Der Opfertod des Herrn Jesus ist so großartig und in seinen Auswirkungen so umfassend, dass Gott in alttestamentlichen Vorausbildern auf viele Einzelheiten dieses Werkes am Kreuz von Golgatha hinweist. Unter diesen Bildern nehmen die Opfer des 3. Buches Mose  eine herausragende Stellung ein. Und innerhalb dieser Opfer gibt es wohl kaum ein detailreicheres und kraftvolleres Vorausbild auf den Wert des Opfers Christi als die feierlichen Anweisungen zum Versöhnungstag (o. Sühnungstag) in 3. Mose 16.

Der große Zweck dieses Tages

„An diesem Tag wird man Sühnung für euch tun, um euch zu reinigen: Von allen euren Sünden werdet ihr rein sein vor dem Herrn“ (V. 30). Sühnung – dieser Begriff kommt 16-mal in 3. Mose 16 vor. Was er beinhaltet, macht der zitierte Vers deutlich: Das Sündenproblem des Menschen wird so grundlegend geordnet, dass Menschen „vor dem Herrn“ sein können und zwar „rein von allen Sünden“. Herrliches Ergebnis! Was dafür nötig war, finden wir Stück für Stück in den einzelnen Handlungen an diesem Tag.

Die große Person dieses Tages

„Man“ wird Sühnung für euch tun, sagt Gott. Das Volk selbst kann dazu nichts beitragen. Und so gibt es an diesem Tag nur eine Person, die alle Handlungen selbst durchführen muss: der Hohepriester. Er ist ein Bild von dem Herrn Jesus. Nur Er konnte unser Sündenproblem lösen. Niemand von uns konnte es. Und Er hat es getan!

Zunächst soll Aaron seine prachtvolle Kleidung ausziehen, die er gewöhnlich trägt. Stattdessen soll er eine speziell für diesen Tag gemachte, heilige Kleidung aus Leinen anziehen. Leinen tragen auch die übrigen Priester. Der Herr Jesus musste uns Menschen gleich werden, um das Opfer für die Sünden werden zu können. Zu diesem Zweck ist der Sohn Gottes Mensch geworden (vgl. Heb 2,17). „Heilig“ war sein Kleid, Er kam als sündloser Mensch. Niemals hätte Er für andere sterben können, wenn Er selbst von der Sünde befleckt gewesen wäre.

Der erste Bock – für den Herrn

Dann soll Aaron zwei Ziegenböcke vom Volk nehmen und Lose über sie werfen. Das erste Los entscheidet, welcher Bock „für den Herrn“ sein soll. Dieser Bock muss geschlachtet werden und Aaron muss das Blut in das Allerheiligste bringen und es auf den Deckel und vor den Deckel der Bundeslade sprengen. Das zweite Los zeigt den Bock an, der für das Volk sein soll. Wenn Aaron wieder aus dem Zelt herauskommt, soll er seine Hände auf den Kopf des zweiten Bockes legen und auf ihn alle Sünden des Volkes bekennen. Anschließend soll er den „Sündenträger“ lebendig fortschicken in die Wüste. Das sind die beiden zentralen Handlungen des Sühnungstages – Vorausbilder auf den Opfertod des Herrn Jesus am Kreuz.

Warum werden im „Schatten“ (Kol 2,17zwei Böcke benötigt, um das eine Opfer des Herrn Jesus zu beschreiben? Wir lernen dadurch, dass die Sühnung der Sünden zwei Seiten hat. Das Schlimmste an der Sünde ist, dass sie sich direkt gegen Gott richtet[1]. Jede Sünde ist ein Angriff auf die Würde Gottes, eine Missachtung seiner Autorität und eine Beleidigung seines heiligen Wesens (vgl. Hab 1,13). Sühnung bedeutet also zuallererst, dass Gottes Zorn im Blick auf die Sünde gestillt werden musste und dass ein Opfer gefunden werden musste, das seiner Heiligkeit voll entsprach. Das Los soll entscheiden. Gott trifft die Wahl. Er selbst hat sich das Opfer ersehen, das die Verunehrung seiner heiligen Natur durch unsere vielen Sünden wiedergutmachen kann. 

Und was für ein würdiges Opfer hat Er gefunden! Das Blut des Bockes, das Aaron im Allerheiligsten auf den Deckel der Bundeslade sprengen muss, ist ein Bild von dem kostbaren Blut Christi, des „Lammes ohne Fehl und ohne Flecken“, das Gott selbst zuvor erkannt hat (1. Pet 1,19.20). Denn nicht nur der Hohepriester, also der Opfernde, weist auf Christus hin. Auch das Opfertier spricht von Christus. Hebräer 9,14 macht es deutlich: Es geht um „das Blut des Christus, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat“. Er ist der Priester, der „geopfert hat“. Aber hat Er ein Tier geopfert? Nein, sich selbst! „Du bist geschlachtet worden“ singen die Gläubigen in Offenbarung 5. Wir wollen einen Moment innehalten und darüber nachdenken, was das für Ihn bedeutete, als Er drei Stunden in der Finsternis schweigend am Kreuz hing und ganz am Ende schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Gott hat die Sünde an Ihm verurteilt (vgl. Röm 8,3; 2. Kor 5,21).[2]

Die Bundeslade war das Symbol der Gegenwart Gottes. Das auf den Deckel gesprengte Blut zeigt also: Das kostbare Blut Christi ist für immer vor Gottes Augen. Und Gott erkennt im Tod Christi einen so vollkommenen Wert, dass seine Gerechtigkeit dadurch für immer befriedigt und die Sünde der Welt eines Tages auf ewig vor seinen Augen entfernt ist. Gott wird die sühnenden Leiden des Herrn Jesus niemals vergessen oder geringachten. Und in seiner Gnade kann Er jetzt ausnahmslos jedem Menschen die Vergebung der Sünden anbieten. Viele Stellen im Neuen Testament beweisen das (vgl.  1. Tim 2,3–6; Tit 2,11; Heb 2,9; 2. Pet 3,9). Wie groß und weitreichend ist das, was der Herr Jesus am Kreuz getan hat!

Der zweite Bock – für das Volk

Jetzt kommt der zweite Bock ins Blickfeld. Aaron kommt aus dem Heiligtum zurück und legt seine Hände auf den zweiten Bock. Er bekennt auf ihn alle Sünden, sie gehen symbolisch auf den Bock über und dann soll der „Sündenbock“ die Ungerechtigkeiten des Volkes „auf sich tragen in ein ödes Land“. Dieser Bock zeigt, dass der Herr Jesus am Kreuz mit meinen Sünden beladen worden ist. Er hat für mich gelitten, als Er meine Sünden „an seinem Leib auf dem Holz getragen hat“, und durch seine „Striemen“ bin ich „heil geworden“, als der heilige Gott Ihn um meiner Ungerechtigkeiten willen zerschlug (1. Pet 2,24; Jes 53,5). Was hat Er stellvertretend für mich erduldet!

Die Sünden müssen von Aaron Sünde für Sünde auf den Kopf des Bockes bekannt werden. Das zeigt im Bild, dass Christus nur die Sünden der Menschen stellvertretend getragen hat, die mit einem aufrichtigen Sündenbekenntnis zu Gott gekommen sind.

Der Herr Jesus hat alles gutgemacht. Er hat nicht nur Sühnung vor Gott getan (1. Bock) und Gott durch sein Opfer im Blick auf die Sünde vollkommen befriedigt, sodass Gott mir in seiner Gnade die Vergebung der Sünden anbieten konnte. Er hat auch als mein Stellvertreter meine Sünden getragen (2. Bock) und sie für immer so weit von mir entfernt wie der Osten vom Westen entfernt ist (Ps 103,12). Gott wird nie mehr daran denken (Heb 10,17). Das gibt mir eine vollkommene Sicherheit: Wenn Gott völlig in dem ruht, was der Herr Jesus für Ihn am Kreuz getan hat, dann darf ich auch völlig in dem ruhen, was Er dort für mich getan hat.

Die Priesterfamilie und das Volk

Das draußen wartende Volk ist auch ein Bild des Volkes Israel. Erst wenn der Hohepriester wieder aus dem Heiligtum heraustritt, wird der mit den Sünden beladene Bock in die Wüste geschickt. Erst wenn Christus auf die Erde zurückkehrt, wird ein gläubiger Überrest aus Israel, das heute noch im Unglauben ist, erkennen: Sein Blut ist auch für uns geflossen. Sie werden mit einem echten Sündenbekenntnis zu Gott umkehren und Gott wird auf der Grundlage des Opfers Christi, die Sünden des Volkes von ihnen entfernen (vgl. Jes 53,4–6).

Wir, die Gläubigen, die zur Versammlung Gottes gehören, haben heute schon durch das Blut Jesu freien Zutritt in das „Heiligtum“, in die Gegenwart Gottes (Heb 10,19). Diese besondere Stellung der Priesterfamilie – so betrachtet Gottes Wort uns (vgl. Heb 3,6) – wird am großen Sühnungstag dadurch angedeutet, dass Aaron zuerst für sich und sein Haus einen Stier als Sündopfer schlachtet[3] und dann in das Heiligtum eintritt.

Sein Opfer ist größer

Wir können diesen Artikel nicht beenden, ohne darauf hinzuweisen, dass das, was der Herr Jesus am Kreuz bewirkt hat, weit über das hinausgeht, was am Sühnungstag geschah.[4] Die Opferhandlungen von 3. Mose 16 mussten jedes Jahr wiederholt werden (Vers 34). Das zeigt ihre ganze Unvollkommenheit. Das Opfer Christi dagegen ist „ein für alle Mal“ geschehen (vgl. Heb 9,12.25–28; 10,10.12–14). Das zeigt seine ganze Vollkommenheit.

Wie groß auch die Sünde – Dein Opfer ist größer;

Der Sühnewert, Herr, liegt in Deiner Person.

Dich beten wir an, Dich, o Lamm und Erlöser,

der Du jetzt erhöht auf den göttlichen Thron!

[www.folgemirnach.de]


Fußnoten:

  1. David zum Beispiel hat das nach seinem Ehebruch mit Bathseba und dem Mord an ihrem Mann Urija tief empfunden (vgl. 2. Sam 12,13; Ps 51,6)
  2. Dass Aaron mit dem Blut auch das Heiligtum und den Altar reinigen musste, zeigt, dass nicht allein der Mensch, sondern auch die ganze Schöpfung durch die Sünde befleckt ist. Auch sie wird einmal auf der Grundlage des Opfers des Herrn Jesus von jeder Spur der Sünde befreit (vgl. Joh 1,29; 1. Joh 2,2; Heb 9,23.26; Kol 1,20)
  3. Aaron allein weist oft auf den Herrn Jesus hin, wird Aaron dagegen gemeinsam mit seinem Haus gesehen (wie in 3. Mo 16,11), dann ist das ein Bild von der Versammlung.
  4. 3. Mose 16 beinhaltet noch viele weitere Einzelheiten (z.B. der Stier für die priesterliche Familie, das Räucherwerk, die Widder als Brandopfer), für deren Erklärung in diesem kurzen Artikel kein Platz ist. Es lohnt sich aber, sich damit zu beschäftigen!