„Als es aber schon um die Mitte des Festes war, ging Jesus hinauf in den Tempel und lehrte.“ (V. 14)

Uns wird an dieser Stelle noch nicht mitgeteilt, welche Worte der Herr hier gelehrt hat. Aber in Verbindung mit Vers 1 sehen wir, dass es mit einer großen Gefahr für Ihn verbunden war, im Tempel öffentlich zu lehren. Das war aber nicht der Grund, weswegen der Herr nicht schon zu Beginn, sondern erst zur Mitte des Festes hinaufgegangen war, sondern ganz sicher war es seine Abhängigkeit von seinem Gott und Vater. Dadurch wurde aber auch die ganze Hohlheit der Religiosität der damaligen Feste und jüdischen Führer offenbar. Später sagten die Diener: „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ (V. 46); man kann sich vorstellen, was sie für dürre Worte von den Pharisäern zu hören gewohnt waren. Das alles ist in diesen ersten Tagen des Laubhüttenfestes sicher spürbar geworden. Auch bei der Hochzeit zu Kana, als der Herr Seiner Mutter sagte: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4), sollte der Mangel erst einmal spürbar werden, und dann erst handelte der Herr. Er hatte damals nicht auf den Hinweis Seiner Mutter hin gehandelt, Er handelte hier nicht auf den Hinweis Seiner Brüder hin, Er würde später nicht auf den Hinweis von Martha und Maria wegen der Krankheit ihres Bruders Lazarus hin handeln (s. Joh 11,6) – Er handelte immer zur rechten Zeit in Abhängigkeit von Seinem Gott und Vater. Der Herr kommt immer zur rechten Zeit; vielleicht gerade dann, wenn offenbar geworden ist, wie hilflos wir Menschen sind.

„Da verwunderten sich die Juden und sagten: Wie besitzt dieser Gelehrsamkeit, da er doch nicht gelernt hat?“ (V. 15)

Es waren ungefähr 20 Jahre vergangen, seitdem der Herr als zwölfjähriger Knabe im Tempel gewesen war. Sicher waren noch manche von denen da, die das damals miterlebt hatten; doch noch immer besaßen sie kein Licht, hatten kein Verständnis über Seine Person. Sie setzten voraus, dass man nur Gelehrsamkeit besitzen konnte, wenn man nach ihrer Methode gelernt hatte, wenn man jemandes Schüler gewesen war, die Rabbinerschule durchlaufen hatte. Die gleiche Verwunderung betraf später die Jünger Petrus und Johannes in Apostelgeschichte 4,13, da sie in ihren Augen ungelehrte und ungebildete Leute waren. Was für ein abschätziges Urteil in beiden Fällen.

Auch für uns kann die Gefahr bestehen, dass wir uns auf Gelehrsamkeit stützen, dass wir meinen, mit Gelehrsamkeit etwas zu erreichen im Dienst für den Herrn. Sicher benötigen wir für unsere irdischen Berufe gründliche Bildung; aber wir dürfen nicht meinen, Gelehrsamkeit in der Welt besitzen zu müssen, um für den Dienst für den Herrn tauglich zu sein. Es mag manche geben, die der Herr besonders dazu ausgewählt und befähigt hat, aber nicht jeder ist dazu berufen. Was zählt, ist, dass der Herr zu uns einmal sagen kann: „Wohl, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen“ (Mt 25,21).

Die Juden machen hier auch den fundamentalen Fehler, dass sie sich nach dem Ursprung der Gelehrsamkeit des Herrn fragen und nicht darüber nachdenken, was Seine Worte ihren Herzen und Gewissen zu sagen haben. Dieser Gefahr sind wir als Zuhörer vielleicht auch schon so manches Mal erlegen, dass wir uns an Nebensächlichkeiten aufgehalten haben, anstatt uns mit dem Inhalt dessen, was gelehrt wurde, zu beschäftigen. Vielleicht hat uns oft die Art und Weise beschäftigt, in der etwas gesagt wurde, oder es hat uns etwas in der Person, die sprach, von dem wichtigen Inhalt abgelenkt.

 „Da antwortete ihnen Jesus und sprach: Meine Lehre ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat.“ (V. 16)

Die Verse 16–18 beinhalten zusammengefasst drei große Gedanken:

  • Was ist der Inhalt dieser Lehre und wo kommt sie her (V. 16)?
  • Was ist der Herzenszustand der Hörer dieser Lehre (V. 17)?
  • Welche Motivation verfolgt der Redner, wofür schlägt sein Herz (V. 18)?

Sicher hatte der Herr das Unverständnis der Juden mitbekommen, vielleicht hatten sie Ihn auch direkt so angesprochen, denn es heißt jetzt, dass Er ihnen antwortete. Und Er reagierte darauf direkt, aber nicht so, wie sie es wohl erwarten mochten. Der Herr hat trotz allem Unverständnis seiner Zuhörer immer weiter gesprochen, das war auch schon in Johannes 4 bei der Frau am Jakobsbrunnen so gewesen. Sie hatte nicht einen Bruchteil von dem verstanden, was Er über das lebendige Wasser gesagt hatte, doch Er ging in Seiner Belehrung immer weiter.

Wenn der Herr antwortet, ist das immer das Ende allen Widerspruchs! Die Juden hatten anerkannt, dass der Herr eine Gelehrsamkeit besaß, obwohl Er sie nicht auf ihrem Weg erworben hatte. Aber der Herr spricht jetzt nicht darüber, wie Er gelernt hat, auch nicht, was Er gelernt hat, sondern Er sagt ihnen: Was ich Euch bringe, ist überhaupt nicht von mir, es ist nicht meine Lehre. Diese Lehre kommt nicht aus mir und sie betrifft auch nicht in erster Linie mich; sondern sie kommt von dem und betrifft den, der mich gesandt hat (s. Joh 8,28). Gerade das ist das Thema des Johannes-Evangeliums: die Offenbarung Gottes in dem Mensch gewordenen ewigen Sohn Jesus Christus.

Deshalb konnte der Herr auch von sich sagen, dass Er die Wahrheit ist (s. Joh 14,6). Wahrheit ist ja immer eine Darstellung von dem, wie Gott alle Dinge sieht und sie beurteilt; und der Herr Jesus ist von allem – egal was es ist – die vollkommene und richtige Darstellung. Auch von dem Heiligen Geist und von dem Wort Gottes wird das gesagt (s. 1. Joh 5,6; Joh 17,17), aber nicht von Gott selbst. Gott als solcher ist die höchste Wirklichkeit und der Herr Jesus hat von dieser Wirklichkeit des Wesens Gottes gezeugt und sie dargestellt.

„Wenn jemand seinen Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist oder ob ich von mir selbst aus rede.“ (V. 17)

Diese Worte des Herrn zeigen, dass also der Herzenszustand der Hörer darüber entscheidet, worauf sie die gehörte Lehre zurückführen und wie sie sie aufnehmen. Verständnis über die Wahrheit Gottes ist keine objektive Sache, sondern sie betrifft den inneren Herzenszustand des Hörers. Unterwürfigkeit unter den Willen des Herrn ist der Schlüssel zum Verständnis Seines Wortes! Wir hören oft die Worte: „Das kann ich nicht verstehen“, aber müsste es nicht eigentlich heißen: „Das will ich nicht verstehen“?

Die Bereitschaft zu gehorchen ist also die Voraussetzung dafür, Licht über die Gedanken Gottes zu haben. Das kennzeichnete auch unsere Brüder zu Beginn des 19. Jahrhunderts und war die Grundlage für das Licht, das Gott ihnen über neutestamentliche Wahrheiten schenken konnte, die lange Zeit verschüttet gewesen waren. Sie waren bereit, konsequent das zu befolgen, was Gott ihnen aus Seinem Wort deutlich gemacht hatte, und sie bekamen dadurch immer weiteres Licht.

Das wird auch bei dem geheilten Blindgeborenen deutlich, als die Juden ihn über den befragten, der ihn geheilt hatte: „Wenn jemand gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den hört er […] Wenn dieser nicht von Gott wäre, könnte er nichts tun“ (Joh 9,31–33). Er war gerade eben erst bekehrt worden, aber er wollte den Willen Gottes tun und wusste deshalb schon mehr als diese hochgestellten religiösen Führer des Volkes. Auch von David gibt es im Neuen Testament das schöne Zeugnis, dass „er zu seiner Zeit dem Willen Gottes gedient hatte“ (Apg 13,36).

Der Herr Jesus verknüpft hier jemandes Wunsch, den Willen Gottes zu tun mit Seiner eigenen Person. Er sagt ja nicht, dass so jemand  von der Lehre wissen wird, ob sie aus Gott ist oder nicht, sondern Er verbindet das mit sich selbst. Die Frage, wie man zu Ihm steht, macht offenbar, ob man im Herzen den Willen Gottes tun will oder nicht. Wer Ihn ablehnt, macht deutlich, dass er Gottes Willen nicht tun will. Das ist die Konsequenz, die sich daraus ergibt. Wieder wird deutlich, dass an Seiner Person die Herzenszustände offenbar werden.

Zweimal ruft der Herr auf diesem Fest die Worte: „Wenn jemand...“. Hier geht es um die Aufrichtigkeit eines Herzens, das Seinen Willen tun will. In Vers 37 geht es um das Erkennen der Bedürfnisse, die nur durch den Herrn gestillt werden können. Obwohl Er abgelehnt und verworfen ist, sucht Er doch immer noch den Einzelnen, um ihm reichen Segen zu schenken.

„Wer von sich selbst aus redet, sucht seine eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, dieser ist wahrhaftig, und Ungerechtigkeit ist nicht in ihm.“ (V. 18)

Der Herr war zwar im Verborgenen hinaufgegangen, aber Er redete öffentlich (V. 26). Vor dem Hohenpriester antwortete Er einmal, dass Er öffentlich zu der Welt geredet hatte und im Verborgenen nichts geredet hatte (s. Joh 18,19–21). Aber wenn Er redete, dann suchte Er nie Seine eigene Ehre, sondern die Ehre Dessen, der Ihn gesandt hatte. Die Juden suchten ihre eigene Ehre, suchten sie von Menschen (s. Joh 5,44; 12,43), sie suchten Ehre für sich in der Welt. Der Herr Jesus aber suchte die Ehre Seines Vaters, weil Er nicht zu dieser Welt gehörte.

Der Beginn dieses Verses hat auch eine ernste Ansprache an jeden Einzelnen von uns persönlich! Wie ist das im Dienst in der Versammlung? Reden wir nur, wenn Gott uns einen Auftrag dazu gegeben hat? Reden wir nur Aussprüche Gottes (s. 1. Pet 4,11)? Ein bewährter Bruder hat einmal öffentlich bekannt, dass er auch in seinem Dienst nicht immer frei davon war, dadurch selbst geehrt zu werden. Wer in der Versammlung mehr redet, als Gott ihm aufgetragen hat, sucht seine eigene Ehre darin.

Wunderbare Wahrheiten kommen hier in Bezug auf die Person des Herrn vor uns: Er suchte nie Seine eigene Ehre, Er ist der Wahrhaftige und Ungerechtigkeit ist nicht in Ihm! Aber es ist doch auffallend, dass Er das nicht so direkt auf sich bezieht, sondern es ganz allgemein ausdrückt. Nur in Bezug auf Ihn ist ohne jede Einschränkung wahr, dass Er immer die Ehre Dessen suchte, der Ihn gesandt hatte. Und dann wird einmal gesagt, was Er ist, nämlich wahrhaftig, und was Ihn nicht kennzeichnet, nämlich Ungerechtigkeit.

Wir lesen mehrmals in den Schriften von Johannes, dass der Herr Jesus wahrhaftig ist. Er war in allem, was Er sagte und tat, ehrlich und transparent. Seine Taten und Seine Worte standen in einer vollkommenen Harmonie und Übereinstimmung. Und dass Ungerechtigkeit nicht in Ihm ist, bedeutet, dass Er nie im Widerspruch zu einem göttlichen Standard gestanden hat. Er hat immer dem entsprochen, was Gott von Ihm wollte, war immer in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Das ist Gerechtigkeit.

„Hat nicht Mose euch das Gesetz gegeben? Und keiner von euch tut das Gesetz. Warum sucht ihr mich zu töten?“ (V. 19)

Das Gesetz war das Zeugnis des Alten Testamentes über Gottes Wesen, deshalb wird es auch im Neuen Testament noch heilig und gerecht und gut genannt (s. Röm 7,12). Der Herr sagt jetzt den Juden mit diesen Worten, dass sie schon einmal eine Offenbarung von Gott erhalten hatten, nämlich das Gesetz Moses. Und was hatten sie damit getan? Keiner von ihnen tat es! Es gab kein Volk auf der Erde, das solche vollkommenen Gebote hatte. Die Aussprüche Gottes waren ihnen anvertraut (s. 5. Mo 4,8; Röm 3,2). Aber keiner von ihnen hielt sie. Dass sie jetzt auch die vollkommene Offenbarung Gottes in dem Herrn Jesus nicht annehmen wollten, war also gar nichts Neues. Sie waren ein hartnäckiges und widerspenstiges Volk, sie hatten noch nie Gott gehorcht! Und das gipfelte darin, dass sie Ihn zu töten suchten.

Die Juden gaben vor, das Gesetz zu kennen, Gesetzgelehrte zu sein. Sie kannten es – aber sie taten es nicht. Im Gesetz war ganz eindeutig angeordnet: „Du sollst nicht töten.“ (2. Mo 20,13). Gegen dieses Gesetz wollten die Juden verstoßen (s. Joh 5,16.18). Und der Herr deckt hier auf, was in ihren Herzen war.

„Die Volksmenge antwortete: Du hast einen Dämon; wer sucht dich zu töten?“ (V. 20)

In den Versen 14–19 haben wir gesehen, dass der Herr Jesus in Seiner Lehre, in Seinen Worten abgelehnt wird. Ab Vers 20 geht es jetzt mehr darum, dass Er in Seinen Werken abgelehnt wird. Der Herr Jesus zeigt hier in Verbindung mit dem Gesetz, dass das Werk und der Wille des Vaters nicht durch das Gesetz begrenzt werden können und auch nicht im Widerspruch dazu stehen.

Dadurch, dass die Volksmenge hier abstreitet, dass jemand Ihn töten will, wird deutlich, dass sie die wahre Absicht der Juden, der Führer des Volkes, gar nicht kannten. Es scheinen solche Juden zu sein, die anlässlich des Festes aus den verschiedenen Landesteilen nach Jerusalem gekommen waren und von dem, was Monate vorher am Teich Bethesda geschehen war (s. Joh 5), gar nichts mitbekommen hatten. Aber auch wenn sie in Unkenntnis der wahren Absichten der Führer redeten, so ließen sie sich doch hinreißen, etwas sehr Böses über den Herrn Jesus zu sagen: „Du hast einen Dämon“. Darin offenbart sich ihr Unglaube. In allen vier Evangelien finden wir wenigstens einmal, dass man Ihm eine solch schreckliche Vorhaltung macht (s. Mt 9,34; 12,24; Mk 3,22; Lk 11,15; Joh 7,20; 8,48.52; 10,20).

„Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Ein Werk habe ich getan, und ihr alle verwundert euch.“ (V. 21)

Das Werk, das der Herr hier anspricht, ist die Heilung des Gelähmten am Sabbat in Kapitel 5. Und es wird eine weitere Herrlichkeit Seiner Person in seiner Antwort offenbar. Wir haben in diesem Kapitel schon die Herrlichkeit Seiner Abhängigkeit von dem Vater gesehen, auch die Herrlichkeit Seiner Demut, in der Er nicht die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit suchte. Hier sehen wir nun etwas von der Herrlichkeit Seiner Sanftmut. In Seiner Erwiderung auf diesen schrecklichen Vorwurf, Er habe einen Dämon, geht Er gar nicht darauf ein. In Seiner Sanftmut schalt Er nicht wieder, als er gescholten wurde (1. Pet 2,23).

„Deswegen gab Mose euch die Beschneidung (nicht dass sie von Mose ist, sondern von den Vätern), und am Sabbat beschneidet ihr einen Menschen. Wenn ein Mensch die Beschneidung am Sabbat empfängt, damit das Gesetz Moses nicht gebrochen wird, zürnt ihr mir, weil ich einen Menschen ganz gesund gemacht habe am Sabbat?“ (Vers 22.23)

Der Herr zeigt jetzt auf, dass eine Beschneidung auch am Sabbat durchgeführt wurde (3. Mo 12,2.3). Aber eigentlich kam die Beschneidung nicht durch das Gesetz Moses, sondern war ein Bund Gottes mit Abraham (1. Mo 17,9–14; 21,4), der dann in das Gesetz mit aufgenommen wurde. Wenn der achte Tag des Lebens eines kleinen Jungen ein Sabbat war, dann wurde die Beschneidung ausnahmsweise am Sabbat ausgeführt. Damit gerät das Gesetz nicht in Widerspruch zu sich selbst; auch Gott, der das Gesetz gegeben hat, gerät dadurch nicht in Widerspruch zu sich selbst – es gibt also etwas, das höher ist als der Buchstabe des Gesetzes, als das Halten des Sabbats. Schon aus dem Gesetz kann man den Willen Gottes erkennen und ablesen.

Die Beschneidung stand als Gebot höher als das Sabbat-Gebot, weil Gott schon Abraham die Beschneidung als das Siegel seines Glaubens gegeben hatte (Röm 4,11), sie also weit früher als das Gesetz gegeben worden war. Sie war nicht das Siegel des Gesetzes, sondern wurde später in das Gesetz übernommen und wurde dann sogar zum Symbol des Gesetzes. Der Glaube war vorher da und steht höher als das Gesetz.

Bei anderen Begebenheiten weist der Herr die Juden auf weitere Ausnahmen hin, die sie selbst von dem Sabbat-Gebot machten: Als Er einmal auch am Sabbat geheilt hat und deshalb gescholten wird, nennt Er sie Heuchler und sagt ihnen, dass sie auch am Sabbat Ochsen oder Esel von der Krippe zum Brunnen führen würden, um sie zu tränken (Lk 13,10–17). Und in Lukas 14,1–5 fragt Er selbst angesichts des wassersüchtigen Menschen, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, oder nicht. Und als Er keine Antwort erhält, konfrontiert Er sie damit, dass sie am Sabbat auch einen Esel oder Ochsen aus dem Brunnen holen würden. Solche Fürsorge für Tiere würden sie sogar am Sabbat üben, wenn es nötig wäre. Aber die Ausnahme, die der Herr mit vollem Recht und in reiner Barmherzigkeit in Johannes 5 vorgenommen hatte, wollten sie nicht durchgehen lassen. Auf sie traf die Anklage des Herrn aus Matthäus 23,23 genauso zu: Sie hatten die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht (oder das Recht, den Urteilsspruch) und die Barmherzigkeit und den Glauben. Diese aber hätten sie tun und jene nicht lassen sollen!

Die Juden waren bereit, die Operation einer Beschneidung am Sabbat vorzunehmen, um eine zeremonielle Vorschrift einzuhalten. Aber wenn der Herr ein Werk der Gnade am Sabbat tat, waren sie in ihrem Hass bereit, Ihn für diese Wohltat, dieses wunderbare Zeichen, zu verurteilen. Insgesamt finden wir in den Evangelien, dass der Herr fünfmal an einem Sabbat geheilt hat. Die Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand wird in mehreren Evangelien berichtet, so dass es insgesamt sieben Berichte über Heilungen an einem Sabbat sind:

  • die Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand (Mt 12,9–14; Mk 3,1–6; Lk 6,6–11)
  • die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda (Joh 5,1–18)
  • die Heilung der zusammengekrümmten Frau (Lk 13,10–17)
  • die Heilung des Wassersüchtigen (Lk 14,1–6)
  • die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,1–17)

Es ist wichtig, dass wir festhalten, dass der Herr durch diese Heilungen nicht das Gesetz in göttlicher Allmacht übertreten hat oder sich in Widerspruch dazu gestellt hat. Er hat in allem das Gesetz erfüllt.

„Richtet nicht nach dem Schein, sondern richtet ein gerechtes Gericht!“ (Vers 24)

Es geht nicht um den äußeren Eindruck, den wir von einer Sache haben. Der äußere Schein war die Heilung des Gelähmten durch den Herrn am Sabbat. Aber welche Beweggründe und Ziele damit verbunden waren, das ließen die Juden bei ihrer Beurteilung außer Acht. Gerade die Pharisäer waren es ja, die auf den äußeren Schein einen großen Wert legten; es kam ihnen darauf an, vor den Menschen fromm zu scheinen (s. Mt 23,27.28). Nach dem Schein beurteilt zu werden, war ihnen sicher ganz recht, denn dann sah niemand bei ihnen unter ihre Oberfläche. Wir sind alle in Gefahr, nach äußerem Anschein zu urteilen (s. 1. Sam 16,7), vielleicht sogar bei unbekanntem Besuch in unseren Zusammenkünften (s. Jak 2,2–4).

Indem die Juden den Herrn dafür verurteilten, dass Er am Sabbat geheilt hatte, richteten sie nach dem Schein und nicht nach der Gerechtigkeit. Sonst hätten sie erkannt, dass diese Barmherzigkeit kein Unrecht war.

Der Gegensatz, den der Herr hier im zweiten Teil des Verses aufmacht, ist allerdings nicht die Aufforderung, nach den inneren Motiven zu richten. Er fordert die Juden auf, anstatt nach dem Schein zu richten, ein gerechtes Gericht zu richten.

Ein gerechtes Gericht ist ein Gericht oder Urteil, das in Übereinstimmung mit Gottes Gedanken ist (s. Joh 5,30). Genau das taten sie nicht: Sie brachten Gott nicht in ihre Überlegungen hinein, sondern sie richteten danach, wie es sich für sie äußerlich darstellte. Würden sie aber Gottes Gedanken mit hineinbringen, dann würden sie begreifen, dass bei der Beschneidung an einem Sabbat das Sabbat-Gebot nicht gebrochen wurde, sondern dass dies in Übereinstimmung mit Gottes Gedanken war. Und wieviel mehr war es in Übereinstimmung mit Gottes Gedanken, wenn Er, der Sohn Gottes, am Sabbat einen Menschen gesund machte.

Prophetisch wird es auch von dem Herrn Jesus gesagt, dass Er nicht richten wird „nach dem Sehen seiner Augen und nicht Recht sprechen [wird] nach dem Hören seiner Ohren; und Er wird die Geringen richten in Gerechtigkeit und den Sanftmütigen des Landes Recht sprechen in Geradheit“ (Jes 11,1–5).

„Einige von den Bewohnern Jerusalems sagten nun: Ist das nicht der, den sie zu töten suchen? Und siehe, er redet öffentlich, und sie sagen ihm nichts. Haben denn etwa die Obersten in Wahrheit erkannt, dass dieser der Christus ist? Diesen aber kennen wir, woher er ist; wenn aber der Christus kommt, so weiß niemand, woher er ist.“ (V. 25–27)

In Vers 20 hatten die Volksmengen, die aus den verschiedenen Landesteilen nach Jerusalem gekommen waren, noch gefragt, wer den Herrn zu töten suche. Unter den Bewohnern Jerusalems scheint es aber sehr wohl solche gegeben zu haben, die über die Absichten der Obersten der Juden etwas wussten – das geht aus diesem Vers hervor.

Die Bewohner von Jerusalem trugen auch eine besondere Verantwortung, denn sie wohnten in der Nähe des Heiligtums und bekamen alles mit, was dort geschah. Deshalb trugen sie auch in Bezug auf die letzten Tage des Herrn eine besondere Verantwortung. Der Prophet Sacharja misst ihnen die Schuld an der Verwerfung und Kreuzigung des Herrn direkt zu (s. Sach 12,10). Es gab eine Zeit, da war es mit einem besonderen Segen verbunden, in Jerusalem zu wohnen. Wer sich zur Zeit Esras und Nehemias freiwillig erbot, in der zerstörten Stadt Jerusalem zu wohnen, war besonders gesegnet. Aber damit wächst auch die Verantwortung!

Der Herr verkündigte die Wahrheit Gottes öffentlich. Auch Paulus spricht später davon, dass er die Lehre öffentlich und in den Häusern verkündigt hatte (s. Apg 20,20). Wenn er aber von falschen Lehrern spricht, sagt er über sie, dass sie in die Häuser schleichen und in böser Absicht ihre falschen Lehren nicht öffentlich verbreiten (s. 2. Tim 3,6). Die Wahrheit Gottes wird durch die von Ihm gesandten Diener öffentlich verkündigt – auch wenn sie auf Widerstand stößt.

Durch das, was die Bewohner von Jerusalem über den Herrn sagen, machen sie deutlich, dass sie zum einen den Herrn Jesus nicht im Glauben angenommen haben und zum anderen sich auch nicht in den Schriften auskannten. Wenn sie sagen, dass sie Ihn kennen, woher Er ist, meinen sie das, was in Johannes 6,42 über Ihn gesagt wird: sie kennen Seine Eltern und wissen, dass Er aus Nazareth kommt. Sie urteilten viel zu oberflächlich nach den äußeren Kennzeichen.

Dann aber sagen sie etwas Falsches: „Wenn aber der Christus kommt, so weiß niemand, woher er ist“. Offensichtlich kannten sie die Schriften nicht, denn als Herodes die Schriftgelehrten fragte, wo der Christus geboren werden sollte, wird ihm die klare Antwort gegeben: „In Bethlehem in Judäa, denn so steht durch den Propheten geschrieben“; und dann wird die Stelle aus Micha 5,1–3 angeführt (s. Mt 2,3–6).

Aber dieser Vers geht auch noch tiefer: Durch das, was der Herr Jesus sagte und tat, offenbarte Er doch, dass Er der Gesandte vom Vater war (s. V. 16–18). Von Ihm sprach Er, Ihn offenbarte Er – und das wollten sie auch nicht erkennen.

„Jesus nun rief im Tempel, lehrte und sprach: Ihr kennt mich und wisst auch, woher ich bin; und ich bin nicht von mir selbst aus gekommen, sondern der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, den ihr nicht kennt.“ (V. 28)

Mit welcher Sanftmut und Demut antwortet der Herr auf diese unverständige Äußerung über Seine Person. Er scheltet nicht wider, als Er gescholten wird (s. 1. Pet 2,23). Als man einst dem jungen David falsche Motive unterstellte, antwortete auch dieser in großer Sanftmut auf diese Unterstellungen (s. 1. Sam 17,28.29). Der Herr hat das ungerechte Urteil, das hier nach dem äußeren Anschein über Ihn gefällt wurde, ertragen. Was für ein Vorbild für uns!

Die Antwort des Herrn besteht darin, dass Er ganz einfach die Wahrheit dagegen stellt. Egal, von welcher Gruppe auch verkehrte Vermutungen oder Unterstellungen über Ihn ausgesprochen wurden – Er stellte die Wahrheit dagegen. Er war von dem Vater gekommen, und das sollte anerkannt werden.

Hier sagt Er, dass Er nicht von sich selbst aus gekommen sei. Er war der Gesandte von dem Vater, als der Er einen Auftrag von dem Vater als gehorsamer Diener ausführte. Wenn Er in Johannes 16,28 sagt, dass Er von dem Vater ausgegangen sei, haben wir dort einen anderen Gedanken vor uns. Da ist Er in Seiner Liebe freiwillig gekommen; aber hier in Vers 28 ist Er der Gesandte des Vaters, der willig war, den Auftrag des Vaters auszuführen.

Der Halbsatz nach dem Komma beginnt mit einem „sondern“. Da würde man doch jetzt eine andere Fortsetzung erwarten, als sie hier zu lesen ist. Der Herr hatte gesagt: „Ich bin nicht von mir selbst aus gekommen“, da könnte man doch jetzt die Fortsetzung erwarten: „sondern der Vater hat mich gesandt“. Aber der Herr fährt anders fort und sagt: „sondern der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, den ihr nicht kennt“. Warum diese Fortsetzung des ersten Halbsatzes? Es ist oft so in den Reden des Herrn, dass Er eine Aussage mit einer zweiten oder zusätzlichen Aussage verbindet, die über die erste Aussage hinausgeht und eigentlich das Wesentliche ist. Wenn Er jetzt sagt: „sondern der mich gesandt hat“, beantwortet Er die erste Aussage, dass Er nicht von sich selbst aus gekommen sei, damit, dass Er gesandt worden ist. Er war nicht von sich selbst aus gekommen, da war einer, der Ihn gesandt hatte. Und in dem gleichen Satz geht der Herr jetzt weiter und macht das zur Hauptaussage, was den betrifft, der Ihn gesandt hat – dass Er nämlich nicht nur Ihn gesandt hat, sondern auch wahrhaftig ist.

In Vers 18 hatte der Herr Jesus in Bezug auf sich selbst gesagt, dass Er wahrhaftig sei, hier sagt Er es in Bezug auf Gott, den Vater. Johannes schreibt in seinem ersten Brief, „dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns Verständnis gegeben hat, damit wir den Wahrhaftigen erkennen; und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben“ (1. Joh 5,20). Der Herr Jesus hat offenbart, was Gott in Seinem tiefsten Wesen ist – die Wahrheit.

Es ist sehr auffällig, dass gerade im Johannes-Evangelium, wo wir den Herrn Jesus als den ewigen Sohn, das ewige Wort bei Gott, vorgestellt finden, dass gerade hier der Herr Jesus wohl ausnahmslos davon spricht, dass Er gesandt worden ist. Kaum einmal spricht Er von Sich selbst als dem Sohn Gottes, der als der ewige Sohn eine über allem stehende Autorität und Souveränität hat. Gerade hier, wo Er als der ewige Sohn vor uns steht, betrachtet Er doch als Mensch den Vater als über sich stehend. Er nimmt sich als Sohn so sehr zurück und nimmt eine derart demütige Haltung ein, dass Er sagt: „Da ist einer, der mich gesandt hat“. Hätte Er nicht sagen können, dass Er aus eigener Machtvollkommenheit gekommen ist? Wunderbare Demut Dessen, der der ewige Sohn ist! Ein besonders ergreifendes Beispiel dieser Demut finden wir in Johannes 17,5: Als der ewige Sohn in Menschengestalt auf der Erde bittet Er den Vater um Seine Verherrlichung.

Dann sagt der Herr Jesus von dem Vater, dass dieser wahrhaftig sei, und dass die Juden Ihn nicht kennten. Sie kannten weder den Herrn Jesus noch Seinen Vater, denn wenn sie den Herrn Jesus gekannt hätten, so hätten sie auch Seinen Vater gekannt (s. Joh 8,19). Man kann den Vater nicht kennen ohne den Sohn – und man kann den Sohn nicht kennen ohne die Offenbarung des Vaters (s. Mt 11,27).

„Ich kenne ihn, weil ich von ihm bin und er mich gesandt hat.“ (V. 29)

Mit diesen Worten sagt der Herr Jesus nichts anderes, als dass Er der ewige Sohn Gottes ist, gleich mit dem Vater. Kein Mensch sonst kann das sagen. Wir stehen bewundern davor, dass hier ein Mensch auf der Erde sagen kann: „Ich kenne Ihn“!

„Da suchten sie ihn zu greifen; und niemand legte die Hand an ihn, weil seine Stunde noch nicht gekommen war.“ (V. 30)

Immer, wenn der Herr Jesus Seine Gottheit bezeugt, erregt das sofort den Widerstand der Juden. Wenn es dann hier heißt, dass Seine Stunde noch nicht gekommen war, dann ist das etwas anderes als in Vers 6, wo Er sagte, dass Seine Zeit noch nicht da war. Dort bezieht es sich auf die Zeit Seiner Verherrlichung, hier geht es um die Stunde Seiner Leiden. In Lukas 22,53 sagt der Herr zu den Hohenpriestern: „Dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis“. Gott machte in dieser Stunde auch offenbar, wie das Volk über seinen Messias dachte. Ihre totale Ablehnung gipfelte in Seiner Verwerfung – nicht nur in ihren Worten, sondern in Seiner vollständigen Beseitigung. Diese Stunde spitzt sich zu, bis der Herr zu Seinem Vater sagt: „Vater, rette mich aus dieser Stunde“ (Joh 12,27).

Dieser Ausdruck „seine Stunde“ oder „meine Stunde“ kommt sehr häufig vor, aber er bedeutet nicht an jeder Stelle immer dasselbe. Es ist in der Regel nicht ein Zeitabschnitt von 60 Minuten gemeint, sondern meistens eine Epoche, der Beginn eines längeren oder kürzeren Zeitabschnitts:

  • In Johannes 2,4 beziehen sich die Worte des Herrn nicht auf Seine Leiden, sondern auf Seine zukünftige Herrlichkeit im 1000-jährigen Reich.
  • In Johannes 4,21.23 ist die gegenwärtige Stunde der Gnade gemeint, in der christliche Anbetung dargebracht wird. Diese Anbetung ist nicht an einen geweihten Ort gebunden, sie ist freiwillig, sie geschieht in einer geistlichen Art und Weise und sie geschieht in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Offenbarung Gottes.
  • In Johannes 5,25 ist es auch die Stunde der Gnade, die gegenwärtige Gnadenzeit, in der geistlich Tote ewiges Leben bekommen.
  • In Johannes 5,28.29 ist es die zukünftige Epoche des Gerichts, und auch diese Gerichtsepoche hat zwei Phasen: Es gibt die Auferstehung zum Leben, die in Offenbarung 20,5 die „erste Auferstehung“ genannt wird und die wiederum in verschiedenen Phasen vor der Aufrichtung des 1000-jährigen Reiches stattfinden wird; und es gibt die Auferstehung zum Gericht, die in Offenbarung 20,14 der „zweite Tod“ genannt wird und die nach dem 1000jährigen Reich stattfinden wird.
  • In Johannes 7,30 und auch in Johannes 8,20 ist es die Stunde Seiner Leiden, die mit Seiner Gefangennahme beginnt und auch die Leiden des Kreuzes mit umschließt.
  • In Johannes 12,23 spricht der Herr von dem Kreuz, wo Er als wahrhaftiger und abhängiger Mensch Seine Vollkommenheit in höchstem Maß gezeigt hat. Die Herrlichkeit des Sohnes des Menschen, des wahren vollkommenen Menschen, wird in Seinem Gehorsam bis in den Tod völlig zur Darstellung gebracht.
  • In Johannes 13,1 ist es die Stunde Seiner Rückkehr zu dem Vater – wir könnten sagen, das Ende der Stunde, die in Verbindung mit dem Kreuz steht. Diese Rückkehr als Mensch zu Seinem Vater in den Himmel meint der Herr auch in Johannes 17,1.
  • In Johannes 16,2 spricht der Herr von der gesamten Epoche Seiner Abwesenheit; dadurch, dass hier der Artikel vor dem Wort Stunde fehlt, wird der Charakter dieser Epoche angedeutet: sie ist gekennzeichnet durch religiöse Verfolgung.
  • In Johannes 16,25 spricht der Herr von Seiner Auferstehung. Diese Epoche, in der Er offen von dem Vater verkündigen würde, begann, als Er zu Maria Magdalene von dem Vater sprach (s. Joh 20,17).
  • In Johannes 16,32 spricht der Herr Jesus von einer anderen Stunde als in Vers 25; dort war es die Stunde Seiner Auferstehung, hier ist es die Stunde Seiner Kreuzigung. Er geht nach Golgatha und begegnet der Welt und ihrem Widerstand, der Stunde des Menschen und der Gewalt der Finsternis (s. Lk 22,53).

Gottes Ratschluss wird immer ausgeführt und es geschieht überhaupt nichts, was Er nicht zulässt. Er hatte hier der Bosheit der menschlichen Herzen eine Grenze gesetzt, die sie nicht überschreiten durften. Sie mochten toben und wüten, aber sie konnten diese Schranke nicht überwinden. Der Herr Jesus sollte nicht auf dem Laubhüttenfest getötet werden, sondern auf dem Passahfest. Dann kam der Moment, wo Gott selbst diese Schranke öffnete, und dann entlud sich die Bosheit des menschlichen Herzens in ihrer ganzen Schärfe (s. Apg 4,27.28) – aber auch nur soweit, wie Gott es zuließ. Das sagt der Herr auch Pilatus in aller Deutlichkeit (s. Joh 19,11). Nach dem Speerstich des Soldaten hat kein Sünder mehr die Hand an den Herrn gelegt. Gottes Wege sind sicher!

Dieser Vers zeigt uns auch, dass der Herr Jesus freiwillig in die Leiden gegangen ist. Er ist in diese Stunde der Leiden nicht deshalb gekommen, weil Er den Juden nicht entfliehen konnte, sondern weil Er diese Leiden freiwillig erdulden wollte.

„Viele aber von der Volksmenge glaubten an ihn und sprachen: Wenn der Christus kommt, wird er wohl mehr Zeichen tun als die, welche dieser getan hat?“ (V. 31)

Trotz der Anfeindungen der Juden gab es in der Volksmenge doch solche, die an Ihn glaubten; durch das „aber“ werden sie deutlich von der ungläubigen Führerschaft des Volkes unterschieden. Wie wohltuend muss es für den Herrn auf Seinem Weg der Leiden bis hin zum Kreuz gewesen sein, zu sehen, dass es nicht nur Feindschaft und Ablehnung Ihm gegenüber gab.

Offensichtlich aber glaubten die hier genannten Menschen aus der Volksmenge nicht an den Herrn als den Christus, denn sie stellten in ihren Überlegungen den Christus, den sie erwarteten, neben die Person, die da vor ihnen stand. Und sie meinten, dass dieser kommende Christus wohl auch nicht mehr Zeichen tun würde als der Herr vor ihnen, den sie aber nicht als diesen erkannten. Diese Aussage, dass der Christus auch nicht mehr Wunder tun würde, war ein klares Zeugnis dafür, dass der Herr eigentlich vollkommen als der Messias erwiesen war und man Ihn hätte annehmen müssen. Seine Verwerfung war deshalb umso schuldhafter.

Was war das dann für ein Glaube? War es nur der rein verstandesmäßige Glaube wie bei den Juden in Johannes 2,23? Es gibt tatsächlich einen Glauben, der nicht echt ist, der sich durch Zeichen und Wunder hervorrufen lässt, der aber nur ein äußeres Überzeugtsein von Dingen ist und nicht der rettende Glaube. Es gibt einen Glauben, der auf den Augenschein hin erst einmal akzeptiert, dass diese Zeichen und Wunder etwas Besonderes sind, der aber nicht der wahrhaftige Glaube an den Herrn als Person ist (s. Joh 12,37.38). Das war z. B. auch ganz deutlich bei Simon dem Zauberer der Fall (s. Apg 8,13.18). Und diese Haltung war für das jüdische Volk charakteristisch (s. 1. Kor 1,22).

„Die Pharisäer hörten die Volksmenge dies über ihn murmeln; und die Hohenpriester und die Pharisäer sandten Diener, damit sie ihn griffen.“ (V. 32)

Diese Gedankengänge und Fragen der Volksmenge werden hier wie auch in Vers 12 schon als Gemurmel bezeichnet.

Vielleicht können wir aus dieser Formulierung doch entnehmen, dass der Glaube, von dem hier die Rede ist, durch den Heiligen Geist insofern eine gewisse Abwertung erfährt, als es nur ein verstandesmäßiger und nicht der rettende Glaube ist.

Aber es war auch deshalb nur Gemurmel, also mehr verdecktes und nicht öffentliches Reden über Ihn, weil gerade Letzteres gefährlich war. Die Hohenpriester und Pharisäer bekamen nämlich mit, dass der Herr Jesus Anhänger bekam und sie diese verloren. Deshalb ergriffen sie Maßnahmen, um Ihn zu beseitigen. Darin wird deutlich, wie festgelegt sie schon in Bezug auf die Person des Herrn waren: Überhaupt nicht mehr bereit, in Seinen Worten oder in Seinen Werken etwas zu entdecken, was ihnen hätte zum Heil dienen können. Sie wollten Ihn nicht – und sie wollten auch alles dafür tun, dass niemand Ihn annehmen würde!

„Da sprach Jesus: Noch eine kleine Zeit bin ich bei euch, und ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat. Ihr werdet mich suchen und nicht finden, und wo ich bin, dahin könnt ihr nicht kommen.“ (V. 33.34)

Diese kleine Zeit konnten die Juden durch ihr Vorhaben, Ihn zu greifen, nicht abkürzen. Menschen können die von Gott gesetzte Zeit und Stunde weder verkürzen noch verlängern. Wenn die Juden Ihn auch nicht auf dem Passahfest töten wollten, um einen Aufruhr unter dem Volk zu vermeiden (s. Mt 26,3–5), so sollte es nach dem Ratschluss Gottes doch auf diesem Fest geschehen und sie konnten es nicht verhindern. Aber in diesen Worten des Herrn liegt auch ein tiefer Ernst: Er würde nach einer kleinen Zeit dieses Volk verlassen, nicht länger zu ihnen reden, nicht länger Zeichen unter ihnen wirken.

Auch in Johannes 12,35 spricht der Herr von dieser kleinen Zeit: „Noch eine kleine Zeit ist das Licht unter euch. Wandelt, während ihr das Licht habt, damit nicht Finsternis euch ergreife!“ Auch hier wird der Ernst sehr deutlich, welche Folgen es haben würde, wenn Er nicht mehr unter ihnen wäre. Die Zeit, die diesen Menschen blieb, war nur noch eine kleine Zeit.

Wann haben die Juden den Herrn eigentlich gesucht? Sie waren doch froh, dass Er endlich beseitigt wurde. Es ist wohl so zu verstehen, dass sie den Messias suchten und da sie diesen in dem Herrn abgelehnt hatten, konnten sie Ihn auch nicht finden (s. Röm 11,7). In Johannes 13,33 kommt der Herr in Seinen Abschiedsworten an Seine Jünger ja auf diese Worte hier und jene in Johannes 8,21 noch einmal zurück. Aber den Jüngern sagt Er nicht, dass sie Ihn nicht finden würden, denn sie haben Ihn tatsächlich in Auferstehung gefunden. Wer den Herrn aufrichtig sucht, der wird Ihn zu allen Zeiten auch finden (s. Jes 55,6).

Mit welcher Freude spricht der Herr dann davon, dass Er hingehen würde zu dem, der Ihn gesandt hatte. Er wusste sehr wohl, wie dieser Weg zu dem Vater aussehen würde, was da alles auf Ihn warten würde – Kreuz und Grab –, aber es wäre der Weg zu dem Vater.

Die Juden würden Ihn dann suchen und nicht finden; und dann spricht Er diese bedeutenden Worte „wo ich bin“, die sich jedes Mal, wenn Er sie sagt, auf Seine Gegenwart im Haus Seines Vaters beziehen (s. Joh 7,34; 12,26; 14,3; 17,24). Er ist als Mensch hier auf der Erde, aber zur gleichen Zeit der ewige Sohn Gottes im Haus Seines Vaters; Er hat den Schoß des Vaters, den Himmel, nie verlassen (s. Joh 1,18; 3,13). Das Wort Gottes drückt es nicht so aus, dass der Herr Jesus den Himmel verlassen hätte, aber wenn Er zurückkehrt zu dem Vater, dann sagt Er sehr wohl, dass Er die Welt verlassen würde (s. Joh 16,28). Dieser Vers zeigt einmal mehr, wie sorgfältig und genau Gott Sein Wort hat schreiben lassen und wir sollten deshalb in unserer Ausdrucksweise nie über das hinausgehen, was Gottes Wort sagt. Wir sprechen hier über die heiligsten Dinge, die es gibt, und da sollten wir sehr vorsichtig und zurückhaltend sein. Es ist heiliger Boden und da geziemt es sich nicht, Dinge zu äußern, die sich mit Gottes Wort nicht belegen lassen.

Der Herr sagt also nicht „wo ich bald sein werde“, sondern „wo ich bin“, wo ich jetzt als der ewige Sohn bin. Auch als Er diese Worte inmitten der feindlichen Juden auf dem Tempelplatz sprach, war Er im Schoß des Vaters. Das ist die Heimat des ewigen Lebens, wo der ewige Strom der Liebe des Vaters ununterbrochen zu dem Sohn fließt und umgekehrt – es ist höchste Herrlichkeit!

Wenn wir noch einmal zu Johannes 12,26 gehen, dann spricht der Herr mit diesen Worten eine Verheißung denjenigen aus, die Ihm dienen würden. Sie werden einmal da sein, wo Er auch zu dem damaligen Zeitpunkt, zu dem Er diese Worte sprach, immer war: im Haus Seines Vaters. Und in Johannes 14,2.3 zeigt Er, wie es geschehen kann, dass Menschen einmal dorthin kommen können: indem Er kraft Seines Erlösungswerkes als Mensch dorthin zurückkehrt, wo Er als der ewige Sohn immer ist. Dadurch, dass jetzt schon ein Mensch dort ist, ist diese Stätte auch für erlöste Menschen bereitet worden. Und in Johannes 17,24 verbindet Er mit diesen Worten die ganze Entfaltung Seiner Herrlichkeit. Dort werden wir eine Herrlichkeit sehen, die keine anderen Menschen sehen werden – auch nicht die treuesten Gläubigen anderer Haushaltungen. Das Haus Seines Vaters wird der ewige Wohnort Seiner Versammlung sein.

Dahin konnten die Juden in ihrem ablehnenden Zustand nicht kommen. Den, der der Weg zu dem Vater ist (s. Joh 14,6), den wollten sie nicht und ohne den Sohn kommt man nicht zu dem Vater. Wir haben hier die einzige der vier Stellen, wo der Herr diese Worte nicht mit der Zukunft der Glaubenden verknüpft. Zu dem ewigen Wohnort Gottes, der außerhalb dieser Schöpfung liegt, hat der natürliche Mensch keinen Zugang. Diese Aussage schiebt auch der Lehre von der Allversöhnung einen Riegel vor. Es gibt keine Möglichkeit für einen ungläubigen Menschen, dahin zu kommen, wo Er ist! Niemand wird dorthin kommen, der Ihn nicht in dieser Zeit der Gnade angenommen hat.

„Die Juden sprachen nun zueinander: Wohin will dieser gehen, dass wir ihn nicht finden können? Will er etwa in die Zerstreuung der Griechen gehen und die Griechen lehren? Was ist das für ein Wort, das er sprach: Ihr werdet mich suchen und nicht finden, und: Wo ich bin, dahin könnt ihr nicht kommen?“ (V. 35.36)

Die Juden reagieren auf diese Worte erneut mit völligem Unverständnis. Es entzog sich völlig ihrem Vorstellungsvermögen, was der Herr mit Seinen Worten meinen könnte. Deshalb überlegten sie, ob Er damit vielleicht meinte, dass Er zu den unter den Griechen zerstreut wohnenden Juden gehen würde, um der Heidenwelt zu predigen. Ohne es auch nur im Geringsten zu wissen, drückten sie damit eine Tatsache aus, die sich tatsächlich später erfüllt hat. Nachdem der Herr zu Seinem Vater zurückgekehrt war, ist Er tatsächlich (in der Person des Heiligen Geistes) gekommen und hat Frieden verkündet den Fernen und Frieden den Nahen (s. Eph 2,17).

Aber durch das „etwa“ kommt doch ihre ganze jüdische Überheblichkeit zum Ausdruck. Für sie war es einfach unvorstellbar, dass anderen Menschen als ihnen aus dem auserwählten Volk Gottes eine Botschaft des Heils gebracht werden könnte. Wenn der Herr ihnen einmal vorwirft, dass sie selbst das Meer und das Trockene durchziehen würden, um einen Proselyten aus der Heidenwelt zu gewinnen (s. Mt 23,15), dann taten sie das ja nur, um Anhänger für sich zu finden, nicht, um diesen zum Heil zu führen.

In den Worten der Juden wird aufs Neue deutlich, wie sehr der Herr doch immer wieder missverstanden wurde. Denken wir daran, wie Er von dem Tempel Seines Leibes sprach und die Juden meinten, Er würde von dem Tempel des Herodes reden (s. Joh 2,18–22). Als Er zu Nikodemus von der Neugeburt sprach, dachte dieser Lehrer Israels, ein Mensch müsse vielleicht wieder in den Leib seiner Mutter zurückkehren (s. Joh 3,4). Als Er zu der Frau am Jakobsbrunnen von dem lebendigen Wasser sprach, dachte sie nur an das natürliche Wasser zum Stillen des natürlichen Durstes (s. Joh 4,10–14).

Als Er von Sich als dem Brot des Lebens aus dem Himmel sprach, dachten die Menschen an natürliches Brot (s. Joh 6,32–34). Als Er davon sprach, dass Lazarus eingeschlafen war, dachten Seine Jünger an den natürlichen Schlaf (s. Joh 11,11.12). Als Er davon sprach, dass Johannes – wenn Er es wollte – bleiben würde, bis Er käme, dachten die Jünger, Johannes würde nicht sterben (s. Joh 21,22.23).

Diese und viele weitere Beispiele zeigen, wie wenig der Herr doch von den Menschen – und oft auch von Seinen Jüngern – wirklich verstanden wurde. Was muss das für den Herrn gewesen sein, ständig zu spüren, dass man Ihm nicht folgen konnte in dem, was Er ihnen offenbaren wollte! Er war auch in dieser Hinsicht ein Fremdling, unverstanden von den Menschen, unverstanden sogar von Seinen eigenen Jüngern. Und auch wir würden heute genauso unverständig vor den Worten des Herrn Jesus stehen, hätten wir nicht den Heiligen Geist, der uns in die ganze Wahrheit leitet. Nur durch den Geist Gottes können wir Seine Gedanken verstehen.