Auf den ersten Blick scheint es widersprüchlich zu sein, wenn der Herr einerseits sagt: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn errettet werde“ (Joh 3,17), dann aber auch: „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die Nichtsehenden sehen und die Sehenden blind werden“ (Joh 9,39).

C. H. Mackintosh bemerkt dazu: „Das Ziel seiner Sendung war Errettung; der moralische Effekt seines Lebens war Gericht.“ In Johannes 9 nennt sich der Herr Jesus „das Licht der Welt“ (Joh 9,5). Und vielleicht hilft genau dieser Titel, diesen scheinbaren Widerspruch zu erklären. Sonnenlicht wirkt auf eine zweifache Weise. Es kann blenden und verbrennen. Und es kann erhellen und erwärmen. Die Sonne kann „brennend wie ein Ofen“ sein, oder „mit Heilung in ihren Flügeln“ kommen (Mal 3,19.20).

Der stolze und selbstgefällige Mensch (in Johannes 9 dargestellt in seinen prominentesten Vertretern, den Pharisäern) wird durch das himmlische Licht geblendet. Seine Werke sind böse, aber er gefällt sich darin und deshalb stört ihn das Licht, das alles offenbar macht, und er hasst es (Joh 3,19.20). Wer aber die eigene moralische Finsternis und Blindheit fühlt und sich nicht vom Licht wegdreht, sondern es in sein Inneres leuchten lässt, der wird errettet.

So kam der Herr Jesus nicht, um zu richten, und doch richtete Er jeden Menschen, dem Er begegnete und stellte ihn ins Licht (Joh 1,9). Sein makelloses Leben war eine Ansprache an jedes Gewissen. Wer diese Ansprache ablehnte, blieb in der Finsternis. Wer dieses moralische Urteil anerkannte, der wurde gerettet und hatte fortan das Licht des Lebens (Joh 8,12).

So löst sich (wie so oft) nicht nur der Widerspruch auf, sondern es kommen besondere Schönheiten zum Vorschein. Dass der Herr Jesus nicht gekommen ist, um die Welt zu richten, zeigt seine grenzenlose Gnade. Dass Er dennoch zum Gericht in die Welt gekommen ist, zeigt die Würde und Vollkommenheit seiner Worte, seiner Werke und seines ganzen Wesens.

Und so erfüllte sich, was schon Simeon vorhergesagt hatte: „Dieser ist gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel“ (Lk 2,34).