Um Entschuldigung bitten und vergeben – beides kann sehr schwierig sein. In seinem Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,21–35) adressiert der Herr Jesus das zweite Problem. Er macht darin deutlich: Wenn der „Gott der Vergebung“ (Neh 9,17) uns unfassbar viel vergeben hat, sollten auch wir bei unseren Mitgeschwistern dazu bereit sein. Einige grundlegende Gedanken zu diesem Thema:

  • Gott hat uns unendlich viel vergeben – dargestellt durch die 10.000 Talente (343 Tonnen, gemäß dem Silberpreis Stand Februar 2023: 227 Millionen Euro). Im Vergleich dazu ist die Schuld, die jemand uns gegenüber hat, wesentlich geringer (im Gleichnis 100 Denare = 100 Tageslöhne). Ein riesiger Unterschied.
  • Der Maßstab ist – wie so oft – Gott selbst. Über seine grenzenlose und vollständige Vergebung reden unter anderem folgende Stellen: Ps 103,12; Jes 38,17; Mich 7,19; Heb 10,17. Ein perfektes Vorbild für uns, wie Epheser 4,32 sagt: „Seid aber zueinander gütig, mitleidig, einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat.“
  • Wir sollten nicht den „Splitter“ beim Gegenüber größer als unseren „Balken“ machen. Wer sich bewusst ist, in welchem Maß er sich selbst vielleicht schon an seinen Mitgeschwistern versündigt hat, wird auch milder sein, wenn er verletzt oder enttäuscht wird. Sprüche 19,11: „Die Einsicht eines Menschen macht ihn langmütig, und sein Ruhm ist es, Vergehung zu übersehen.“ Dieser Vers hilft auch, nicht alles als eine Handlung anzusehen, für die Vergebung nötig ist: Jemand hat uns beim Einkaufen nicht gegrüßt, unseren Geburtstag vergessen, eine leichtsinnige Bemerkung gemacht etc.? Vielleicht war nichts davon Absicht.
  • Wem hilft Vergebung? Durch Vergeben „hilft“ der Vergebende zwei Menschen: demjenigen, der um Verzeihung bittet, und sich selbst.
  1. Der, der um Verzeihung bittet: Diese Person wird von Schuldgefühlen befreit, die sonst eine schlimme Qual sein können. Mit Schuldgefühlen kann man die Gemeinschaft mit dem Herrn kaum genießen. Wenn ich also Vergebung verweigere, halte ich die Person in diesem traurigen Zustand letztlich fest.
  2. Sich selbst: Nicht zu vergeben, begünstigt einerseits Bitterkeit, andererseits belastet sie auch meine eigene Beziehung zum Herrn. Wenn er mich auffordert, zu vergeben, und ich dem nicht nachkomme, kann ich unmöglich glücklich sein. Das ist die praktische Anwendung der „Peiniger“ (Mt 18,34), die die Seele des Unbarmherzigen quälen.
  • Ab wann suche ich ein Gespräch mit demjenigen, der mich verletzt hat (vgl. Mt 18,15)? Bei jeder Kleinigkeit? Verlangt es vielleicht die Demut von mir, Dinge auch mal herunterzuschlucken? Diese Antwort ist sicherlich nicht einfach zu beantworten, möglicherweise ist hier Mt 5,23.24 eine Hilfe: „Wenn du nun deine Gabe zum Altar bringst und dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh zuvor hin, versöhne dich mit deinem Bruder; und dann komm und bring deine Gabe dar.“ Wenn die vorgefallene Sache meine Beziehung zum Herrn (oder die des Bruders/der Schwester zum Herrn) belastet und, wie im Beispiel, eine Anbetung erschwert, ist ein Gespräch notwendig. Es geht dann nicht um die eigene Ehre, sondern um die Ehre des Herrn.
  • Gibt es eine Grenze? Der Herr sagt: „Und wenn er siebenmal am Tag gegen dich sündigt und siebenmal zu dir umkehrt und spricht: Ich bereue es, so sollst du ihm vergeben“ (Lk 17,4). Unvorstellbar, einem Bruder dann noch gerne zu vergeben, wenn er nun schon das siebte Mal an einem Tag die gleiche Sünde gegen mich begangen hat. Doch genau das ist der Maßstab, den Christus hier vorlegt. Wenn er das tut, können wir sicher sein, dass er auch dabei helfen kann, diesen einzuhalten.
  • Was ist, wenn es nie ein Bekenntnis gibt? Kann der „Geschädigte“ dann jemals frei werden? Möglicherweise bietet sich hier ein Beispiel aus dem Leben des Herrn an. Wir lesen von ihm, dass er, „gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte, sondern es dem übergab, der gerecht richtet“ (1. Pet 2,23). Er übergab die Angelegenheit also Gott. Wohl aus diesem Grund spricht er das Gebet am Kreuz: „Vater, vergib ihnen“ (Lk 23,34). Niemand dort hatte ihn um Vergebung gebeten. Doch der Herr Jesus offenbart hier etwas, was ich Vergebungshaltung nennen möchte: Die Bereitschaft, zu vergeben. Für uns: „Ich lasse allen Groll und Grimm fahren und vergebe der Person schon jetzt, auch wenn sie noch nicht darum gebeten hat.“ Das macht den Geschädigten in seinem Herzen frei.
  • In welcher Haltung sollten wir vergeben? „Von Herzen“ (Mt 18,35). Nicht widerwillig, nicht „enttäuscht“, weil man den anderen nicht mit Schuldgefühlen schmoren lassen kann, sondern gerne.
  • Was ist das Ziel von Vergebung? Den Bruder zu gewinnen (Mt 18,15). Vergebung beendet Bitterkeit, quälende Schuldgefühle, zerstörtes Vertrauen, eine belastete Freundschaft, eine gestörte Beziehung zum Herrn etc. Vergebung spiegelt das große Wunder von Golgatha wider.

„... einander ertragend und euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat gegen den anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr.“ (Kol 3,13)