Im Mutterleib hielt er die Ferse seines Bruders, und in seiner Manneskraft kämpfte er mit Gott: Er kämpfte mit dem Engel und überwand, er weinte und flehte zu ihm; in Bethel fand er ihn, und dort redete er mit uns. Hosea 12,4.5

In diesen zwei Versen wird uns ein kurzer Abriss über das Leben Jakobs gegeben. Es werden drei markante Ereignisse aus seinem Lebenslauf herausgegriffen, die von tiefer Belehrung für uns sind.

Geburt und die Jahre danach

„Im Mutterleib hielt er die Ferse seines Bruders, und in seiner Manneskraft kämpfte er mit Gott“ (Hos 12,4). Jakob hielt bei der Geburt die Ferse seines Zwillingsbruders Esau fest, was andeutet, dass er nicht gewillt war, den zweiten Platz einzunehmen. Dieses Verhalten führte zu seinem Namen, der „Fersenhalter“ oder „Überlister“ bedeutet. In den folgenden Jahren war sein Name Programm: List dominierte sein Handeln. Er schnappte Esau das Erstgeburtsrecht sowie den Segen seines Vaters Isaak hinterhältig weg (1. Mo 25 und 27). Er wollte nicht auf die Zeit Gottes warten, der angekündigt hatte, dass der Ältere dem Jüngeren dienen wird (1. Mo 25,23).

Nachdem Jakob vor Esau nach Paddan-Aram geflohen war, traf er Laban, seinen späteren Schwiegervater, und fand in ihm seinen Meister. Laban gab ihm zuerst die falsche Tochter zur Frau, veränderte zehnmal seinen Lohn und hätte ihn nach langer Dienstzeit leer entlassen, wenn Gott nicht eingegriffen hätte (1. Mo 29,25; 31,7.42).

Als Jakob seinem Bruder Esau begegnen musste, bangte er um sein Leben und das seiner Familie. Er entwickelte Strategien, um seinem Bruder zu besänftigen und war bereit, viel von seinem mühsam erkämpften Reichtum abzuzwacken. Dämmerte es Jakob, dass das Leben in eigener Kraft und Schlauheit ihm nur Schwierigkeiten brachte?

Kurz vor der Begegnung mit Esau griff ihn ein geheimnisvoller Mann nachts an, als er allein am Jabbok zurückgeblieben war (1. Mo 32,23–33). Statt sich diesem Mann zu ergeben, rang Jakob „in seiner Manneskraft“ mit ihm. Stundenlang. Jakob war nicht bereit, nachzugeben. Den zweiten Platz wollte er nicht einnehmen, das Heft nicht aus der Hand geben. Würde er, der gern von seiner Schaffenskraft und Männlichkeit redete, den Kampf nicht noch für sich entscheiden können (1. Mo 31,40; 49,3)? Jakob war unbeugsam und offenbarte damit, wie wenig Selbsterkenntnis er in den vergangenen Jahren gesammelt hatte.

Pniel und die verrenkte Hüfte

„Er kämpfte mit dem Engel und überwand, er weinte und flehte zu ihm“ (Hos 12,5). Als es langsam hell wurde, nahm der Kampf eine dramatische Wendung. Der geheimnisvolle Mann – der Sohn Gottes selbst – demonstrierte dem selbstbewussten Jakob, wer der Stärkere ist. Mühelos verrenkte er die Hüfte Jakobs, den Sitz seiner Kraft. Schlagartig verstand Jakob, dass er nicht wie bisher weitermachen konnte.

Er kämpfte nun ganz anders: mit Tränen der Reue und Flehen um Gnade. Jakob hielt nicht listig eine Ferse fest, sondern umklammerte entschlossen den fremden Mann, um von ihm gesegnet zu werden. Als Jakob nach seinem Namen gefragt wurde, muss ihm klar gewesen sein, dass er damit an die Bedeutung des Namens erinnert werden sollte (1. Mo 32,28). Nachdem Jakob die Frage beantwortet hatte, empfing er in Gnade das, was er sich in eigener Kraft erkämpfen wollte: göttlichen Segen.

Er war jetzt kein Überlister mehr, sondern ein Überwinder. Darum bekam er den Namen Israel. „Denn du hast mit Gott und Menschen gerungen und gesiegt“ (1. Mo 32,29). Seinen eigenen Namen aber gab der fremde Mann nicht preis. Denn Jakob war noch nicht so weit, dass Gott mehr von sich offenbaren konnte. Doch Jakob hatte an Selbsterkenntnis gewonnen: das Vertrauen auf die eigene Kraft war zerbrochen. Die Sonne war über sein Leben aufgegangen (vgl. 1. Mo 32,32). Ihren Zenit würde sie später erreichen.

Bethel und die Offenbarung Gottes

„In Bethel fand er ihn, und dort redete er mit uns“ (Hos 12,5). Gott rief Jakob nach Bethel, worauf sich dieser von allem trennte, was nicht in die Gegenwart des Allmächtigen passt (1. Mo 35,1 ff.). In Bethel fand Jakob seinen Gott, der ihn segnete und zu ihm redete. Dabei sprach Gott nicht nur über die Zukunft Jakobs, sondern über das Volk Gottes, über Könige und das verheißene Land, weshalb Hosea hier eine Ansprache an alle Israeliten sieht („Gott redete mit uns“).

In Bethel bekam Jakob zum zweiten Mal den Namen Israel, weil bisher noch nicht so viel von seinem neuen Namen zu sehen gewesen war. Das sollte sich nun ändern: In der göttlichen Geschichtsschreibung wird kurz darauf erstmalig der neue Name des Patriarchen verwendet (1. Mo 35,21). Von Jakobs eigensinniger Selbstsucht verliert sich jede Spur. In Ägypten segnet er den mächtigen Pharao (1. Mo 47,7). Bei der Segnung seiner Enkelkinder zeigte er erstaunliche Einsicht: Obwohl der Vater Joseph es nicht wollte, setzte Jakob den Zweitgeborenen Ephraim vor den Erstgeborenen Manasse in ruhiger Unterordnung unter den Willen Gottes. Und am Ende seines Lebens betete er über der Spitze seines Stabes den Gott an, der ihn treu geweidet hatte (Heb 11,21).

Schlussgedanken

Die erste Phase im Leben Jakobs wurde bestimmt von seiner List und Manneskraft. Er machte seinem Namen alle Ehre. In Pniel lernte Jakob seine Ohnmacht kennen, hilflos klammerte er sich an Gott. Der dritte Meilenstein wurde in Bethel gelegt. Dort lernte er Gott und seine Absichten besser kennen und verstehen. Die Segensspur, die Jakob hinterließ, wurde nun deutlich breiter.[1]

Wo stehst du, wo stehe ich? Gehen wir noch unbeirrt auf eigenwilligen Wegen? Oder sind wir einen Schritt weiter, indem wir die Nutzlosigkeit unserer vermeintlichen Schlauheit und Kraft erkannt haben? Oder konnte Gott uns schon in eine tiefe Gemeinschaft mit sich führen, sodass wir nicht nur dem Namen nach, sondern wirklich „Kämpfer Gottes“ geworden sind?

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Fußnoten:

  1. Vereinfacht gesagt: In der ersten Phase war Jakob mit sich beschäftigt, in der zweite Phase Gott mit Jakob und in der dritten Phase Jakob mit Gott