Mephiboseth in der Tafelrunde Davids – es gibt kaum ein eindrücklicheres Bild von der Gnade Gottes, die sich denen zuwendet, die nichts als Gericht verdient haben.

Mephiboseth war gefallen als er auf der Flucht vor David war. Durch seinen Fall war er lahm geworden, was er von Geburt an nicht war. Die Parallelen zum ersten Menschenpaar sind unübersehbar. Adam war ohne Sünde erschaffen worden. Gottes Urteil „sehr gut“ am sechsten Schöpfungstag schloss auch ihn mit ein. Der Prediger bestätigt, „dass Gott den Menschen aufrichtig erschaffen hat“ (Pred 7,29). Aber dann „fiel“ das erste Paar „in Übertretung“ (1. Tim 2,14). Die Flucht Mephiboseths vor David zeigt, dass der Mensch seit dem Sündenfall auf der Flucht ist vor Gott. Adam und Eva versteckten sich und ihr gottloser Sohn Kain floh vor dem Angesicht des Herrn weg (1. Mo 3,8; 4,16). Seitdem ist der Mensch „lahm“, er ist nicht fähig aus eigener Anstrengung zu Gott zurückzukommen. 2. Samuel 5,8 zeigt darüber hinaus, dass der Mensch nicht nur unfähig, sondern wegen der Sünde, die ihm anhaftet, auch völlig unwürdig ist in die Gegenwart Gottes zu kommen.

Doch die Sünde beschränkte sich nicht auf die ersten Menschen, sondern sie ist zu allen Menschen durchgedrungen (Röm 5,12) und durch die Sünde der Tod, der der Lohn der Sünde ist (Röm 6,23). Mephiboseth war ein Enkel Sauls. Allein seine Abstammung machte ihn zu einem Mann des Todes (vgl. 2. Sam 19,29).

Infolge seines elenden Zustands wohnte Mephiboseth weit entfernt von Jerusalem in Lodebar, was „ohne Weide“ bedeutet. Das ist der Mensch in seinem hilflosen Zustand in einer Welt ohne Nahrung für die Seele. In einem fernen Land und vor Hunger umkommend, das war auch der verlorene Sohn in Lukas 15 – ein weiteres eindrückliches Bild von dem verlorenen Menschen auf der Flucht vor Gott.

Wie deutlich führt uns Mephiboseth vor Augen, wie sehr wir auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen waren! Und den Reichtum dieser Gnade und Barmherzigkeit sehen wir vorbildlich bei David.

Schon bevor Mephiboseth geboren war, hatte David geschworen, Güte an den Nachkommen Sauls zu erweisen (1. Sam 24,22–23). So ist auch die Gnade Gottes nicht einfach eine Reaktion auf den Sündenfall des Menschen. Sie ist im Vorsatz Gottes verankert und uns „vor ewigen Zeiten“ gegeben worden (2. Tim 1,9). Wir sind „auserwählt vor Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4).

Doch wie konnten wir als Sünder in den Genuss dieser Gnade kommen? Auch das finden wir in der Geschichte Mephiboseths. Wie kam er unter die Gnade Davids? Es geschah „um Jonathans willen“ (2. Sam 9,1). Genau das zeigen auch die beiden zitierten Verse aus dem Neuen Testament: die Gnade ist uns „in Christus Jesus“ gegeben, wir sind „auserwählt in ihm“. Unsere Errettung ist um Jesu willen, sie gründet sich allein auf die Befriedigung, die Gott in dem Werk Christi gefunden hat, und nicht auf irgendeinen Verdienst auf unserer Seite.

Wie Mephiboseth aus dem Haus Makirs in Lodebar geholt werden musste, weil er selbst unfähig war zu kommen, so musste Gott auch bei uns die Initiative ergreifen. Und er hat es getan! Die suchende Frage Gottes im Garten Eden „Wo bist du?“ zeigt die suchende Liebe Gottes, die jeden Menschen zu sich zurückbringen möchte. Mephiboseth kommt in Furcht zu David. In Furcht standen auch Adam und Eva vor Gott (1. Mo 3,9+10). Doch die Güte Davids bringt Mephiboseth dazu sich vor ihm zu beugen und sich einen toten Hund zu nennen. Zu einer echten Umkehr gehören Bekenntnis und Buße – und es ist die Güte Gottes, die den Menschen zur Buße leitet (Röm 2,4). So war es auch bei dem verlorenen Sohn die Erinnerung an das Haus des Vaters, die ihn den Entschluss fassen ließ umzukehren.

Und wie die Liebe des Vaters die Furcht aus dem Herzen des verlorenen Sohnes austrieb, sodass er nicht mehr wagte zu sagen: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner“, so vertrieb sicher auch die Güte Davids jede Furcht aus dem Herzen Mephiboseths (vgl. 1. Joh 4,18). Und was dann mit Mephiboseth geschieht, zeigt vorbildlich das ganze Ausmaß der Gnade Gottes.

David schenkt Mephiboseth, dem Mann des Todes, das Leben. Der Furcht Mephiboseths begegnet er mit den Worten „Fürchte dich nicht.“ Welcher Frieden muss da in das Herz Mephiboseths eingezogen sein. Den Geflüchteten beruft er in die Gemeinschaft an seinem Tisch, den Armen, der ohne Weide war (Lodebar), beschenkt er mit einem reichen Erbteil. Und dem Enkel Sauls gibt David die Rechte „wie einer von den Königssöhnen“. War das verdient? Hätte David nicht sein Versprechen auch dadurch eingehalten, dass er Mephiboseth am Leben ließ?

Die Gnade Gottes bemisst sich eben nicht daran, was für uns Sünder ausgereicht hätte, sondern er segnet entsprechend dem, was in seinem eigenen Herzen ist. „Der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes“ ist aber nicht nur Leben sondern „ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn“. Wir sind gerechtfertigt worden und haben „Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“. Wir sind berufen „in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“ Wir haben „das Recht, Kinder Gottes zu heißen“ und haben in ihm „ein Erbteil erlangt“, sind „Erben Gottes und Miterben Christi“ (Röm 6,23; 5,2; 1. Kor 1,9; Joh 1,12; Eph 1,11; Röm 8,17).

„Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, hat auch uns, als wir in den Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht – durch Gnade seid ihr errettet – und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus“ (Eph 2,7).

„Er war aber lahm an beiden Füßen“ (2. Sam 9,13). So endet der erste Teil der Geschichte Mephiboseths. Für uns bedeutet das: Wir vergessen nie, woher wir gekommen sind und auch nicht, dass wir das Fleisch noch in uns haben. Aber so wie die lahmen Füße an der Tafel Davids nicht zu sehen waren, richten auch wir unseren Blick nicht auf unser Unvermögen und unsere Kraftlosigkeit, sondern auf den, der uns in seine Gemeinschaft berufen hat.