Der Pharisäer Simon lädt Jesus Christus zu sich ins Haus ein. Simon hofft auf interessante Tischgespräche, denn viele munkeln, dass Jesus ein großer Prophet ist und seine Lehrfähigkeit ist anerkannt (Lk 7,16.40). Andere Personen aus Simons Bekanntenkreis sind ebenfalls eingeladen (Lk 7,36). Der Pharisäer hat offenbar auch nichts dagegen, wenn Fremde in sein Haus kommen, um, abseits stehend, den religiösen Debatten ehrfürchtig zuzuhören.

Die Frau salbt die Füße

Nachdem sich die Gäste mit unbeschuhten Füßen bequem zu Tisch gelegt haben, geschieht etwas Unerwartetes. Eine stadtbekannte Sünderin betritt das Haus des Pharisäers. Diese Frau hat vermutlich ein ausschweifendes Leben geführt und dies ist allgemein bekannt. Doch sie empfindet ihre Schuld, bereut ihr Tun und schätzt die Gnade, die Christus zeigt. Sie hat gehört, dass Jesus im Haus Simons ist und will Ihn ehren, indem sie Ihn mit wertvollem Öl salbt (Lk 7,37.38).

Ihre Liebe zu Christus lässt sie vergessen, welch vorwurfsvolle Blicke und bissige Kommentare sie im Haus eines Pharisäers zu erwarten hat. Wenn Christus nicht da wäre, würde sie niemals kommen. Jetzt aber ist sie auch da – nicht um am Tisch bei den geehrten Gästen zu sein, sondern sie stellt sich demütig zu den Füßen Jesu. Ihr Gesicht ist tränenüberströmt, Tränen der Reue über ihre Schuld. Sie beginnt, mit den Tränen Jesu Füße zu waschen, die durch den Staub der Straße schmutzig geworden sind und so nicht mit Salböl übergossen werden können. Da sie kein Handtuch hat und ihr auch keins gereicht wird, nimmt sie ihre Haare – ihre Ehre – und trocknet damit seine Füße. Nachdem sie die Füße liebevoll geküsst hat, bringt sie das wertvolle Salböl auf (Lk 7,38).

Wie kann dieser Jesus aus Nazareth es erlauben, dass so eine Frau ihn berührt? Wenn er ein Prophet wäre, würde er wissen, was das für eine Frau ist, auch wenn er nicht aus der Gegend stammt (Lk 7,39)! So denkt Simon. Seine verurteilenden Gedanken machen klar, dass er blind ist für den Glauben der Frau, für die Herrlichkeit des Retters und für seinen eigenen verlorenen Zustand.

Das Gleichnis von den Schuldnern

Der Herr Jesus beendet das Schweigen und reißt Simon damit aus seinen bösen Gedanken heraus. Nachdem der Gastgeber Simon dem Herrn das Wort erteilt hat, antwortet Jesus auf die unausgesprochenen Überlegungen des Pharisäers und stellt ihn ins Licht Gottes (Lk 7,40). Dadurch macht Er deutlich, dass Er ein Prophet ist, und mehr als ein Prophet.

Jesus erzählt eine Geschichte von zwei Schuldnern eines Gläubigers. Der eine schuldet 500 Denare, der andere nur 10 Prozent davon. Die Schuldenlast ist sehr unterschiedlich, doch in einem Punkt gibt es keinen Unterschied: Beide haben nichts, um die Schuld zu tilgen. Der Gläubiger ist gnädig und entscheidet, ohne darum gebeten zu werden, dass beide nichts zurückzahlen müssen. Wer von den zwei Schuldnern wird dankbarer sein und den gnädigen Herrn mehr lieben? Simon gibt auf diese sehr schlicht wirkende Frage die richtige Antwort (Lk 7,41–43). Doch dann macht der Sohn Gottes aus dieser vermeintlichen Alltagsgeschichte eine ganz persönliche Ansprache.[1]

Das Gleichnis und Simon

Der Herr wendet sich zu der Frau und fragt Simon etwas, das wie eine rhetorische Frage klingt: „Siehst du diese Frau?“ (Lk 7,44). Natürlich hat Simon sie wahrgenommen. Aber: Hat er sie wirklich gesehen? Hat er etwas erkannt von ihrer Reue, Hingabe und starken Liebe? Hat er sie so gesehen, wie Christus sie sieht? Nein, Simon hat nur an die Sünden der Frau gedacht und er meint, dass er im Vergleich zu ihr sehr gut abschneiden würde.

Doch Simon muss eins begreifen: Beide Schuldner in dem Gleichnis können ihre Schuld nicht zurückzahlen und sind auf Gnade angewiesen. Ebenso brauchen sowohl die Frau – mit ihren vielen Sünden - als auch der angesehene Pharisäer Gnade. In dem Herrn Jesus ist die Gnade Gottes erschienen, die Übertretungen nicht zurechnend (2. Kor 5,19). Wie reagiert die Frau auf diese Gnade? Sie nimmt sie persönlich im Glauben an und so wird ihre Schuld ausgelöscht. Das ruft bei ihr große Liebe zu dem hervor, der voller Gnade ist und der ihr so viel vergeben hat. Wem viel vergeben ist, der liebt viel (Lk 7,47). Ihre starke Liebe beweist den Glauben, der in ihrem Herzen ist und der allein zur Vergebung der Sünden und zur Rettung führt (vgl. Lk 7,50).

Simon dagegen reagiert auf die in Christus angebotene Gnade überhaupt nicht. Er erweist Jesus nicht einmal die gewöhnlichen Gesten der Höflichkeit: Wasser für die Füße, Küsse für die Wange und Salböl für den Kopf (Lk 7,44–46). Er hat nicht verstanden, dass er Vergebung nötig hat und dass diese nur durch Jesus Christus erlangt werden kann. Wer keinen Glauben an den Retter Jesus hat, hat auch keine Liebe zu Ihm. Wenn Simon ein wenig Liebe zeigen würde, dann wäre er jemand, dem wenig vergeben worden ist. Aber er liebt gar nicht und somit steht er immer noch mit seiner Sündenschuld vor Gott – im Gegensatz zu der „Sünderin“! Von der Gnade, die ihm Gott in Christus angeboten hat, hat er nicht wirklich profitiert.

Jesus spricht zu der Frau

Jetzt wendet sich der Herr Jesus zu der Frau: Er spricht ihr öffentlich die Vergebung der Sünden zu. Das, was sie gehofft hat, hört sie jetzt aus seinem heiligen Mund: Ihre Sünden sind vergeben (Lk 7,48)! Sie hofft nicht mehr nur auf Vergebung, sondern sie ist sich jetzt der Vergebung gewiss.

Die mit zu Tisch liegen, stellen sich leider nicht die Frage, ob das Gleichnis nicht auch für sie erzählt wurde, sondern sie zweifeln an der Autorität des Herrn Jesus, Sünden zu vergeben (Lk 7,49). So bleibt die Frau die Einzige in dieser Szene, die von nun an ihren Weg in Frieden gehen kann, wissend, dass sie von ihrer Sündenschuld gerettet ist (Lk 7,50).

Die Antwort der Liebe

Jeder Mensch ist vor Gott schuldig geworden. Das Maß der Schuld ist unterschiedlich. Aber Gnade brauchen alle und Gnade ist für alle da.

Wer sich selbst im Licht Gottes gesehen und die Gnade für sich in Anspruch genommen hat, wird sich gewiss zu denen zählen, denen viel vergeben worden ist. Haben wir nicht alle viele Sünden bei uns festgestellt? Rühmen wir nicht die Gnade, die uns eine große Schuld vergeben hat? Und sollten wir dann nicht auch unserem Retter viel Liebe erweisen, indem wir sein Wort halten und Ihn ehren? Der, der uns in seiner „vielen Liebe“ (vgl. Eph 2,4) geliebt und uns alle Sünden vergeben hat, ist jeder Zuneigung wert.

Zusammenfassung:

Der Pharisäer Simon erwies dem Sohn Gottes, der in sein Haus einkehrte, keine Liebe. Dadurch zeigte er, dass er die Gnade, die der Herr Jesus brachte, nicht wertschätzte. Simon war nicht klar, dass auch er ein Sünder war, der Gnade nötig hat. Die stadtbekannte Sünderin hingegen war sich ihrer vielen Sünden bewusst. Sie schätzte die vergebende Gnade, die Jesus zeigte, und sie liebte Ihn. Die Vergebung der Schuld wurde ihr dann vom Herrn zugesprochen, nachdem sie viel Liebe gezeigt hatte, und sie konnte ihren Weg in Frieden weitergehen.

[Aus der Monatszeitschrift „Im Glauben leben“]


Fußnoten:

  1. So ähnlich ist es bei Nathan und David. David hört sich die Geschichte von dem armen Mann, dem das einzige Lamm entrissen worden ist, in seiner Königswürde an und urteilt schnell und scharf. Doch dann macht Nathan mit den Worten „Du bist der Mann“ deutlich, dass David sich selbst in dem Gleichnis wiederfinden muss (2. Sam 12,1–7).