Aufzeichnungen aus der Betrachtung über

Johannes 6,30–71

Dillenburg 2019

Johannes 6 im Überblick

Das ganze sechste Kapitel des Johannes-Evangeliums ist das Kapitel, in dem der Herr als das Brot des Lebens vorge-stellt wird, vom Anfang bis zum Ende. Während das Zeichen der Brotvermehrung bemerkenswerter Weise von allen vier Schreibern der Evangelien berichtet wird, ist es nur Johannes, der im Anschluss an diese Handlung des Herrn auch die Erklärung des Herrn für dieses Zeichen gibt. Seine Ausführungen wurden hervorgerufen durch die Fragen der Juden, die Ihm angesichts dieser Speisung der fünftausend Männer anmaßend vorwarfen: „Was tust du nun für ein Zeichen“? Nach ihrer Wertung war das Zeichen Moses‘ in seinen Auswirkungen viel gewaltiger gewesen, weil durch seine Ver-mittlung ein ganzes Millionen-Volk vierzig Jahre hindurch jeden Tag gespeist worden war. Aber der Herr Jesus nimmt das zum Anlass, ihnen dann vorzustellen, was das wahre Brot Gottes ist.

Er hatte den Volksmengen gesagt, dass sie nur des Wunders der Brotvermehrung wegen zu Ihm gekommen waren (Vers 26). Sie waren nicht gekommen, weil sie erkannt hatten, dass dieses Wunder ein Zeichen mit einer inneren Bedeutung war. Ihnen ging es nur um die materielle Speise, die sie durch Ihn bekommen hatten. Daraufhin hatte Er ihnen deutlich gemacht, dass es darum gar nicht ging; das Ziel Seines Kommens war nicht, ein Wunder nach dem anderen zum irdi-schen aber vergänglichen Wohlergehen des Volkes zu wirken. Sie sollten deshalb nicht für die Speise wirken, die ver-geht (Vers 27). Mit dieser Speise war eine ganz tiefgehende geistliche Bedeutung verbunden, und darum geht es bei diesem Zeichen. Er selbst als der Sohn des Menschen würde ihnen diese geistliche Speise geben; ja, Er selbst ist sogar diese geistliche Speise für die Menschen.

Daraus war die menschlich verständliche Frage der Juden entstanden, was sie denn tun und wirken sollten, wenn sie nicht für die irdischen Dinge wirken sollten (Vers 28). Und der Herr muss ihnen sagen, dass sie vollkommen unfähig waren, irgendetwas zu tun. Es geht alles von Gott aus, es ist ein Werk Gottes in ihnen, dass sie an den glauben, den Gott gesandt hat (Vers 29). Die Möglichkeit, überhaupt an den Herrn Jesus zu glauben, ist ein Werk Gottes an der See-le. Das einzige, was ein Mensch tun kann, ist, im Glauben anzunehmen, was Gott selbst gewirkt hat. Und glauben be-deutet eben nicht erst sehen, sondern das für wahr halten was nicht sichtbar ist.

Seine Ausführungen teilen sich eigentlich in zwei Teile: im ersten Teil von Vers 30–49 stellt er in allgemeiner Weise vor, dass Er selbst als der Fleisch gewordene Sohn Gottes in die Welt gekommen ist und als solcher diese Speise ist. Damit schließt Er direkt an die Bemerkung der Juden über das Manna in der Wüste an, durch das das erlöste Volk in der Wüste am Leben erhalten wurde. Der Herr muss dies aber erweitern, weil ja kein Mensch von Natur aus mit dem Herrn Jesus in Beziehung treten kann. Wir müssen von neuem geboren werden. Nicht unser altes Leben musste erhalten werden, sondern wir brauchten neues Leben (Joh 3,3+7).

Deshalb erweitert der Herr dann in dem zweiten Teil Seiner Rede ab Vers 50 den Gedanken indem Er sagt, dass das Brot aus dem Himmel zu essen bedeutet, Sein Fleisch zu essen und Sein Blut zu trinken – beides zusammen bildet dieses Brot. Die Nahrung der Seele gründet sich darauf, dass wir an einen gestorbenen Christus glauben, denn mit ei-nem lebenden Christus kann der Mensch von Natur nicht in Beziehung treten. Und um diesen Segen, der mit der neuen Geburt verbunden ist, hervorzubringen, musste der Herr Jesus sterben. Sein Kommen im Fleisch allein hätte keinen Menschen erretten können. Es musste Sühnung geschehen; ohne Sein Sterben hätte kein Mensch errettet werden kön-nen.

Wir sehen, dass das den Menschen damals und heute ein ungeheurer Anstoss war und ist. Damals war es äußerlich, denn die Juden hatten diese Worte des Herrn Jesus buchstäblich genommen. Man sieht daran, wie oberflächlich sie ge-lebt haben, sie waren überhaupt nicht bereit, die geistliche Botschaft darin zu erkennen. Und wir müssen sagen, dass das leider auch heute auf viele Menschen in der Christenheit zutrifft, dass sie gar nicht mehr bereit sind, in die geistli-che Botschaft des Wortes einzudringen. Dabei ist doch diese Unterredung des Herrn mit den Juden gerade ein ganz er-habenes Beispiel dafür, dass Er Worte ewigen Lebens hat, wie es Petrus später ausdrückt (Vers 68).

In dieser Unterredung offenbart der Herr Jesus drei ganz erhabene Wahrheiten über Sich selbst:
• Er ist der, der aus dem Himmel herabgekommen ist (Vers 32 u.a.)
• Er ist der, der in den Tod gehen würde (Vers 51)
• Er ist der, der aus dem Tod auferstehen und zurückkehren würde in den Himmel (Vers 62)

„Da sprachen sie zu ihm: Was tust du nun für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was wirkst du?“ (Vers 30)

Die Volksmengen sollten nicht für die irdische Speise wirken, sondern glauben (Vers 27–29). Vor diesem Hintergrund kommt nun ihre Frage, was denn das Wirken des Herrn war, das sie sehen konnten, um an Ihn zu glauben. Ein Ver-gleich mit dem Markus-Evangelium macht deutlich, dass diese Frage völlig unberechtigt war und nur ihren Unglauben offenbarte. Dort wird in Kap 6 ab Vers 53 geschildert, wie der Herr nach der Speisung der 5000 und unmittelbar nach der Überfahrt über den See nach Genezareth dort Wunder über Wunder gewirkt hatte. Und doch fragen sie Ihn hier, was Er für ein Zeichen tut! Sie offenbaren dadurch ihren völligen Unglauben.

Sie wollten sehen und Ihm glauben. Sie wollten nicht an Ihn glauben, sondern lediglich das glauben, was sie sahen. Sie würden Ihm nur glauben, wenn sie etwas gesehen hätten. Aber der Herr Jesus zeigt ihnen im Folgenden, dass Glau-be bedeutet, etwas nicht gesehen zu haben, und dass es nicht darum geht, ein Zeichen zu tun, sondern dass Er selbst dieses Zeichen ist. Er gibt nicht nur ein Zeichen, sondern Er selbst ist das Zeichen.

Es ist ja die typisch jüdische Haltung, dass sie erst sehen und dann glauben wollen (Joh 20,25; 1. Kor 1,22). Aber Pau-lus sagt: „Wir wandeln durch Glauben und nicht durch Schauen“ (2. Kor 5,7), und der Herr sagt zu Thomas: „Glückse-lig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben“ (Joh 20,29). In Vers 36 muss der Herr den Juden sagen, dass sie Ihn wohl gesehen, aber doch nicht geglaubt hatten. Selbst auf ihrem Boden hatten sie nicht an Ihn geglaubt.

„Unsere Väter aßen das Manna in der Wüste, wie geschrieben steht: Brot aus dem Himmel gab er ihnen zu essen.“ (Vers 31)

Mit diesen Worten spielen die Juden wohl darauf an, dass der Herr bei einer einzigen Gelegenheit 5000 Männer mit aus-reichend Nahrung versorgt hatte. Zur Zeit Moses war ein Millionenvolk über 40 Jahre hindurch mit ausreichend Nah-rung versorgt worden. Offenbar vergleichen sie diese beiden übernatürlichen Handlungen miteinander und erwarten nun vielleicht sogar noch eine Steigerung durch das Wirken des Herrn gegenüber dem, was zur Zeit Moses geschehen war. Hierin wird ein allzu menschlicher Charakterzug deutlich: der natürliche Mensch, der allein auf das Sichtbare fixiert ist, erwartet immer eine Verbesserung oder Steigerung von dem, was er erlebt hat, sonst verliert es seinen Reiz für ihn. Wir wollen uns deshalb zur Vorsicht mahnen lassen und bei der Nutzung von äußerlich sichtbaren Dingen im Zusammen-hang mit geistlichen Tätigkeiten sehr zurückhaltend bleiben. Wir brauchen z.B. bei der Verkündigung des Wortes Got-tes keine Unterstützung durch technische Hilfsmittel in der Form, dass parallel Präsentationen laufen, denn das Wort Gottes hat Kraft in sich selbst.

„Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel.“ (Vers 32)

Dieser Vers zeigt auch den Unterschied zwischen dem natürlichen Sehen und dem geistlichen Sehen. Bei einer geistli-chen Betrachtungsweise versteht man sofort, dass das Werk des Herrn Jesus größer war als das Werk, das zur Zeit Mo-ses stattfand. Mit natürlichen Augen gesehen, erschien das Werk zur Zeit Moses eindrucksvoller. Damals kam das Brot tatsächlich aus dem Himmel, wogegen bei der Speisung der 5000 Männer vorhandenes natürliches Brot und vorhandene natürliche Fische auf wunderbare Weise vermehrt worden waren. Also wenn man diese beiden Situationen mit natürli-chen Sinnen miteinander vergleicht, dann sah das, was zur Zeit von Mose geschah, in der Tat größer aus. Aber mit geistlichem Sinn betrachtet, ist es genau umgekehrt. Zur Zeit Moses wurde ein einzelnes Volk für einen Zeitraum von 40 Jahren mit natürlicher Speise versorgt, um es am natürlichen Leben zu erhalten. Dagegen ist das, was in der Gabe des wahrhaftigen Brotes aus dem Himmel gegeben wird, nicht nur zeitlich begrenztes natürliches Leben für ein einzel-nes Volk, sondern ewiges Leben für die ganze Welt, wenn sie es annimmt!

Es kommt also nicht darauf an, was vor unseren Augen scheinbar groß ist, sondern darauf, was für unsere Herzen groß ist. Wenn wir geistliches Verständnis bekommen wollen, müssen wir von dem Sichtbaren und natürlicherweise Großem wegkommen; dann werden wir erfassen können, welche geistliche Botschaft uns übermittelt werden.

Mose hatte ursächlich in der Tat gar nichts mit dieser wunderbaren Speisung des Volkes Israel in der Wüste zu tun ge-habt, er war lediglich der Mittler dazu gewesen (2. Mo 16,4 ff.). Auch Nehemia betont das, wenn er in seinem Gebet sich an Gott wendet und sagt: „Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben für ihren Hunger“ (Neh 9,15).

Der Herr Jesus nennt dann vier Punkte, in denen deutlich wird, dass Er selbst als dieses wahrhaftige Brot viel größer ist als das, was damals in der Wüste geschehen war:
• mein Vater gibt euch... (Vers 32): das Geben Gottes, des Vaters, in Gnade; die Beziehung der Menschen im Alten Testament war die Beziehung zu Gott; hier spricht jetzt einer, der auch als Mensch in einer Beziehung zu dem Vater lebte, die Er als Sohn Gottes von Ewigkeit hatte; niemand im Alten Testament hätte das sagen können. Von keinem anderen Schreiber des Neuen Testaments wird der Name des Vaters so oft erwähnt, wie von Johannes; und er stellt Ihn in Seiner vielfachen Wirkungsweise vor: Er ist ein liebender Vater (Joh 16,26+27; 1. Joh 3,1); Er ist ein suchender Vater (Joh 4,23); Er ist ein wirkender Vater (Joh 5,17); Er ist ein ehrender Vater (Joh 12,26); Er ist ein heiliger Vater (Joh 17,11); Er ist ein gerechter Vater (Joh 17,25) – und hier finden wir, dass Er ein gebender Vater ist
• ...das wahrhaftige Brot (Vers 32): nicht nur natürliches Brot zur Erhaltung natürlichen Lebens, sondern Nah-rung zum ewigen Leben, es kann nicht angetastet werden von dem natürlichen Tod; die Väter, die das Manna in der Wüste aßen, sind gestorben (Vers 49)
• ...aus dem Himmel (Vers 33): Er selbst kommt als dieses Brot aus dem Himmel herab; der ewige Sohn Gottes nimmt Fleisch an, gezeugt vom Heiligen Geist, und wird wahrer Mensch
• ...gibt der Welt das Leben (Vers 33): eine viel größere Reichweite als bei dem Manna in der Wüste; alle Men-schen aus allen Nationen können davon Gebrauch machen

Die Zeitform, in der der Herr die beiden Geschehnisse miteinander vergleicht, ist auch unterschiedlich. Mose hat euch gegeben – Vergangenheit; mein Vater gibt euch – Gegenwart. Das, was zur Zeit Moses geschah, war längst vorüber; was aber das wahrhaftige Brot aus dem Himmel betrifft, das gibt der Vater auch in der Gegenwart noch immer. Und die Qualität dieses Brotes aus dem Himmel wird noch dadurch besonders betont, dass es im griechischen Text so formu-liert ist: „mein Vater gibt euch das Brot aus dem Himmel, das wahrhaftige“. Was für ein Gegensatz auch zu dem Man-na.

„Denn das Brot Gottes ist der, der aus dem Himmel herabkommt und der Welt das Le-ben gibt“ (Vers 33)

Mit diesen Worten personifiziert der Herr Jesus das Brot Gottes mit sich selbst. Brot ist ja eigentlich ein Gegenstand, eine Sache, und so hätte der Satz eigentlich fortgesetzt werden müssen: „Denn das Brot Gottes ist das, das aus dem Himmel herabkommt...“. Aber es geht nicht um eine Sache, sondern es geht um eine Person. Und dieses Brot ist das Brot Gottes nicht in dem Sinn, dass es die Nahrung Gottes wäre, sondern dass es göttlichen Ursprungs ist, dass Gott es ist, Der dieses Brot gibt.

Der Herr macht auch deutlich, dass Er selbst als das Zeichen aus dem Himmel nicht nur einem Volk die nötige Speise gibt für die irdischen Bedürfnisse, sondern dass Er der ganzen Welt das Leben gibt. Die Väter hatten das Manna geges-sen und waren gestorben (Vers 49); was der Herr zu geben bereit stand, geht über dieses irdische Leben hinaus. Wir hat-ten in Vers 32 gesehen, dass der Vater ein gebender Vater ist; und hier ist es gleicherweise der Sohn, der gibt, der der Welt das Leben gibt. Vollkommene Harmonie zwischen dem, was der Vater tut, und dem, was der Sohn tut.

Das Leben, das in dem Herrn Jesus zu erlangen ist, steht allen Menschen in der Welt zur Verfügung. Leben steht hier ohne Artikel, es ist das Angebot von Leben in der Person des Sohnes an die Welt (vgl. Vers 51). Nicht alle Menschen der Welt erlangen auch dieses Leben, aber es ist die Hinwendung zur Welt, die hier gemeint ist. Der Kreis weitet sich von Israel hin zu allen Menschen in der ganzen Welt. Wir haben heute das Vorrecht, allen Menschen der Welt dieses Leben zu verkündigen, anzubieten.

Es geht hier noch nicht darum, dass der Herr Sein Leben geben würde, sondern um einen Grundsatz: das Brot Gottes ist der einzige Weg, wodurch der Welt das Leben gegeben wird. Erst später in Vers 51 finden wir dann, dass dieses Brot das Fleisch des Herrn ist, dass Er geben würde für das Leben der Welt, Seine Hingabe bis in den Tod am Kreuz von Golgatha.

Nahrung ist ja auch nicht nur die Seite der Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse, sondern es ist auch Genuss. Und was in dem Herrn Jesus zu finden ist, ist etwas ganz Erhabenes, das weit über dieses irdische Leben hinausgeht – es sind Worte ewigen Lebens (Vers 68). Das Brot Gottes aus dem Himmel würde also nicht das natürliche Leben erhalten, sondern neues ewiges Leben geben, das die Empfänger vorher gar nicht besaßen.

Sieben Mal in diesen Versen werden die Worte „aus dem Himmel herabgekommen“ wiederholt (Vers 33.38.41.42.50.51.58). Aber wir finden an keiner Stelle in Gottes Wort es so ausgedrückt, dass Er den Himmel verlas-sen hat. Der Sohn Gottes ist herabgekommen, aber Er hat den Himmel nie verlassen. Für uns Menschen bedeutet das Herauskommen von einem Ort, um an einen anderen zu gelangen, dass wir an dem ersten Ort nicht mehr gegenwärtig sind. Anders ist es bei dem Herrn Jesus, dem Sohn Gottes. Als der Herr Jesus als wahrer Mensch vor Nikodemus stand, sagte Er zu ihm: „Der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“ (Joh 3,13). Es ist wichtig, dass wir diese Wahr-heiten über den Herrn Jesus festhalten. In Joh 16,28 betont Er es genau in diesem Sinn, wenn Er im Blick auf den Va-ter sagt, dass Er von Ihm ausgegangen ist (nicht, dass Er Ihn verlassen habe), aber dann im Blick auf die Welt sagt, dass Er sie verlassen und zum Vater gehen würde. So genau ist Gottes Wort. Der Sohn wurde Mensch, aber Er hat als Sohn nie den Vater verlassen. Aber wenn Er dann als Mensch zurückkehrt in den Himmel, dann verlässt Er die Welt.

Niemand außer dem Herrn Jesus hätte sagen können, dass er aus dem Himmel herabkommt. Er kann das sagen, weil Er zugleich ewiger Gott ist. In diesen Worten haben wir also auch einen Hinweis auf Seine wunderbare Person als ewiger Gott und vollkommener Mensch in einer Person. Der ewige Sohn Gottes ist aus dem Himmel herabgekommen auf die-se Erde – was für eine Erniedrigung!

„Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit dieses Brot!“ (Vers 34)

Hier reagieren die Juden ähnlich wie die Frau am Jakobsbrunnen, als sie zu dem Herrn sagt: „Herr, gib mir dieses Was-ser, damit mich nicht dürste und ich nicht mehr hierher komme, um zu schöpfen“ (Joh 4,15). Sowohl diese Frau als auch die Juden hier hatten gar nichts verstanden und dachten immer nur an das materielle Wasser oder hier an das mate-rielle Brot. Solange es um die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ging, waren sie gern bereit, das anzunehmen. Wenn es aber viel tiefer darum ging, an Ihn zu glauben, dann lehnten sie das ab.

„Jesus sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird niemals dürsten.“ (Vers 35)

Der Herr antwortet auf diesen Einwand nicht damit, wie Er dieses Brot gibt, sondern dass man ganz persönlich zu Ihm kommen und glauben muss, um diesen Hunger gestillt zu bekommen und keinen Durst mehr zu haben. Allein in Ihm ist völlige Befriedigung für alle Bedürfnisse des Menschen zu finden. Es gibt keinen anderen, zu dem man kommen kann, um dieses Teil zu erhalten. Nur bei Ihm wird man diese Antwort bekommen, bei keinem anderen. Hunger und Durst werden für immer bei Ihm gestillt. An dieser Stelle müssen wir uns die Frage stellen, ob wir das auch heute noch so empfinden, dass wir keine Bedürfnisse mehr neben Ihm haben. Warum suchen wir noch so viel Anderes? Wenn man weiß, was man an Ihm hat, braucht man nichts Anderes mehr!

Hier geht es um das erstmalige Kommen des Sünders zu Ihm; ab Vers 54 finden wir dann, dass auch das ewige Leben, das der Sünder bei dem Herrn Jesus bekommt, beständig unterhalten und genährt werden muss.

In Johannes 5 hatten wir gesehen, dass der Sohn lebendig macht, welche Er will (Vers 21). Dort wird Er in Seiner Sou-veränität vorgestellt, in der Er das Leben gibt. Und auch dort hatten wir gefunden, dass der Mensch glauben muss, um dieses Leben zu erlangen (Vers 24). So ist es auch in diesem Kapitel. Der Herr ist das Brot, das der Welt das Leben gibt; aber die Verantwortung des Menschen ist, dass er kommen muss und glauben muss. Er selbst ist die Person, an die man glauben muss, um ewiges Leben zu bekommen. Johannes 5 zeigt den Sohn in Seiner Souveränität, in der Er das Leben gibt; Johannes 6 zeigt den Sohn des Menschen als die Person, an die man glauben muss, um ewiges Leben zu bekommen. Wenn es um die Errettung geht, finden wir immer wieder diese beiden Seiten: die Seite Gottes und die Seite des Menschen.

Hier haben wir auch einen der vielen Ich bin Aussprüche des Herrn Jesus im Johannes-Evangelium. Damit erhebt Er den Anspruch, Gott selbst zu sein, denn als der „Ich bin, der ich bin“ war Er von den Juden aus dem Alten Testament ge-kannt (2. Mo 3,14). Mit vielen weiteren Beifügungen bezeugt Er immer wieder in diesem Evangelium diese Tatsache:
• Ich bin das Brot des Lebens (6,35.48)
• Ich bin das Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist (6,41)
• Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist (6,51)
• Ich bin das Licht der Welt (8,12)
• Ich bin die Tür der Schafe (10,7)
• Ich bin die Tür (10,9)
• Ich bin der gute Hirte (10,11.14)
• Ich bin die Auferstehung und das Leben (11,25)
• Ich bin als Licht in die Welt gekommen (12,46)
• Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (14,6)
• Ich bin der wahre Weinstock (15,1.5)

Brot – Brot aus dem Himmel – Brot Gottes – Brot des Lebens – lebendiges Brot

In diesen Versen wird von dem Brot mit verschiedenen Hinzufügungen gesprochen: das Brot (Vers 41), das Brot aus dem Himmel (Vers 32), das Brot Gottes (Vers 33), das Brot des Lebens (Vers 35+48), das lebendige Brot (Vers 51). Brot aus dem Himmel zeigt den Unterschied zu dem natürlichen Brot auf; Brot Gottes weist auf den göttlichen Ur-sprung dieses Brotes hin mit seinem weltweiten Aspekt; aber was ist der Unterschied zwischen dem Brot des Lebens und dem lebendigen Brot? Bei dem lebendigen Brot ist die Beifügung nicht ein Adjektiv (Eigenschaftswort), sondern ein Partizip (Mittelwort), das auf den Charakter, das Wesen der Sache hinweist, es ist an sich lebendiges Brot, lebendes Brot. Der Ausdruck Brot des Lebens spricht dagegen sowohl von dem Ursprung als auch dem Ziel dieses Brotes: es kommt von Gott, der Quelle des Lebens, und wer davon isst, empfängt auch dieses Leben.

kommen und glauben – nicht hungern und niemals dürsten

Es wird hier von kommen und glauben gesprochen, und von hungern und dürsten. Zu dem Herrn Jesus kommen, heißt an Ihn zu glauben; oder andersherum: an Ihn zu glauben, heißt zu Ihm zu kommen. Bei dem Kommen geht es darum, dass man sich aufmachen muss, und dieses Sich-Aufmachen offenbart, dass Glaube vorhanden ist, Vertrauen darauf, dass Er eine Antwort auf diese lebensnotwendigen Bedürfnisse gibt.

Als Folge davon wird dann gesagt, dass sowohl Hunger als auch Durst gestillt werden. Diese grundlegenden Bedürfnis-se des Menschen sind bei dem Herrn ein für alle Mal beantwortet. Nahrung zu sich nehmen stillt ja eigentlich nur den Hunger, und nicht auch den Durst. Aus dem historischen Zusammenhang mit dem Manna wissen wir, dass nach der Gabe des Manna in 2. Mo 16 direkt in 2. Mo 17 das Hadern der Israeliten geschah, weil sie kein Wasser hatten. Mose musste damals auf die Anordnung Gottes hin den Felsen schlagen, um den Durst des Volkes zu stillen. Und der Herr Jesus übertrifft beides: Er übertrifft das, was das Volk in dem Manna fand, und Er übertrifft auch das, was aus dem Fel-sen kam, um damals den natürlichen Durst des Volkes zu stillen. Wer an Ihn glaubt, wir nimmermehr hungern und wird auch niemals mehr dürsten. Hunger und Durst seiner Seele sind auf ewig gestillt.

Die Menschen dieser Welt jagen nach ständig neuen Vergnügungen und Ablenkungen, und sie können damit doch nie-mals ihren Hunger und Durst wirklich stillen. Allein der Herr ist völlig ausreichend für alles, was wir brauchen. Er übersteigt unendlich weit alle unsere Bedürfnisse!

Der Herr sagt das hier zu den Juden als auf der Erde lebender Mensch. Erst ab Vers 51 spricht Er ausdrücklich auch von Seinem Tod. Reicht es denn, an einen auf der Erde lebenden Herrn zu glauben? Wir lernen daraus, dass es unmöglich ist, den Herrn Jesus wirklich anzunehmen als den, der aus dem Himmel herabgekommen ist, und gleichzeitig abzu-lehnen, dass Er auch in den Tod gegangen ist, damit wir dieses Leben bekommen könnten. Wir dürfen diese Wahrhei-ten nicht voneinander trennen, weil sie untrennbar sind. Der Glaube an einen lebenden Christus allein gibt kein ewiges Leben. Zu der Wahrheit über Seine Person gehört unbedingt auch Sein Tod am Kreuz. Ohne Sein Sterben ist keine Verbindung mit Ihm möglich (Joh 12,24).

„Aber ich habe euch gesagt, dass ihr mich gesehen habt und doch nicht glaubt.“ (Vers 36)

Mit diesen Worten bezieht sich der Herr wohl auf Seine Worte in Vers 26. In Ihm hatten sie im Gegensatz zum histori-schen Manna das Brot direkt vor sich. Er war in Seiner Person und in Seinem Wirken sichtbar für sie. Sie konnten Ihn genau in diesem Charakter erleben, dass Er das Brot des Lebens ist. Trotzdem haben sie nicht geglaubt. Wie tragisch, wenn ein Mensch sieht, dass da das Brot ist, er es aber nicht als die Antwort Gottes auf seine Bedürfnisse annimmt.

Drei Mal in diesen Versen ist von Sehen und Glauben die Rede (Vers 30.36.40), aber nicht jedes Mal wird für Sehen im Griechischen das gleiche Wort benutzt (Vers 30: eidon (Aorist-Form von horao) = sehen, erblicken als punktuelle Handlung; Vers 36: horao (Perfekt-Form) = sehen, erblicken als Handlung in der Vergangenheit mit einem Resultat in der Gegenwart; Vers 40: theoreo = interessiertes, intensives und anhaltendes Betrachten, das einer Absicht folgt).

Der hoffnungslose Zustand des natürlichen Menschen ist, dass er nicht glauben kann. Der Herr Jesus, der nicht nur vol-ler Gnade ist (Vers 35), sondern auch voller Wahrheit (Vers 36; vgl. Joh 1,14), stellt Seine Zuhörer mit diesen Worten in das Licht und offenbart ihren Zustand. Das waren Worte in Gnade mit Salz gewürzt (Kol 4,6). Sie hatten Ihn gesehen und Seine Wunder wahrgenommen und doch nicht geglaubt. Aus sich selbst konnten sie es auch nicht. Ps 78 schildert diese unsägliche Haltung des jüdischen Volkes, und der Vers 32 bringt es dort ganz besonders auf den Punkt. Der Herr selbst schilt die Städte, die die meisten Wunderwerke erlebt hatten, Kapernaum, Chorazin, Bethsaida (Mt 11,20 ff.), und trotzdem nicht geglaubt hatten.

„Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ (Vers 37)

Deshalb ist das souveräne Wirken des Vaters erforderlich, um in Seiner Gnadenabsicht dieses wunderbare Ziel zu errei-chen, dass Menschen wirklich ewiges Leben bekommen. Auch wenn der Mensch aus sich selbst nicht glauben kann, ist doch nicht alles verloren. Vers 44 zeigt, dass niemand zu Ihm kommen kann, wenn der Vater ihn nicht zieht. Wenn wir einmal darüber nachdenken, wie es gekommen ist, dass wir persönlich gekommen sind und geglaubt haben, dann konn-ten wir das nur, weil der souveräne Gott vor Grundlegung der Welt an uns gedacht hat und uns in der Zeit zum Sohn gezogen hat. Die Souveränität Gottes, der mich nicht gebraucht hat und trotzdem an mich gedacht hat, bringt uns zur Anbetung. Ewig sei Ihm Dank dafür!

Immer wieder betont gerade Johannes die Tatsache, dass wir Gläubigen Geschenke des Vaters an den Sohn sind (z.B. Joh 10,29; 17,6 (2x).9.24). Wie wertvoll muss dem Vater Sein Sohn sein, dass Er Ihm ein solches Geschenk macht. Und wie wertvoll müssen wir für den Vater sein, dass Er uns würdigt, ein Geschenk an den Sohn zu sein. Unermessli-che, anbetungswürdige Gnade! Und es zeigt daneben auch die Seite der Auserwählung. Hier ist die Gesamtheit all derer gemeint, die zuvorerkannt sind, auserwählt vor Grundlegung der Welt (Röm 8,29; Eph 1,3+4) – der höchste Ausdruck der Souveränität Gottes uns gegenüber. Gegeben wurden wir vom Vater an den Sohn also schon vor der Zeit, aber in der Zeit sind wir als Einzelpersonen in unserer persönlichen Verantwortung zu Ihm gekommen.

Was die Verantwortung des Menschen betrifft, muss dieser glauben, zu Ihm kommen; auf der anderen Seite haben wir das Wirken des Vaters und das Annehmen durch den Sohn von denen, die kommen. Beide Seiten sind absolut wahr und heben einander nicht auf. Der Vater gibt – und trotzdem sagt der Herr: „Wer zu mir kommt...“, die Seite der per-sönlichen Verantwortung. Diese beiden Seiten werden auch in den Versen 39 und 40 nebeneinandergestellt. Wenn wir dies auch nie mit unserem menschlichen Verstand erfassen können, ist es doch wichtig, dass wir uns mit diesen beiden Seiten der Wahrheit beschäftigen: einerseits die Souveränität Gottes in der Auserwählung, und andererseits die Verant-wortung des Menschen, sich bekehren zu müssen, die unbedingt daneben bestehen bleibt. Nie dürfen wir dahin kom-men, dass wir denken, das Handeln Gottes müsse von uns verstanden werden können, sonst können wir es nicht an-nehmen. Der Mensch möchte alles mit seinem Verstand durchdringen, und unsere jungen Leute werden heute auch so geschult – aber wenn es um das Wort Gottes geht, können wir uns nur demütig darunter stellen und es so im Glauben annehmen, wie Gott es gegeben hat. Erforschen sollen wir es natürlich, aber unser Verstand ist nicht das geeignete In-strument, die Gedanken Gottes erfassen zu können, er wird uns zu falschen Schlussfolgerungen führen.

Man hört immer wieder den Gedanken, dass Auserwählung bedeuten würde, dass Gott wusste, wer alles sich einmal bekehren würde. Aber Gott ist nicht passiv bei der Auserwählung! Er weiß nicht nur etwas, sondern Er wird aktiv, in-dem Er aus den Milliarden von Menschen solche auserwählt hat, die auf ewig bei Ihm als Seine Kinder in diesem Haus des Vaters sein werden. Das ist pure Gnade!

Wir sind nicht nur zur Errettung auserwählt worden, sondern zu einem viel höheren Teil, nämlich dem Bild Seines Sohnes gleichförmig zu sein (Röm 8,29). Das ist die Seite der Souveränität Gottes, wo Er alles tut. Und auf der ande-ren Seite ist jeder Mensch persönlich verantwortlich. In Apg 13,48 betont der Schreiber Lukas unter der Leitung des Heiligen Geistes diese beiden Seiten in einem Vers: „Es glaubten, so viele zum ewigen Leben bestimmt waren“. Alle, die sich in ihrer persönlichen Verantwortung bekehrt haben, haben dadurch bewiesen, dass sie zum ewigen Leben be-stimmt waren. In Apg 14,1 dann wird die Bekehrung dieser Juden und Griechen ausschließlich auf die Predigt der Apostel zurückgeführt, als wäre sie nur abhängig von dem Hören und glaubensvollen Annehmen der Predigt des Evan-geliums.

Wenn wir Röm 9,22+23 lesen, haben wir auch wieder diese beiden Seiten. In Vers 22 sind die Gefäße des Zorns durch ihr eigenes verantwortliches Verhalten zum Zorn zubereitet (vgl. mit Röm 2,5), und in Vers 23 haben wir die souveräne Gnade Gottes, die die Gefäße der Begnadigung zuvor zur Herrlichkeit bereitet hat.

Mit dem Wort alles hier in Vers 37 wird die Gesamtheit aller Gläubigen beschrieben. Und das umfasst Menschen aus allen Nationen, aus allen sozialen und Bildungsschichten, mit allen ehrbaren oder unehrbaren Vergangenheiten. Jeder wird bedingungslos angenommen. Alle Gläubigen werden vom Vater dem Sohn gegeben. Wenn es dann im zweiten Satzteil um die Verantwortung des Menschen geht, wird die persönliche Seite betont. Zwei Mal spricht der Herr in die-sem Vers von dem „zu Ihm kommen“; beim ersten Mal ist damit auch das Bleiben bei Ihm verbunden, beim zweiten Mal ist es mehr das Kommen als Folge auf den persönlichen Ruf.

Einem solchen wird hier eine ewige Sicherheit verheißen, die sich auf den Herrn Jesus und Sein Werk gründet. Wer zu dem Herrn Jesus gekommen ist, kann nicht mehr verlorengehen. Der Herr spricht hier in bildlicher Ausdrucksweise, es geht bei diesen Worten nicht darum, aus einer gewissen Örtlichkeit nicht hinausgestoßen zu werden. Er wird sich nie von jemandem abwenden oder einen solchen von Sich hinwegtun, der Ihn im Glauben annimmt. Das zeigt uns einer-seits den Wert, den wir in den Augen des Vaters und des Sohnes haben, es zeigt uns aber auch unsere absolute Sicher-heit. Wenn der Herr Jesus hier gesagt hätte: „Wer zu mir kommt, den werde ich aufnehmen“, dann hätte die Frage auf-kommen können, ob das denn ein dauerhaftes Aufnehmen ist, oder ob Er uns vielleicht irgendwann wieder ablehnen wird. Aber mit Seinen Worten drückt der Herr Jesus unsere absolute Sicherheit aus: auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen wird Er uns jemals wieder hinausstoßen. Dieser Vers gibt absolute Heilsgewissheit.

Johannes spricht in seinem Evangelium an mehreren Stellen von diesem absoluten nicht (Joh 4,14; 6,35.37; 8,12.51; 10,27.28; 11,26). Es ist die stärkste Form der Verneinung künftigen Geschehens: keinesfalls, nimmermehr. Jede dieser Stellen gibt Festigkeit für unsere Herzen.

Es ist auffallend, dass der Herr Jesus in diesen Versen nicht von Gott als solchem spricht, sondern immer von dem Va-ter. Wenn der Herr Jesus Gott Seinen Vater nennt, dann erinnert das daran, dass es ein liebender Gott und ein gnädiger Gott ist. Wir betonen zurecht die Souveränität Gottes, wenn es um Seinen Ratschluss geht, aber es ist eben nicht nur Souveränität, sondern es ist auch Liebe und Gnade, die darin zum Ausdruck kommt. Es ist ganz und gar unverdient, dass wir ein Geschenk des Vaters an den Sohn sind.

Alles, was der Vater dem Sohn gibt, umfasst die Gesamtheit aller einzelnen Gläubigen nach Geist, Seele und Leib. Der Herr Jesus spricht hier nicht direkt von Personen; hier wird betont, dass das, was der Vater gibt, ein Ganzes ist, etwas Vollständiges. Und dieses Vollständige bezieht sich nicht nur auf die Summe aller Einzelpersonen, sondern umfasst auch diese Einzelpersonen nach Geist, Seele und Leib.

„...denn ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht um meinen Willen zu tun, son-dern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ (Vers 38)

Durch das denn, mit dem dieser Vers beginnt, kommen wir jetzt zu der Begründung dessen, was wir in Vers 37 vor uns hatten. Wenn dieser unfassbare Ratschluss Gottes in Bezug auf uns wirksam werden sollte, dass Er nichts von dem ver-lieren würde, was der Vater Ihm gegeben hatte, dann musste der Herr Jesus auf diese Erde kommen. Der Ratschluss Gottes, des Vaters, musste ausgeführt werden durch Gott, den Sohn. Und der Sohn handelte darin nicht unabhängig o-der als hätte Er einen entgegenstehenden Willen gehabt, sondern Er tat darin in bewusster Unterordnung und doch in voller Übereinstimmung mit Seinem eigenen Willen den Willen dessen, der Ihn gesandt hatte. Er und der Vater sind eins (Joh 10,30). Der Herr Jesus kannte diesen Willen Seines Vaters und hat ihn auch ausgeführt. Er war auch der einzi-ge, der dazu in der Lage war – der ewige Sohn, der als Mensch auf dieser Erde war, um diesen Willen auszuführen.

Wir dürfen bei diesem Vers sicher auch an Golgatha denken, nicht nur an die Menschwerdung des Herrn Jesus, sondern auch Seinen Tod, Seine Auferstehung und Seine Rückkehr zum Vater. Nur dadurch ist dieser Ratschluss Gottes in Be-zug auf uns möglich geworden. Aber d ist dann doch mehr eine Anwendung, denn in erster Linie geht es in diesem Vers um das ewige Bewahren aller derer, die zu Ihm gekommen sind. Wenn auch ohne Golgatha die Grundlage zur Ausführung des Willens des Vaters fehlen würde.

Das Johannes-Evangelium zeigt uns Herrlichkeiten der Person des Herrn Jesus in dem, was Er tut, und es zeigt uns Herrlichkeiten in dem, was Er ist. Als das Brot des Lebens (Vers 48) oder als die Auferstehung und das Leben (Joh 11,25) stellt es uns Herrlichkeiten Seiner Person vor; Er ist die Person, die die Bedürfnisse des Menschen stillen kann. Aber hier in Vers 38 haben wir eine Herrlichkeit Seiner Person in dem, was Er tut. In Seinem ganzen Handeln auf Sei-nem Weg war es Sein Ziel, den Willen Seines Vaters zu tun.

„Dies aber ist der Wille, dessen, der mich gesandt hat, dass ich von allem, was er mir ge-geben hat, nichts verliere, sondern es auferwecke am letzten Tag.“ (Vers 39)

Wir haben in diesen Versen zwei Aspekte des Willens des Vaters: zum einen, dass der Sohn die aufnimmt und ihnen ewiges Leben schenkt, die der Vater Ihm gibt (Vers 40); und zum anderen, dass Er ihnen eine vollkommene Sicherheit gibt (Vers 39). In Joh 18,9 kommt der Herr noch einmal darauf zurück, dass Er keinen verloren hatte von denen, die der Vater Ihm gegeben hat. Wenn Er in Joh 17,12 sagt, dass nur der Sohn des Verderbens verloren gegangen war, dann ist Judas in diesem Sinn nie einer gewesen, den der Vater dem Sohn gegeben hatte.

Mit diesen Worten, dass Er nichts verlieren wird, knüpft der Herr auch noch einmal an das Zeichen der Brotvermehrung an, wo Er dafür gesorgt hatte, dass nichts von den übrig gebliebenen Brocken verderben sollte (Vers 12). Wenn Er sich so um Brotkrumen gekümmert hat, dass sie nicht verderben, wieviel größer ist seine Sorgfalt, wenn es um die Men-schen geht, die der Vater Ihm gegeben hat.

Wir gehören jetzt schon dem Herrn Jesus ganz, obwohl in unserem jetzigen Zustand nur Geist und Seele errettet sind. Die Errettung unseres Leibes ist noch zukünftig. Aber auch das wird noch in Erfüllung gehen, der Herr Jesus wird nichts verlieren von dem, was der Vater Ihm gegeben hat (Vers 39), auch unsere sterblichen Leiber werden auferweckt oder verwandelt werden. Und nur durch die Rückkehr des Herrn Jesus als Mensch in den Himmel ist der Himmel berei-tet als Wohnstätte für erlöste Menschen.

Die Auferweckung am letzten Tag

Das Auferwecken am letzten Tag bezieht sich nicht auf die erste Auferstehung. Diese war ja hier noch gar nicht offen-bart. Die Juden kannten nur die Auferstehung am letzten Tag. Wahrscheinlich leiteten sie diesen Ausdruck aus Dan 12,13 her. Aber damals war völlig unklar, auf welchen Zeitpunkt sich diese Worte beziehen. Martin Luther hat daraus den jüngsten Tag gemacht, der leider bis heute noch in kirchlichen Glaubensbekenntnissen seinen Platz hat.

Martha spricht auch von dieser Auferstehung am letzten Tag (Joh 11,24). Aber auf ihre Worte antwortete der Herr Jesus mit einer ganz neuen Wahrheit, nämlich dass Er selbst die Auferstehung ist. Hier in diesem Kapitel offenbart Er das noch nicht, und Er macht auch keine Angabe darüber, wann das sein wird. Er macht hier auch keine Unterscheidung darüber, dass es zwei fundamental unterschiedliche Auferstehungen geben wird (Joh 5,29), zwischen denen mindestens 1000 Jahre liegen werden. Wir lernen aber aus den Worten des Herrn Jesus, dass Er selbst es sein wird, der diese Aufer-stehung hervorrufen wird.

Für uns Gläubige der Gnadenzeit ist der letzte Tag die Entrückung der Gläubigen, wenn der Herr Jesus kommen wird, um uns heimzuholen. Für die Märtyrer der Drangsalszeit ist der letzte Tag der Tag, an dem Herr Jesus in Macht und Herrlichkeit kommen wird. In Joh 12,48 ist dieser letzte Tag der Tag des Gerichts für jeden, der Seine Worte nicht an-genommen hat.

In 1. Kor 15,20 ff. wird die erste Auferstehung ausführlich geschildert. Sie hat begonnen mit der Auferstehung des Herrn, der der Erstling der Entschlafenen ist. Sie findet ihre Fortsetzung in der Auferstehung derer, die des Christus sind beim Kommen des Herrn zur Entrückung; dann werden die in Christus Entschlafenen auferweckt werden, sowohl die alttestamentlich Gläubigen als auch die aus der Zeit des Neuen Testaments. Die zu diesem Zeitpunkt lebenden Gläubigen werden verwandelt werden (1. Kor 15,51 ff.) und gemeinsam mit den Auferweckten dem Herrn entgegenge-rückt in die Luft (1. Thes 4,15 ff.). Danach wird in den sieben Jahren zwischen dieser Entrückung und der Aufrichtung des 1000-jährigen Reiches durch jüdische Boten das Evangelium des Reiches verkündigt (Mt 24,14). In diesen sieben Jahren werden viele Menschen sowohl von den Juden als auch aus den Nationen dieses Evangelium annehmen und zum Glauben kommen. Und aus dieser Schar der Gläubigen werden viele lebend in das 1000-jährige Reich eingehen. Sie werden in Off 7 unterschieden in den symbolischen 144.000 aus den zwölf Stämmen Israels und der großen Volks-menge aus den Nationen. Die Gläubigen aus dieser Schar, die sowohl in den ersten dreieinhalb Jahren als auch in den zweiten dreieinhalb Jahren der sieben Jahren Drangsalszeit den Märtyrertod sterben, werden nach Off 20,4 vor Aufrich-tung des Reiches auferweckt werden und damit den Abschluss der ersten Auferstehung bilden.

Der Herr Jesus spricht hier zu Juden in ihrer Erwartungshaltung; in Seinen Worten wird die Zeit der Versammlung gar nicht berührt. Sein Hauptgedanke dabei ist nicht materieller Segen durch Ihn als den Messias jetzt, sondern vollen Ge-nuss des ewigen Lebens in der Zukunft. Für uns erfüllt sich diese Zusage, wenn Er zur Entrückung kommen wird.

Wir tragisch, dass von den Juden eigentlich genau das Gegenteil von dem gesagt werden müsste, was der Herr hier von sich sagt: sie standen im Begriff, alles zu verlieren, was Gott ihnen gegeben hatte. Vieles hatten sie schon verloren, und den Rest verloren sie gerade jetzt durch die bevorstehende Verwerfung und Kreuzigung des Messias. Danach verloren sie den Mittelpunkt ihres religiösen Lebens, und schlussendlich auch ihr Land.

„Denn dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.“ (Vers 40)

Wieder haben wir den Willen des Vaters vor uns. War es in Vers 39 Sein Wille in Bezug auf den Sohn, ist es hier Sein Wille in Bezug auf die Menschen. Der Vater wählt aus und gibt, und der Sohn ist derjenige, der alles für den Vater tut, der bewahrt und auferweckt (Vers 39). Aber wenn der Sohn sich so erniedrigt und Knecht wird, dann stellt der Vater Ihn als Antwort darauf in den Mittelpunkt und sagt, dass man das ewige Leben nur erhält, wenn man den Sohn sieht und an Ihn glaubt. So wichtig ist der Sohn, an Ihm kommt niemand vorbei, wenn man wirklich ewiges Leben haben möch-te.

Nicht der Glaube an Ihn als den Wundertäter, den Brotvermehrer, als den Messias, sondern nur der Glaube an Ihn als den Sohn Gottes bringt in die Beziehung zu dem Vater und dem Sohn und bewirkt ewiges Leben.

Wenn Johannes von dem ewigen Leben schreibt, dann sieht er es immer als den gegenwärtigen Besitz jedes Gläubigen. Aber in seinem vollen Umfang werden wir das ewige Leben erst in der Auferstehung genießen können.

„Da murrten die Juden über ihn, weil er sagte: Ich bin das Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist.“ (Vers 41)

Diese Unterredung des Herrn mit den Juden beginnt in Vers 25 am See Tiberias, und sie endet in Vers 59 in der Syna-goge zu Kapernaum. Möglicherweise ist dieser Vers 41 hier der Punkt, wo sich die Szene vom See in die Synagoge verlagert.

Dieses Murren der Juden bedeutet die totale Ablehnung dessen, der als Mensch auf die Erde gekommen ist. Und ob-wohl der Herr Jesus hier als Mensch vor Ihnen stand, hatten sie doch verstanden, dass nur der Sohn Gottes aus den To-ten auferwecken kann. Und so ist es bis heute geblieben: man stößt sich an Dem, der in Niedrigkeit hier gelebt hat, und doch zugleich der erhabene Sohn Gottes ist.

„...und sie sprachen: Ist dieser nicht Jesus, der Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie sagt er nun: Ich bin aus dem Himmel herabgekommen?“ (Vers 42)

Wenn man die Herrlichkeit dessen, der vom Vater gesandt war, ablehnt, dann kann Er für solche Menschen nur der Sohn Josephs sein. Aus juristischer Sicht gesehen galt der Herr tatsächlich als Sohn Josephs, Maria spricht von Joseph als Seinem Vater (Lk 2,48). Aber der Heilige Geist fügt in Lk 3,23 hinzu, dass man meinte, Er sei der Sohn Josephs. Es war nur die Meinung des Volkes. Wir sehen darin, dass der natürliche Mensch die Dinge Gottes nicht verstehen kann. Wenn man das dann sogar noch als einen Gegensatz nimmt und meint als Sohn Josephs kann Er nicht der Sohn des Vaters sein, dann lehnt man damit Seine ewige Sohnschaft in ihrer ganzen Herrlichkeit und Würde ab. Wir nähren uns von dem Sohn Gottes, dem Brot vom Himmel als der Speise unseres Lebens, aber von Ihm als dem Sohn Josephs kann man sich nicht nähren.

Das Wort Vater wird in diesem Abschnitt in einer dreifachen Hinsicht gebraucht:
• die Juden sprechen in Vers 31 mit großem Stolz von unseren Vätern; Stephanus tat das in Apg 7 auch mehr-mals, allerdings nicht mit Stolz sondern mit Respekt; sie meinten damit ihre natürliche Abstammung
• der Herr Jesus spricht mehrfach von meinem Vater; Er betont dabei Sein völliges Eins-Sein mit dem Vater
• hier sprechen die Juden in etwas abfälliger Weise von Joseph als dem Vater des Herrn Jesus; sie hätten es bes-ser wissen müssen, dass unser Herr keinen irdischen Vater hatte, aber sie hatten nur Verachtung für Ihn übrig

Wir sind hier wieder wie in Vers 36 bei dem Punkt, wo der Mensch gezeigt wird, wie er nicht glauben kann und nicht glauben will. Und so wie es in Vers 37 damit weitergeht, dass der souveräne Vater trotzdem Menschen auswählt und dem Sohn gibt, so finden wir auch jetzt im weiteren Verlauf, dass der Vater zu dem Sohn zieht. Der Mensch in seinem natürlichen Zustand kann nicht kommen, aber der Vater wirkt durch das Wort und den Geist und zieht zum Sohn.

„Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: Murrt nicht untereinander!“ (Vers 43)

Die Juden hatten gemurrt, weil der, von dem sie meinten, dass sie Ihn und Seinen Vater und Seine Mutter kannten, solche Worte sprach, die offenbarten, dass Er aus dem Himmel gekommen war. Darauf geht aber der Herr Jesus gar nicht ein. Er verteidigt sich nicht, sondern fährt damit fort, die Worte zu reden, die Er von dem Vater empfangen hatte. Wieder stellt Er einerseits das souveräne Wirken Gottes vor, und betont andererseits auch wieder die persönliche Ver-antwortung.

„Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.“ (Vers 44)

Bisher hatte der Herr davon gesprochen, dass der Vater Menschen dem Sohn gibt. Hier lernen wir nun, dass dabei ein direktes Wirken des Vaters nötig ist an denen, die Er dem Sohn gibt. Um sie dem Sohn zu geben, muss der Vater sie ziehen. Wenn Er nicht tätig würde, würden sie auch nicht zu dem Herrn Jesus kommen. Und der Vater zieht nicht nur aus irgendeinem Bereich hinaus, sondern Er zieht zum Sohn. Und Er tut das durch Sein Wort (Vers 45). Alles geht von dem Vater aus, und alles wird zu dem Sohn geführt, und der Sohn gibt volle Sicherheit und vollendet alles in der Auf-erweckung.

In 2. Sam 9 haben wir ein Beispiel für dieses Ziehen. Mephiboseth wäre niemals an den Tisch des Königs Davids ge-kommen, wenn David nicht hingesandt hätte, um ihn zu holen. Ist es nicht demütigend für uns, dass niemand von sich aus kommen kann? In niemandem von uns ist irgendetwas vorhanden, was uns zu dem Herrn Jesus ziehen würde. Von sich aus kommt niemand! Es ist reine Gnade und kein Verdienst. Der ganze volle Segen beruht auf lauter Gnade!

Der Herr Jesus sagt später in umgekehrter Hinsicht: „Niemand kommt zum Vater als nur durch mich“ (Joh 14,6). Er ist der Weg zum Vater, Er ist auch die Wahrheit über den Vater, in Ihm kann der Vater gesehen werden, und Er ist auch das Leben, in dem die Beziehung zu dem Vater genossen werden kann. Erhabenes Wirken göttlicher Personen in völli-ger Übereinstimmung – und das im Blick auf den Menschen in Seinem völlig hoffnungslosen Zustand! Von Anfang bis Ende ist göttliches Wirken nötig.

„Es steht in den Propheten geschrieben: „Und sie werden alle von Gott gelehrt sein“. Jeder, der von dem Vater gehört und gelernt hat, kommt zu mir“ (Vers 45)

Dieser Vers gibt Aufschluss darüber, wie der Vater zieht. Er zieht, indem Er lehrt. Würden die Juden sich vom Vater ziehen lassen? Würden sie hören, was der Sohn von dem Vater sagt? Der Vater lehrt, wie und was der Sohn ist, Er macht den Sohn anziehend für den Menschen und weckt in ihm einen Zug zu dem Herrn Jesus. Und der Mensch muss sein Bedürfnis empfinden und erkennen, dass der Vater dieses Bedürfnis in dem Sohn stillen will.

Wenn die Propheten über die Zukunft der Stadt Jerusalem geweissagt haben, dann haben sie das auch schon gesagt. Die zitierte Stelle in Jes 54,13 zeigt den gleichen Gegenstand: der ganze Segen ruht auf lauter Gnade. Aber hier in Vers 45 wird dieses Zitat etwas verändert. Jesaja spricht von allen deinen Kindern, die gelehrt sein werden, und der Herr Jesus sagt hier, dass sie alle von Gott gelehrt sein werden. Statt alle deine Kinder sagt der Herr sie alle, und statt dem HERRN (Jehova) sagt Er Gott. Die Juden glaubten, dass sie äußerlich zu den Kindern gehörten, aber in Wirklichkeit waren sie solche, die gehört hatten; deshalb weitet der Herr Jesus in diesem Zitat den Blickwinkel über die Juden hinaus auf alle Menschen. Alle Menschen werden nicht von dem Bundesgott Israels, sondern von Gott gelehrt sein.

Allerdings wirkt das alle von Gott gelehrt wie ein Kontrast zu dem niemand in Vers 44. Niemand kann von sich aus kommen, aber wer kommt, weil der Vater ihn gezogen hat, der wird ausnahmslos von Gott gelehrt, durch Sein Wort gezogen worden sein. Gott wirkt auf keinem anderen Weg als durch Sein Wort.

Es geht nicht um akustisches Hören und intellektuelles Lernen, sondern um Vorgänge des Herzens. Wie konnten die Juden überhaupt von dem Vater gehört und gelernt haben? Nur durch den Herrn Jesus, indem sie äußerlich zu Ihm ge-kommen sind und Ihm zugehört haben. Und da muss jeder Mensch zwei Dinge lernen: seinen natürlichen Zustand, und den Ausweg aus diesem Zustand. Wer diese Worte dann in sein Herz aufgenommen hat, kommt nicht nur äußerlich sondern auch innerlich zu dem Herrn Jesus. Dieses Kommen zu Ihm ist mit der Errettung und der Gabe des ewigen Le-bens verbunden.

„Nicht dass jemand den Vater gesehen hat, außer dem, der von Gott ist – dieser hat den Vater gesehen“ (Vers 46)

Dieser Vers zeigt, dass es ohne den Herrn Jesus kein vollständiges Gottes-Bild gibt (Joh 1,18). Wenn der Herr Jesus hier von sich spricht als dem, der von Gott ist (nicht, der vom Vater ist), dann geht es hier um Seine Natur! Gott ist ein Geist (Joh 4,24), der ein unzugängliches Licht bewohnt (1. Tim 6,16). Wir können nur Offenbarung über Gott be-kommen, wenn jemand, der Seine Natur besitzt, Ihn offenbart – der eingeborene Sohn. Ohne den Sohn gibt es keine Beziehung zu dem Vater.

Man kann von dem Vater gehört und gelernt haben (Vers 45), aber gesehen hat nur Einer, und in diesem, dem Sohn, hat sich der Vater offenbart. Der Vater zieht zum Sohn (Vers 44), und der Sohn offenbart den Vater. Wir können das nicht auseinander dividieren oder gegeneinander stellen. Eines steht allerdings fest: alles, was wir kennen dürfen über die Personen der Gottheit, wissen wir nur durch den Sohn, Er ist gekommen und hat uns ein Verständnis darüber gege-ben (1. Joh 5,20). Zwischen Vater und Sohn besteht eine vollständige, untrennbare Einheit, und wir dürfen in der vor-sichtigen Unterscheidung der einzelnen Seiten niemals weiter gehen als das Wort uns darüber belehrt!

In Vers 45 können wir die Frage stellen: wie kommt ein Mensch zum Sohn? Die Antwort lautet: durch das Wirken des Vaters. In Vers 46 können wir die Frage stellen: wie lernt ein Mensch den Vater kennen? Die Antwort lautet: durch den Sohn.

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, hat ewiges Leben“ (Vers 47)

Viele Christen halten es für eine Anmaßung, zu behaupten, dass man das ewige Leben besitze. Aber hier haben wir eine ganz kurze, präzise und doch so unendlich inhaltsreiche Aussage des Herrn Jesus persönlich darüber. Durch das wer wird deutlich gemacht, dass dieser Weg des Glaubens jedem offen steht. Jeder kann dieses ewige Leben bekommen. Es gibt keinerlei Beschränkung auf irgendein Volk oder eine besondere Gruppe von Menschen. Als nächstes lernen wir hier, dass der Weg zum ewigen Leben der Weg des Glaubens ist. Es ist kein Weg der Werke oder der Gefühle oder von Bußübungen, sondern allein der Weg des Glaubens. Und drittens zeigt uns dieser Vers, dass es der Glaube an eine Per-son sein muss. Es geht nicht darum, irgendeine Religion anzunehmen, oder irgendeine Lehrmeinung anzunehmen, son-dern man muss an die Person des Sohnes Gottes glauben. Er ist die Person, an der sich alles entscheidet. Und als vier-tes finden wir dann, dass derjenige, der so glaubt, ewiges Leben hat. Es ist ein Besitz, den wir jetzt schon haben, nicht irgendwann später einmal bekommen werden, sondern gegenwärtig schon haben.

Über diese Wahrheit gibt es nicht den Hauch eines Zweifels: wer wirklich an den Herrn Jesus glaubt, hat gegenwärtig schon ewiges Leben! In seinem ersten Brief wiederholt Johannes diese unumstößliche Gewissheit: „Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes“ (1. Joh 5,13). Diese Gewissheit soll jede Art von Zweifel aus unseren Herzen ausradieren.

Es gibt viele Dinge, die wir mit den alttestamentlichen Gläubigen gemeinsam haben: Vergebung der Sünden, von neu-em geboren sein; aber das Leben, das in dem Sohn ist, wurde erst durch den Sohn offenbart und ist ein unermesslicher geistlicher Segen ausschließlich für die Gläubigen der Gnadenzeit. Man muss an den Sohn glauben, um ewiges Leben zu bekommen, nicht nur an den Vater. Das ewige Leben ist untrennbar mit der Offenbarung im Sohn verbunden. Eine unaussprechliche Gabe, die wir in dem Herrn Jesus besitzen (1. Joh 5,11)! Es ist Leben in seiner reichsten Form.

Johannes ist der Schreiber im Neuen Testament, bei dem das ewige Leben immer als ein gegenwärtiger Besitz vorge-stellt wird. Paulus stellt es häufig so dar, dass das ewige Leben in seinem vollen Genuss erst unser Teil sein wird, wenn wir am Ziel angekommen sind, in der Heimat des ewigen Lebens (z.B. Röm 6,22; auch z.B. Judas 21).

Das Wort wer macht diese Sache allerdings auch zu einer höchstpersönlichen Angelegenheit. Es muss ein individueller Glaube an den Sohn Gottes sein. Menschen gehen nicht nur verloren, weil sie Sünder sind, sondern weil sie nicht an den Sohn Gottes geglaubt haben (Joh 16,9). Die ureigenste Sünde eines Menschen ist, nicht an den Herrn Jesus zu glauben. Unsere Verkündigung darf also nicht nur darin bestehen, dass der Mensch Vergebung braucht, sondern dass er glauben muss. Gott wird den Menschen einmal danach beurteilen, ob er geglaubt hat oder nicht. Er hat Seinen eingebo-renen Sohn geopfert, und wer an Ihn nicht glaubt, den wird Gott dafür richten.

„Ich bin das Brot des Lebens“ (Vers 48)

Der Herr Jesus kommt hier zurück auf den prägenden Gedanken des ganzen Abschnitts: Er ist das Brot des Lebens. An Ihn zu glauben, heißt also, Ihn als das Brot vom Himmel anzunehmen, aufzunehmen. Nur dadurch wird dem Bedürfnis des Menschen nach wahrhaftiger Nahrung entsprochen. Man muss erkennen, dass man Ihn nötig hat, und gerade dazu ist Er gekommen, um dieser vollkommenen Hoffnungslosigkeit zu begegnen.

„Eure Väter haben das Manna in der Wüste gegessen und sind gestorben“ (Vers 49)

Was für ein Gegensatz zu dem wunderbaren Ergebnis des Glaubens an den Herrn Jesus als das Brot des Lebens! Einmal zu Ihm gekommen sein und Ihn im Glauben angenommen haben gibt ewiges Leben. Das tägliche Essen von dem Man-na in der Wüste konnte das irdische Leben nur für eine Zeit erhalten, und letztlich sind die, die davon gegessen haben, doch gestorben. Aber das ewige Leben in dem Herrn Jesus kann nicht von dem natürlichen Tod angetastet werden.

„Dies ist das Brot, das aus dem Himmel herabkommt, damit man davon esse und nicht sterbe“ (Vers 50)

Das Leben, das der Herr Jesus gibt, wird nicht angetastet von dem natürlichen Tod. Bei diesen Worten müssen wir un-terscheiden zwischen dem natürlichen Tod und dem geistlichen oder ewigen Tod. Die Israeliten in der Wüste sind ja nicht nur den natürlichen Tod gestorben, sondern viele von ihnen sind wegen ihres Unglaubens auch im ewigen Tod (Heb 3,19). Der Gläubige der Gnadenzeit, der einmal von dem Herrn Jesus als dem Brot des Lebens gegessen hat, stirbt nicht, obwohl er vielleicht noch durch den natürlichen Tod zu gehen hat. Mit dem „nicht sterben“ ist also nicht der natürliche Tod gemeint. Das ist auch die Bedeutung der Worte des Herrn an Martha: „wer an mich glaubt, wird le-ben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25).

Interessant ist, dass der Herr Jesus hier bei dem Herabkommen die Gegenwarts-Form verwendet, im nächsten Vers spricht Er davon als von einer vollendeten Tatsache. Die hier benutzte Gegenwarts-Form soll betonen, dass das charak-teristisch für Ihn ist. Er ist derjenige, der von Gott ist, von Gott ausgegangen ist.

In den nächsten Versen spricht der Herr Jesus jetzt immer wieder von dem Essen (und auch Trinken), aber nicht immer mit der gleichen Bedeutung. Die Anmerkung zur Elberfelder-Übersetzung weist darauf hin, dass es in den Versen 50, 51 und 53 eine einmalige Handlung beschrieben wird, und in den Versen 54 und 56 bis 58 eine fortdauernde Handlung. Mit dem erstmaligen Essen bekommen wir ewiges Leben, und mit dem nachträglichen gewohnheitsmäßigen Essen und Trinken erhalten wir es aufrecht und offenbaren es.

Hier ist es also das einmalige Essen von dem Brot des Lebens, um überhaupt Leben zu bekommen, in Beziehung zu göttlichen Personen treten zu können. Das Essen drückt aus, dass wir dieses Brot aus dem Himmel zu unserer eigenen Sache machen müssen. Es geht um das geistliche Aufnehmen von Wahrheiten. Die geistliche Wahrheit wird in der Bi-bel oft als Speise betrachtet. So wie unser Körper Speise zur Erhaltung braucht, so hat es auch unsere Seele nötig, dass sie täglich mit geistlicher Speise genährt wird. Alles, was wir unserer Seele zuführen, geht genauso in sie hinein, wie das Essen und Trinken in unseren Leib.

Den Korinthern hatte Paulus das Geheimnis von der Versammlung nicht offenbart, weil sie noch Unmündige waren, die feste Speise nicht vertrugen. Bei den Hebräern war es fast noch trauriger, sie hätten der Zeit nach eigentlich schon Leh-rer sein sollen, aber sie waren in ihrer geistlichen Entwicklung zurückgefallen in den Zustand von solchen, die selbst Milch nötig hatten, statt anderen feste Speise weitergeben zu können (1. Kor 2,7; 3,2; Heb 5,12–14). In diesen beiden Stellen wird die Milch als etwas vorgestellt, was für das Anfangsstadium des Christen passend, aber auf Dauer nicht die angemessene Nahrung ist. Petrus dagegen gebraucht die Milch in einem ganz anderen Sinn. Er unterscheidet nämlich nicht die Gläubigen nach Neugeborenen und Erwachsenen, sondern sieht sie alle gleich und vergleicht sie mit Säuglin-gen, die begierig sind nach der Milch – und so sollten alle Gläubigen sein (1. Pet 2,2).

Wenn der Herr also jetzt von Essen und Trinken spricht, ist das eine ganz normale Sprache der Bibel, die das Aufneh-men von geistlichen Wahrheiten bedeutet. Es geht in diesen Versen also überhaupt nicht um das Essen und Trinken bei dem Mahl des Herrn. Wenn das so wäre, würde jeder, der daran teilnimmt, dadurch ewiges Leben bekommen. Leider wird gerade das in den großen Kirchen der Christenheit so gelehrt. Wir müssen sogar sagen, dass das eine regelrechte Irrlehre ist, weil dadurch Menschen eine falsche Sicherheit vorgegaukelt wird. Aber wenn wir die Wahrheit von einem gekreuzigten Herrn in dem Sinn essen, dass wir sie glaubensmäßig in uns aufnehmen und verarbeiten, dann bekommen wir ewiges Leben.