Im Alter von 40 Jahren war Mose auf bestem Weg, der einflussreichste Mann der damaligen Welt zu werden. Als Sohn der Tochter Pharaos lebte er auf Tuchfühlung mit der weltlichen Macht. In aller Weisheit der Ägypter war er unterwiesen (Apg 7,22; vgl. 1. Kön 5,10), ein Mann, der mächtig war in seinen Worten und Werken.

Ähnlich wie Paulus hatte er allen Grund „auf Fleisch zu vertrauen“ (Phil 3,4). Doch nach 40 Jahren in der Schule Gottes in Midian und nach einer wunderbaren Begegnung mit Gott in dem brennenden Dornbusch finden wir einen völlig veränderten Mose vor. Der Reichtum, den er in der „Schmach des Christus“ sah und der stete Blick auf den „Unsichtbaren“ ließen ihn auf alles verzichten, was Ägypten ihm bieten konnte (Heb 11,24–27). Genauso achtete auch Paulus alle seine weltlichen Vorzüge für Dreck „wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu“ (Phil 3,8).

Ein Wesenszug, der bei beiden Männern Gottes besonders hervorsticht, ist ihre Selbstlosigkeit. Wir wollen dieser nachahmenswerten Eigenschaft im Leben Moses mal etwas nachspüren.

Schon als Gott Mose in dem brennenden Dornbusch begegnete und ihn beauftragte, das Volk aus Ägypten herauszuführen, entgegnete Mose: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Kinder Israel aus Ägypten herausführen sollte?“ (2. Mo 3,11). Er sah sich selbst nicht dazu in der Lage. Und der Mann, der einst „mächtig war in seinen Worten“, sagt jetzt über sich: „Ich bin kein Mann der Rede“ (2. Mo 4,10; 6,30). Möglicherweise sprach auch Unglaube aus diesen Worten, auf jeden Fall sehen wir keine Spur von Selbstvertrauen. Und Gott wollte ihn gerade so gebrauchen, um seine Kraft in ihm zu offenbaren.

Als Führer des Volkes hatte Mose es mit einem hartnäckigen Volk zu tun. Immer wieder richtete sich der Unmut der Kinder Israel direkt gegen Mose. Schon als sie nach ihrem Auszug vom Pharao verfolgt wurden, gingen sie Mose an: „Was hast du uns da getan?“ (2. Mo 14,11). Hören wir ein Wort der Verteidigung seiner eigenen Person aus dem Mund Moses? Hätte er nicht allen Grund dazu gehabt? Doch er lenkt von sich ab und richtet ihre Erwartungen auf die „Rettung des HERRN, die er euch heute schaffen wird.“

Dann murren sie in Mara gegen Mose, weil das Wasser nicht genießbar war (2. Mo 15,24). Wenig später, erneutes Murren des Volkes, weil sie Hunger hatten. Wieder richtet sich ihre Unzufriedenheit gegen Mose (2. Mo 16,2). In Rephidim dasselbe: „Da war kein Wasser zum Trinken für das Volk. Und das Volk haderte mit Mose“ (2. Mo 17,2). Nirgends ein verteidigendes Wort von Mose. Es ist, als ob dieser Stachel ihm gar nichts anhaben konnte. Im Gegenteil: Er stellt dem Volk vor, dass sich ihr Murren in Wirklichkeit gegen Gott richtete, „denn was sind wir“ (2. Mo 16,8). So erfüllt war er von der Größe Gottes, dass er nur für dessen Ehre eintreten wollte und selbst nichts sein wollte. Wie schwer fällt es uns gerade dann, wenn wir ungerecht beschuldigt werden, still zu sein. Aber wenn wir selbst nichts sind, ist auch keine Angriffsfläche für verletzende Pfeile vorhanden.

Gibt es einen Mann im Alten Testament, der Größeres getan hat als Mose? Doch nie hören wir ihn groß von sich reden. Als sein Schwiegervater ihn besuchte, erzählte er ihm „alles, was der HERR an dem Pharao und an den Ägyptern getan hatte … und dass der HERR sie errettet habe“ (2. Mo 18,8). Wenn wir getan hätten, was Mose getan hat, hätten wir wohl auch so wenig aus uns selbst gemacht?

Zweimal hat Gott gedroht, das ganze Volk zu vernichten und Mose angeboten, ihn und seine Nachkommen zu einem neuen Volk zu machen (2. Mo 32,10; 4. Mo 14,12). War das nicht ein verlockendes Angebot? Was für eine Vorstellung, dass das Volk dann nicht mehr Volk Israel, sondern Volk Mose heißen würde. Aber Mose bleibt selbstlos. Ihm geht es allein um die Ehre Gottes und gleichzeitig zeigt sich eine beispiellose Liebe zu dem Volk, die selten auf Gegenliebe seitens des Volkes traf. „Dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat – wir wissen nicht, was ihm geschehen ist“ (2. Mo 32,1). So redeten sie über ihn. Wie hat er sich immer wieder für dieses zügellose Volk eingesetzt, auch wenn sich ihre Angriffe direkt gegen ihn richteten. Sogar steinigen wollten sie ihn, und er flehte für sie, und der HERR vergab (4. Mo 14,10+13–20).

Auch die Rebellion der Rotte Korahs richtete sich nicht nur gegen Aaron, sondern auch gegen Mose (vgl. 4. Mo 16,3). Aber die Selbstlosigkeit Moses machte ihn völlig unangreifbar. Die Rebellion rief zwar seinen Eifer hervor, aber er eiferte nicht für sich, sondern allein für Gott und für Aaron (4. Mo 16,11). Auch als ihm berichtet wurde, dass zwei der 70 Ältesten, Eldad und Medad, im Lager weissagten, befürchtete man, dass das Ansehen Moses dadurch Schaden leiden könnte. Und Mose? Ihm waren solche Gedanken völlig fremd. „Eiferst du für mich?“, fragt er Josua, der sicher mit einer anderen Reaktion gerechnet hatte (4. Mo 11,29). Ähnlich schöne Reaktionen finden wir bei Johannes dem Täufer (Joh 3,26.30) und bei Paulus (Phil 1,17.18). Es ist ein Wesenszug des Herrn Jesus (vgl. Lk 9,54.55; Mk 9,38–40).

Demut und Sanftmut gehören zusammen. Bei dem Herrn Jesus waren beide Eigenschaften vollkommen vorhanden (Mt 11,29). Wenige sind ihm darin so ähnlich wie Mose. Der Mann, der einst im Affekt einen Ägypter erschlagen konnte, hat in der Schule Gottes die Sanftmut gelernt. Gerade in einer Situation, wo selbst seine engsten Verwandten, Mirjam und Aaron, gegen ihn redeten (wie sehr ist dieser Mann durch Widerstand erprobt worden!), nennt Gott ihn „sehr sanftmütig, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren“ (4. Mo 12,3). Wie jedes Mal überlässt Mose auch jetzt seine Verteidigung völlig dem HERRN. Und der HERR stellt ihm in Gegenwart seiner Geschwister ein wunderbares Zeugnis aus (4. Mo 12,6–8). Dann bringt Gott Gericht über Mirjam, die anscheinend die Anführerin gewesen war. Und was tut Mose? Mit einem ergreifenden kurzen Gebet tritt Mose auch für sie ein: „O Gott, bitte heile sie doch!“

Was hat diesen Mann so selbstlos und sanftmütig gemacht? War es nicht der Eindruck von der Herrlichkeit und Größe Gottes, die er im brennenden Dornbusch und später immer wieder im vertrauten Umgang mit seinem Gott kennengelernt hatte?

Und ist nicht das Anschauen der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi für uns auch der Schlüssel, um von uns selbst frei zu werden?