Der Hintergrund des Philemonbriefes ist schnell erzählt: Onesimus war ein fauler Knecht, der seinem gläubigen Herrn mit Namen Philemon weggelaufen war und dabei wahrscheinlich Geld veruntreut hatte. In Rom war Onesimus dem Apostel Paulus im Gefängnis begegnet und hatte sich bekehrt. Nun sendet Paulus Onesimus zu seinem Herrn Philemon zurück – mit einem Brief im Gepäck. Durch diesen Brief will er das Herz von Philemon erreichen, damit die Sache mit Onesimus nach den Gedanken Gottes geklärt und geordnet wird. Paulus möchte vor allem erreichen, dass Philemon dem Onesimus die Freiheit schenkt. Sehen wir uns dieses Juwel der christlichen Nächstenliebe etwas näher an:

Wen Paulus miteinschließt

Paulus verbindet sich in diesem Brief als Absender mit Timotheus (Phlm 1). Wer sich mit anderen über eine Sache austauscht und in Übereinstimmung kommt, verleiht seinen Worten mehr Gewicht. In den Grüßen am Ende erwähnt Paulus noch Epaphras, Markus, Aristarchus, Demas und Lukas, die sicher „auf einer Linie“ mit Paulus waren.

Wen Paulus anredet

Paulus spricht neben Philemon auch Apphia und Archippus an (Phlm 2). Vielleicht waren das Frau und Sohn von Philemon. Sie waren auch von der Flucht des Sklaven tangiert. Paulus bindet also betroffene Personen mit ein, damit in der Familie keine Spaltung entsteht. Er weiß aber auch, wer der Entscheidungsträger ist, und wendet sich besonders an ihn. Paulus erwähnt ferner die Versammlung, die im Haus von Philemon zusammenkommt. Er schreibt nicht an die Versammlung, weil es um eine Privatsache geht, er klammert aber auch die Versammlung nicht aus, weil sie auch beteiligt daran ist, wenn Onesimus kommt.

Wie Paulus von Philemon spricht

Paulus schreibt, dass er dankbar für Philemon ist, für sein Glaubensvertrauen auf den Herrn Jesus und für seine Liebe zu allen Heiligen. Er hatte große Freude und großen Trost, weil Philemon die Herzen der Heiligen froh machte (Phlm 4–7). Wenn Paulus nachfolgend Philemon bitten würde, christliche Nächstenliebe zu zeigen, dann geschieht das im Bewusstsein, wie viel Philemon für die Gläubigen gewirkt hat.

Wie Paulus von sich spricht

Paulus erwähnt in diesem Brief mit keiner Silbe, dass er ein Apostel ist, obwohl er schon davon spricht, dass er durchaus etwas gebieten könnte (Phlm 8). Um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, weist er jedoch mehrfach auf seine Gefangenschaft hin und beginnt den Brief sogar damit, was er sonst bei keinem Brief macht (Phlm 1.9). Und er legt sein Alter in die Waagschale, um etwas Gutes zu erreichen (Phlm 9).

Wie Paulus von Onesimus spricht

Er nennt Onesimus nicht einen entlaufenen Sklaven. Er erwähnt nur, dass er früher unnütz war, ohne die Sache auszuwalzen oder sich Detailkenntnisse über alle seine Vergehen angeeignet zu haben (Phlm 11.18). Er bezeichnet Onesimus als „sein Kind“ und „sein Herz“ und betont, dass er nützlich zum Dienst für Philemon und für sich selbst sei (Phlm 10–12).

Wie Paulus vorgeht

Paulus schafft keine vollendete Tatsache, indem er Onesimus einfach bei sich behält und Philemon gönnerhaft darüber informiert. Er spricht auch kein Machtwort. Nein, er bittet Philemon liebevoll (Phlm 11) und möchte, dass Philemon die Entscheidung, Onesimus die Freiheit zu schenken, freiwillig und von Herzen trifft (Phlm 14). Er baut dabei keinen unangenehmen Druck auf und lässt offen, wie Philemon die Wegführung Gottes mit Onesimus interpretiert und welche Schlussfolgerungen er daraus zieht (Phlm 15.16). Er möchte, auch in dieser Sache, Freude an Philemon haben (Phlm 20). Dabei macht er aber auch klar, dass Philemon ihm gegenüber (moralisch gesehen) in Schuld steht, da Paulus wohl das Werkzeug zu seiner Bekehrung und Belehrung gewesen war (Phlm 19). Er erwähnt ferner, dass er darauf vertraut, dass sein Wunsch für Philemon wie ein Befehl sei (Phlm 21).

Was Paulus will

Es ist außerordentlich bemerkenswert, dass Paulus die Bitten erst am Ende des Briefes formuliert. Er fällt nicht mit der Tür ins Haus. Insgesamt hat Paulus drei Bitten:

– Er möchte, dass Onesimus freigelassen wird und nach Rom zurückkehrt und dort bei der Verbreitung des Evangeliums mitwirkt. Onesimus würde die Stelle Philemons einnehmen, der sicher auch gern für Paulus tätig sein wollte (Phlm 13.14).
– Er möchte, dass Onesimus so aufgenommen wird, wie er Paulus aufnehmen würde (Phlm 17).
– Er möchte, dass Philemon nicht seine Forderungen mit Onesimus abrechnet. Philemon sollte die Schuld von Onesimus, wozu sicher auch die entgangene Arbeitsleistung gehört, lieber dem alten Paulus in Rechnung stellen (Phlm 19).

Wie Paulus Gott hineinbringt

Paulus vergisst seinen Gott und dessen Gnade nicht. Er beginnt und endet – wie in allen seinen Briefen – mit der Gnade Gottes (Phlm 3.25). Ihm ist bewusst, dass Philemon diese Gnade von oben braucht, um dem untreuen Knecht jetzt im Geist der Gnade zu begegnen.

Schlussgedanken

Ist es vorstellbar, dass Philemon, nachdem er diesen Brief gelesen hatte, hart mit Onesimus ins Gericht ging? Ist es denkbar, dass er die Bitten von Paulus kaltschnäuzig abwies? Nein, die erfinderische Liebe von Paulus war einfach unwiderstehlich. Und auch wir könnten in der Liebe so unwiderstehlich sein.

Literaturempfehlung: „Das Herz gewinnen“ von Ernst-August Bremicker, CSV

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