Wenn wir jetzt zum Inhalt der Gebete kommen, stellen wir fest, dass Paulus für das geistliche Leben der Kolosser in allen Bereichen ein volles Maß erbittet:

1.       … damit ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens …

Der eigene Wille hindert uns oft daran, den Willen Gottes zu erkennen. Er sorgt für Vorbehalte beim Lesen und für mangelnde Bereitschaft bei der Umsetzung des Gelesenen. Wie oft haben wir im Eigenwillen bereits eine Entscheidung getroffen und bitten den Herrn anschließend um seine Zustimmung.

Doch das neue Leben will nichts anderes tun als den Willen Gottes. Das ist das Gesetz der Freiheit. Paulus wünscht also, dass die Kolosser eine volle Kenntnis (das mit „Erkenntnis“ übersetzte griechische Wort epignosis bedeutet „volle Kenntnis“) des Willens Gottes hätten und von dieser vollen Kenntnis erfüllt sein möchten. Für beides sind das Lesen des Wortes Gottes und die Gemeinschaft mit Gott zwingende Voraussetzungen.

Der Herr Jesus kannte „den Willen dessen, der ihn gesandt hatte“, und es war seine Speise, ihn zu vollbringen. Die volle Kenntnis der Gedanken Gottes ging bei ihm einher mit der völligen Unterordnung unter den Willen des Vaters.

2.       … in aller Weisheit und geistlicher Einsicht …

Es ist gut, das Wort Gottes zu kennen und die Bereitschaft zu haben, es auch im täglichen Leben umzusetzen. Aber erstens reicht die Kenntnis des Wortes allein nicht aus, wir benötigen auch ein rechtes Verständnis der Gedanken Gottes. Hierzu brauchen wir solche, die wie Paulus fähig sind „jeden Menschen zu ermahnen und jeden zu lehren in aller Weisheit“ (Kol 1,28). Und zweitens braucht es Einsicht, um den Willen Gottes auch in der jeweiligen Situation richtig anwenden und umsetzen zu können. Hierzu sind Gottesfurcht und ein vertrauter Umgang mit Gott erforderlich. Auch hier wollte Paulus sich nicht mit einem gewissen Maß an Weisheit und Einsicht zufriedengeben. Er wünschte den Kolossern „alle Weisheit und geistliche Einsicht“, um in jeder Situation die nötige Wegweisung zu haben.

Der Herr Jesus ist auch hier das vollkommene Vorbild. Er vergleicht sich mit einem Knecht, der sich von Gott jeden Tag das Ohr öffnen lässt, „damit ich höre wie solche, die belehrt werden“ (Jes 50,4–5). Und deshalb wird er auch der Knecht genannt, der „einsichtig handeln wird“ (Jes 52,13).

3.       … um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen …

Der Herr tat allezeit das dem Vater Wohlgefällige (Joh 8,29). Wer dieses Herrn würdig wandeln will, kann sich nicht mit weniger begnügen. Wenn wir den Willen des Herrn erkannt haben und auch darin geübt sind, ihn mit Einsicht und Weisheit auf Situationen in unserem Leben anzuwenden, dann wird das in unserer täglichen Lebensführung zu sehen sein. Dann fragen wir nicht, ob dieses oder jenes noch erlaubt ist, sondern unsere Entscheidungen und unser Handeln sind geprägt von dem Verlangen, die Zustimmung des Herrn zu haben.

Und auch hier spricht Paulus nicht davon, dass das von Zeit zu Zeit so sein möge, sondern bei allem, was wir tun – „zu allem Wohlgefallen“.

4.       … in jedem guten Werk Frucht bringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes …

Ein würdiger Wandel betrifft auch die verborgenen Dinge unseres Lebens, das, was niemand sieht außer Gott. In allem wollen wir sein Wohlgefallen suchen. Aber wenn es um unser geistliches Leben gut bestellt ist, wird man das Erfülltsein mit dem Willen Gottes auch in unseren Werken sehen.

Und dann tun wir nicht nur einfach gute Werke, sondern bringen in diesem guten Werken Frucht. Denn das unterscheidet die guten Werke im landläufigen Sinn von den wahrhaft guten Werken nach dem Urteil Gottes. Werke, die von Einsicht und Weisheit geprägt sind, sind wahrhaft gute Werke. Ein schönes Beispiel dafür ist Maria von Bethanien (vgl. Mt 26,7.10).

Der Herr Jesus ist wie immer das beste Vorbild. Er ging „wohltuend“ umher (Apg 10,38) und zeigte den Menschen „viele gute Werke“ von seinem Vater (Joh 10,32). Er war in Wahrheit der an Wasserbächen gepflanzte Baum, „der seine Frucht bringt zu seiner Zeit … und alles, was er tut, gelingt“ (Ps 1,3). Aber auch Psalm 1 führt uns zu dem ersten Punkt des Gebets zurück, denn er spricht von einem Menschen, der „seine Lust hat am Gesetz des HERRN und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht!“

Und wenn wir glauben, in unserem geistlichen Leben das Maximum erreicht zu haben, dann zeigt uns die Bitte von Paulus, dass noch reichlich Potenzial zum „wachsen“ ist. Das Verlangen nach Wachstum in unserem Glaubensleben wird „durch die Erkenntnis Gottes“ bewirkt, wie sie sich „im Angesicht Jesu Christi“ offenbart hat (2. Kor 4,6). Wir haben gesehen, wie vollkommen alles bei dem Herrn Jesus war. Das ist Motivation und Maßstab unseres Wachstums (vgl. Eph 4,13). Wer ihn anschaut, wird niemals denken, er wäre bereits genug gewachsen.

5.       … gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit …

Die Kraft zu einem Gott wohlgefälligen Wandel kann niemals aus uns selbst kommen. Es ist der Heilige Geist, der dem neuen Leben die Kraft gibt sich zu entfalten. Diese Kräftigung durch den Geist Gottes geschieht dadurch, dass er unsere Blicke auf den verherrlichten Christus im Himmel lenkt. Er hat den Sieg errungen, er hat die Welt überwunden, er ist bereits an dem Ziel, zu dem wir noch unterwegs sind.

Wieder bittet Paulus nicht um ein wenig Kraft, sondern um Kräftigung „mit aller Kraft“. An der Kraft mangelt es sicher nicht, wohl aber an unserem täglichen Gebrauch davon. Wie oft lassen wir unsere Blicke von dem Herrn Jesus und seiner Herrlichkeit ablenken.

6.       … zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden

Wie es um unsere Bereitschaft den Willen Gottes zu tun, um unsere Weisheit und geistliche Einsicht, um das Verlangen nach einem dem Herrn wohlgefälligen Wandel, um das Fruchtbringen und Wachsen in unseren guten Werken und um unsere geistliche Kraft bestellt ist, das wird in Prüfungssituationen deutlich. Und davon gibt es reichlich in unserem Leben, sowohl durch Umstände als auch durch Menschen. Und das insbesondere, wenn wir den Willen Gottes tun wollen.

Ausharren bedeutet wörtlich „darunter bleiben“. Wenn wir von der Erkenntnis des Willens Gottes erfüllt sind, dann leben und handeln wir in dem Bewusstsein, dass unser ganzer Weg von Gott vorgezeichnet ist. Dann nehmen wir die Umstände aus Gottes Hand an und beugen uns unter diese mächtige Hand Gottes. Dann bleiben wir unter den Umständen, wie der Herr immer darunter geblieben ist und gesagt hat: „Ja, Vater, denn so war es wohlgefällig vor dir.“ „Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf.“ Welch ein Vorbild für uns!

Wenn wir in Gethsemane den Ort des vollkommenen Ausharrens, des vollkommenen „Darunterbleibens“ erkennen, dann sehen wir in Golgatha den Ort vollkommener Langmut. Denn Langmut ist Geduld mit unseren Mitmenschen. Unendliche Langmut offenbart sich in dem Gebet des Herrn am Kreuz für seine Feinde. Denn die Langmut betätigt sich nicht nur den sympathischen Leuten gegenüber, sondern gerade den unbequemen. Und auch in Bezug auf Ausharren und Langmut erbat Paulus für die Kolosser das Maximum: „zu allem Ausharren und aller Langmut.“

Zum Schluss nur noch ein kurzes Wort zu dem Ausdruck „mit Freuden“ und hierzu ein Zitat aus Johannes 15,10.11: „Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde.“

Der Herr Jesus war erfüllt von der vollen Erkenntnis des Willens des Vaters in aller Weisheit und geistlicher Einsicht, er handelte immer zum Wohlgefallen des Vaters und brachte in seinen vielen guten Werken immer Frucht für Gott, während er in der Kraft der Gemeinschaft mit seinem Vater voranging und in allen Umständen Ausharren und gegenüber den Menschen Langmut bewies. Und das war es, was er „seine Freude“ nennt. Dieses Bewusstsein, in allem und in jeder Situation den Willen des Vaters zu kennen und zu tun, war seine Speise und seine Freude. Wann wird diese Freude in uns sein? Wenn wir ihm darin ähnlicher werden.

Sind die Gebetsanliegen des Paulus, die wir vor uns hatten, nicht außerordentlich angebracht für uns in einer Zeit, wo so viel Zerstreuung dazu angetan ist, unsere Herzen und Zuneigungen von dem Herrn Jesus und der Erkenntnis seines Willens abzuziehen?