Einleitende Bemerkungen zu Kapitel 6

Wir haben am Anfang von Kapitel 5 schon gesehen, dass die Kapitel 5 bis 7 in einem inneren Zusammenhang stehen. Alle drei Kapitel beginnen mit einer Begebenheit, die an einem Fest der Juden stattfindet. In Kapitel 5 und 6 ist es das Passah-Fest und in Kapitel 7 das Laubhüttenfest. Und in jedem dieser drei Kapitel folgen dann auf die einleitenden Be-gebenheiten ausführliche Ansprachen des Herrn Jesus, die weit tiefgründiger sind als das, was in den jeweiligen Bege-benheiten vorgestellt wird.

Wenn auch jedes dieser drei Kapitel mit einem „Danach“ beginnt, bedeutet das doch nicht, dass es sich um zeitlich direkt aufeinander folgende Ereignisse handelt. Bei der Betrachtung von Johannes 5 haben wir gesehen, dass es sich bei dem dort in Vers 1 genannten Fest der Juden um das Passah-Fest handelt. Hier in Joh 6,4 haben wir wieder ein Passah-Fest erwähnt, d.h. zwischen den Ereignissen von Kapitel 5 und Kapitel 6 liegt fast ein ganzes Jahr; ein ganzes Jahr aus dem Leben des Herrn Jesus, das hier im Johannes-Evangelium mehr oder weniger übersprungen wird. In den anderen Evangelien finden wir, dass in diesem Jahr eine ganze Reihe von Handlungen und Ereignissen geschahen, die aber von Johannes gar nicht aufgeführt werden.

Die Kapitel 5 und 6 zeigen zwei Wahrheiten über die Person des Herrn Jesus in Verbindung mit dem ewigen Leben. In Kapitel 5 sehen wir mehr die Seite Seiner Gottheit; Er ist der Sohn, der lebendig macht – und diese Wahrheit wird ein-geführt durch die Begebenheit am Teich Bethesda. In Kapitel 6 haben wir den Herrn Jesus als den Menschen aus dem Himmel, der auf die Erde kommt, hier lebt und Sein Leben lässt, und dadurch die Person ist, an die der Mensch glau-ben muss, um ewiges Leben zu bekommen – und dieses Thema wird eingeführt durch die Begebenheit der Brotvermehrung.

Wir haben in diesem Kapitel 6 drei besondere Punkte im Blick auf die Person des Herrn Jesus: in Seiner Menschwerdung ist Er das Brot für die Welt (Vers 33), das den Menschen aber nur dann nützt, wenn sie auch an Seinen Tod und Seine Auferstehung glauben, als der Gestorbene ist Er die Speise für die Gläubigen (Vers 56), und als der Auferstandene begründet Er die Gemeinschaft der Gläubigen mit einem verherrlichten Herrn (Vers 62).

Das Zeichen der Brotvermehrung – Die Speisung der Fünftausend

Die dieses Kapitel einleitende Begebenheit der Speisung der Fünftausend wird ja als einziges Wunder oder Zeichen des Herrn Jesus von allen vier Schreibern der Evangelien berichtet (Mt 14,13–21; Mk 6,32–44; Lk 9,10–17). Das ist außer-gewöhnlich, denn sonst nur noch die Begegnung mit Johannes dem Täufer bei Seiner Taufe und das Leidenswerk am Kreuz werden von allen vier Evangelien berichtet. Aber hier haben wir die einzige Begebenheit, die während Seines Le-bens geschehen ist, die von allen vier Schreibern der Evangelien berichtet wird. Scheinbar gab es auch unterschiedliche Ausgangssituationen vor diesem Zeichen. In Matthäus hatte sich der Herr nach der Enthauptung Johannes des Täufers an einen öden Ort zurückgezogen, in Markus sollten sich die Jünger nach einem anstrengenden Tag ein wenig bei Ihm ausruhen. Nur Johannes schildert in allen Einzelheiten, als ob jede einzelne Handlung ausschließlich von dem Herrn Je-sus ausgehen würde. Das entspricht genau dem Charakter des Johannes-Evangeliums, wo alles von Ihm ausgeht und wo Er von Anfang an genau wusste, was Er tun wollte.

Diese Einzelheiten beim aufmerksamen Lesen festzustellen, führt uns zur Bewunderung der Inspiration des Wortes Got-tes! Nicht nur Wort für Wort ist von Gott eingegeben, sondern auch die großen Linien, die Anordnungen, und die dadurch entstehenden Bilder gehören mit zur Inspiration und geben diesem göttlichen Wort sein einzigartiges Gepräge.

Johannes schildert ja mehrere Begebenheiten, bei denen es an etwas mangelte; in Kapitel 2 bei der Hochzeit zu Kana war kein Wein mehr da, in Kapitel 4 mangelte es der Frau an lebendigem Wasser, und hier fehlt Brot. Auch in Joh 21 kommt noch einmal die Frage an die Jünger: „Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen“? (Vers 5). Johannes zeigt mehr als die übrigen Schreiber der Evangelien, dass der Herr der einzige ist, der alle Bedürfnisse des Menschen stillen kann.

Johannes ist der einzige Schreiber der Evangelien, der im Anschluss an dieses Zeichen auch die Belehrung anschließt, was mit diesem Zeichen eigentlich gemeint ist. Das ganze Kapitel 6 handelt ja dann davon, dass Er ihnen das Manna vorstellt; Er selbst als Mensch auf der Erde ist dieses Manna, das aus dem Himmel herabgekommen ist. Sieben Mal werden in diesem Kapitel diese Worte „aus dem Himmel herabgekommen“ gebraucht (Vers 33.38.41.42.50.51.58). Sein Leben auf der Erde ist unsere Speise. Und daran anschließend schildert Er dann aufgrund des Murrens der Juden, wie Er überhaupt unser Manna geworden ist; dabei wechselt Er das Bild und spricht von dem Essen Seines Fleisches und dem Trinken Seines Blutes. Der Herr Jesus ist Mensch geworden, um sterben zu können und um uns Sein Fleisch zum Essen und Sein Blut zum Trinken zu geben. Das bedeutet für uns, sich im Glauben mit einem gestorbenen Chris-tus eins zu machen. Einmal, um zum Glauben zu kommen (Vers 51 und 53), und dann kontinuierlich als Nahrung des Gläubigen (Vers 54 und 56) müssen wir uns von Ihm nähren. Das ist unsere Speise.

In weiten Teilen der Christenheit werden diese Worte des Herrn aus Vers 54 als Hinweis auf das Mahl des Herrn gedeu-tet; aber das würde bedeuten, dass man durch das Teilnehmen an dem Mahl des Herrn ewiges Leben bekommen würde (Vers 54) – eine total verkehrte Lehre! Durch diese List ist es Satan gelungen, das Evangelium in großen Teilen der Christenheit unnötig erscheinen zu lassen, denn wer braucht schon das Evangelium, wenn er allein durch die Teilnahme am Abendmahl ewiges Leben erlangt?

„Danach ging Jesus weg auf die andere Seite des Sees von Galiläa oder von Tiberias“. (Vers 1)

Wir haben schon gesehen, dass es sich hier nicht um ein chronologisches „Danach“ handelt, sondern um ein morali-sches. Johannes stellt unter der Leitung des Heiligen Geistes die verschiedenen Begebenheiten in einen moralischen Zusammenhang. Kapitel 5 hatte ein recht trauriges Ende mit der Feststellung, dass kein Glaube bei den Juden vorhanden war. Der Herr Jesus hatte daraufhin Jerusalem verlassen und wir finden Ihn jetzt hier auf der anderen Seite des Sees von Galiläa. Es findet also wieder ein räumlicher Wechsel statt von Judäa nach Galiläa, wie wir es schon häufiger im Ver-lauf der bisher betrachteten Kapitel gesehen haben.

„...und eine große Volksmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat“. (Vers 2)

Der Beweggrund für die Volksmenge, dem Herrn zu folgen, waren die Zeichen, die Er an den Kranken tat. Das Volk war in den zwei Jahren seit dem ersten Passah in Kapitel 2 nicht weiter gekommen; auch dort hatten sie an Seinen Na-men geglaubt, als sie Seine Zeichen sahen, die Er tat (Joh 2,23). Nur des äußeren Handelns wegen folgten sie Ihm, damals wie auch hier.

„Jesus aber ging hinauf auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern“. (Vers 3)

Nur Johannes berichtet, dass dieses Zeichen der Brotvermehrung von einem Berg aus geschah. Er stellt uns den Herrn ja besonders als den aus dem Himmel Gekommenen vor, den Himmlischen, und letztlich geschieht dieses Wunder von oben kommend. Das wird mit der Erwähnung des Berges symbolisch angedeutet. Vielleicht hatte sich der Herr dort ge-setzt, um zu lehren, wie Er es auch bei der sogenannten Bergpredigt getan hatte (Mt 5,1). Er möchte ja seine Jünger über die Speise des Volkes Gottes belehren, wie wir im Verlauf des Kapitels noch sehen.

„Es war aber das Passah nahe, das Fest der Juden“. (Vers 4)

Zum dritten Mal in diesem Evangelium wird das Passah-Fest ein Fest der Juden genannt (Joh 2,13; 5,1); auch das Laubhüttenfest im nächsten Kapitel wird wieder Fest der Juden genannt (Joh 7,2). Die als Feste des HERRN (3. Mo 23) eingesetzten Feste hatten ihren ursprünglichen Charakter verloren und waren zu Festen der Juden geworden. Allerdings müssen wir auch bedenken, dass Johannes sein Evangelium ja sehr spät erst geschrieben hat, ca. 20 Jahre nach der Zer-störung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr., so dass dieser Zusatz auch eine gewisse Erläuterung für seine mit den früheren jüdischen Zeremonien nicht mehr so vertrauten Leser ist.

„Als nun Jesus die Augen aufhob und sah, dass eine große Volksmenge zu ihm kommt, spricht er zu Philippus: Woher sollen wir Brote kaufen, damit diese essen?“ (Vers 5)

Mit dem Ausdruck, dass Jesus die Augen aufhob und sah, wird ein ganz bewusstes, von innen gesteuertes Sehen ange-deutet. Er sieht nicht nur die Volksmengen herankommen, sondern Er sieht tiefer, Er sieht ihre Beweggründe, und er sieht auch ihren eigentlichen, wirklichen Bedarf. Es ist ein Sehen der Barmherzigkeit (Lk 1,78). Mk 6,34 sagt, dass Er innerlich bewegt über diese Volksmenge wurde, weil sie wie Schafe waren die keinen Hirten haben. Und wie der wahre Hirte Israels nach Seinen Schafen fragen wird, so nimmt Er sich auch hier Seiner Herde an (Hes 34,11 ff.). Er sah ja nicht nur das, was äußerlich für sie nötig war, Nahrung für den Leib, sondern was ihre Seele vor allem anderen brauchte.

Aber Er fragt den Philippus nicht, woher dieser die nötigen Brote kaufen würde, sondern Er fragt ihn: „Woher sollen wir Brote kaufen“, Er schließt sich in dieser Frage mit ein und zeigt dem Philippus schon den Lösungsansatz: Er woll-te ihn nicht allein das Problem lösen lassen.

Warum fragt der Herr gerade den Philippus? Aus den Evangelien wissen wir, dass Philippus aus Bethsaida kam (Joh 1,44) und dass dieses Zeichen auch in der Nähe von Bethsaida stattgefunden hat (Lk 9,10; Mk 6,45). Gerade Philippus musste wissen, woher man in dieser Gegend Brote bekommen konnte. Aber Philippus war auch ein Mann, der sehr ver-standesmäßig überlegte und sachlich urteilte, der sich an dem orientierte, was sichtbar vor Augen war. Wie würde dieser Jünger mit der Frage des Herrn umgehen? Würde er wieder ganz rationell berechnen, was nötig ist? Genau das tut er (Vers 7).

„Dies sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er selbst wusste, was er tun wollte.“ (Vers 6)

Der Herr wusste im Voraus, was die Jünger Ihm vorschlagen würden, aber Sein Plan war schon längst fertig. Er wollte alle speisen, und hinterher sollte mehr vorhanden sein, als vorher. Aber der Herr wusste auch, welche geistliche Beleh-rung Er aus diesem Zeichen ableiten würde (Vers 51). Einerseits ist Er das Brot vom Himmel, das der Vater gibt (Vers 32+33), aber Er wusste auch, dass Er Sein Fleisch geben würde für das Leben der Welt.

Philippus war einer, der die Schriften des Alten Testaments kannte (Joh 1,45); hätte er da nicht von einer anderen Gele-genheit wissen können, wo auch durch wenige Brote viele junge Männer satt geworden waren (2. Kön 4,42–44)? Hätte Philippus nicht auf der Grundlage des Alten Testamentes diese Prüfung bestehen können? Viele weitere Beispiele bietet das Alte Testament, wo Gott aus dem wenigen Vorhandenen eine Fülle macht (z.B. 1. Kön 17,10–16; 2. Kön 4,2–6). Es ist also eine Prüfung für solche, die Er gebrauchen will in Seinem Dienst, die von Ihm lernen sollen.

Das Wissen des Herrn Jesus beschränkt sich nicht auf das, was Er tun will, sondern Er weiß auch immer schon, wann Er etwas tun will. Wir haben bei der Heilung des Kranken in Joh 5,6 gesehen, dass Er auch wusste, wie lange dieser schon unter seiner Krankheit litt. Er reagiert nie auf Umstände, Er weiß immer, was Er tun will und wann Er es tun will. Wieder sehen wir den Herrn Jesus hier als den Sohn Gottes, der alles weiß. Wir haben das auch schon in Joh 2,25 gesehen, und auch am Ende dieses Kapitels finden wir dieses Wissen noch einmal (Vers 64). Und wenn es um die Vollendung Seines Werkes geht, finden wir es in Joh 13,1+3 und 18,4 erneut. Und so, wie Er damals auf der Erde alles im Voraus wusste, so weiß Er es auch heute. Darauf dürfen wir uns in allen Situationen stützen. Der Herr ist nie ohne Rat und ohne Wissen – das kann uns tiefen Frieden geben .

„Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Denare Brote reichen nicht für sie aus, dass jeder ein wenig bekomme“. (Vers 7)

Philippus berechnete die Größe des Bedarfs und setzte das ins Verhältnis zu den eigenen Ressourcen, und er kam zu dem Ergebnis, dass die eigenen Mittel nicht ausreichten. Ähnlich argumentierte Mose, als das Mischvolk inmitten des Volkes lüstern wurde und das ganze Volk nach Fleisch verlangte (4. Mo 11,21+22). Sowohl Philippus als auch Mose konnten den annähernden Bedarf berechnen, aber sie rechneten nicht mit der göttlichen Unendlichkeit. Wenn man diesen Faktor berücksichtigt, wird man nie zu dem Ergebnis kommen, dass etwas nicht ausreicht – die Hand des HERRN ist nie zu kurz (4. Mo 11,23). Vertrauen wir Seinen unbegrenzten Möglichkeiten! Er steht hier direkt neben den Jüngern, und sie sehen nicht in Ihm, wer Er wirklich ist. Wie oft sind auch wir blind für Seine Gegenwart!

Wenn man der Berechnung des Philippus folgt und den damaligen Tagelohn eines Arbeiters in einer 6-Tage-Woche be-rücksichtigt (Mt 20,2), ist hier der Gegenwert von ca. acht Monaten Arbeit notwendig, und das Ergebnis wäre immer noch, dass jeder nur ein wenig bekommt. Aber wenn dann der Herr Jesus tätig wird, bekommt ein jeder so viel, wie er will (Vers 11). Wie gnädig ist der Herr; Er ist niemals damit zufrieden, jedem nur einen kleinen Imbiss zu reichen, Er gibt aus Seiner Fülle.

„Einer von seinen Jüngern, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, spricht zu ihm: Es ist ein Knabe hier, der fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat; aber was ist dies für so viele?“ (Vers 8+9)

Während Philippus sehr gut die Größe der Not beschreiben konnte, war dem Andreas die Unzulänglichkeit der eigenen Möglichkeiten deutlich bewusst. Beide machten den gleichen Fehler. Sie bedachten die Möglichkeiten des Herrn Jesus bei ihren Überlegungen nicht. Sie wussten, was sie bei sich hatten, aber sie bedachten nicht, wen sie bei sich hatten!

Bis diese fünf Brote zum Verzehr bereit auf dem Tisch liegen, musste man schon eine ganze Menge dafür tun. Es muss-te gesät werden, es musste geerntet werden, es musste gemahlen werden, es musste gebacken werden – sie sind das Er-gebnis einer längeren vielfachen Mühe, bevor sie zur Speise werden konnten.

Für die Fische ist weniger Aufwand nötig, die schickt der Schöpfer ins Netz oder an die Angel. Aber sie stellen etwas dar, was der Herr auch gebrauchen kann, womit wir vielleicht im konkreten Augenblick gar nicht gerechnet haben. Jeder Bruder, der Dienste am Wort tut, kennt Augenblicke, wo der Herr auf einmal einen Gedanken öffnet, den Er gerade in diesem Augenblick gesagt haben will, und den wir dann weitergeben dürfen. Der Herr weckt diesen Gedanken in unse-ren Herzen aus einem ganz anderen Zusammenhang auf und gibt ihn uns in diesem konkreten Zusammenhang, weil es für die aktuell vorliegenden Bedürfnisse nötig ist. Das setzt bei uns voraus, dass wir innerlich aufgeschlossen sind für die Wirksamkeit des Heiligen Geistes.

Wenn hier Andreas besonders als Bruder von Simon Petrus erwähnt wird, dann wissen wir, dass diese beiden Brüder vom Herrn berufen wurden, Menschenfischer zu werden (Mt 4,18+19). Wie man im Natürlichen auf zwei verschiedene Arten fischen kann, nämlich mit dem Netz und mit der Angel, so haben diese beiden Brüder das auch in ihrem Dienst für den Herrn getan. Petrus lernen wir als Menschenfischer in der Apostelgeschichte kennen, wo sich einmal auf eine Predigt von ihm hin dreitausend Seelen bekehrt hatten (Apg 2,41). Er hat praktisch mit dem Netz gefischt. Andreas da-gegen war einer, der mit der Angel gefischt hat; dazu sind andere Eigenschaften gefordert: Ruhe, ein aufmerksames Au-ge, Sorgfalt. Und diesem Andreas fällt in der großen Menschenmenge von fünftausend Mann ein Knabe mit seinen Bro-ten und Fischen auf, und er bringt ihn zum Herrn. Vielleicht würden wir auch gern flammende Predigten halten, wo-raufhin sich viele zum Herrn bekehren, aber wir empfinden, dass wir das gar nicht vermögen, weil wir eher vom Typ her stiller sind. Dann sollten wir uns aber nicht für nutzlos halten im Dienst für den Herrn, gerade auch solche Stillen braucht der Herr im Dienst für Ihn, solche, die den Blick und ein feines Empfinden für den Einzelnen haben.

In der früheren Elberfelder Übersetzung stand hier: ein kleiner Knabe. Der griechische Ausdruck, der hier gebraucht wird (paidárion) kommt zwei Mal im Neuen Testament vor, hier in Joh 6,9 und in Mt 11,16. Das ist zwar eine Verkleine-rungsform von pais = Junges, aber es kann kein Kleinkind mehr gewesen sein und wird auch noch kein Jüngling gewe-sen sein. Dieser Knabe war offensichtlich allein unterwegs; ein Junge, der vielleicht von seiner Mutter diese Brote und Fische eingepackt bekommen hatte. Und dieser Junge steht jetzt angesichts der großen Volksmenge direkt bei dem Herrn Jesus. Nicht die Jünger, nicht die Volksmenge, sondern dieser Junge war in diesem Augenblick der Wichtigste für das Wunder, das der Herr wirken wollte. Und er darf Zeuge werden, wie aus dem Wenigen, dass er hatte, die Fünf-tausend gesättigt worden waren. Wir erkennen daraus aufs Neue den Wert unserer Kinder als Geschenke Gottes, die Er uns aus Gnade gegeben hat (1. Mo 33,5), und wie wichtig es ist, dass wir sie schon früh an die Atmosphäre in der Ge-genwart des Herrn gewöhnen.

Nur hier im Johannes-Evangelium lesen wir, dass es sich bei den Broten um Gerstenbrote gehandelt hat. Dieses Zeichen der Brotvermehrung findet ja kurz vor dem Passah-Fest statt (Vers 4), und auch kurz vor dem allerersten Passah-Fest im Alten Testament finden wir schon, dass die Gerste in der Ähre war und deshalb geschlagen wurde, der Weizen aber noch nicht (2. Mo 9,31+32). Gerste hat eine zweifache Bedeutung:
• es war ein ganz billiges Getreide, Salomo nutzt es unter anderem als Pferdefutter (1. Kön 5,8); es war nur unge-fähr halb so viel wert wie Weizen (2. Kön 7,1), und galt als Brot der Armen; wenn wir Gerste auf den Herrn Je-sus beziehen, sehen wir darin ein Bild Seiner völligen Niedrigkeit als Mensch
• die Erntezeit begann mit der Gerstenernte, und am Fest der Erstlingsgarbe (3. Mo 23,9 ff.) wurden Garben aus Gerste gebracht; darin sehen wir ein schönes Bild von Christus in Seiner Auferstehung, der Erstling einer ganz neuen wunderbaren Ernte (1. Kor 15,20+23); und wo es einen Erstling gibt, folgt noch die ganze volle Ernte nach von solchen, die in Ihm das Auferstehungsleben besitzen; Christus ist der Anfang dieser neuen geistli-chen Schöpfung (Kol 1,18; Off 3,14), und wenn jemand in Ihm ist, da ist eine neue Schöpfung (2. Kor 5,17)

Wir haben in diesem Kapitel also Hinweise auf das Passah, die Erstlingsgarbe und später auch auf das Manna. Das Pas-sah spricht von dem Tod des Herrn, Seinem Erlösungswerk als das Lamm Gottes. Es ist die Grundlage von allem, was hier erwähnt wird. Danach folgen die Gerstenbrote als ein Bild des Auferstandenen, und dann als Erklärung dieser Spei-sung der Fünftausend der Herr Jesus als das wahre Manna, das wahrhaftige Brot aus dem Himmel (Vers 32). Als das Volk Israel durch den Jordan gezogen und auf der anderen Seite im verheißenen Land angekommen war, hörte das Man-na auf (Jos 5,12). Sie waren am Ziel ihres Glaubensweges angelangt, sie waren dort, wo Gott sie haben wollte. Und dort aßen sie von dem Erzeugnis des Landes, der Gerste als der ersten Ernte im Land – geistlich gesprochen hielten sie sich in den himmlischen Örtern auf und nährten sich von Christus als dem Auferstandenen, der jetzt zur Rechten Gottes ist (Kol 3,1). Aber für unser Leben auf der Erde brauchen wir auch das Manna; wenn wir uns von dem Herrn als dem wahren Manna nähren, bekommen wir die Kraft, Ihm auf der Erde zu folgen (Mt 11,29; Phil 2,5; 1. Pet 2,21). Wun-derbar, wie all diese Bilder auf den Herrn als die Speise für die Seinen hinweisen – Er ist für alles ausreichend!

„Jesus sprach: Lasst die Leute sich lagern! Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lager-ten sich die Männer, an Zahl etwa fünftausend.“ (Vers 10)

Bevor der Herr Jesus die Brote und die Fische vermehrt, soll sich die Volksmenge lagern. Er hatte bei dieser Aufforde-rung noch keine Körbe voller Brot neben sich stehen. Er hatte nur die fünf Brote und die zwei Fische. Aber sie sollen jetzt zu essen bekommen. Wahrscheinlich fragte sich jeder Jünger jetzt, wozu diese Aufforderung. Es ist oft so, dass der Herr, kurz bevor Er ein Wunder wirkt, noch einmal den Glauben der Empfangenden prüft (vgl. Joh 11,39+40; Lk 9,41). Und dann können sie staunend erfahren, wie Seine Hände dieses scheinbar unlösbare Problem behandeln.

Wenn der Herr Speise austeilen will, dann müssen die Empfangenden zur Ruhe gekommen sein und in einer übersicht-lichen Ordnung vor Ihm sein. Bei Markus lesen wir, dass es grünes Gras war und sich die Volksmenge in Abteilungen zu je hundert und je fünfzig lagerten. Der dort für Abteilung gebrauchte Ausdruck meint auch Gartenbeet oder Parzelle. Das Passah war nahe, es war also Frühling, und die ganze Schilderung erweckt den Eindruck einer frühlingshaften Situ-ation, wo neues Leben aufbricht. Das viele Gras deutet auch darauf hin, dass die Leute sich bequem lagern konnten. Als die Jünger den Obersaal für das Passah-Fest zubereiten sollten, fanden sie diesen Obersaal mit Polstern belegt (Mk 14,15). Das Gras hier und die Polster dort waren nicht das Wichtigste bei diesen Szenen, aber es waren doch Gelegen-heiten, wo man sich wohl fühlen konnte. Da, wo der Herr Speise gibt, dürfen wir uns wohlfühlen!

Drei Mal wird in diesen Versen vom Lagern gesprochen. Es ist eine Aufforderung des Herrn an Seine Jünger, für eine Atmosphäre zu sorgen, bei der man Nahrung aufnehmen kann. Bei der Schilderung hier im Johannes-Evangelium ist das das Einzige, was die Jünger hier tun, bis sie dann am Schluss noch die übrig gebliebenen Brocken aufsammeln (Vers 13). Alles andere macht der Herr selbst, nur für das Lagern sollen die Jünger sorgen. Eine wichtige Aufgabe! Und die Jünger waren dieser Aufgabe gehorsam.

„Jesus nun nahm die Brote, und als er gedankt hatte, teilte er sie denen aus, die da la-gerten; ebenso auch von den Fischen, so viel sie wollten“. (Vers 11)

Der Herr nahm jetzt die fünf Brote des Knaben, obwohl Er nicht auf sie angewiesen war. Als Er Seinen Jüngern am See Tiberias das Frühstück bereitet hatte, war Er auch nicht auf die Fische angewiesen, die die Jünger gefangen hatten (Joh 21,9). Fisch und Brot lagen schon auf dem Feuer, als die Jünger ans Land ausgestiegen waren. Hier gebraucht Er jetzt das Wenige, das vorhanden war und vermehrt es auf eine wunderbare Weise. Bei Mose war es nur ein Stab in seiner Hand, aber er wurde zum Stab Gottes und es geschahen damit mächtige Wunder, weil Gott diesen Stab benutzen konnte (2. Mo 4,1–5). Wenn Gott wirkt, nimmt Er fast immer etwas Vorhandenes und macht etwas Großes daraus.

Dann dankt der Herr; obwohl Er wusste, was Er tun wollte, dankt Er. Ein wichtiger Hinweis dafür, dass wir dankbar für das sein sollten, was der Herr uns gibt – sowohl im Natürlichen als auch im Geistlichen. In Vers 23 kommt der Heilige Geist ja noch einmal auf diese Szene zurück, und Er lässt den Johannes ausdrücklich davon schreiben, dass der Herr ge-dankt hatte. In den Augen Gottes ist dieses Danken außerordentlich wesentlich. Der Herr würde sich jetzt in dem Wun-der der Brotvermehrung als der ewige Sohn Gottes erweisen, aber in den Augenblicken davor ist Er ganz bewusst der abhängige Mensch vor dem Vater. Und wenn wir daran denken, dass der Herr bei dem zweiten Wunder der Brotvermeh-rung, der Speisung der Viertausend, zwei Mal gedankt hat: erst für das Brot, und danach für die Fische (Mk 8,6+7), wollen wir doch für uns daraus lernen, wirklich ganz bewusst und nicht nur so rein gewohnheitsmäßig für die Speisen auch im Natürlichen zu danken.

Und dann teilt der Herr aus, so wird es hier bei Johannes geschildert. Letztlich kommt jeder geistliche Segen, den wir bekommen, vom Herrn. Er mag dabei menschliche Kanäle benutzen, aber hier werden sie nicht erwähnt. Und Er teilt denen aus, die da lagerten. Das bedeutet für uns, wenn wir Segen vom Herrn empfangen wollen, dann müssen wir uns im Bereich des Segens aufhalten. Lassen wir uns dadurch ermuntern, die Stunden des Zusammenkommens regelmäßig zu besuchen. Eine nicht besuchte Stunde ist ein verlorener Segen, der nicht wieder nachzuholen ist!

Warum sind die Fünftausend satt geworden? Einerseits sind sie satt geworden, weil der Herr das Brot vermehrt hat. Ohne den Herrn wäre niemand satt geworden. Andererseits aber sind sie satt geworden, weil sie gegessen haben. Und das ist ein Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen. Der Herr teilt wohl aus, und Er gibt mehr, als wir aufnehmen können, aber um satt zu werden, um geistlich genährt zu werden, müssen wir essen. Es gibt keinen Segen ohne den Herrn, aber wenn wir nicht bereit sind, das aufzunehmen, was Er uns gibt, dann werden wir geistlich hungrig bleiben.

„Als sie aber gesättigt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig geblie-benen Brocken, damit nichts verdirbt.“ (Vers 12)

Natürlich hätte der Herr auch gerade so viel geben können, wie nötig gewesen wäre zur Speisung der Fünftausend. Aber Er macht deutlich, dass das, was Er gibt, mehr als das Notwendigste ist und über den tatsächlichen Bedarf hinausgeht. Der Herr gibt immer mehr, als ein Mensch aufnehmen kann und als wir alle zusammen aufnehmen können.

Aber Er lässt auch nicht zu, dass das Übrige einfach liegenbleibt und verdirbt. Darin können wir einen Hinweis darauf sehen, dass der Herr niemals zulassen wird, dass bei dem, was Er wirkt, irgendetwas verlorengeht (vgl. Joh 10,28).

„Sie sammelten nun und füllten zwölf Handkörbe mit Brocken von den fünf Gersten-broten, die denen, die gegessen hatten, übrig geblieben waren.“ (Vers 13)

Diese große Fläche auf dem grünen Gras, auf der die Fünftausend gegessen haben, war vor der Speisung in Ordnung gewesen, es war eine wunderbare Ordnung, während der Herr Jesus tätig war, und es wird auch nach der Speisung eine Szene in Ruhe und Ordnung hinterlassen. Wo der Herr Jesus wirkt, ist alles in wunderbarer Atmosphäre des Segens und der Ordnung.

Die zwölf Handkörbe sind vielleicht ein Hinweis darauf, dass der Herr diesen Segen auch in der Zukunft dem ganzen Volk Israel, jedem einzelnen Stamm, geben wird. Prophetisch sehen wir darin eine Vorab-Erfüllung von Ps 132,15, die Herrlichkeit des kommenden Messias, der die Dürftigen Seines Volkes mit Brot versorgen wird.

Praktische Anwendung im Blick auf die Stunden des Zusammenkommens zur Erbauung

Wir können aus diesem Zeichen der Brotvermehrung auch ganz praktische Anwendungen für uns machen unter dem Ge-sichtspunkt, dass der Herr auch uns gebrauchen will, wenn es unter Seiner Fürsorge um Nahrung für die Seinen geht. Wie gehen wir mit der Herde um? Wie sehr vertrauen wir auf uns, und wie wenig auf den Herrn?

Dabei hilft uns ein Vergleich der vier Berichte in den einzelnen Evangelien; dabei wird nämlich deutlich, dass der Herr bei diesem Zeichen genau sieben Mal etwas gesagt hat. Diese göttlich vollkommenen sieben Aussprüche haben alle ei-nen praktischen Bezug auf unsere Versammlungsstunden zur Erbauung.
• „Woher sollen wir Brote kaufen, damit diese essen“? (Joh 6,5): die prüfende Frage des Herrn, ob wir unser Vertrauen ganz auf Ihn setzen oder mit menschlichen Hilfsquellen rechnen
• „Sie haben nicht nötig wegzugehen, gebt ihr ihnen zu essen“ (Mt 14,16; Mk 6,37; Lk 9,13): wo der Herr Jesus gegenwärtig ist, hat niemand nötig wegzugehen; aber Er weist uns auch auf unsere Verantwortung hin, die versammelten Geschwister mit Speise zu versorgen
• „Wie viele Brote habt ihr? Geht hin, seht nach“ (Mk 6,38): wieviel haben wir als Brüder, die wir bereit sein wollen, einen Dienst in der Versammlung zu tun, damit die Geschwister die notwendige Speise für die Seele bekommen? Beschäftigen wir uns mit dem Wort Gottes, um Speise für uns selbst zu haben, was der Herr dann auch für andere benutzen kann? Wenn wir nichts haben, dann können wir auch nichts bringen! Viel-leicht müssen wir erkennen, dass Mangel bei uns vorhanden ist, weil wir uns zu wenig mit dem Wort beschäftigt haben
• „Bringt sie mir her“ (Mt 14,18): der zentrale Punkt von diesen sieben Aussprüchen. Was wir haben wird niemals für die Bedürfnisse der Geschwister ausreichen; aber wenn wir es Ihm bringen, macht Er aus unserem Wenigen die ganze Fülle, dann kann am Ende sogar noch aufgelesen werden. Wir sind angesichts der großen Zahl der Geschwister alle nur kleine Knaben, die nur fünf Brote und zwei Fische haben; aber wenn wir das Wenige Ihm bringen, kann Er daraus eine große Fülle machen.
• „Lasst die Leute sich lagern“ (Joh 6,10): die Geschwister müssen innerlich vor dem Herrn Jesus zur Ruhe kommen, so wie auch Maria von Bethanien zu den Füßen des Herrn Jesus saß und in Demut und Erwartung Seinem Wort zuhörte (Lk 10,39; vgl. 5. Mo 33,3). Die ganze örtliche Versammlung ist in der Verantwortung, Hindernisse für das Wirken des Geistes Gottes zu beseitigen, so dass in den Stunden des Zusammenkommens eine Atmosphäre da ist, in der die Geschwister geistliche Speise aufnehmen können. Wenn Streitigkeiten oder Störungen unter Brüdern und Schwestern vorhanden sind, so ist keine Voraussetzung gegeben, damit man recht ruhen kann, um die Botschaft Gottes zu hören und aufzunehmen.
• „Lasst sie sich in Gruppen zu je etwa fünfzig lagern“ (Lk 9,14): hier liegt der Schwerpunkt mehr darauf, dass die versammelten Geschwister auch in einer gewissen äußeren Ordnung bewusst vor dem Herrn sein müs-sen, um den Segen aufnehmen zu können. Wir müssen auch unserer Verantwortung entsprechen, dafür zu sorgen, dass äußere Störungen vermieden werden. Wir müssen auch einen Blick haben für geistliche Regungen bei den Einzelnen, ob vielleicht gerade jemand das Liederbuch oder die Bibel in die Hand nimmt, um etwas vorzuschlagen. Wir müssen warten können aufeinander, Ruhe hineinbringen in den Ablauf der Zusammenkünfte
• „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt“ (Joh 6,12): wenn wir das so befolgt ha-ben, indem wir unser persönliches Wenige Ihm gebracht haben, dann wird unter Seiner Wirksamkeit jeder ge-sättigt werden und es wird geistliche Speise für solche übrigbleiben, die vielleicht nicht zugegen sein konnten