. Über die Art und Weise, wie dies im Einzelnen von statten gehen sollte, teilt uns die Schrift nichts mit. Das Volk vertraut jedoch nicht auf Gottes Zusage, es in das Land zu bringen, das von Milch und Honig fließt. Es lässt sich durch den Bericht der Kundschafter über die Riesen im Land und die bis an den Himmel befestigten Städte derart beeindrucken, dass es – gegen den ausdrücklichen Rat von Josua und Kaleb – auf die Fortsetzung der Reise verzichten und nach Ägypten zurückkehren will. Die Folge ist wohlbekannt, das Volk Israel muss weitere 39 Jahre in der Wüste zubringen und darf erst dann ins Gelobte Land einziehen (4. Mo 14,34).

Fazit:

Bis zu diesem Ereignis in Kades Barnea entsprach der Ablauf der Wüstenreise des Volkes Israel tatsächlich den Absichten Gottes. Die Schrift lässt keinen Hinweis darauf erkennen, dass Gott sein Volk unmittelbar (ohne den Aufenthalt in der Wüste Sinai) ins verheißene Land führen wollte.

[Eingesandt von Hermann Müller]