In Jesaja 40 bis 66 finden wir eine Reihe von Prophezeiungen über den Herrn Jesus Christus. Unserer Meinung nach gehören sie zu den bemerkenswertesten im gesamten Alten Testament. In diesen Prophezeiungen wird Er in zweifacher Weise vorgestellt: erstens als „Arm des Herrn“ und zweitens als „Mein Knecht“, also als den „Knecht des Herrn“.

Als der „Arm“ ist Er der mächtige Ausführer des Wohlgefallens des Herrn in Gnade und Gericht. Als der „Knecht“ erniedrigt Er sich, um zu leiden und so das gerechte Fundament zu legen, auf der das Gebäude des Wohlgefallens Gottes aufgebaut werden wird. Bei seinem ersten Kommen wurde Er als „Knecht“ angesehen, bei seinem zweiten Erscheinen wird Er als der „Arm“ offenbart werden.

Als der „Arm“ des Herrn wird Er insbesondere bezeichnet in Jes 40,9–11; 51,4–16; 52,13 – 53,1; 59,16; 63,5 und 12.

Wenn wir uns über diese Abschnitte einen raschen Überblick verschaffen, lernen wir, dass Gott der Herr durch seinen „Arm“ nicht in Schwachheit, sondern in Kraft erscheint; nicht um zu leiden, sondern um zu herrschen und Lohn zu gewähren. Die Bösen werden ihren Lohn im Gericht erhalten, derselbe „Arm“ wird aber auch gütig sein und in der Zartheit eines Hirten gegenüber den kleinsten und schwächsten der wahren Schafe Gottes handeln.

Noch einmal dürfen wir festhalten, der Gottesfürchtige darf fest auf diesen „Arm“ vertrauen, denn er wird erwachen und Stärke anziehen wie in den Tagen vor alters, als er Ägypten (Rahab) schlug und das Rote Meer teilte. Aber nun werden uns noch größere Dinge vor Augen gestellt, wie wir im letzten Teil von Vers 16 sehen (s. Jes 51,16). Die Himmel werden gepflanzt und die Grundlagen der Erde gelegt; Israel in Zion wird als Gottes Volk anerkannt.

In der gegenwärtigen Zeit bereitet Gott sich darauf vor, die Himmel zu pflanzen durch das Herausrufen von Gläubigen, durch die Bildung der Versammlung, die ihren Sitz im Himmel haben wird, wenn das Zeitalter der Herrlichkeit beginnt. Dann wird Gott Seine Hand benutzen, um in moralischer und regierungsmäßiger Hinsicht die Grundfesten der Erde zu legen – wie es der Psalmist andeutet, wenn er verkündet: „Es wanken alle Grundfesten der Erde!“ (Ps 82,5).

Denn das tun sie! Das ist es, was heute auf der Erde alles verkehrt ist, sodass die Grundfesten neu gelegt werden müssen. Sich dessen bewusst werdend wollen viele Politiker deswegen alles umstürzen und einen kompletten Neubeginn einleiten. Hätten sie Erfolg, wäre das Ergebnis allerdings noch schlimmer, denn sie benutzen nicht den „Arm des Herrn“, der allein bewirken kann, dass statt Gesetzlosigkeit und Bösem Gerechtigkeit regieren kann. Dann schließlich wird Zion anerkannt werden und Israel seinen angemessenen Platz finden, damit tatsächlich Gerechtigkeit regieren kann. Aber um all das herbeizuführen, wird Gottes heiliger „Arm“ schreckliche Gerichte ausführen, wie wir in Jesaja 59 und 63 sehen.

Aber wenn wir die Abschnitte betrachten, die vom „Knecht“ des Herrn sprechen, wird uns auch eine andere Linie vorgestellt – insbesondere Jes 42, Jes 49 und Jes 53. Da kommt Einer in Gnade, Demut und Leiden, der oberflächlich betrachtet an seinem Auftrag scheitert, diesen aber dennoch zu einem triumphalen Ende führt.

Er wird uns in Jesaja 42 vorgestellt, und wir erfahren sogleich, dass er zwar nicht wie ein politischer Umstürzler unter die Menschen kommt, das geknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen, also nicht mit Gericht auf die Falschheit und Frechheit der Leute wie der Pharisäer (Mt 12,14–21) antworten wird. Trotzdem wird er schließlich der Wahrheit gemäß das Recht kundtun, und das wird der Sieg sein. Es mag aussehen, als ob er versagt, wenn er das erste Mal in Gnade kommt, aber er wird weder ermatten noch niedersinken. Mose ermattete und Elia war entmutigt, weil er scheinbar versagte, aber dieser Knecht wird seine Aufgabe in Vollkommenheit zu Ende bringen.

In Jesaja 49 erscheint dasselbe Bild, und wir hören den Knecht selbst prophetische Worte aussprechen. Er sagt: „Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt“. Wir wenden uns zu den Evangelien und sehen ihn dastehen unmittelbar vor der Stunde seiner Leiden und des Todes; und was war das offensichtliche Ergebnis seiner Mühen? Eine Handvoll kleiner Leute: ein paar Fischer aus Galiläa, ein paar Frauen, die ihm nachfolgten, und einige, die ihn hier und dort in ihre Häuser gebeten hatten. In der Oberschicht und bei den Intellektuellen schmiedeten sie ein Komplott, um ihn zu verhaften. Sie konnten in ihrer Anmaßung fragen: „Hat jemand von den Führern oder Pharisäern an ihn geglaubt?“. Es konnte kein Zweifel bestehen: oberflächlich betrachtet war Seine Mission gescheitert.

Aber auf all dies war die Antwort dieses vollkommenen Knechtes: „Doch mein Recht ist bei dem Herrn und mein Lohn bei meinem Gott.“ In Jesaja 53 lesen wir: „Er ist weggenommen worden aus der Angst und aus dem Gericht“ , was in Apg 8 übersetzt wird mit: „In seiner Erniedrigung wurde sein Gericht weggenommen“: Als sie ihn verurteilten, wurde jeder Grundsatz eines gerechten Gerichts verletzt, aber Er gab sich damit zufrieden, vor seinen Richtern zu schweigen und sich dem höchsten Gericht des Universums zu unterwerfen. Er wusste, dass seine Rechtfertigung in der Gegenwart Jehovas sicher war.

Deswegen konnte Er sagen: „Wenngleich Israel nicht gesammelt worden ist, bin ich doch geehrt in den Augen des Herrn, und mein Gott wird meine Stärke sein.“ Beachten wir das! Die Gedanken und Urteile des Menschen werden durch Gott vollständig aufgehoben. Der gedemütigte Mensch – der verunglimpfte Prophet von Nazareth – war, als er auf dem Weg nach Golgatha mitten durch die lärmende Menge ging, verlassen von den Jüngern und der Spott der Menschen, schlicht herrlich in den Augen Jehovas. Er war dabei, das Fundament für die zukünftige Herrlichkeit zu legen.

Und es wird uns in diesem Kapitel erlaubt, einen Blick auf die Ratschlüsse Gottes zu werfen. Die Stämme Jakobs aufzurichten und einen gottesfürchtigen Überrest Israels wiederherzustellen war eine vergleichsweise geringe Sache. Größere und gewichtigere Dinge waren in Sicht. Welche waren das? Ein Licht zu sein für die Nationen und gesetzt zu sein als Rettung bis an das Ende der Erde. Wir wissen, dass Israel schlussendlich versammelt wird, aber hier wird das vorausgesagt, was Gott heute tut, und in dieses Licht und zu diesem Segen sind wir durch Gottes Gnade gebracht worden, denn jetzt ist die angenehme Zeit, der Tag des Heils.

Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auf den Tag des Heils der Tag des Gerichts folgt, wenn der demütige Knecht, der einst von den Menschen verachtet war, geehrt und erhoben werden wird. Die Großen der Erde werden aufstehen und Ihm huldigen.

Dieses Thema wird in den letzten Versen von Jesaja 52, die eigentlich die Einleitung zu dem großartigen Kapitel 53 darstellen, erneut aufgegriffen. Der Knecht des Herrn wird erhoben und gepriesen werden und sehr erhöht sein, aber das Kapitel fährt fort, dass Er auch verachtet und verworfen und sehr erniedrigt werden wird. Wie können wir diese Dinge zusammenbringen? Wenn wir ihn erniedrigt und verachtet sehen, wie kann man dann die unerwartete Botschaft von seiner zukünftigen Erhebung und Herrlichkeit glauben? Wer erkennt, dass der demütige „Knecht“ und der verherrlichte „Arm“ ein und dieselbe Person sind?

Israel hat das das nie erkannt. Doch in seiner eigenen Geschichte gab es ein Ereignis, das dies andeutete. In 1. Mose 35 lesen wir, wie die Geburt Benjamins mit Tod verbunden war. Deshalb bekam er einen doppelten Namen. „Sohn meiner Not“ und Sohn meiner Rechten“ – das war ein und dieselbe Person. Wer sieht also den herrlichen Arm des Herrn in dem Mann der Schmerzen, dem mit Leiden Vertrauten? Siehst du Ihn? Sehe ich Ihn? Wir antworten: Ja, Gott sei Dank, wir sehen Ihn.

Der Rest dieses wunderbaren Kapitels sagt voraus, wie das alles zustande kommt. Israel war wirklich ein dürres Erdreich – ohne Fruchtbarkeit, ohne Frische, ohne Leben – aber daraus kam der Wurzelspross allen Segens hervor, diese zarte Pflanze. In den Augen des Menschen hatte er keine Gestalt, keine Pracht und keine Stattlichkeit, und er hatte nicht die Art von Schönheit, die den unbekehrten Menschen fesselt. Vor vielen Jahren ritt der deutsche Kaiser mit Pomp in Jerusalem ein, auf einem weißen Pferd. So muss man es machen, wenn man die Leute beeindrucken will, und nicht auf einem unbedeutenden jungen Esel, wie es unser Herr tat.

Deswegen verbargen die Menschen seiner Zeit ihr Angesicht vor ihm. Sie verachteten ihn und dachten, seine Leiden wären eine Strafe Gottes, weil er ein Hochstapler sei. Aber der Tag wird kommen in Erfüllung des Sühnetags (s. 3. Mo 23,27), und dann wird es eine nationale Buße Israels geben und viel Betrübnis der Seele, wenn ihnen die Wahrheit aufgeht und sie ausrufen: „Doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Ungerechtigkeiten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden“.

Wir nehmen diese Zeit vorweg und wenden diese Worte entsprechend auf uns selbst an, aber das liegt daran, dass er gesetzt wurde als Licht für die Nationen und Gottes Rettung bis an die Enden der Erde. Wir ersetzen das „Unser“ durch „Mein“, das „Wir sind“ durch „Ich bin“, und wir können das nicht einfältig genug tun.

Wenn wir in diesem Kapitel weiterlesen, entdecken wir, wie der Prophet Seinen Tod und Sein Begräbnis vorhersah. Bemerkenswerterweise steht das Wort „Tod“ in Vers 9 im Plural. Wenn wir daran denken, dass „Christus, aus den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt“, scheint das ungewöhnlich zu sein. Aber wir haben gelernt, dass im Hebräischen der Plural benutzt wurde, um Größe und Majestät auszudrücken. Der Prophet sah einen Tod von solch majestätischer Größe voraus – zehntausend mal zehntausend Tode vereinigten sich in einem einzigen –, dass er unter der Eingebung des Geistes Gottes den Plural der Majestät benutzte. Um das handelte es sich in der Tat, und Joseph von Arimathia wurde speziell dazu geboren, damit die Worte „Und bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod“ sich erfüllten.

Auf diesem majestätischen Tod beruhen in Ewigkeit die Herrlichkeit Gottes und der Segen für Abermillionen von Erlösten.

Was Menschen ihm im Hinblick auf Seinen Tod antaten, war nicht von so außerordentlicher Wichtigkeit, sondern was der Herr tat, wie Vers 10 so deutlich zeigt. Menschen zerschlugen ihn, aber das Wunderbare ist, dass der Herr dies tat, indem seine Seele das Schuldopfer stellte. Es war tatsächlich das Opfer des Leibes Jesu Christi ein für alle Mal, wie wir im Hebräerbrief lesen, aber hier geht es um noch etwas Tiefgreifenderes, eine Tiefe, die wir nie ergründen können, aus der aber herrliche Ergebnisse hervorfließen.

Er wird seine Tage in Auferstehung verlängern. Und dann wird Er „seinen Samen sehen“ – seine geistliche Nachkommenschaft, die gemäß Johannes 12 als die „viele Frucht“ bezeichnet wird, welche aus dem Sterben des einen Weizenkorns hervorkommt. Auch wird das Wohlgefallen des Herrn in seiner Hand gedeihen. In seiner Verherrlichung wird Er alles hinausführen, was dem Herzen Gottes gefällt.

In alledem wird er seine eigene besondere Freude haben. Indem er das Wohlgefallen des Herrn ausführt, wird er die Frucht der „Mühsal seiner Seele“ sehen, und das wird den Becher seiner Genugtuung voll machen. Es braucht nur wenig, um uns zu sättigen, denn wir sind Geschöpfe von geringem Fassungsvermögen, aber um Ihn zu sättigen braucht es eine unendliche Freude. Alles wird ihm gehören an diesem Tag, den wir herbeisehnen.

Das könnten wir als seinen „privaten Anteil bezeichnen. Vers 12 hingegen spricht von seinem öffentlichen Erbteil. Das sind die, welche als die „Großen“ gelten. Der einst verachtete Knecht des Herrn wird unter ihnen sein – als Erster und Anführer –, denn die „Beute“ gehört ihm, und er teilt sie mit denen, die stark geblieben sind, als sie Ihm in den Tagen seiner Verwerfung dienten.

Wir dürfen jedoch das erste Wort (von Vers 12) nicht übersehen: „Darum“. Wenn er also im Glanz erscheint, dann, weil er vorher in Demut gelitten hat. Menschen mögen seine Leiden völlig anders einschätzen, so als ob sie jede Hoffnung auf Herrlichkeit ausschließen; indessen erweisen sie sich als die unvergängliche Grundlage, auf der seine Herrlichkeit sicher ruht von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Kein Wunder, dass das erste Wort von Jesaja 54 lautet: „Juble“. Das unfruchtbare Israel wird in Jubel ausbrechen. In Jesaja 55 geht das Evangelium aus zu jedem, der dürstet, und das schließt die Nationen ein.

Während wir auf die herrliche Vollendung warten, wollen wir Christen den Jubel aufrechterhalten und bis zu seinem Kommen die Einladung des Evangeliums verkünden.